Wahlkampf
Das Programm der Sozialisten.
Paris , 8. März.( Eigenbericht.)
Die sozialistische Partei Frankreichs veröffentlicht ihr Wahlprogramm, eine Broschüre von 63 Seiten. Zu nächst werden die Verfassungsforderungen der Partei aufgestellt.
In dieser Hinsicht fordert die Partei dirette Bolts abstim mung, Abschaffung des Senats, politische Gleich berechtigung der Frauen, Berhältnismahlsystem, Abschaffung aller Ausnahmegesetze und der Kriegsgerichte und Amnestie für politische Delifte. Es folgen dann die sozialen Forderungen, Berbot der Kinderarbeit, Sicherung des Achtstunden tages, gefeßliche Festlegung eines jährlichen Urlaubs, Berbefferung des Arbeiterschutzes, der Sozialversicherung, Sicherung des Koalitionsrechts für die Beamten, gesetzliche Regelung des Tarifwesens. In wirtschaftlicher Hinsicht verlangt die Partei Rationalisierung der Produktion und der Verwaltung, allerdings nicht ausschließlich auf Kosten der Arbeiter. Ber staatlichung
Die Nationalisten
Ces bons français avaient dėja voté rouge en Mai 1914
Pourvu
qu'ils recommencent
führen den Wahlkampf in Frankreich ebenso verlogen wie in Deutschland . Das hier wiedergegebene nationalistische Wahlplakat stellt den französischen Wählern den Krieg in Aussicht für den Fall, daß sie rot" wählen!
berjenigen Industrien, die ein natürliches Monopol ausnuten, Einfluß der Arbeiterschaft auf den Produktionsprozeß und auf die Preisgestaltung. Auf finanziellem Gebiet wird die Regelung der interalfiierten Schulden unter Berüdfichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit Frankreichs und Transfermöglichkeiten, gefeßliche Stabilisierung des Franken , gesicherte Berteilung der Steuern unter Abschaffung der Ber brauchssteuern gefordert.
und
Auf dem Marsch nach Kopenhagen . Kopenhagen , 8. März. Ein Demonftrationszug hon 800 Obdach Arbeitslosen hon Jütland nach Kopenhagen , der gestern abend unter der Leitung des Militär fliegers und Gardehusarenoffiziers Glauson Kaas in Horsens aulangte, soll auf Anordnung des Justisministers Rytter heute aufgelöst werden. 50 Poliasten sind dazu in der Nacht von Kopenhagen nach Bejle gesandt worden. Dem technischen Führer des Zuges, Leutnant Clauson Kaas, wurde gestern vom Justizminister die Entfernung aus dem Heere angedroht, falls er nicht sofort den Zug auflöse. Man hat bisher keinerlei herausfordernde Handlungen der Demonstranten entdeden können. Die jütländischen Aemter haben in offenbarem Verständnis für die verzweifelte Lage der Demonstranten diese gespeist und ihnen Nachtquartier angewiesen. Die Tätigkeit des Leutnants Kaas hat sich lediglich darauf beschränkt, Ruhe, Ordnung und Disziplin im Zuge aufrecht zu erhalten. Er hat sich das volle Vertrauen der Teilnehmer errungen, hat versucht, die roten Schleifen durch grüne zu erseken und den einzigen drohend klingenden Satz aus der Gin gabe an die Regierung zu streichen.
Die Opfer des Grubenunglücks.
Acht Zote auf dem Kunigundenschacht in Neurode. Neurode,&. März. Zu dem Grubenunglüd auf dem kunigundenschacht der Wenzelausgrube in Ludwigsdorf wird noch ergänzend berichtet, daß die nunmehr festgestellte Zahl der Toten fieben beträgt. Ein Bergarbeiter, mit deffen Tod ebenfalls zu rechnen ist, wird noch vermißt.
Radets Fluchtversuch gescheitert.
Warschau , 8. März. Nach einer noch nicht bestätigten Meldung soll Karl Mabel von seinem Zwangsaufenthaltsort im Ural cutflohen sein. Man habe ihn jedoch in Smolens, nicht mehr weit von der Grenze Bolens erkannt und suter Bewachung nach Mostau aurüdgebracht.
