Nr. 612 44. 3ahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Der neue Deutschlandsender.
Im Walde bei Zeesen , vier Kilometer südlich von Königswusterhausen , liegt das Gebäude des neuen größten deutschen Senders, inmitten der Einöde des märkischen Kiefernwaldes. Das Waldstück rund um die Sendeanlagen mußte, um größte Strahlungsmöglichkeiten zu gewährleisten, abgeholzt werden.
Der Tod der Tänzerin.
Lucie Kieselhausen ihren Berlegungen erlegen. Lucie Kleselhausen, die bekannte Tänzerin, ist gestern nachmittag an den Folgen der schweren Berbrennungen, die sie, wie berichtet, bei der Benzinexplosion in ihrer Wohnung, Kaiserin- AugustaStraße 74, erlitten hatte, im Elisabethkrankenhaus gestorben. Bereits in den Vormittagsstunden hatten die Aerzte, die unter Leitung von Profeffor Landois um sie bemüht waren, jede Hoffnung aufgegeben, da infolge Berbrennung des größten Teiles der Körperbaut die Atmung immer schwächer und unzureichender wurde. In den Mittagsstunden trat die Agonie ein und gegen 6 Uhr erlöfte der Tod die Unglückliche von ihren schweren Leiden.
Ueber die Ursache der Explosion mit ihren außerordentlich schweren Folgen war von der Polizei sofort eine Untersuchung eingeleitet worden. Demnach ist die Berunglückte das Opfer cigener unvorsichtigteit geworden. Sie war in dem Badezimmer vermutlich mit den Reinigen von Handschuhen be fchäftigt, wozu fie Benzin verwendete. Die auffteigenden äußerst gefährlichen Benzindämpfe, die in dem geschlossenen Raum feinen Abzug fanden, wurden durch das Feuer unter dem geheizten Badeofen entzündet, die Künstlerin erlitt durch eine Stichflamme am ganzen Körper schwere Brandmunden. Der durch die Erplosion hervorgerufene Luftdruck war so start, daß der mit heißem Waffer angefüllte Ofen auseinander barst und eine massive Wand zum Einsturz gebracht wurde.
Anregungen. Sie tanzte in Ballettröckchen und im Charakterkostüm. Spizzentanz wie moderne Fußführung waren ihr geläufig. Ihr Temperament hatte oft etwas Damenhaftes, das non weitem an die Art der Saharet erinnerte. Den„ Sterbenden Schwan" Fofins hat fie miederholt nachgestaltet, ohne freilich die Ausdrudskraft der fie miederholt nachgestaltet, ohne freilich die Ausdruckskraft der Bawlowa zu erreichen. Ihre Glanzleistungen aber waren die Biener Walzer, in denen das Beste ihres Wesens und ihres Könnens weifen, war aber eine vornehme und liebenswürdige Künstlerin, zur Geltung fam. Sie gehörte nicht zu den Großen, die neue Wege deren Scheiden eine Lüde hinterläßt. Alle Freunde der Tanzkunst werden ihr ein chrendes Andenken bewahren..
Sie bereitete fich jetzt gerade vor, zur Operette zu gehen, nach dem sie bereits in diesem Herbst bis furz vor Weihnachten im Metropol- Theater in Paganini" getanzt hatte. Lucie Rieselhausen hatte vor dem Kriege einen Marineoffizier, Baron Prizelmiz, ge hatte vor dem Kriege einen Marineoffizier, Baron Brigelwig. geheiratet, die Ehe war jedoch nicht glücklich und wurde bald wieder geschieden.
Die richtige Adresse.
Mängel in der Aufschrift der Postsendungen( wie unvollständige, ungenaue oder undeutliche Bezeichnung des Empfängers, Fehlen der Angabe von Straße und Hausnummer, Gebäudeteil, Stockwerk uim.) wirken besonders nachteilig für Absender und Empfänger. Ge= nauigkeit, Vollständigkeit und Deutlichkeit de: Aufschrift sind unerläßliche Boraussetzungen für richtige und schnelle Bestellung. Dies gilt namentlich für Bestsendungen an Nach den ersten ziemlich beruhigenden Meldungen über den Empfänger in Berlin , wo Straßen mit gleich oder ähn Zustand der zwar schwer, aber scheinbar nicht lebensgefährlich verlich lautenden Namen mehrfach vertreten sind und viele legten Tänzerin berührt die Nachricht von ihrem plöglichen Ableben Straßenzüge aus einem Bostort in den anderen übergehen. Bei um so erschütternder. Sendungen nach dem Postort Berlin mit seinen zahlreichen Bestell: postämtern muß außerdem hinter der Ortsbezeichnung der Postbezirk ( W, NW, N,& usw.) und die Nummer der Bestell post= anstalt angegeben werden( z. B. Berlin 28). Ebenso ist es dringend erwünscht, daß der Absender von Bostsendungen auf deren Außenseite seinen Namen, Stand und Wohnort nebst Woh
Lucie Kieselhausen gehörte zu den beliebtesten Tänzerinnen unserer Zeit. Sie war ein Sproß vom Stamme der Wiesenthals. Aus der Ballettechnik bildete sich ihre Kunst heraus zu neuen Formen. Aus dem Volks- und Gesellschaftstanz gewann sie ihre
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Zement.
