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Mittwoch 28. Dezember 1927

Unterhaltung und ANissen

Beilage des Vorwärts

Apotheker und Klavierstimmer. Don Paul Gutmann. Es war einmal ein Apotheker. Der hatte ein schönes Haus und darin einen Laden, in welchem viele blitzblanke Gesäße aus G.as und Porzellan, sein säuberlich in Reihen ausgestellt, die Wände bedeckten und aus gläsernen Schränken hervorleuchteten. In diesen Gesäßen waren allerhand Wundermittel verborgen, wie solche die Heilkundigen der ganzen Welt aus Kräutern und Mineralien zur Linderung von Leiden herzustellen pflegen. Denn das Leid de. herrscht die Menschheit. Den ganze» Tag war«in Kommen und Gehen In diesem Laden von solchen, denen es an irgend etwas de- trefss ihrer Gesundheit gebrach oder die sür Verwandte und Haus­genossen, die daheim aus dem Krankenlager stöhnten, eine Mixtur, eine Latwerge oder ein letztes Betäubungsmittel erstanden. Der Apotheker erblickte, wie in einem vom Teufel gemalten Bilderbuch, aus dies« Art fast olle menschlichen Leiden, vom lästigen Schimpsen angefangen bis zu den entsetzlichen Zerstörungen der Schwindsucht, des Krebses, der fallenden Sucht oder des mit Verderben heim- gesuchten Geschlechtstriebes. Er sah die Krankheiten jeden Alters, die kleinen Qualen des Säuglings und die Not der stillenden Mütter, die vielen Krankheiten der Schustugend und die Plagen des Greisen- tnms. Vor seinen Augen enthüllten sich scne Leiden, die von der Gefräßigkeit der Reichen herrührten und die aus der Armut ent- standen, au« der Unsauberkeit und Verwahrlosung. So wurde«r mit dem Unglück der Menschen vertraut, das maßlos ist wie der Ozean und oielsältig wie ein üppig wuchernder Garten. Seine Kassen füllten sich von den Pfennigen und Markstücken der Brest - hasten, von denen sein Laden den ganzen Tag über voll war, wie der eines Bäckers oder Metzgers. Er war ein Mann, dem es gut ging und der Ansehen im Rate der Stadt genoß. In einer Mansarde seines Hauses wohnte ein armer Klavier- stimmer. Dieser Mann, dem es schlecht ging, lebte im Gegensatz zum Apotheker von den Freuden seiner Mitmenschen. Aber man weiß, daß die Freude nur«in Honigtröpschen in einem Becher voll von Bitternis ist, und so war sein Verdienst schmal genug. Sein« Kunden, das waren jene Menschen, die. wenn sie von des Tages Mühe und Rot sich«in wenig erholen wollten, aus den Saiten des Klaviers Töne der Vergessenheit hervorzauberten. Da seufzten sie zärtlich mit dem lieblichen Amadeus Mozart , sangen tiefbeseelte Lieder mit dem göttlichen Schubert oder fühlten sich als Helden, hoch über dem Getriebe des Alltags, mit dem donnernden und über- irdisch grollenden, dann wieder in Liebe dahin schmelzenden Beethoven . Die Saiten lockerten sich mit der Zeit bel solchem Tun, und dann rief man den Klavierstimmer, der die Saiten anspannte, die Harmonie wieder hebstellte, die alle jene gehetzten Menschen mit der Weltseele verband. Ja, Harmonie herzustellen war der Berus des armen Ktavierstimm«rs, wofür er nur einen kärglichen Lohn erhielt. Der Mann, der von der Harmonie sein bescheidenes Dasein fristete, war dem Manm der von den Leiden der Menschen reich geworden war, einen kleinen Teil der Miete schuldig geblieben. Der arm« Mann flehte um Nachsicht, seine Frau liege schwerkrank im Spital, die Ausgaben seien ihm über den Kops gewachsen,.und wenn der reiche Apotheker sich nur noch eine kleine Weile gedulde, so würde er ihm die schuldig« Summ« nachzahlen. Sein