Beilage
Dienstag, 12. Juni 1928.
MAVIC 98.199 Der Abend
Fort mit der Todesstrafe!
Eine Kulturbarbarei, unwürdig der menschlichen Gesellschaft. Von Friedrich Wendel *)
Darf nach allem, was in dieser Artikelreihe ausgeführt worden ist, nunmehr außer Frage stehen, daß die Bekämpfung des Verbrechens in der Beseitigung der materiellen Elendslage breiter Schichten der Bevölkerung zu erfolgen hat, so muß die Todes strafe ganz sinnlos erscheinen. Hämisch weisen die unbelehrbaren Anhänger der Todesstrafe darauf hin, daß, wenn die soziale Borbeugung" das Heilmittel gegen das Verbrechen darstelle, die Konsequenz wäre, überhaupt keine Strafen verhängt werden dürften. Man kann mit derselben Sorte Logik demgegenüber darauf hinweisen, daß selbst die konservativen Berfechter des reinen Straf charakters der Justiz gern von einer Besserung des Ver brechers durch die Strafe zu reden pflegen. Besteht auch diese Besserung nur in der Einbildung der Herren, ist auch mit einer Besserung des einzelnen angenommen einmal, sie sei wirklich ein getreten noch gar nichts erreicht, wenn man nicht durch die Beseitigung der Quelle des Verbrechens die Möglichkeit weiterer Wiederholungen eindämmt, so kann man doch die Erklärung der Straffanatiker, daß die Strafe Besserung bedeuten solle, mit Vergnügen zur Kenntnis nehmen. Inwiefern dann aber die Todesstrafe Besserung bedeuten soll, ist nicht recht einzusehen! Wieso wird der gebessert, der getötet wird? Die Todesstrafe ist und bleibt zwecklos und stellt überdies durch ihre demoralisierenden Folgen eine Gefahr für die öffentliche Moral dar.
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Will man den Gegensatz zwischen alter und neuer Schule der Berbrechensbehandlung recht eindeutig zum Ausdruck bringen, so darf man sagen: Die alte Schule stellt die Einzelperson des Verbrechers, stellt die menschliche Gesellschaft mit ihrem Be dürfnis nach Schutz vor dem Verbrechen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen, die Person des Verbrechers rückt sie in die zweite Linie.
Anerkannte Rechtsforscher haben zunächst einem Abbau der Todesstrafe das Wort geredet. Der Abbau soll einmal bestehen in einer möglichst seltenen Bollstreckung der Todesstrafe, zum anderen aber auch in einem dem modernen Empfinden angepaßten Vollzug der Todesstrafe. Anstatt des Köpfens mittels eines quecksilbergefüllten Hackbeils, wie es in Deutschland üblich ist, hat man beispielsmeise schnellwirkendes Gift oder Eindtmung ebenso schnell wirkender Gaje empfohlen. Wir können auf diesem bedentlichen Wege nicht folgen. Die Todesstrafe ist ein Strafmittel, demgegenüber es wirklich mur ein Ja oder ein Nein gibt. Sie fann ohne weiteres aufgehoben werden. In den Staaten, die die Todesstrafe abgeschafft haben, sind seitdem die Mordverbrechen start zurüdgegangen.
Ohne Aenderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, ohne Hebung der Elendslage der unteren Schichten läßt sich das Verbrechen nicht eindämmen, aber jene blutige Verbrechen, die ihre Ursache in der Derrohenden wirtung der Todesstrafe haben, lassen sich sofort vermeiden: Durch die sofortige Aufhebung der Todesstrafe!
Die nächst der Szialdemokratie stärkste Partei Deutschlands , das Zentrum, stüßt sich bei der Verteidigung der Todesstrafe auf Gründe, die im Gebiet des Religiösen liegen. Was in dieser Beziehung die in
Die ,, neue Zeit".
