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Beilage

Montag, 25. Juni 1928.

Am märkischen Lido.

Bon allen Freibädern der Reichshauptstadt ist zweifellos das Freibad Wannsee das populärste und größte. Allerdings ist es zu Ruhm und Ausdehnung erst im neuen Staat gelangt; vor dem Kriege war das Freibad ein Proletenbad" mit ungepflegten Anlagen, windigen Umkleidezelten und fumpfigen Wassertümpeln im Ufersand. Gendarmen mit Pickelhauben und schweren Schlepp­säbeln spähten umher, damit kein Herr aus dem Familienbad" durch die verrosteten Drahtmaschen des Damenbades" schlüpfe oder sonstigen Unfug" treibe. Wehe dem erwischten Sünder! Ihm murde unweigerlich die Hundemarke" vom Hals genommen, dami:

"

ZUM STRAND

Ein origineller Wegweiser

phot. Fritzsche.

er dann in später Abendstunde bibbernd seinen Anzug, mehrere preußische Anschnauzer und einen Strafbefehl in Empfang nehmen

formte.

Heute lacht das Herz des Berliners, wenn er vom Bahnhof Nikolasfee aus, an der Avusturve vorbei, durch den duftenden Kiefernwald in wenigen Minuten zum Freibad spaziert und auf­atmend vor dem Bad der Hunderttausend steht. Der Blick geht weit über den Großen Wansee, trifft leuchtende Segel auf der schimmernden Wasserfläche und dringt zum anderen Ufer hinüber, über ben dunklen Kranz der Kiefernwälder hinweg in die blaue Ferne.

Hinter den großen Toren und Kasseneingängen des neuen Ber­maltungsgebäudes weiten sich grüne Rasenflähen, führen gepflegte Kieswege, die von vielen weißen Ruhebänken umfäumt sind, zur großen Haupttreppe, auf deren Holzstufen man hinunter ins Bad steigt. Wieder bietet sich dem Auge ein überraschend schöner Anblick: das bunte Gewimmel der Tausende am unendlich langen Strand, die dunklen Umkleidehallen, die mit ihren stroh bedeckten Dächern wie die Häuser eines Fischerdorfes aussehen, dann die zahllosen Liegestühle und Strandförbe, Sie dunkelgrünen Kronen der Kiefern an den Abhängen, treuzende Sezel und flinke Motorboote vor den Bojen und endlich das fleine Dorf der Sonnenbrüder", über dem die schwarzrotgolde: ien Fahnen flattern. Und dem Dörfchen gegenüber der ragende Schloß­

Das Strandleben phot. Fritzsche.

turm auf der Insel Schwanenwerder . Der entzückte Be­schauer versteht bei diesem Anblick die Liebe des Sprezatheners zu jeiner Rieserbadewanne" und den Stolz, mit dem er sein Frei­bad als märkischen Lido" preist.

Wem der Betrieb" am Strand und im Wasser zuviel ist, mer ben Sandpennern" und" Wellenplanschern" entfliehen will, der tann hinauf in das riesige, zum Freibad gehörende Waldge lände flüchten und sich dort ein stilles Plätzchen suchen, um in seliger Ruhe die würzige Dzonluft zu schnuppern. Denn das ist der verlockende Reiz des Freibades: es bietet Natur und Betrieb in glücklicher Mischung, so, wie es dem an Trubel gewöhnten Groß­städter am liebsten ist. Und der empfindlichste Neuling, der hon so viel von Wannsee gehört hat, wird bald marken, daß der Ton and bas. vielzitierte Milieu im Freibad sehr annehmbar sind. Man ok eben den rauben, aber herzlichen Ton des Volkes in allen

| Stalen trillern und jedes Mäd henpensionat fönnte in dieser Atmo­sphäre gefunden. Wer sich als Sohn des Volfes fühlt und mit dem Bolf in die große Wanne" steigen will, dem braucht nicht bange zu sein vor dem zu Hause gelassenen Tugendhöschen: 30 Pf. be­trägt das Leihgeld für eine Badehose, die man erst mit der Sonne letztem Strahl wiederbringen braucht. Wer aber angeben" und einen seinen Pinkel" markieren will, der kann sich einen Bade­anzug, Badeschuhe, Badelafen, Badekappe und einen knallbunten anzug, Badeschuhe, Badelaken, Badekappe und einen knallbunten Badeanzug leihen und vom Strandwärter einen Strandtorb

mieten.