Sinfonie der Tausend."
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„ Sinfonie der Tausend ," unter diesem schändlich häßlichen Namen ist Gustan Mahlers Achte Sinfonie populär ge worden. Populär, obgleich sie um der enormen Ansprüche willen, um der enormen Ansprüche willen, die sie an die Aufführung stellt felten gespielt wurde. In Berlin zulegt im Rahmen der Defterreichischen Mufifwoche 1923 unter Baul Bella. Nicht, wie jetzt in Reflamenotizen mieberholt zu lesen war, unter Dr. 5. Unger. Der also bringt sie nun zweimal im unter Dr. H. Unger. Der also bringt sie mun zweimal im Großen Schauspielhaus. Sonnabend nachmittags im befarativen Rahmen der allabendlichen Operette. Die Chöre, auf die es vor allem antommt, lärmend und ungepflegt, ein Haufen Stimmen ohne Zusammenhalt. Das Solistenseptett durchaus unzu länglich.( Nur Albert Fischer ist den dynamischen Anforderungen feiner Partie gewachsen.) Dem tausendtöpfigen Apparat, der obenbrein merkwürdig ungefchidt placiert ist, steht der Dirigent machtlos gegenüber. Lange Streden des ersten Zeils verlaufen in beängsti gender Berschwommenheit, die Gruppen musizieren aneinander por. bei, nur die Festigkeit der Philharmoniter perhütet eine Katastrophe. Aber das Ganze verläuft in schleppendem Tempo, schwunglos, ohne Steigerung, unerlebt, ungestaltet. Nichts von der übermältigenden Wirkung, deren das Bert, im Lebensplan feines Schöpfers Summe und Krömung feiner Arbeit, mächtig ist. Mahler und Berlin haben gleichen Grund, zu protestieren.
Schrefer- Feier.
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Mahler, dem im Großen Schauspielhaus Unrecht geschieht, ift im 9. Sinfoniekonzert des Berliner Sinfonieorchesters mit drei Wunderhornliedern vertreten. Borher fingt Lula Mysz Gmeis ner fünf Gefänge aus„ Tausend und eine Nacht von Schrefer. Borher dirigiert Emil Bohne, der seine Konzerte auf hohem Niveau hält, Schrefers oft und gern gehörte Suite„ Der Geburts tag der Infantin": eine fleine Schrefer- Feier, Borfeier des fünfzigsten Geburtstags. Nach der Suite, noch mehr nach den Gesängen gibt es Beifall von außerordentlicher Herzlichkeit; er gilt nicht nur dem Komponisten, der in diesen Liedern nicht viel mehr eingesetzt hat als seine gefonnte Spezialität der gebrochenen Orchesterfarben, er gilt wohl mehr ihrer tief eindringlichen Gestaltung durch die große Sängerin und dem Mann vor allem, deffen Musikername, Schlagwortartig, für Berlin ein Programan bedeutet.
Nachwuchs.
Soweit die musikstudierende Jugend sich staatlicher Führung anvertraut, fie tut's im Zeichen Franz Schreters; mit seiner Berufung zum Direktor der Staatlichen Hochschule war das Programm ihrer Erneuerung, Verjüngung, Modernisierung erklärt. Das beginnt sich auf allen Gebieten zu erfüllen; es hat sich überraschend in der Opernschufe erfüllt, deren fortschreitende Entwicklung sich sozusagen unter den Augen der Deffentlichkeit vollzieht. Nun hörte man eine Aufführung von Gluds Iphigenie auf Tauris", unter Prümers musikalischer, Hoerths szenischer Leitung. Es ist in der Tat er. freulich und erfrischend, zu sehen, wie weit die jungen Leute, die
alles jelbst nadjen
Solisten, Chor, Tanz, Orchester-, es hier gebracht haben. Und Arno Schellenberg , der stimumlich un gewöhnliche Drest, ist als Sänger schon eine Erfüllung.