Flehen war umsonst. In der Weihnachtswoche, bei bitterem Frost, wurde der arme Mann aus seiner Wohnung geworfen, und da konnte er nun auf der Straße, die von vielen mit Paketen beladenen Menschen «rfüllt war, sich am Anblick seines kümmerlichen Hausrats, das sein Schicksal teilte, herzinniglich erlaben. Wie kann ich zur Harmonie gelangen?" dachte der Klavier- stimmer, während er, vor Frost und Hunger behend, obdachlos, vor seinem Hausrat hin und her irrte.Als ich gesternFreude. schöner Götterfunken" auf den Tasten klimperte, um die Reinheit eines Instruments zu. erproben, da spürte Ich einen Hauch der gött- lichen Liebe." Und er erinnerte sich der Wor/e:Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher tn den Himmel kommt." Alles Leid der Welt reicht nicht aus, ein versteinertes Herz zu erweichen. Und wenn ich der Liebe nicht hätte, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Zahlreiche Menschen auf der Straße hatten sich neugierig und ein wenig mitleidig um den Halberfrorenen angesammelt. Da ein Apotheker zu Weihnachten auch schöne Wohlgerüche und kostbare Salben zur Hautpflege verkauft, so war es nicht angenehm, den

lästigen Ankläger dort unten zu sehen. Der Apotheker öffnete ein Fenster seiner neben dem Laden gelegenen Wohnung und schrie dem hinausgeworfenen Mieter zu, er möge sich endlich davoninachen. Aus der Wohnung tönten die kreischenden Klänge eines Grammo- phons, das die Tochter des Apothekers angedreht hatte:Stille Nacht, heilige Nacht." Aber der arme Klavierstimmer dachte:So viel-Disharmonie in der Welt geht über mein« Kräfte. Es ist wohl wirklich höchste Zeit, daß ich auf und davon gehe, und zwar sür immer." Musik im Buch. Jon Dr. Kurt Singer . Die Entgötterung der Musik" heißt ein neues Buch von Adolf Weiß mann. Das könnte heißen: die Musik rückt den Menschen näher, wird menschlich gebundener. Aber das ist nicht gemeint. Sondern: das Leben der Maschine greift den Kern der Musikproduktion an, Musik wandelt sich nach den Gesetzen heutiger Daseinsbedingungen. Tanz, Sport, Gymnastik, Radio, Film, Sprech- Maschine sind nicht nur durch Körper, Rhythmus, Melodie an Musik gebunden, sie bestimmen sogar, da sie Welt und Menschen zu sich zwingen, die Entwicklung der Musik. Das Gefühl, unmodern ge- worden, wird auch mufitantisch entthront, die Sehnsucht sttrbt, die Liebe, das Singen. Es bleibt die kühle Sachlichkeit, die Propa­ganda der Syncope, die Liebe zur Linie und zum Bau. Die Zer- trümmerung atthergebrachter Rhythmik, die Auslösung der Har- moni«, das Sprunghafte, die klassische Form Sprengende, da» Der- werfen von Tonart, Taktstrich, Ebenmaß, Gleichförmigkeit all das hat in seiner revolutionären Zuspitzung sein Spiegelbild in polttischer, in wirtschaftlicher Lebenszerrissenheit. Wenn Weißmann ein früheres, entscheidendes WerkDie Musik in der Weltkrise" genannt Hot, so könnte dieses heißenDie Musikkrise in der Welt." Er durchleuchtet sie, er durchforscht st« kritisch, er splegett das Leben in der Musik ohne Vorurteil, doch pessimistisch, er durchsucht die Elemente und findet doch den Blick ins Freie vom Dunkel her. Wir haben viele dieser Aufsätze schon gelesen. Hier schließen sie sich zu einem gemeinschaftlichen Band zusammen. Das Won Maschine wird tonangebend, von ihr soll der Weg zum Menschen führen, andere Denk- und Lebensart soll die Musik von innen her befruchten. Man fühlt: ein Einbruch in die alte Musik wie in die alte Well fand statt. Wo