Im übrigen hat sich auch schon vor dem Freibad unmittelba: hinter dem Bahnhof ein Jahrmarkt aufgetan, auf dem man nicht nur Bananen, jaure Gurten, Rollmöpse, Eiswaffeln, Kartoffelpuffer und heiße Wiener" faufen fann, sondern sämtliche Badeartikel, vom Strandschuh bis zum Gummikrokodil, mit dem man im Wasser die Schwiegermutter und die Stichlinge erschreden fann. Das Amüsement am Wannseeufer ist allerdings mit einigen Untoften verbunden: das Eintrittsgeld beträgt 20 Pf. und für die Kleiderabgabe müssen ebenfalls 20 Pf. entrichtet werden. Und wer ein ordentlicher Mensch ist, hat zur Strafe dafür, daß er feinen Anzug auf einen Bügel hängen will, noch einen Groschen extra zu berappen. Ebenso muß für die Aufbewahrung von Wert­sachen, Taschen oder Paketen je 10 Pf. gezahlt werden, so daß mit Fahrgeld eine Mart zusammenkommt, ohne daß sich der Luft- und Sonnenhungrige auch nur eine fleine Erfrischung g2= leistet hat. Dadurch wird selbst der Freibadebesuch für die Aermsten zum seltenen Vergnügen. Das ist die etwas beschattete Kehr­seite der Metaille. Troßdem: die wenigsten ziehen einsam zum Lido; es ist meist eine fleine Gemeinschaft, die auf einer mitgebrach­ten und im Sand ausgebreiteten Decke sich ihr Lager ohne Un­fosten aufschlägt. An heißen Tagen herrscht auch am Strand große Wohnungsnot, und es gehört zu den alltäglichen Unfällen, anderen Leuten auf die mitgebrachte falte Karbonade oder in den Grieß­pudding zu treten.

Das sind die Ferien der Proleten: mit dem Ringbahnzug ins Bad der Hunderttausend, im heißen Sand liegen, fih von der Sonne bescheinen zu lassen und weiter nichts zu tun, als von dem Nichtstun auszuruhen. Gipfel des Glücks für den kleinen, gehetzten Mann: nichts tun, nichts denken, selig dösen und Kräfte sammeln für den kommenden Arbeitstag. Allerdings, ver dabei unvermutet an die Heimfahrt in den überfüllten Ringbahnzügen denkt, dem läuf: bei 30 Grad im Schatten ein falter Schauer über den Rüden. Der Anfahrtst: ecken zum Freibad sind zu wenige, da helfen auch feine schnellen Zugfolgen. Denn wer fann mit einem Auto oder Motorrad im Wannsee parten"? Man partt" im günſtig­sten Falle mit einem 1 PS" dem Fahrrad, für das auch be

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Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

wachte Unterstände geschaffen sind. Oben an der Hinte : treppe be­findet sich die Kinderfund stelle. Eine Tafel mit einer hüb­schen Holzplast it, die ein weinendes Kind darstellt, das seine Mutti jucht, macht sie weithin fenntlich. Der Rindervater", der geplagteste Mensch des Freibades, läutet die Glocke und setzt den Shalltri hter an den Mund. Weithin hörbar hallt es über das Bad: Ein kleiner Junge aus der Ackerstraße, auf den Namen Karlchen hörend, ist gefunden worden!" Bier. bis füifmal wird gerufen. Am Abend ist der Kindervater ganz heiser: 40 bis 50 Kinder werden in der Hochsaison fast jeden Tag ausgerufen. Eltern, die ihre Kinder verloren haben, sollen sich schnurstracks zur Kinderfundstelle begeben und dort auf ihren Sprößling warten. Das Herumsuchen am Strand hat wenig Zweck und erschwert dem Kinder­