Bon der komponierenden Jugend stand hier neulich, sie wirke im Geist Bufonis. Aber er fehlt als Lehrer und Erzieher dem Kpmponiften Sturt Weill, einem seiner begabtesten Schüler gewiß. Der penbelt heute haltlos zwischen vorgetäuschter Publikumsverachtung und dem Sensationserfolg, dem er unermüdlich, vergeblich bis jeßt, nachjagt; zwischen artistischer und tunstgeschäftlicher Spekulation. Das
Biolinenkonzert, das er jüngst zum erstenmal in Berlin hat spielen lafsen Stephan Frentel beherrscht den Solopart mit unbedingter Souveränität ist von der ersten Art: Musif, wie sie por zwei Jahren von modernen Musikern geschrieben wurde und nach weiteren zwei Jahren überwunden, also vergessen sein wird.
Auch Karol Rathaus , einst Schrefers Schüler übrigens, pendelt: zwischen allen möglichen Stilen, zwischen gestern und morgen. morgen. Seine Dupertüre", die Furtwängler im 8. Philharmonischen Konzert zur Uraufführung bringt, versucht immerhin etwas wie einen inneren Ausgleich widerstreitender Tendenzen. Sa, den Klang einer neuen Romantit glaubt das Programmheft herauszuhören. Man richtet sich also schon auf Kompromisse mit der Jedenfalls, die Zeit der atonalen GroßBergangheit ein. sprecherei ist vorüber. Der Weg für Taten ist frei; es braucht nicht
gleich eine Sinfonie der Tausend zu werden.
Das Land der eigenen Scholle."
Filmvortrag im Schwechtensaal.
Der Film eignet sich in hohem Maße dazu, flare Borstellungen non fremden Bändern zu vermitteln. Es ist daher zu begrüßen, daß die Doring- Filmmerte mie im norigen Jahr von den Bereinigten Staaten jegt einen Film über Ranaba herausgebracht haben. Er ist in Gemeinschaft mit dem Norddeutschen Lloyd unter Leitung bes erfahrenen Diplomingenieurs Dreyer im vorigen Jahre von Hugo Urban aufgenommen worden. In erster Linie ist er beffimmt, den Ausmanderungsluftigen, die nach dem Befig einer eigenen Scholle streben, Kenntnisse von diesem Lande zu vermitteln, das vierzehnmal größer als Deutschland ist Lande zu vermitteln, das vierzehnmal größer als Deutschland ist
Kapitän Gottfried Spedmann begleitet auch diesmal den Film( ber zurzeit im Schwechtensaal läuft) mit einem instruttinen Bortrag. Schon die Seereise mit dem Lloyddampfer „ Sierra Bentana bietet ergögliche Interhaltung. Man landet auf Halifor, lernt die Halbinsel Roma Scotia tennen, wo noch heute die von Hannoveranern gegründete Fischersiedlung„ Lunenburg " blüht. Auf dem Prince- Edward Island sehen wir den Anbau der Saattartoffeln, die ganz Nordamerita perjorgen, und besuchen die großartigen Silberfuchsfarmen. Die Reise geht weiter durch die dichter besiedelten Provinzen Neu- Braunschweig , Quebed und Ontario . Das französische Quebed und der große Kornhafen Montreal , die Niagarafälle und die Provinz Baterloo mit ihren beutschen Siedlungen werden besichtigt. Dann kommen wir nach dem Besuch des größten Goldbergwerfes der Welt in Timmings und einer der riesigen Bapierfabriken, die dank dem ungeheuren Waldreichtum des Landes die Bereinigten Staaten mit Papier versorgen, in die Korntammern des Landes, Manitoba und Saffatschewan. Die Siedlungsmethoden, die dem Einwanderer für billiges Geld bis 80 Morgen Land zuweisen, werden veranschaulicht und die Kornproduktion, die zum Teil mit den modernsten landwirtschaftlichen Maschinen arbeitet, im Bilde vorgeführt. Der Bandarbeiter fann hier in einigen Jahren immerhin foniel erwerben, daß er die Urbachmachung des ihm überwiesenen Bodens unter. nehmen tann.
Zum Schluß wird noch ein Streifzug durch Britisch- Kolumbien mit seinen Riesenwäldern und ungeheurem Reichtum an Fischen unternommen; dan lernen wir die ehemaligen Befiger des Landes, die Indianer in ihren Reservationen fennen, werfen einen Blid auf das großartige Gebirge der Rody Mountains mit ihrem Reich tum an gehegten Büffeln, Bären, Biebern und Elchen und verabschieden uns von dem Lande, in Bancouver, ber Eingangspforte für den asiatischen Often.