ist das Licht, wo das Chaos? Wo ist das Gemein- schaftliche noch zwischen dem, was sein wird? Das Gegenwärtige ist die Krise. Ihr ist das Schöpferische und das Nachschöpserijche in gleicher Weise unterworfesn. Die Maschine stampft, schreit, brüllt ihren Takt dazu, und die Mechanisierung des musikalischen Betriebs geht weiter. Wie die Probleme heißen, das sagt Weißmann-, wo die Knoten zu lösen sind, da setzt er Scheren an: wo sich die Schatten überschneiden, da wirst er das funkelnde Licht seine« kritischen Geistes hin. Ein tiefes Buch, ein aktuelles, mehr als das: ein tapferes Bekennerbuch(erschienen in der Deutschen Verlagsanstalt). Paul B e k k e r versucht, erkenntnismäßig, philosophisch an die Probleme neuer Musik heranzukommen(O rganische und, mechanische Musik" Deutsche Derlagsanstalt). Man weiß, wie er zu den Müttern hinabsteigt, wie er dialektisch Begriffe klärt, und man sieht auch diesen Abhandlungen über Gesühl und Form als Gestaltungskräfte, über Ein« und Mehrstimmigkeit, über Phäno- manologie der Musik an, daß Belker die Oberfläche haßt. Wer im Lesen geschult ist, wird mit ihm den schweren, aber aufschlußreichen Gang mit Erfolg für sein Wissen tun. Wer einer Entgötterung der Musik sicher entrinnen will, wer sich selber den göttlichen Geist ewiger Kunst erschließen, erhalten, festig'?« will, der flieht zu Bach. Der, der das Spittasche Werk über Bach angelesen, das Schweitzersche durchstudiert hat, wird gern zu den von höchster geistiger Warte aus geschriebenenA n m e r- kungen und Hinweisen" Oskar Beyers greifen(Furche- Verlag). Es ist das in sedem Wort durchdachte, in jedem Gedanken durchlebte Werk für die Anspruchsvollen, für die Kenner. Die Titel zeigen, lapidar, wie die Handschrist des Dach-Psychologen Beyer, an, worum es geht: Leben, Gestalt, Werk, Orgel, Kantate, Passion. Messe, zur Wiedergabe, zur Wirkung. Was da auf knapp 90 Seiten gesagt ist, was allein von der Passion in einem herrlichen Kapitel steht, gehört wohl zu dem Erkanntesten. Bekenncrhastesten, Gläu­bigsten, was, abseits aller Aesthetik und.Nur-Psychologie, über den großen Kantor und seine Wesenheit je in Worte gebannt wurde.

Der Entgötterung der Musik steht die Vergötterung des Musikers gegenüber. Wer sich ein Bild davon machen will, der greife als illustres Beispiel dieser immer noch lebendigen Heldenverehrung die neue Biographie über den Hexenmeister P a g a n l n i heraus(von Julius Kapp in der Deutschen Verlagsanstalt). Ein Roman des Lebens und der Legende, ein zündender Bericht über die Möglichkeit virtuosen Weltruhms, ein authentisches Wert über die klassischen Repräsentanten vollendeter Kunstfertigkeit. Handschriftlich-Noues, Bilder, Verzeichnis der Kompositionen zieren das Buch. Dazu in herrlichem Gegensatz ein Werkchen über den dem Leben und dem Genuß des bürgerlichen Lebens weil abgewandten Meisters Anton Bruckner . Max Auer analysiert die chorische Musik Bruckners(Verlag Gustav Boss e), wettausfallend und mit jener Sachkenntnis, die schon seine vor 14 Iahren erschienenen Aufsätze in derdtusic-a divnia* auszeichnete. Im gleichen Berlag läßt der Komponist Kloel, Schüler Bruckners, seine Erinnerungen an den Meister erscheinen. Solange es noch nötig fft, für die Musik Bachs und Bruckners zu werben, solang« also der Grundstein noch nicht gelegt ist für eine wirkliche ttefe Kenntnis ihrer Werke, und solange dieses Werk noch nicht aus tausend und abertausend Herzen, Stimmen, Köpfen in jeden