Der elektrische Hinrichtungsstuhl, 1928.
einem früheren Artikel erwähnte Autoritätsidee angeht, so ist eine nochmalige Auseinandersetzung überflüffig. Dagegen ist es nötig, zu der oft erwähnten Stüßung der Todesstrafe durch Terte der Bibel ein paar Worte zu sagen. Anhänger der Todesstrafe berufen sich auf die alttestamentarische These:„ Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll wieder durch Menschen vergossen werden!" Wir wollen uns den Einwand verkneifen, daß diese These den Herren
*) Siehe die Artikel in Nr. 100, 104, 122, 144, 162, 192, 214 und 250. Mit diesem Beitrag schließen wir unsere Artikelreihe über den Kulturskandal der Todesstrafe ab.
| Scharfrichtern, die nach ihr samt und sonders selber dem Blod ver fallen find, kaum sehr genehm sein wird, wir wollen auch nicht auf die Betrachtung einer Logif eingehen, die eine Schraube ohne Ende ins Auge faßt. Wichtiger ist, darauf hinzuweisen, daß dem zitierten Bibelwort jens andere entgegensteht, nach dem niemand gegen Kain die Hand erheben dürfe. Der bekannten Stelle aus dem 2. Buch Moses :„ Du sollst Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um 3ahn, Fuß um Fuß geben," steht das Wort des Propheten Ezechiel entgegen: So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe keine Lust an dem Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose befehre und lebe!" Der Christus der Evangelien ist unzweifelhafter Gegner der Todesstrafe, er fordert völlige Preisgabe der Rachetheorie und empfiehlt, Böses mit Gutem zu vergelten, das heißt also, das Böse durch das Gute zu überwinden womit er in die Reihe der Ver.
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treter der sozialen Vorbeugungstheorie tritt. Bom Boden bibelgläubiger Erörterungen also ist dem Problem der Todesstrafe nicht beizukommen.
Hier gilt es, die Augen für die Tatsachen unserer 3eit und unserer Umgebung zu öffnen und nach den praktischen Bedürf nissen unserer Gesellschaft Entschlüsse zu treffen, die der prüfenden Bernunft standhalten.
Das Erfordernis unserer Tage verlangt, daß mit einem Strafmittel Schluß gemacht werde, das weder verbrechenverhütend, noch abschreckend, noch bessernd wirkt, dafür aber verrohend, barbarisch und verbrechenbegünstigend! Es ist eine Schmach für unsere Zeit," hat Wilhelm Liebfnecht einmal gesagt, daß überhaupt die Frage der Todesstrafe in einem Kulturlande noch gestellt werden muß." Wer den kulturellen Fortschrift will, muß Gegner der Todes strafe sein!
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Spalausgabe des Vorwärts
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Artur Dinter , Verfasser dreier berüchtigter Schundromane, feiger und mutloser Soldat" nach der Aussage vereidigter Zeugen, schuldhaft geschiedener Ehemann, hat neuerdings das ins Leben gerufen, was uns schon lange gefehlt hat, was mir brennend nötig brauchen, und was könnte das anderes sein, als eine Geistchrist= liche Religionsgemeinschaft, e. V.". Eines der Mitglieder dieses Kegelklubs scheint sich eines Abends einmal den Magen überladen zu haben, denn er hatte in der darauffolgenden Nacht eine von Dinter emfig weiterverbreitete Vision. Es erschien ihm Martin Luther und verkündete ihm folgendes: Was ich vor 400 Jahren lehrte, war noch nicht das Richtige. Heute mache ich mir alles das zu eigen, was ein gewiffer Artur Dinter in Nürnberg vorträgt. Es ist tein Zufall, daß in der Stadt meines Freundes Albrecht Dürer euch die Lehre von der Vollendung der Reformation gepredigt wird. Das, was Dinter euch lehrt, ist in der Tat das Richtige. Ich selber, Martin Luther , fönnte es nicht anders lehren, wenn ich Dr. Dinter wäre. Wer Ohren hat zu hören, der höre wer Augen hat
zu sehen, der sehe!"