Die Polizei und das Theater.
T.
Der Schwant„ Die Schule der Liebe", der im Residenztheater gespielt wird, hat das Polizeipräfidium zum Einschreiten veranlaßt. Es benachrichtigte gestern nachmittag den Direftor des Residenz theaters, Ferry Berner, daß unbedingt Aenderungen vorgenom men werden müßten, im anderen Falle wäre die Vorstellung zu men werden müßten, im anderen Falle wäre die Borstellung zu verbieten. Der Schwant ging also abends in neuer Gestalt in
Szene. Aus dem Schreiben des Polizeipräsidiums geht hervor, welche Szenen zu diesem Schritt Anlaß gaben:
,, Abteilung II, Berlin , 7. März 1928. Herrn Direktor Ferry Werner wurde heute persönlich eröffnet, daß die Art der Darstellung des Stüdes„ Schule der Liebe" dezenter gehalten und daß von den Darstellern, besonders von Herrn D. E., die sexuellen Pointen weniger start gebracht werden müssen. Ins besondere hat der Schauspieler E. im zweiten Aft in der Szene mit 30-3n, in welcher er in hemd und Unterhose hinter einem Diwan steht, bei seinen Worten: So habe ich noch nie vor einer Dame: gestanden" es zu unterlassen, die Schlummerrolle zwischen die Beine zu nehmen und vorzuftreden, sondern sich eines anderen Gegen ftandes zu bedienen, der jede Zweideutigkeit ausschließt.
Ferner muß der Ausruf der Darstellerin der Alice:„ Es lebe die Republif", den sie jedes Mal beim Geschlechtsaft zur Erinnerung an den Tag ihrer ersten Verführung( 14. Juli, Nationalfeiertag der franzöfifchen Republif) hinter der Szene ausstößt, unterbleiben und durch einen anderen unverfänglichen Ausruf ersetzt werden." Mit fünstlerischen Dingen haben diese gerügten Auftritte schon gar nichts mehr zu tun. Auch nicht in einem Schwant!
fannte Münchener Hiftoriter Prof. Dr. Hermann Onden der in der Deutschen Bereinigung für staatswissenschaftliche Fort bildung" sprach, Bergleiche zu ziehen zwischen der Reichsgründung von 1871 und der deutschen Repubiit mit ihrer Weimarer Verfassung Don 1919. Politisch gab das Referat von Prof. Onden einem Vernunftrepublikanismus Ausdrud, einem Ja- Aber"-Betenntnis zur Weimarer Verfassung , denn man könne das Alte, so schmierzlich es mandem sei, unmöglich wiederherstellen. Die einzige Rettung und die einzige Kraftquelle für den Wiederaufbau nach dem Zufammenbrud jei nun einmal in Ermangelung eines vielleicht Besseren die Volkssouveränität gewesen Im übrigen sang Onden ein Loblied auf die politische Genialität Bismards, die nichts Theoretisches, teinen grundläglichen Standpunti, sondern nur organisch aus bem hiftorisch Begebenen herauswachende Braris gefannt habe. Unter Politit versteht Onden ausschließlich Opportu nismus und Stompromißmacherei; alles andere fei bogmatisch. unhistorischer Dottrinarismus. Ziemlich leicht machte sich's der Redner auch mit der historischen Erflärung und auch mit der Berflärung des chaotisch- unheimlichen Kompromißcharakters der Reichs verfassung von 1871. Die bemegenden Kräfte der geschichtlichen Entwicklung find für Onden die historisch erwachsenen Lebensträfte", bie in der Weimarer Berfassung mit dem talt rechnenden Verstande, der ,, ratio" des Dottrinärs, in Sonflitt gefommen seien. Die Zurüdführung der geschichtlichen Borgänge auf fo minstische und uner lärbare Ursachen wie die historisch erwachsenen Lebensfräfte" führt allerdings nicht zur Erforschung, sondern zur religiösen oder ethischen Berbräumung der geschichtlichen Borgänge.
I.