Roman von Fjodor Oladkow.
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Es war so, als ob sie sich in einem fremden Lande befände und sich verirrt hätte und aus ihrer Seele etwas Koftbares, Unwiederbringliches, ohne das man nicht leben kann, ver schwunden wäre. Und noch etwas Schmach, Schande und eine uneingestandene Angst. Sie fürchtete jemand von den Arbeitern oder von jenen Zerlumpten, vom Hunger Zerfressenen, mit eitrigen Augen, würde an sie herantreten und fie plöglich fragen: ,, Nun? Das also haben wir erlebt? Das wolltet ihr also? Haut sie nieder, diese Niederträchtigen, diese Betrüger!"
Und diese ständige Angst füllte ihren Kopf mit Halluzinationen.
Einmal, Anfang August, sah sie auf dem Ufer, auf den Schienen und im Kohlenstaube des Hafendammes eine große Masse von zerlumpten, haarigen, wild aussehenden Menschen. Sie lagen in Haufen, faßen, wälaten sich herum. Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge quietschten, verschluckten sich, weinten laut, und jemand stöhnte dumpf. Die Frauen suchten einander die Läuse ab, die Männer entlausten ihre Hemden und Hosengurte, und die Gesichter von all den Menschen waren aufgedunsen von Wassersucht. Besonders bei den Männern.
Was ist das? Hungernde? Und aus dem stinkenden, ftaubigen, zerlumpten Haufen brüllte es heiser: Suuunger, Huuunger!... Gott hat uns gestraft in unserem Unglüd. ... Bielleicht werden wir uns erholen, vielleicht wird man uns helfen.. Bon der Wolga tommen wir... vom Hungerlande Huuunger!"
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auf den Armen und an der Hand, auf der Straße herum und fangen mit schwachen, stotternden Stimmen ,, Helft den Huuungernden... Brüder. Brüder... Huuunger!" In der Nacht schlief Polja unter Alpdruck, quälte sich stundenlang in Schlaflosigkeit, und in diesen Stunden hörte fie, was sie tagsüber hörte, hörte deutlich, aufdringlich, qualvoll: ein Streichorchester spielte fern und lockend, Spielwürfel flopften, und unter den Fenstern, auf der Straße meinten fläglich- trübe Stimmen,
Helft... Brüder
Huuunger!"
Sie sprang aus dem Bett, lief mit nackten Füßen und flopfendem Herzen und einem bohrenden Schmerz im Kopfe zum Fenster und sah in die Nacht hinaus. Stille, schwarzer Nebel, Menschenleere im weiten Umfreije. Sie lauschte und lehrte wieder in das schwüle Bett zurück. Schlief ein. Wachte wieder von seltsamen, sie erschütternden Stößen auf. Und wieder die fernen Geigen, das Klopfen der Würfel, das Lachen und das durchs Mark gehende Flehen der weinenden Säuglinge.
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Und in einer dieser schwülen, schlaflosen Nächte geschah, was sie schon längst als unvermeidlich erwartete. Irgendwo im Gange wurde eine Tür aufgeriffen und man hörte plöglich Stimmen und Gelächter. Und diese Stimmen und Schritte versanten in der nächtlichen Stille In der Ferne fielen fingende Tropfen und aus dem Dunkel strömte gespenstisches Geigenspiel. Sie begriff: Telephondrähte sangen unter dem Fenster ihr trauriges Lied.
üüder, liebe... helfet... Huunger!" Sie fonnte nicht schlafen. 2.
