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BERLIN

Freitag, 29. Juni

1928

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin SW68, Lindenstr. 3

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Nr. 304 B 150 45. Jahrgang.

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Acht Todesanträge in Moskau !

Die blutigen Anträge des Staatsanwalts Krylenko .

Ein Tendenzprozeß.

Mostau, 29. Juni.

Der Staatsanwalt der Sowjetunion , Krylenfo, untersuchte im Schachtyprozeß bisher die Anflage gegen 31 von insgesamt 53 Ange­flagten. Er beantragte für die Ingenieure Berejowski, Kalganow, Waffiljew, Suschtschewski und Bojarinom sowie die Techniker Andrej Kolodub und Alexander Nekraffow und für Budny die Todes­firafe, gegen 20 Angeklagte verschiedene Gefängnisstrafen, gegen drei Angeklagte bedingte Verurteilung.

Die Plädoyers.

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Mostau, 29. Juni.

Bei den Plädoyers im Schachty Prozeß sprachen als erste die öffentlichen Anfläger. Hinsichtlich der angeklagten Aus. länder führte Prof. Disadtschi u. a. aus, die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die beschuldigten Ausländer in zwei Kategorien zerfallen, auf der einen Seite diejenigen, die durch Er­preffungen unserer Ingenieure aus der tonterrevolutionären Orga­nisation gezwungen wurden, ihnen einen Prozentsaz aus den Be­trägen der Auslandsbestellungen abzuführen und auf der anderen Seite sind jene, die den Mitgliedern der fonterrevolutionären Orga nisation für die Abnahme minderwertiger Maschinen Bestechungs­gelder gaben, was auch durch die Aussagen der Ausländer während der Gerichtsverhandlung bestätigt wurde. Die öffentliche Meinung in Sowjetrußland glaubt, fuhr Ofsadtschi fort, daß, wenn die Ingenieure der Firma der obengenannten ersten Kategorie nach gerichtlicher Er. wägung aller Tatsachen und Umstände ihre Arbeit in der Sowjet­ union auch ohne Strafe für ihre erzwungenen Handlungen aus­üben fönnen, doch die Personen der zweiten Kategorie für die Zu funft aus der Linie der Lieferanten von Einfuhrwaren ausgeschloffen werden müssen.

Der innerpolitische Zweck.

Die Strafanträge im Schachty - Prozeß bestätigen den Eindruck, der man aus dem gesamten Prozeß wie aus der Art der Prozeß­führung gewinnen mußte. Schon der Aufbau der Anklage zeigte, daß man es hier mit einem Tendenzprozeß schlimmster Art zu tun hat, der weniger der Erforschung der Wahrheit und der Feststellung / eines wirklich begangenen Verbrechens als bestimmten inner politischen 3weden dienen soll.

rend der wochenf

Dieser Sachverhalt wurde während der wochenlangen Berhand­lungen, die den Charakter eines groß. aufgezogenen Theaterspiels trugen, noch mehr unterstrichen. Dieselbe Regie trat in die Erschei= nung, die vor 6 Jahren in dem bekannten Prozeß gegen die Führer der sozialrevolutionären Partei den Moskauer Gerichtssaal zum Mittelpunkt einer ungeheuerlichen demogogischen Aktion gemacht hatte. Auh jetzt war der Hauptzwed der mit dem Shachty- Brozeß verbundenen Aktion, die Aufmerksamkeit des Volkes von den Miß­ständen in der Wirtschaftsperwaltung abzulenten und Sündenböcke Während für die eigene Unfähigkeit und Korruption zu finden. Während man täglich in der Sowjetpresse Klagen über die ungeheuerliche Schlamperei in den staatlich geleiteten Betrieben finden kann, wird in dem Moskauer Prozeß die Leitmusik hierzu geliefert, nämlich ter Hinweis, daß all die ungeheuerlichen Fehler und Mängel der Betriebsführung auf die fomjetfeindliche Gesinnung" vieler Ingenieure, Techniker usw. zurückzuführen sei. Mit alle: Schärfe betonte der Oberstaatsanwalt Krylenko , daß für seine Anträge nicht die Straftat maßgebend sei, sondern die Ge­finnung der Täter. Damit tennzeichnete der höchste Bertreter der Anklagebehörde selbst den ganzen Prozeß als einen politi: schen Tendenzprozeß. Fügt man diesem Bilde noch die ganze Summe der behördlichen Einwirkungen auf die Angeklagten hinzu, die zu erpreßten Geständnissen und Widerrufen führten, so fann man über den ganzen Prozeß fein anderes Urteil fällen, als daß aus bestimmten politischen Erwägungen heraus eine une: hörte Bergewaltigung des Rehts vorgenommen wird. Wenn das Gericht die Anträge der Staatsanwaltschaft annimmt, wird es sich von der Anklage der wissentlichen Beugung des Rechts nicht reinwaschen fören.

Millionen erschwindelt.

London , 29. Juni.

