Beilage Freitag, 27. Juli 1928.
gprÄbiniö SfinJauignäa-det lofldarü
Auf der Höhe von Dakar an der Westküste Afrikai erhielt unser Schiff den Anruf eines Norwegers, ob wir einen Kranken an Bord nehmen könnten, um ihn in dem nächsten Hafen abzuliefern. Was für eine Art Krankheit es fei, sandte unser Schiff radiotelegraphifch an den Norweger. Der Kapitän Hot die Pflicht, einen Arzt über- setzen zu lassen, um dort zu helfen, wenn es sich natürlich nicht um eine ansteckende oder andere Infektionskrankheit handelt. Einige Sekunden später erhielten wir die Antwort, es handle sich um einen Unfall. Darauf wurde der Kurs angegeben, di� beiden Schiffe kamen sich entgegen. Einige Stunden später lag der Norweger hundert Meter von uns. Nachdem wir die Flaggensignale gewechselt hatten, setzten wir unser Motorboot zu ihm. Eine halbe Stunde später hotten wir den verunglückten Heizer, dem der Oberschenkel von einem herniedcrsausende» Kohlenkran zermalmt worden war, an Bord: wir nahmen Kurs auf Dakar , der Norweger nach Kap- stadt. So ist es gelungen, im Dienste des Radios, einem. Mann sein Leben zu retten und ihn auf dem schnellsten Wege zur Heilung in das nächste Häsenkrankcnhous zu führen. Der Zufall spielt natür- lich hier eine der größten Rollen, denn es hätte ja auch sein können, daß wir ebenfalls Kurs nach einem weitliegenden Hofen gehabt hätten und keine anderen Schiffe in der Umgegend sich bewegten, um zur Hilfe einzutreffen. Ein Fehler liegt da in den Seefahrts- gesetzen, der unbedingt revidiert werden müßte, der nämlich, daß Frachtschiffe bis zu 44 Mann keinen Schiffsarzt mitführen brauchen, ja selbst wenn das Schiff auf Passagiere eingerichtet ist, wie unser Schisf, das 90 Inder von Loonda nach Freetown bringen sollte. Es sieht so aus, daß die Technik allen voran die menschlichen Gesetze überflügelt. Äo wir uns mit einem Aber oder Wenn herumplagen, genügen einige Hebeldrucke, und eine sinnreich kon- struicrt« Maschine speit die Botschaft durch den Aether. Wie gran- dios die Errungenschaft der drahtlosen Telegraphie ist, wie klein wir Menschen uns bei dem. Gedanken vorkommen, um so lustiger ist es, eine Nacht in der Zauberzelle zu verbringen. Das Schiff stampft und schiebt sich durch das dunkle Meer, Leuchtschiffe glitzern am Bug wie Millionen Irrlichter. Wie aus- gestorben liegt der Schiffskörper da, aus den Mannschaftslogien schnarcht es, eine Katze schleicht auf Mäusejagd— und immer wieder dos monotone Stampfen der Maschinen, selbst die Kommandobrücke scheint ausgestorben zu sein, bis ein kurzer Befehl des wachthabenden
Offiziers den Steuermatrosen das Ruder drehen läßt. Die Mosten mit ihren Lichtern ragen in den Himmel mit seinem südlichen Kreuz, nur zeitweise wird durch ein gedämpftes Tacken und Prasseln die nächtliche Stille entzaubert, und um des Kontrastes willen folge ich gern der Einladung unseres RadiSoffiziers. Es rasselt und blitzt in der Wunderkammer, zwischendurch liegen Instrumente in tiefem � Schlaf, sie sehen so bizarr aus, daß sie den Glauben erwecken, als dürften sie nur in ihrer mannigfaltigen Zusammenstellung hier nutz- los untergebracht sein. Nicht müde wird der junge Offizier mit dem Erklären, dabei droht sein Adamsapfel aus dem Kragen zu hüpfen, und auf meine bescheidene Frage, ob er sich denn hier auskenne, lächelt er stolz. „Und ob, wir haben doch jahrelang studiert," und er stülpt wieder den Hörer um den Kopf. Nach einer Weile Still« sagt er so nebenbei:„Ein Amerikaner rief uns an, wie bei uns das Wetter ist." Auf meine Frage, wie weit das Schiff fei, höre ich den Offizier antworten:„Noch weit." Wieder rasselt und knattert es wie in der Hexenküche, die Londoner Börse sendet ein Telegramm: An Mister Stadler, sein« Aktien find gefallen. Gleich darauf ein zweites, die Kurse sinken mehr, ob man verkaufen soll. Mister Stadler sitzt unterdessen nichts- ahnend in der Bar eines großen südamerikanischen Ozeanriesen und trinkt, seinen Whisky, und wenn er endlich feine Reise beendet, weiß er, ob er ein armer oder ein reicher Mann ist. Noch können wir uns einige Sekunden mit ihm freuen, er weiß noch nichts von seinen Berlusten. Genau so