Flecken dieses Deutschlands klingt solange Ist die Welt arm. Und die Entgötterung der Musik durch den Talmigeist der Maschine wird auj sich warten lassen. Zeittafeln der Naiur. Daß die Bäume tn ihren Jahresringen Zeittafeln besitzen, aus denen man ihr Alter ablesen kann, ist eine bekannt« Tatsache, aber die Natur hat auch anderen Organismen und Formottonen solche Zeittafeln mitgegeben, denen die Forschung erst jetzt ihre Aufmerk' samkeit zuzuwenden beginnt. Der Blick des Kenners kann aus den Schuppen der Fische, den Gehäusen der Muscheltiere, aus Geweihen und Gesteines Richten wertvolle Schlüsse auf das Alter ziehen, und die deutsche Moorforschung hat sogar aus dem Inhalt der Moor« wichtige Anhallspunkte für die Erdgeschichte und das Klima vorgefchichtilicher Epochen gewonnen. Das Älter eines Kabeljaus oder Herings läßt sich aus den Schuppen feststellen. Diese Schupen vergrößern sich langsam mit dem Wachstum des Fiscfcs. Die Schuppe wächst aber bei den Fischen, die in den nördlichen Meeren leben, nur In der warmen Jahreszeit, während die kalte Zest jedes Jahr das Wachstum«ins Zeitlang unterbricht. Diese wechselnden Perioden des Wachstums imd Nicht Wachstums rufen eine Reihe sichtbarer Einschnitt« oder Ring« hervor, die sich um den äußeren Rand seder Fischgrupps legen, ganz ähnlich wie durch das sommerlich« Wachstum der Jahresring des Baumstammes entsteht. Man hat nun geglaubt� daß jeder Ring auf der Schuvp« genau einem Jahr im Leben des Fisches entspricht: danach würden fünf Schuppenringe ein Alter von fünf Jahren anzeigen. Aber leider ist die Sache nicht so einfach. Bisweilen wird das Wachstum mehr als einmal im Jahr unterbrochen, so daß sich in einem einzigen Jahr zwei oder drei Ringe bilden. Es ist aber jetzt den Beamten des englischen Fischereiamtes, die diese Erscheinung genau studiert haben, ge- lunaen, diese falschen Riime von den echten Jahresringen zu unter- scheiden und damit eine Methode für die genaue Besttmmung des Fischalters zu gewinnen. Um dos Alter einer Auster oder siires anderen Muscheltieres abzulesen, bedient man sich der Muschel an Stelle der Schuppe. Die sung« Auster ist ein winziges Geschöpf von weniacr als einem Diertel Zoll Länge. Wenn sie sich dann zum ungestörten Wachs« tum auf einem festen Boden anqesiedelt bat. so bildet sich in jedem Jahr ein neuer Ring um den Rand der Muschel. Daraus läßt sich das Alter leicht ablesen. Ein anderer Bewohner des Ozeans stellt seineZeittafel" auf sehr andersartige Weife her. Es ist dies der Nautilus, der in eine viellammerige, sviralig gewundene Kalkschale einaeschlossen ist. Das merkwürdige Tier selbst bewobnt stets die letzte vorder«. Kammer des Gehäuses, während die übrigen leer sind und als Schwimmblase dienen. Man nimmt nun an, daß dieser vierkiemige Kopffüßer jedes Jahr ein« neue Kammer bezieht und kann so an der Zahl der leer gelassenen Kammern seln Alter erkennen. Bei der Klapperschlange schließt man aus der Zahl der Hornkapseln, die sich in ihrer Klapper befinden, auf die Zahl der Lebensjahre, aber es kommt bisweilen vor, daß die Schlange ein oder zwei dieser Kapseln bei der Häutung mit abwirft. Daß die Geweihzacken beim Wild Rückschlüsse aui das Alter ermöglichen, ist bekannt, ober auch die Federn der Vöael und die Haare der höheren Tiere und des Mensche» weifen Ringe.und Zeichen auf, aus denen man auf das Alter schließen kann. DieseZeittafeln" der Natur sind aber bisher noch nicht genügend erforscht worden.

