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Selloge Mittwoch, 23. Mai 1928.

Wie verleben wir unsere Ferien? Die Selbsthilfe der Arbeiterschaft schafft Großes.

Die Arbeiterschaft hat sich den Anspruch auf Ferien nach dem Kriege erkämpft. Vor dem Kriege war es verhältnismähig selten, daß Arbeiter Ferien erhielten. Auch heute ist für die meisten Werk- tötigen die Ferienzeit immer noch so knapp bemessen, daß sie kaum viel Gelegenheit zur Erholung bietet. Für viele ist sie nur ein kurzes Besinnen,«in schnelles Sichoufrcckcn aus der Fron der Ar- beit, weiter nichts.

Unter Palmen am Lugano-See. Die krasse Ungerechtigkeit unserer Gesellschaftsordnung zeigt sich auch auf diesem Gebiete. Den Besitzenden sind alle Freuden er- schlössen, die Besitzlosen ober müssen sich mühselig ein paar Tage Sonnenschein erkämpfen. Die es am wenigsten nötig haben, können nach Herzenslust«in faules Schlemmerlebcn führen, denen aber, die sich jahraus, jahrein für die Besitzenden abrackern müssen, wird auch die geringste Ferienentsponnung unsagbar erschwert. Denn was nützen die wenn auch so kurz bemessenen Fcrientage, wenn der kümmerliche Lohn nicht ausreicht, um sie zur Erholung werden zu lassen? Eine Ferienreise kostet, zumal wenn auch die Familie daran teilhaben soll, immer noch soviel Geld, daß sie vielen als unerreichbarer Luxus erscheint. Der Staat tut so gut wie nichts für die Ferienkultur der Schafsenden. Sollte es nicht möglich sein, dem Arbeiter, der eine Ferienreise unternimmt, eine Fahrpreisermäßigung von mindestens S0 Prozent zu gewähren? Die Sache wäre leicht zu kontrollieren: Die Bescheinigung des Unternehmers, daß es sich um die Ferienreise handelt, sowie ein Steuernachweis würden die Be- dürftigkeit bestätigen. Es wäre eine ungeheure soziale Tat, für die man der Reichsbahn nicht genug danken könnte. Der Einwand, daß es sich um einen Einnohmeausfall handelt, wäre nicht stich-

Im tlote des Internationalen Arbeitsamts, Genf. haltig: eine solche Maßnahme würde den Reiseverkehr stark beleben, viele würden sich zu einer Reise entschließen, die heute dazu aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sind. Es gibt auch schon Fälle, in denen von den Unternehmern den Arbeitern und Angestellten ein Feriengeld gezahlt wird. Ein ausgezeichneter Gedanke, den die Gewerkschaften viel stärker propa- gieren jotltent Bei Lohnverhandlungen und bei Abschluß von Tarif­

