Donnerstag, 15. März
Der Abend
Erfbeint täglich außer Sonntags. Bugleich Abenbausgabe des Vorwärts". Bezugspreis für beide Ausgaben 70 Pf. pro Woche, 3 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin SW68, Lindenstr. 3
Spätausgabe des„ Vorwärts
66
10 Pf.
Nr. 128
B 64 45. Jahrgang.
Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Vf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297
Die Betrogenen reden!
Keine Nachricht vom Ozeanflieger.
Bericht auf der 2. Seite.
Ein Straßendamm über den Tegeler See.
bnelbnis bentwoestell
Der Damm von 800 m Länge und 50 m Breite ist schon bis zur Hälfte fertiggestellt. Die kleinere abgetrennte Wasserfläche soll Industriehafen werden, während der Damm selbst. Hallenbad mit Badestrand und Strandpromenade erhält.
Das Mordmesser gefunden.
Winoos
Die Bluttat in der Charlottenstraße.
Zur Beurteilung des Berbrechens in der CharlottenStraße, dem Fran Schüler zum Opfer fiel, war es, wie wir schon mitteillen, von höchster Bedeutung, das Mordmeffer zu finden und seine Herkunft festzustellen. Das Meffer wurde geffern gefunden, nach feiner Herkunft wird noch geforscht.
Die Kontoristin Anthony behauptete hartnädig, das Meffer habe in einem Rasten gelegen, in dem Frau Schüler in hockender Stellung nach Sachen geframt habe, die sie ohne Wissen der Chefs mitnehmen wollte. Niemand erinnert sich aber, das Messer jemals gefehen zu haben. Bom Geschäft ist ein solches Messer, wie es die Anthony beschrieb, niemals getauft worden. Auch eine andere Aufmartefrau, die Frau Schüler hin und wieder vertrat, hat es nie gesehen. Um nach dem Messer in dem Gully in der Charlottenstraße, in das die Anthony es hineingeworfen haben wollte, zu juchen, wurden auch Angestellte der Straßenreinigung hinzugezogen. Die Berhaftete meinte nun, nachdem es hier nicht gefunden worden war, fie habe es vielleicht nicht vor dem Besteigen des Autos weggeworfen, sondern erst später in der Wishyer Straße. Auf einer nächt lichen Fahrt führte sie die Kommissare und die Beamten an den Gully in jener Straße heran. Die Straßenreiniger räumten ihn aus und da tam denn auch das Mordinstrument zum Vorschein. Die Papierhülle war durchnäßt und durchweicht, das Meijer außer mit Blut auch mit Schlamm beschmußt. Es ist ein gewöhnliches Schlächtermeffer,
wie es in Fleischer und Delikatessenläden zum Burstschneiden benuht wird, ein Fabrikat des Solinger Zwillingswerkes Hendel".
Die sehr scharfe und spige dünne Klinge ist 25 Zentimeter lang und 3½ Zentimeter breit. Das 12 Zentimeter lange Heft besteht aus braunem, fast schwarzem gemaferten Holz. Das Messer ist noch neu, die Klinge zeigt noch den Poliergianz und ist noch nicht nach geschliffen. Auch der Griff zeigt noch feine Spur von Abnußung. Es handelt sich also um ein neues Messer. Trotzdem bleibt die Berhaftete auch jetzt noch bei ihrer Behauptung. Wie sie sagt, hatte fie Frau Schüler mit einem Privatbrief nach der Chausseestraße geschickt. Der Brief war an eine Darlehnsgesellschaft ge= richtet, von der die Kontoristin Geld zu erhalten hoffte. Sie gibt jetzt zu, daß fie Schulden hat, behauptet aber, es feien nur Läppersdulden". Daß Frau Schüler noch einmal zurüdfehren werde, hatte sie nicht erwartet. Die Frau tam aber doch noch einmal, weil sie aus der Kabuse etwas mit nach Hause nehmen wollte. Ais sie in dem Kasten herumsuchte, hielt ihr die Kontoristin das Licht, bis dann die Tat geschah.
Mitteilungen des Geschäfts, in dem das Messer gekauft worden ift, nimmt die Mordkommission Bipik- Salaw entgegen. Sie bittet auch den Chauffeur, der am Montag abend etwa um 5% Uhr die Anthony von der Charlottenstr. 17 nach der Ede der Kantian - und Gaudystraße gefahren hat, fich bei ihr zu melden.
Wahnsinnstat einer Frau.
Bericht auf der 2. Seite.
Die enttäuschten Rentner.
Seit Januar 1925 ist der Reichstag der Bürgerblodmehrheit am Bert. Seit 1913 hat teine deutsche Regierung geruhsamer arbeiten fönnen, als die Regierung des Besitzbürgerblocks. Das abschließende Ergebnis ihres Birkens ist ein Rotprogramm!