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Wohlan, mohlauf! Dinter als Nachfolger, nein, als Bollender Luthers ! Zwar hat er die Bibel nicht verdeutscht, sondern es wird, im Gegenteil, jemand gesucht, der Dinters ,, Sünde wider das Blut" aus ihrem Kalmückendeutsch in unsere Muttersprache überträgt. Bor dem Reichstag zu Worms hat Dinter auch noch nicht gestanden, viel. mehr gemährt man ihm nicht einmal Zutritt zu dem in Berlin , und überhaupt ist auch sonstens ein gewisser Abstieg bei der Be trachtung der beiden Luther zu konstatieren. Der Luther der Refor mation war immerhin ein ganzer und charakterstarter Mann. Der Luther von heute hingegen ist gewissermaßen eine fomische Figur. Aber ist nicht gerade diese Gegenüberstellung ein Beweis dafür, wohin wir geraten sind, auf welcher schiefen Ebene wir uns befinden, wie recht Dinter hat, wenn er sich gegen unsere Zeit wendet! D, diese Fremdrassigen! O, diese Juden! Nun haben sie uns glücklich soweit heruntergewirtschaftet, daß wir mit einem Dinter als Luther vorlieb nehmen müssen. Welch ein, auf das Schuldkonto unserer undeutsch gesinnten Zeit zu schreibender Niederbruch! Dinter als Luther ! Hans Bauer.
Herrliche Natur- aber schändliches Elend
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Wer in diesen Tagen auf der Urlaubsreise dem sonnigen Süden| zustrebt, durchfährt zwischen Saalfeld und Ludwig stadt das Gebiet der Schieferindustrie. Schon der Wechsel des Landschaftsbildes eben noch das heitere, fruchtbare Saaletal und plötzlich dann das düstere, eingeschlossene, von Geröll und verfrüppelten Fichten bedeckte fränkisch- thüringische Grenzgebirge zeigt den Rei senden, daß in diesem Gebiet die Bewohner einen scharfen Kampf ums Dasein tämpfen. Die Schieferindustrie ist in diesem Landstrich faum 100 Jahre alt. Die Bewohner des Grenzgebirges haben sich vor dem Einzug der Schieferindustrie hauptsächlich durch Waldarbeit, Kräutersammeln und Kleintierzucht ihr Brot verdient. Heute ist der größte Teil auf die Lohnarbeit in den Schieferbergwerken angewiesen. Frauen und Kinder quälen sich damit ab, durch das Sammeln von Beeren und Kräutern und mit Hilfe eines landwirtschaftlichen Zwergbetriebes noch ein paar Pfennige zu dem fargen Lohn des Mannes hinzu zu verdienen. Die Arbeit ist schmer und gefahrvoll. Jeder Arbeiter muß in den Schieferspaltereien neun Zentner Schiefer pro Schicht zurichten. Da ein Zentner Roh schiefer 60 Pfund fertige Ware ergibt, und diese Ware pro Zentner 7 Mart tostet, ist leicht zu errechnen, welchen Gewinn die Unternehmer in die Tasche stecken, wenn sie, wie bisher, nur 4,60 bis 6 Mart pro Schicht an den Arbeiter Affordlohn zahlen. Für jeden 3entner Mehrarbeit erhalten sie sage und schreibe 40 Pf. vierzig Pfennig!- Die Arbeitszeit beträgt durchweg 53 Stunden pro Woche; dazu kommen aber für viele Arbeiter weite, stundenlange Wege zur Arbeitsstelle bei manchen täglich drei bis fünf Stunden! Wer länger als neun Jahre in einem Betrieb beschäftigt ist, hat Anspruch auf 6 Tage Urlaub. Selbst diese kümmerlichen sozialen Bestimmungen sind den Unternehmern noch zu viel Sozialpolitik"!
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In Probstzella wird der Griffelschiefer zu Schreibgriffeln verarbeitet und bietet vielen Frauen zur Heimarbeit Gelegenheit. Diese Heimarbeit wird schauderhaft schlecht bezahlt, wohl am schlechtesten von allen Heimarbeiten. In der Verarbeitung sind überhaupt viele Frauen, stellenweise bis zu 50 Proz. der Belegschaft, beschäftigt.