verträgen bietet sich Gelegenheit, auch an diese Frag« zu denken. Unermüdlich sollt« die Forderung de- besonderen Feriengeldes er- hoben werden, denn auch die Fortzahlung des Lohnes, die heute allgemein üblich und durchaus anzuerkennen ist, ermöglicht noch niemandem besonder« Aufwendungen für die Ferienzeit. Die S el b st h i lf e der Arbeiterschaft hat auf dem Ge. biete der Ferienkulwr l'ereits eingesetzt. So viele Arbeiter auch sich heute infolge allzu kümmerlicher Löhne noch keine Ferienreise leisten können, so gibt es auf der anderen Seite doch immerhin schon Arbciterschichten, denen diese Möglichkeit nicht unerreichbar ist. Da- zu ist Borbedingung, daß man den Arbeitern, den kleinen An- gestellten und Beamten Gelegenheit gibt, durch Ratenzahlun- g e n in geringer Höhe, die sich auf längere Zeit erstrecken, das für eine Reise erforderlich« Geld zusammenzubringen. Und wer es nicht in einem Jahr schafft, der sollte eben zwei Jahre sparen, um sich in den Genuß einer Ferienreise zu setzen. Bei ernstem Willen dürste es manchem möglich sein, durchzuhalten. Diese Mühe wird reich belohnt, denn eine Reise gewährt großen ideellen Gewinn und vermittelt Eindrücke, die man für dos ganze Leben nicht vergißt. Darum legt Reisesparkonten an! Der Reichs- ausfchuß für sozialistische Bildungsarbeit bietet euch Gelegenheit dazu. Reisekonten werden auf beliebige Dauer angelegt, die Höhe der Raten kann jeder noch seiner Leistungsfähig- keit selbst bestimmen. Das ersparte Geld steht den Teilnehmern für eine vom Reichsausschuß veranstaltete Reis« jederzeit zur Verfügung. Es ist erfreulich, daß die Zahl der Teilnehmer an den Reisen von Jahr zu Jahr wächst. Und was besonders zu begrüßen ist, daß sich die übergroße Mehrzahl der Teilnehmer aus den Kreisen der Handarbeiter und kleinen Angestellten rekrutiert. Daraus geht hervor, daß die Arbeiter-Reisebewegung geradezu jene Kreise er- faßt, auf die es ihr in erster Linie airkommt. Die Reisen des Reichsausfchusses sind auf das äußerste kalkuliert, trotzdem erfordern sie natürlich, gemessen an den Verdiensten der Arbeiter, imtzierhin einen Kostenbetrag, der ernsthaft ins Gewicht fällt. Diese Reisen in Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen sind aber auch für jeden ein Erlebnis. Sie weiten den Gesichtskreis und geben Anregungen, die gerade für die Sozialisten von außerordent- lichem Wert sind. Vor allem aber stärken sie die international Solidarität. Gemeinsame Zusammenkünfte mit ausländischen Ge- nassen geben neue Kraft für den Dienst an der Bewegung im eigenen Lande. So hat es noch niemand bereut, an den Ferien- und Studien- reisen des Reichsausschusses teilgenommen zu haben. In diesem Jahr« sind Reisen vorgesehen nach Poris, an die Riviera, nach Amsterdam , nach D a l m a t i e n, an den Rhein , in die Schweiz , nach dem Salzkammergut , nach Dänemark , Schweden und Finnland , an die Nord- und Ostsee , noch Wien Klagenfurt , Oberbayern Nordtirol und nach Tunis . Da die Urlaubszeit in den Betrieben und Bu- reous gegenwärtig überoll festgesetzt wird, sei auf die hier gebotene

(Mit eigenen Aufnahmen der Teilnehmer?) Gelegenheit zu Ferienreisen verwiesen. Der Reichsausschuß gibt auch eine reich illustrierte, gut ausgestattete Reisezeitschrift heraus, betiteltReiseblättcr des Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit", die vierteljährlich erscheint und pro Jahr 1 Mark kostet. Probenummern werden gern abgegeben. Die Zeitung dient der Vertiefung und Propaganda des Arbeiterreiscgedankens und

Altstadt in Mentone, Riviera. enthält Beschreibungen sowie wertvolle Beiträge über die von den Reisen berührten Länder. Das Programm der diesjährigen Reisen mit einer Probe- nummer der Reiseblätter ist gegen Einsendung von 33 Pf. durch den Reichsausschuß für sozialistische Bildungsarbeit, Berlin EW. 68, Lindenstr. 3, zu beziehen.

W4S DER TAG BRINGT. nininiiniiniiiiniininmnimmiimiiiiniimminmiinimiinmimmnnniininnnniimnHiiniiniininiiniiNmiiimiiiiiiiiiinnMiiiiimiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiKiiininiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinniMiiiitin

Der Amtsvorsteher als Wasserspritze. Die �Belgarder Zeitung" bringt einen höchst dramatischen Be- richt über ein Großfeuer in Groß-Duberow, um sich in der Hitze des Gefechts folgendermaßen zu verhaspeln: Heber die Entstehungsursache des Feuers wird die Unter- suchung näheres feststellen. Außer dem Amtsvorsteher, dem Kreisbranddirektor und den zustehenden Landjägern waren auch Nachbarspritzen erschienen, die aber nicht in Tätigkeit traten." Es scheint uns nicht ganz geschmackvoll, Amtsvorsteher und Kreisbranddirektor von Groß-Duberow mit Wasserspritzen zu ver- gleichen. Eine zweifelhafte Einladung. Wenig Gemüt scheint ein Fuhrgeschäftsinhaber in R. zu haben. Der gute Mann inseriert in derSchoumburger Zeitung" wie folgte Den geehrten Einwohnern von R. und Umgegend zur Kenntnis, daß ich ab heute einen neuen Leichenwagen zur Verfügung habe. Um gefälligen Zuspruch bittet... (Folgt Unterschrift,) Der Inserent dürste sich mit dieser freundlichen Aussorderung kaum allzu viel Sympathien erwerben. Carpentier als Filmstar. TschaikowfkysPathetische Symphonie" hat einen gewissen Herrn D u r a n zu einer Novelle mit dem gleichen Titel begeistert, und noch dieser Novelle hat man ein Filmstück gezimmert, das demnächst aus der Leinewand des Pariser Zentraltinos erscheinen wird. Die Handlung des Stückes ist reichlich ungeschickt, aber das macht nichts aus, denn der weltberühmte Boxer Georges Ear- pentier wird in dem Film die Hauptrolle spielen. Seitdem Carpentier gewisse Schattenseiten des Berussboxens am eigenen Leibe erfahren mußte, hat er es vorgezogen, die weniger schmerzen?- reiche Bühnenlaufbahn einzuschlagen und spielt schon seit längerer Zeit auf einer Pariser Bühne in einem bis zum Uederdruß wieder- holten Sketch. In dem neuen Film wird sein früherer Boxerruhm noch einmal kurz und meteorgleich aufleuchten. Silber im Film. Das Material, also das Filmband, spielt bei der Kalkulation eines Filmes nur eine untergeordnete Rolle. Und doch zieht man aus unbrauchbar gewordenen Filmen und dem Filmabfall, der ja beim Schneiden der Filme sehr groß ist, respektable Werte. Die Emulsio- nen, mit denen die Filmstreifen überzogen sind, enthalten nämlich starke Mengen von Silber, und dieses Silber wird wieder zurück- gewonnen. Den. größten FilmverbrauA Hat Amerika , und unter