Wohltätigkeit. Von Bernhard Rehs«. In dem Planwogen des wandernden Korbflechters Arnold war der Gottessegen überreichlich niedergefallen: seine junge Frau lag mit Drillingen aus dem Stroh. Das Ereignis sprach sich herum und weckte das Mitgefühl in den Häusern der Kleinbauern und Häusler . Und manche der Frauen fand den Weg in die aufgelassene Kiesgrube am End« des Dorfes, in der Arnold für die schwere Stunde seiner Frau Quartier gemacht hatte, und brachte eine warme Suppe sür die Wöchnerin oder ein übriges Stück Kindswäsche sür die Notdurft der drei nackten Erdenbürger. Auch Frau Süßmilch, die mit Ihrem Mann über den Sonntag zum Besuch ihrer Schwester aus der Stadt aufs Dorf gekommen war, trieb die Neugier an den Planwaoen. Da sie das Elend sah, wurde ihr« wohlbeleibte Seele so von Mitleid ergriffen, daß sie ins Wirtchaus eilte, wo ihr Mann beim Schafskopf faß. und ihm mit einer Träne im Auge kategorisch erklärte:Wilhttm, da mußt du etwas tun." Wilhelm, der einen Kramladen betrieb, sich aber gern Kaufmann nennen hörte, fühlte sich im Dorfe als Repräsentant des wohlsiwierten Bürgertums und erwiderte würdevoll:Ich will sehen, was sich tun läßt." Als der Schafskopf zu Ende war, ging er hinaus, knüpfte mit Arnold ein Gespräch an, versicherte ihm, daß er gern etwas für ihn tun wolle, und fragte den bedrückten Mann mit Gönnermien«. ob er einen besonderen Wunsch habe. Den Korbflechter hatte sein Leben zu einen überzeugten An- Hänger der fatalistischen Weltanschauung gemacht. Als er solche freundlichen Worte vernahm, da stand es bei ihm fest, daß der Himmel Ihm die drei Rinder auf einmal geschenkt habe, damit ihm durch sie der heißersehnte Wunsch seines Lebens erfüllt würde. Die aufspringende Hoffnung macht« den Wortkargen gesprächig, und er erzähll« dem freundlichen Mann, sein ganzes Elend komme daher, daß er mit seiner Frau selbst seinen Planwagen ziehen müsse. Ja. wenn er»in Pferdchen hätte, dann braucht« er nicht den halben Tag sich als Zugtier abzurackern, dann hätte er die Hände frei für die Korbardeit. und dann könne er schnell von einer Ortschaf» in die ander« gelangen und Geschäfte machen, und würde bald ein ge-

machter Mann sein. Und gerade setzt wüßte er sich ein« Gelegen- holt. Das Perdchen sei zwar schon alt, aber Innnerhin noch rüstig, und wenn er hundert Mark aus der Hand hätte, so wäre das Ge- schäft bald gemacht. Der Kramhändler setzt« eine bedenkliche Miene auf. Hundert Mark wäre heutzutage viel Geld. Aber immerhin, fuhr er, als er die betrübten Augen des anderen sah, hoffnungsvoll fort, er hätte gute Freunde in der Stadt, er wolle sehen, was sich machen ließe. Arnold fand, daß der Tag besser endige, als er angefangen habe, und kroch um eine Hoffnung reicher in den enggewordenen Wagen. Süßmilchs Freund, der Agent Vogelsbacher, war ein Mann, der sschon manches fertiggebracht hatte. Dem erzählte er von den Drillingen und dem Pferdchcn. Zwar könne er hundert Mark selber sehr gut gebrauchen. Aber immerhin, man müsse auch mal für einen anderen etwas tun, und dafür wäre Vogelsbacher der richtig« Maim. Auch der Agent fand, daß ihm hundert Mark in der Talche bei dem schlechten Geschäft sehr erwünscht seien. Aber geschmeichelt durch das Vertrauen, das Süßmilch in seine Fähigkeit setzte, ver- sprach er, sein möglichstes zu wn, und erzählte seinem Freunde, dem Häusermakler Lindenschmitt, von der Rot im Planwagen un-d der Möglichkeit, sie zu beheben. Lindenschmitt jammerte