Die Schieferarbeit zerrüttet frühzeitig die Gesundheit. Die Stollenarbeiter leiden unter dem im Stollen sich entwickelnden feinen Staub, der tief in die Atmungsorgane eindringt. Auch die lebertagearbeiter, die bei Regen und Wind und in heißer Sonnen glut an den Berghängen sich festklammern und in schwierigster Körperhaltung stundenlang mit dem Brecheisen die Schieferblöcke losschlagen, sind der Proletariertranfheit, der Tuber. fulose, besonders start ausgesetzt. Die Lungentuberkulose ist in den stillen Walddörfern sehr verbreitet. Der gefährliche Beruf, die lange Arbeitszeit und die elende Ernährungslage zermürben frühzeitig die organischen Reserven.
Am 29. Mai haben etwa 2000 Schieferarbeiter die Arbeit niedergelegt, das sind 80 bzw. 90 Proz. der Arbeiter im Unterund Oberland. Sie forderten eine Erhöhung der Stundenlöhne um 10 Pfennig. Die Unternehmer lehnten jede Verhandlung ab; da die jetzigen Verdienste schon weit über den Friedensreallohn hinausreichten, könnten sie die Forderungen der Arbeiter nicht annehmen. In diesem Sinne unterbreiteten sie dem Schlichter eine Dentschrift, mit dem Erfolg, daß ein Schiedsspruch gefällt wurde mit einer ohnerhöhung um zwei Pfennig. Die Unternehmer geruhten, diesen Schiedsspruch anzunehmen. Die Arbeiter, die ihren Kampf in der Hauptsache
gegen die Ausbreitung der Lungentuberkulose führen, mußten den Schiedsspruch ablehnen. In der Nachverhand lung über die von den Unternehmern beantragte Verbindlichkeitserklärung des Schiedsspruches zogen die Unternehmer ihren Antrag zurüd. So kam es zu dem Streif.
Der Staatsbetrieb, in dem 500 Arbeiter beschäftigt waren bei einem Stundenlohn von 62 Pfennig oder einem Schicht
lohn von 4,96 M., ist ebenfalls stillgelegt. Die thüringische Regierung hat die Lohnpolitit der Unternehmer mitgemacht. Sie hat Polizei ins Streitgebiet geschickt, um die ,, Ordnung" aufrechtzuerhalten. Sie duldet es, daß die Streifenden bedroht und terrorisiert werden. Den Familien der Streifenden wird die Ausweisung aus den Wohnungen angedroht!
Arbeitswillige haben sich nur wenige bis jetzt gefunden. Drei von ihnen mußten den Streifbruch schwer büßen. Auf einer Grube stürzte am 4. Juni eine Felswand ein, unter der sie begraben wurden.
So birgt das landschaftlich reizvolle Gebirgsland schauderhaftes soziales Elend. Es beherbergt ein ausgemergeltes, elendes Arbeiter volt, das, weil es bisher noch kein rechtes Klassenbewußtsein hatte, der privatkapitalistischen Ausbeutung besonders arg preisgegeben war. Der Streit der Schieferarbeiter ist eine Explosion der Verzweiflung, eine Auflehnung gequälter, aber jetzt allmählich wachwerdender Arbeiter.
Die Sympathie der ganzen organisierten Arbeiterschaft begleitet die thüringischen Schieferarbeiter in ihrem Rampfe, der zu einem erfolgreichen Ende geführt werden muß.
Die ,, alte Zeit". Enthauptung aufrührerischer Bauern, 1525.
Zu dem Artikel: Fort mit der Todesstrafe!"
15 000 Dollar tür eine Erstausgabe Poes.
Dreißig Jahre lang hatte sich eine Schneiderin von Worceste in Massachusetts ( Vereinigte Staaten ) über ihrer Nähmaschine ge plagt und müselig ihren Lebensunterhalt verdient, bis sie eines Tages unter ihren alten, taum beachteten Büchern eine Erstausgabe von Edgar Allan Poes„ Tamerlan " fand. Sie erhielt 15 000 Dollar für das Buch, der Antiquar verkaufte es aber sofort an Dr. Rosenbach, einem Antiquar von Philadelphia , für 28 000 Dollar weiter,