den amerikanischen Filmfirmen steht die Paramount an erster Stelle. Diese Filmgesellschaft verbraucht in ihrem Atelier in Hollywood monatlich im Durchschniti zwei Millionen Meter Rohfilm. Wenn man bedenkt, daß nur aus diesen zwei Millionen Metern Film Edel- metall im Betrage von etwa 6010 Dollar zurückgewonnen wird, so kann man sich einen Begriff davon machen, wieviel Silber in den Filmen der ganzen Welt steckt. Die amerikanische Filmindustrie allein zieht aus den Filmen Silber im Werte von fast 9 Millionen Dollar im Jahre. Früher wurde das gewonnene Silber an Einschmelzgesellschasten zum Weiterverkauf an Privatkäufer abgegeben, die daraus Schmuck- jachen und Gebrauchsgegenstände herstellten. Auch in Europa wurde das Silber zeitweise dem gleichen Zweck zugesührt Jetzt hat sich die Parmount-Filmgesellschaft entschlossen, die Silbermengen nicht mehr dem privaten Handel zu überlassen, sondern sie der Münze der Ver- einigten Staaten in San Franziska direkt zuzuführen. Der Preis richtet sich nach der jeweiligen Notierung. Augenblicklich beträgt diese 79,34 Cents pro Unze Silber. Sehr bald werden also die amerika - nischen Silbermünzen die Reste von Ruhm, Hofsnungen, Liebe und Schmerz enthalten, die auf die Filmstreisen gebannt waren und auf diese Weise in verzauberter Gestalt weiterleben. Ein Geisteskranker im Flugzeug. Allein mit einem Geisteskranken im Flugzeug in der Höhe von SlIOO Metern, an die Lenkstange gefesselt, außerstande, sich des Toll- wütigen, der auf ihn mit dem Messer einstach, zu erwehren: in solcher Situation befand sich vor einigen Tagen der Pilot des Post- flugzeuges, das eben erst den Flugplatz von Michigan (Ver- einigte Staaten) verlassen hotte. Er hatte nur einen Passagier mit- genommen. Plötzlich warf sich dieser auf ihn und begann auf ihn mit einem Messer einzustechen. Der Pilot hielt sich ihn, so gut er konnte, vom Leibe und unternahm schnell den Abstieg. Das Flugzeug zerbrach zwar beim Anprall auf der Erde, der Pilot und der Passagier blieben jedoch am Leben. Der Fohrgast war geisteskrank. Der amerikanische Angerstein. Der 17jährige Owen Oberst, über dessen grauenhafte Mordtat wir vor wenigen Tagen berichteten aus nichtigem Grunde, weil der Vater ihm oerboten hatte, Auto zu fahren, tötete er diesen, seine Mutter, seine beiden Schwestern und seine drei Brüder, um hinter- her das Haus anzustecken, ist von den Geschworenen in Eldorado zu lebenslänglichem Kerker verurteilt worden. Allein seine Jugend rettete ihn vor dem elektrischen Stuhl. Wenn man bedenkt, daß in den Vereinigten Staaten Amerikas erst vor kurzem hintereinander zwei Siebzehnjährige trotz ihrer Jugend zum Tode verurteist und einer von den beiden auch hingerichtet wurde, so wundert es beinahe, daß. Oberst mit dem Lebe» davongekommen ist.