Die Rettungsstation des Freibades

phot. Fritzsche. vater", bei dem sich bis jetzt jedes vermißte Kind angefunden hatte, die Arbeit. Auch die anderen schokoladenbraunen ,, Strandbüttel", die zum Teil auf der weit ins Wasser hinragenden Rettungswache ihren Dienst tun, haben es wahrlich nicht leicht. Neben den staatlich geprüften Rettungsschwimmern helfen etwa 100 ehrenamtlich tätige Rettungsschwimmer( zum größten Teil Mitglieder des Arbeiter. Schwimmerbundes) die Ordnung am Strand aufrechterhalten.

Meist geht es aber sehr gemütlich zu, und ein fesser Jazz, der zu den Klängen eines Koffergrammophons durch den Sand ge shoben wird, rehnet zu den Höhepunkten des Vergnügens. Nur langsam leert sich das Bad, wenn die Glocke Feierabend" läutet. Schwer wird der Abschied vom Wasser, das vom Feuer der glutrot fintenden Sonne überschütte: wird. Es flimmert wie Gold. Ueber den Kieferwipfeln blinkt ein erster Stern. Die Nacht senkt sich über den märkischen Lido". Alfred Fritzsche.

Fabrikfriedhöfe in Sowjetrußland

Wirtschaftliche Konterrevolution oder..

Eine ganze Reihe von Maschinen stehe unfätig da, weil ver­schiedene Teile fehlten und die konstruktion der Maschinen den Arbeitsbedingungen nicht entspräche. Die Folge davon ist, daß

der Selbstkostenpreis sich um 16 Proz. erhöht hat.

Die Anklageschrift im Schachty - Prozeß macht den russischen In| Stalino, die Rationalisierung der Kohlenindustrie befinde genieuren u. a. den Vorwurf, sie hätten im Auslande absichtlich fich dort im jämmerlichsten Zustande. Maschinen eingekauft, die für die Bergwerfe nicht in Betracht kämen, und importierte Maschinen unausgenutzt herumliegen lassen. Bon den deutschen Angeklagten heißt es, sie hätten diesen verbrecherischen Handlungen ihrer russischen Kollegen Vorschub geleistet. Da ist es nicht uninteressant, festzustellen, daß in einer einzigen. Nummer der Prawda" vom 11. Mai d. I., zu gleicher Zeit mit der Veröffentlichung der Angeflageschrift im Schachty - Prozeß, aus pier verschiedenen Orten, die weit voneinander liegen, über Miß­stände berichtet murde, die für europäische Verhältnisse einfach ein Ding der Unmöglichkeit scheinen. War auch das wirtschaftliche Ronterrevolution" oder was sonst?

So wird aus I wer der Zeitung gemeldet, daß auf der Weberei Die twersche Proletarierin"

.60 aus dem Auslande eingetroffene Maschinen sechs Monate lang unter freiem Himmel gelegen haben.

Nun sind sie verrostet und ihre Wiederherstellung dürfte Geld und Zeit erfordern. Die gleiche Fabrik hat aus Deutschland eine Anzahl Maschinen erhalten, die ein Gesamtgewicht von 4000 Zentnern besaßen. Sie wurden in einem Raum aufgestellt, in dem früher Maschinen standen, die ein Gewicht von nur 2600 Zentner hatten. Um eine Katastrophe zu verhüten, mußte man die neu aufgestellten Maschinen unbenutzt dastehen lassen. Seit 5% Monaten dauern die Verhandlungen wegen der erforderlichen baulichen Veränderungen. Ist das Konterrevolution

oder...?

In Leningrad hat die Arbeiter und Bauerninspektion fest­gestellt, daß auf der Fabrik Elettroapparat" in der Zeit von

1926 bis 1928 für eine halbe Millionen Rubel ausländischer Ma­fchinen eingetroffen find, von denen ein großeer Teil bis heute nicht aufgestellt

ist. Während diese Maschinen den Weg aus Deutschland bis in den Hafen von Leningrad in 4 bis 5 Tagen zurückgelegt haben, be= durfte es 4% Monate, um sie aus dem Hafen in die Fabrit zu schaffen! Eine Reihe von Maschinen, die nach dreimonatlichem Lagern im Hafen, bereits am 7. Februar vorigen Jahres, in der Fabrik aufgestellt worden sind, stehen heute noch

untätig da.