Daily Expreß " berichtet über ein großes Schwindel. manöver, durch das eine Anzahl Banten schwer ge­schädigt wurden. Eine Bande internationaler Verbrecher hat mit Hilfe gefälschter kreditbriefe von Londoner und Brüffeler Banken Beträge in Gesamthöhe von 80 000 Pfund ( 1 600 000 m.) erhoben

Verwüstung auf Bahnhof Heerstraße.

Ein entgleister Arbeitszug. Personen wurden nicht verletzt.

Erbitterung gegen Nobile.

Einziger Erfolg das Papftkreuz am Nordpol.

3n Norwegen herrscht über Kobiles Polarflug, der so viele schwere Opfer gekostet hat und wahrscheinlich noch foften wird, stärkste Berbitterung. Es macht sich um das Schicksal des norwegischen Nationalhelden Amundsen verzweifelte Besorgnis bemerkbar. Bei Nobile stellt man als seinen einzigen Erfolg fest, daß er ein kreuz über dem Nordpol abgewor­fen habe.

Erste Sitzung des Kabinetts.

Marr nimmt Abschied.

Amtlich wird gemeldet:

Geffern nachmittag trat unter Borfitz des Reichskanzlers Dr. Marg das alte Reichstabinett zu seiner letzten Sigung zusammen. Reichs­kanzler Marg sprach den Mitgliedern des Reichskabinetts, insbe­fondere auch dem infolge Krankheit abwesenden Reichsminister Dr. Stresemann, für ihre Mitarbeit seinen wärmsten Dank aus, der vom Reichsminister Hergt, dem Stellvertreter des Reichskanz­lers, zugleich im Namen der übrigen Reichsminister herzlich erwidert

wurde.

Um Vormittag des 29. Juni übernahm Reichskanzler Müller­Franten die Dienstgeschäfte im Reichskanzlerpalais, wo ihn der Staatssekretär in der Reichsfanzlei Dr. Puender begrüßte und ihm die Beamten, Angestellten und Hausarbeiter der Reichskanzlei vorstellte. Um 11 Uhr vormittags fand sodann im Reichsfanzler­haufe die erste Sigung des neuen Reichskabinetts statt.

Nach der Bereidigung der neu hinzutretenden Mitglieder des Reichsfabinetts durch den Reichskanzler, trat das Kabinett in die erste Beratung der Regierungserklärung ein. Un den abwesenden Reichsminister Dr. Stresemann wurde feitens der Reichskanzlei mit Zustimmung des Reichskabinetts ein Begrüßungstelegramm gerichtet.

Amundsens Neffen, dem Fliegerleutnant Amundsen, ist es gelungen, binnen zwei Tagen 70 000 kronen für seine Hilfs­expedition zusammen zu bekommen.

Major Gran, der Leiter der neuen norwegischen Hilfsexpedition zur Aufsuchung Amundsens , hat einem Sonderkorrespondenten des Corriere della Sera " in Oslo u. a. erklärt, bei den geplanten

"

Nachforschungen lassen wir uns ganz von der Kenntnis des Charakters und der Gewohnheiten Amundsens leiten. Er wollte als erster Nobile erreichen, während Maddalena vor ihm in Vadso gestartet war, um ihm zuvorzukommen. Es blieb daher nur die eine Möglichkeit, direkt nach dem Standort Nobiles zu fliegen. Amundsen hat sich offenbar auf den großen Aktionsradius des Apparates verlassen. Der Flieger Dietrichson hatte die Absicht, fich mit einem Fallschirm zur Gruppe Nobiles fallen zu lassen. Er einen zähen Mut gezeigt. Wir werden dem vom Flugzeug Gilbauts hatte sicher den Mut dazu. Der alte Amundsen hat wiederholt eingeschlagenen Kurs folgen. Unser Schiff Besle Kari" ist ein

gutes Boot und auch meine Mannschaft gefällt mir. Ich hoffe, das französische Flugzeug wieder aufzufinden.

Nach einer Meldung der Citta di Milano" blieb nach der Rettung Nobiles zwei Tage lang jede radiotelegraphische Mit­teilung der Gruppe Biglieri Lundborg aus. Man schrieb dieses Schweigen atmosphärischen Störungen zu. Am Donnerstag­abend konnte endlich die Berbindung wieder hergestellt werden. Die Lage dieser Gruppe hat sich in der kurzen Zeit infolge des Eis­treibens um 14 Meilen verändert. Sie befindet sich jetzt nur noch 10 Meilen nördlich des Kap Leigh- Smith. Der starte Wind treibt die Gruppe immer mehr nach Osten. Die ungünstigen Witterungs­verhältnisse und der dichte Nebel gestatten teine Erkundungsflüge an der Küste des Nordostlandes. Die Braganza" ist immer noch am Nordkap von Eismaffen eingeschlossen, so daß Holm und Larsen die Nachforschungen nach Amundsen noch nicht aufnehmen konnten. Es herrscht starker Westwind. Bon der Gruppe Malmgreen fehit immer noch jede Spur.