Borübergehende, beschäftigte Menschen blieben neugierig Die Lieder der arbeitenden Massen. Waffen im und erstaunt stehen und rochen die Luft. Wasserwirbel und-strömen, rote Gesichter, rote Fahnen, Rote Garde im brennenden Regen der Bajonette. Genoffe Lenin auf dem Roten Platz . Bon weitem sieht man feine Zähne blizen, sein Kinn sich bewegen, und seine Hand mit den ausgestreckten Fingern hebt sich und ruft, und unter feiner Müße sieht man seine Wangen und Badenknochen sich runzeln. Und es scheint, als ob er lache. Und sonst blieb nichts im Gedächtnis als diese einladende Handbewegung, der weiße Glanz der Zähne und die Runzeln auf den Wangen. Wie lange ist das her.... Wie ein Traum, wie Bilder der frühen Kindheit... .. Der Nordost feate den Staub auf der Straße. Staub und Asche. Warum gab es früher feinen Staub, warum erstiden die schroülen Tage und Nächte jetzt in grauer Asche?
Und bis zum Parteifomitee verfolgte Bolja schmerzlich, bis zum Graufen, diese zitternde, heisere Stimme, die sich im Stöhnen und in diesen stinkenden Körpern verlor... dieser flägliche Schrei des Säuglings.
Huuunger!"
Und später wantten diese hungernden Bauern mit den Schafsgefichtern, in grobes Gewebe gekleidet, mit Sandalen an ben Füßen, in ganzen Familien und einzeln, mit Kindern
Auch in Sergeijs Zimmer herrschte Schweigen, and in
Mittwoch, 28. Dezember 1927
nung angibt. Das Bublifum handelt im eigenen Interesse und erspart gleichzeitig mit geringer eigener Mühe, besonders jetzt wieder zum Neujahrsfest, den Bestellern unnötiges Treppensteigen ufm., wenn es diesen Dingen die erforderliche Beachtung schenkt. Den in Berlin wohnenden Briefempfängern ist weiter dringend au empfehlen, daß fie auf Berwandte, Bekannte und Geschäftsfreunde megen Vollständigkeit und Genauigkeit der Aufschriften einpt: fen, indem sie in ihren Briefen unter der Ortsangabe stets die eigene Anschrift vollständig aufführen. Für die zweckmäßige Fertigung der Aufschriften bei den nach Berlin gerichteten Sendungen gibt ein Aushang in den Schaltervorräumen der Postäm fer Anleitung.
Umgekehrt müssen die Berliner Absender von Bostiachen iegt mehr als früher darauf achten, daß in den größeren Städien des Reiches die Bostämter ebenso wie in Berlin ihre eigenen Nummern haben. Ueberall dort, wo diese Bostamtsnummern nicht auf der Anschrift angegeben sind, erleiden diese Briefschaften eine Berzögerung der Bestellung.
Verbrechen der Not.
Beim Einzelrichter um Weihnachten herum. Weihnachtsverbrechen. Berbrechen der Not. Aber auch Strafen der Milde? Warenhausdiebstähle, Ladendiebinnen, Ladendiebe. Nr. 1. Eine mehrfach vorbestrafte, noch junge Frau. Sie meint; die zwi Paar Handschuhe, die sie im Warenhaus Werth im gestohlen hat, sollten dazu dienen, ihrem Kinde zu Weih= nachten eine kleine Freude zu bereiten. Diesmal will sie auch nicht von sich aus den Anstoß zum Diebstahl erhalten haben, sondern von einem jungen Menschen, der mit ihr zusammengewesen fei. Das Gericht verurteilte sie zu sechs Monaten Gefäng= nis. Draußen wartet aber ihr Bräutigam, ein braver Sachse und Schuhmachergeselle, der für seine Braut ein großes Batet mitgebracht hat.„ Ja," sagt er,„ tch hatte keine Ahnung, daß sie schon mehrfach vorbestraft ist, aber trotzdem habe ich jie gern." schwester. In Bremen zu Hause und dort wegen Beiruges in brei Nr. 2. Ein Madchen. Während und nach dem Krieg KrankenFällen vorbestraft. Seit einiger Zeit in Berlin . Mittellos. Wohnungslos. Um sich selbst zu Weihnachten eine kleine Freude zu bereiten, hat sie bei Wertheim zwei fleine Portemonnaies genommen und wurde gefaßt. Bierzehn Tage Gefängnis.