Bon den Metallwerfen in Dnepropeteromst, die den Namen Die rote Gewerkschafts- Internationals" tragen, wird be richtet, daß sie im vorigen Jahre etwa hundert neue aus­ländische Maschinen erhalten haben. Ein Teil von ihnen wurde etwa einen Monat später in Tätigkeit gefeßt, ein anderer wartet heute noch auf Verwendung. Währenddessen können andere Fabriken, die die gleichen Erzeugnisse mit veralteten, weit weniger leistungsfähigen Maschinen herstellen, wegen Ueberhäufung mit Aufträgen den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht

werden.

Und der Prada" vom 10. Mai schreibt ein Korrespondent aus

Ganz ungeheuerlich mutet aber der Brief eines Arbeiterforre­spondenten aus Dnepropeterowsk in der Kommunistischen Jugendprawda" vom 23. Mai an. Auf den Fabriken des Bezirks, heißt es da, gehen aus dem Auslande eingeführte Maschinen im Gesamtwerte von 14 Millionen Mark zugrunde. Auf der Fabrik, die den Namen ,, Petrowski" führt, gehen Zehntausende von Arbeitern täglich an den großen Kisten vorbei, aus denen Teile verrosteter Maschinen herauslugen. Basmotore sind dem Regen ausgesetzt, Hammer liegen auf dem Müll, elektrische Bohrmaschinen und Pressen im Gesamtwerte von 3 Millionen Mark.

Auf der Fabrik Dierschinski" liegen auf dem Fabrikfriedhof", wie die Zeitung es bezeichnet, Maschinen im Werte von 7 600 000 Mart,

die für die gegebene Produktion als untauglich erkannt sind. Go geht man mit den wertvollsten, aus dem Ausland eingeführten Maschinen um, wegen derer der Arbeiterstaat Wichtiges entbehren muß und das Gold ins Ausland fließen läßt." schreibt der Korre­spondent.

Wie stehen aber die Dinge in Leningrad selbst? Darüber berichtet die Prawda" vom 2. Juni. Für ganze 24 Millionen Rubel hat die Leningrader Industrie während der letzten zwei Jahre aus dem Ausland Maschinen eingeführt und für die gleiche Summe foll auch in diesem Jahre gekauft werden. Wie sieht es aber mit den aus dem Ausland eingeführte Maschinen aus?" fragt die Prawda". Die von ihr selbst gegebene Antwort lautet: Auf der Fabrik Der Proletarier" liegen bereits ein Jahr lang eingeführte Maschinen unter einem Schutzdach, da das für sie bestimmte Gebäude noch nicht fertig ist. Auf der Fabrik Elektroapparat" ist ein Teil der Maschinen zwar aufmontiert, aber bis heute noch nicht in Tätig teit gesetzt. Ein anderer Teil im Werte von mehr als 200 000 M liegt aber unausgenugt da. Aehnliche Maschinenfriedhöfe gibt es in den Papierfabriken und in den für Massenproduktion bestimmten Fabriken. Auf einer weiteren Fabrik liegt ein aus dem Ausland eingeführter Ofen bereits drei Jahre unausgepact in den Riften, auf einer, Die Kommintern", stehen 50 ausländische Motore untätig da. Das gleiche Bild auf der Schuhfabrit Storochod" Jit

das alles Konterrevolution oder.

Mit solchen Berichten aus sowjetrussischen Zeitungen über unver­antwortliche Vergeudung des Nationaleigentums in Sowjetrußland fönte man Spalten füllen. Es verlautet, daß in Moskau eine Zentrale gebildet werden soll mit der Aufgabe, die aus dem Aus. land importierten Maschinen auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Es scheint aber auch höchste Zeit, daß die russischen Arbeitsmethoden gründlich untersucht werden, wozu die GPU. allerdings am wenigsten berufen sein dürfte.