nicht minder über die schlechten Zeiten, und daß er die hundert Mark als Ge- lchäftsmann nötiger gebrauchen könne, als so«in Korbmacher , der sich die Weiden doch stehle und infolgedessen mit hundert Prozent Reingewinn arbeite. Aber da Vogelsbocher die glänzenden Be- Ziehungen des Makler» zu hochgestellten Persönlichkeiten Ins rechte Licht rückt«, so fühlte er sich veranlaßt, seine Hilfe In Aucjicht»u stellen. Er benutzte den guten Dorwand, sich dem Kommerzienrat Zinzius, für den«r schon manches schöne Geschäft vermittelt hatte, in Erinnerung zu bringen, und klopfte bei ihm an. Dem Kam- merzienrat war eine große Spekulation fehlgeschlagen. Er fand, daß man olles tun müsse, dem kreditschödigenden Gemunkel ent­gegenzutreten, und händigte im Vertrauen darauf, daß der ge- schwätzige Makler dem noblen Geschenk die Schelle schon anhängen würde, die hundert Mark für den glücklichen Drillingsvater an den Vermittler aus. Wobei er ihm eindringlich ans Herz legt«, über dl« Bagatelle reinen Mund zu halten. Diese Ermahnung fiel bei Lindenschmitt auf guten Boden.

Wenn keiner davon wissen soll, sagte er sich, dann braucht der Vogelsbacher auch nicht zu erfahren, daß ich hundert Mark bekam- men habe. Und so erzählte er dem Agenten, daß der Kommerzlen- rat fünfzig Mark gegeben habe, mit dem Bemerken, für einen Korb- flechter täte es auch ein Maultier. Jeder Bauer wär� heutzutage froh, wenn er für einen alten unnützen Fresser fünfzig Mark bar auf die Hand bekäme. Sollte das Maultier aber ein paar Mark mehr tosten, so könne der Korbflechter den Rest in Raten zahlen. Weil er ihm einschärfte, keinem Menschen davon zu erzählen, da der Kommerzienrat es streng verboten l>abe, sy sagte sich der Agent: Hält der Makler dicht, so werde Ich dem Kramhäniler mich ein Mundschloß anlegen. Eine Sünde ist es, so ein schönes Stück Geld dem Bettelvolk In den Rachen zu werfen. Er händigte Süßmilch fünfundzwanzig Mark aus, mit dem Auftrag, sie seinem Schützling zu schicken, damit er sich einen Esel dafür kaufen solle. Sollte er aber ein paar Mark mehr kosten, so könne er ja den Rest In Raten zahlen. Der Kramhändler war auch nicht auf den Kopf gefallen und dachte: Wenn der Korbflechter durch den Agenten vom Pferd auf den Esel kommt, so kann er durch mich auf den Hund kommen. Für fünf Mark gibt ihm mein Schwager gern seinen alten Köter ab. Ein Esel ist ein störrisches Tier und geht oft nicht von der Stelle. Ein Hund aber ist immer willig und folgsam. Und wenn sich der Korbmacher daneben spannt, dann kommt er, ohne sich son- derlich anzustrengen, leicht durch die Welt. Da er aber ein gutes Herz hatte, so beschloß er, ein Uebriges zu tun. damit der arme Kerl bald zu seinem Hund? käme, und schickte da» Geld telegrapbisch. Inzwischen waren aber, bi» dl« Wohltättgkeit die Kette der Freunde auf- und abgelaufen war, ein paar Wochen verstrichen, und Arnold hatte, da ihm die Gegend keinen Verdienst mehr bot. den Standort ein paar Stunden welter in« Land hinein gewechselt. Al» ihn endlich die telegrapbisch« Postanweisung über fünf Mark erreichte, mußte er von dem Postbo'en erfahren, daß die angelause- nen Gebühren infolge der hohen Kilometergelder auf 2,7» Mark angewachsen seien. Da der Postbot« nicht wechseln konnte, er aber keinen Pfennig in der Tasche hatte, 2,70 Mark herauszuzahlen, so schenkte er dem Postboten das Geld, um endlich vor dessen Jammer über den weiten Weg und den großen Durst, der ihn plage, Stühe zu bekommen.