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Nr. 3. 3wei Männer; der eine wegen Rüdfallsdiebstahls bereits mit Zuchthaus norbestraft. Sie haben bei Iteg feds Poor Handschuhe genommen. Der mehrfach Borbestrafte legt eine Bescheinigung vom Standesamt nor; schon in den nächsten Inaen soll seine Hochzeit stattfinden. Seine Braut ist in anderen m ständen. Muß er sofort bie Strafe nerbüßen, so wird aus der Heirat nichts. Er bittet um Strafaufschub. Das Urteil lautet auf vier Monate Gefängnis für ihn und auf zwei Wochen für nichts zu tun. Der Fall ist aber interessant. Das junge Mädchen seinen Komplicen. Beide werden aus der Haft entfcjien. Nr. 4. Das Verbrechen der 23jährigen. hot mit Weihnachten ist bereits einmal wegen Unterschlagung und ein anderes Mal wegen Diebstahl bestraft worden jie hotte ihrem Boter 400 mart entwendet. Am 12. Dezember erhielt fie in Oranienburg , wo sie in Stellung war, ganz unerwartet den Bescheid, ihre Strafe anzutreten. Gtatt dem Strafbefehr Folge zu leiften, rahm sie ihrer Kollegin, der Köchin. 35 Mart ab und verschwind. Der Staatsanwalt beantragt drei Wochen Gefängnis. Jest erit nersucht der Richter, etwas Klarheit über die Persönlichkeit der Angetlagten zu erhalten. Nachdem sie die Volksschule verlien hatte, arbeitete fie in einem fatbolijchen loner Die Ern nahmen sie aber von dort fort und gaben sie in eine Buchbradfrei. Dann tam ich in schlechte Gesellschaft und auf die diese Bobn." Tut es Ihnen gar nicht leid, daß Sie die Köchin um die 35 Mark gebracht haben?" Die Angeklagte zuckt mit den Achseln. Wonent Sie denn wirklidy im Gefängnis und in Zuchthäusern enden? Gibt es denn nichts Schöneres auf der Welt?" Die Angeklagte schweigt. Ein Objekt für die Fürsorge.
Eine ganze Familie bei einem 3vjammenstoß verunglückt. An der Ecke Kurfürsten- und Maaßenstraße stießen gestern abend furz nach 11 Uhr zwei Kraftbroichten zusammen. Durch in Anprall wurde eine ganze Familie, und zwar der 49 Jahre ol'e Bolizeihauptmann Paul Kowalsti aus der Lübecker Straße 14,
Jeine 39 Jahre alte Ehefrau Charlotte und feine 17 Jahre alte Tochter Dorothea zum Teil schwer verletzt. In einer Klinik erhielten die Berletzten die ersten Notverbände. Sie fonnten sich aber in ihre Wohnung begeben.
dem Schweigen hört man Papier rascheln. Manchmal tönen nachdenklich- langsame Schritte. Lieber Sergeij, auch er schläft nicht. Er mißt seine Schlaflosigkeit mit den gelesenen Seiten.
Ein leises Klopfen an der Türe- man fann nicht unterscheiden, woher das Klopfen kommt. Nun? Wer ist dort?" Badjins Stimme und der Stimme nach erkennt man, daß er lächelt.
,, Boljatschot, schläfst du? Zieh dich an und komm für einen Moment herauses ist eine Arbeit da." ,, Ich kann nicht. Badjin, morgen."
Nein, Poljatschot, steh auf und komm." Die Stimme bittet zudringlich und wird plößlich ſtill. Die Türflinke knarrte, die Tür geht auf. Ein trübes Licht ergießt sich aus der Leere des Ganges . Was ist das? Wie fommt es, daß sie in dieser Nacht vergessen hatte, die Tür zu schließen? Sie sah Badjin an, er sah seltsam aus: die eine Hälfte weiß, die andere schwarz.
,, Ja, so ist es beffer. Du bist ein wenig schmerfällig." Er schloß die Tür und drehte den Schlüffel um. Die Wände erloschen wieder im Dunkel. Und mit dem Dunkel, das Dunkel verdichtend, selber schwarz und dunkel, fam er in feiner unerträglichen Schwere zu ihr, er, der undermeidlich hat fommen müffen.
Und ihr unverständlich, warum, ftreckte fie voller Schrecken die Arme aus und erstickte fast im Flüstern: ,, Was willst du. Badjin?... Mas willst du?"
Sie hatte die Arme noch nicht fallen lassen... als er mit seiner ganzen Schwere sich auf ihr Bett fallen ließ und
fie auf die Kiffen drückte.
und
Schweig, Poljatschot.... Schweig, schweig!" Sie feuchte unter seiner unerträglichen Last. erstickte fast vom Schweiß- und Alkoholgeruch, den er ausströmte. Sie fämpfte nicht. durch die Finsternis erdrüdt, fonnte nicht lämpfen.... Bozu, wenn es doch unvermeidlich und unabwendbar war?
Wann Badjin weggegangen war, wußte sie nicht. GrundLose Finsternis ballte fich zusammen und stöhnte. Irgendwo in der Ferne heulte eine Menschenmasse und ein Donner erdröhnte: Das ist der Nordost. Der Himmel ist jetzt troden und durchsichtig und die Sterne schimmern grell und deutlich in blendenden regenbogenfarbenen Bündeln.
( Fortfegung folgt.)