-
Wenn fo die Bürgerblockparteien selbst befennen, daß ihre ruhmreiche Tätigkeit zu Notständen geführt hat, ohne deren Milderung fie sich vor den Wählern nicht sehen lassen dürfen, wird tein Kundiger ihnen widersprechen. Die Frage ist nur, ob das Notprogramm auch dort eingreift, wo die Not am größten ist. Ist sie wirklich am größten bei den ostelbischen Junkern, deren Söhne und Töchter in St. Morig und in den Spielfälen der Riviera ihr fummervolles Dasein verbringen? Es gibt Bolfskreise, die das bezweifeln, Bolfskreise, die bei der letzten Wahl der führenden Bartei des Bürgerblods, den Deutschnationalen, ihr uneinges fchränktes Vertrauen geschenkt hatten.
Da sind zunächst
die enteigneten Gläubiger und Sparer. ,, Bolle Anerkennung ihrer Rechte", d. h. hundertprozentige Aufwertung, war ihnen von den Deutschnationalen feierlich versprochen worden. Der deutschnationale Führer Hergt wollte nach dem Eintritt feiner Partei in die Regierung ,, binnen 24 Stunden" ein Gesetz dieses Inhalts dem Reichstag vorlegen. Wir wissen, wie die verarmten Sparer, ehe der Hahn zweimal frähte, von den Deutschnationalen dreimal verraten wurden. Soweit die betigten Angehörigen des ehemals wohlhabenden Mittelstandes nicht längst ihrem Jammer durch den Gashahn oder ein anderes Hilfsmittel ein Ende bereitet haben, figen jie heute in ihrem armseligen Stübchen und grübeln bei Zichorienwasser und Kartoffeln über den politischen Sinn des schönen Berjes nach: ,, lleb immer Treu und Redlichkeit"... Nachdem der Betrug an den Sparern vollendet war, hieß es in einem von der deutschnationalen Schriftenvertriebsstelle G. m. b. H., Berlin SW. 11, herausgegebenen Flugblatt:
,, Mit diesem Erfolg(!) haben sich die Deutschnationalen nicht begnügt. Sie forderten vor allem immer wieder ein Rieinrentnerversorgungsgefeß, das den Schwerbetroffenen statt Fürsorgemaßnahmen einen Rechtsanspruch fichert, und sie werden nicht nachlassen, bis auch dieses Ziel erreicht ist"
In der Oppositionszeit der Deutschnationalen war in Anträgen, Gefeßentwürfen, Reden und Auffäßen von dem Rentnerversorgungsgefeß gar viel die Rede. Bringt nun das Notprogramm des Bürgerblods den Schwergeprüften die versprochene Hilfe? Mitnichten! Die Reichsregierung enthält sich einer fachlichen Stellungnahme zu dieser Gesetzgebungsfrage," erflärte Bizetanzler Dr. Hergt am 27. Februar im Reichstag. Sie will statt dessen die Fürsorge, die so oft jämmerlich versagt hat und außerdem an die Armenunterstützung erinnert, Derbessern Hören wir,
was die Kleinrentzer antworten:
,, Wieder ist unerhörtes geschehen, wieder versucht man mit allen Mitteln die ungerechtigteit zu stabilisieren und den enteigneten Rentnern ihr Recht vorzuenthalten, sie weiter auf Bettel almofen zu verweisen. Ein ungeheurer Proteststurm wird durch die deutschen Lande ziehen, Erbitterung und Berbitterung werden feine Grenzen fennen, wenn nicht noch in letzter Stunde dem scheinbaren Bernichtungswillen der Reichs= regierung gegenüber den alten und franken Rentnern durch den Reichstag energisch und verantwortungsbewußt entgegengetreten wird. Wie seinerzeit der Herr Reichsfinanzminister in Magde burg die Not der Beamten, so schildert jetzt der Herr Landbundminister" Schiele in beweglichsten Worten die Not der Landwirtschaft, wiederum, ohne auch nur mit einem einzigen Worte der früheren Kapitalrentner zu bedenten, die der Landwirtschaft schon 75 Proz. des ihnen geliehenen Hypothekenkapitals zu schenken gezwungen wurden. Der Herr Minister sagte:„ Es geht um die Entscheidung, es geht um das große Entweder ober, es geht um das Letzte. Ich rufe die Frage ins Land: Will das deutsche Bolt und alle feine berufenen Führer die deutsche Landwirtschaft, den Grundstod allen wirtschaftlichen und staatlichen Lebens er halten oder verderben lassen?" Die deutschen Rentner hat man bereits vor Jahren preisgegeben und ins Elend verfinten laffen. Was würde denn wohl die Landwirtschaft sagen, wenn man es mit ihr ebenso wie mit den Kentnern machen