Herr Oldenburg, der sich auf der„Cecilia" befindet, mit dem Kurs' noch der Lüderitzbucht, daß er glücklich?? Vater eines Jungen ist, wie es das Telegramm uns verrät. Kauf- vertrüge, Versicherungen, Orders, Gratulationen, Geldsendungen und Steckbriese stürzen durch den Aether. Aus den entgegengesetzten Gegenden der Welt treffen sich die angenehmen und die unangenehmen Botschaften, und kaum hat der Mensch sie ausgesprochen, erhält sie der Empfänger, ob sich das Schiff auf hoher See oder bei Sturm oder im sicheren Hafen befindet, die Botschaft trifft ein, mit einer Gewißheit, die nur das göttliche System des Universums vermag. Die Anrede des Offiziers treibt mich zurück in die Wirklichkeit:„Möchten Sie Mufik hören? Ich darf ja nicht einstellen," und sl�on drückt er mir einen Höper um den Kopf. Ein Jaulen und Schreien vom höchsten Diskant bis zum feinen Piepsen, und plötzlich überstürzen sich einige Fetzen von Musik. Rom , das verfluchte--- ist wieder dazwischen--- Jetzt irgendein« Opernarie klingt an mein Ohr,„Madrid, " höre ich den Offizier sprechen,---„was sie dazwischen klingen hören, ist Gibraltar " --- abgerissen. Das Gejodle und Gepfeife nimmt kein Ende. Versuchen wir es mit der englischen Station--- Negergesänge im Globetheater. Uebertragung, Publikum applaudiert. Man kann sich vorstellen, wie die vier Negersänger gerade ein ernstes Lied vortragen, wie uns oft das Ultraphon eine Darbietung übermittelt. doch hörte man plötzlich ein jauchzendes Lachen des Publiku ns. „Was wird Komisches vorgefallen fein?" Wahrscheinlich hat einer der Neger seine Hose verloren. Stimmengewirr setzt ein, wir empfangen vom polnischen Sender unverständliche Fragmente eines Dramas oder Lustspiels. Wien holen wir heran, der unvermeidliche Walzer klingt, was haben Sie sonst gedacht?„Achtung! Berlin : Uebertragung des Dreimäderlhaus. Alfred Braun als Schubert, armer Schubert, hätte statt dir nicht die zweite Besetzung sterben können? �legerle v. MuKIkeld.
Der Europäer pflegt gewöhnlich mit den Begriffen„Pascha- regiment",„Haremsfrauen" höchst romantische Dorftellungen zu verbinden oder aber diese Begriffe als für ihn, für Europa , absolut nichtexistent beiseite zu schieben. Europa ist ja so fortschrittlich. Die Frage der menschlichen Gleichberechtigung der Frau ist für Europa längst gelöst: sie diskutieren hieße offene Türen einrennen. Sogar in den Orient ist diese These durch die junge Türkei bereits «ingedrungen. Wir Europäer sind in dieser Hinsicht jung, gesund und fortschrittlich. Gemach! Der europäische Stolz ist ein bißchen voreilig: der Orient beginnt nicht erst jenseits des Mittelmeeres. Eine kleine Europareise genügt, um Mittelalter und Orient erleben und den Reisenden schaudernd und erschüttert spüren zu lassen, daß die Geister der Bergangenheit und der kulturellen Finsternis auch in Europa noch sehr lebendig sind. Mit dem Pantoffel auf dem Kopf. Am Westpol Europas zum Beispiel, im Lande Portugal , das einst zu den seebeherrschenden Nationen der West gehörte und heut« von Militärdiktaturen und wirtschaftlicher Stagnation be- drängt wird, hat sich die Stellung der Frau seit den Zeiten Vasco da Gnmas kaum geändert. Zwar versuchen die Regierungen Portugals mit Fleiß, dos Gesicht ihres Landes dem der übrigen europäischen Nationen anzupassen, jedoch geschieht dies nur äußer- lich und oberflächlich, als unzulängliche Imitation mussolinischer Methoden. Es kommt dann zu Regierungsdekreten, wie dem be- xüchtigten Pantostelerlaß, der anordnete, daß in den Städten nie- mand ohne Fußbekleidung herumlaufen dürfe. Da mit dem Dekret nicht auch gleichzeitig der barfußlaufenden armen Bevölkerung Ecld zur Neubefchaffung und Ergänzung von Schuhrvert geliefert
wurde, hatte der Erlaß zur Folge, daß das Gesetz auf grotesk« Weife umgangen wurde: die barfußlaufenden Proletarierfrauen liefen fortan„mit FußbeNeidung herum", indem sie die Pantoffel auf dem Kopfe trugen— die Portugiesin benutzt ausschließlich den Kopf als Tragwerkzeug—, und die Ochsengespanntreiber, die über- dies den nackten Fuß zum Einstemmen aus den steiten und glatten Straßen benöttgen, teilten sich zu Zweien in ein Paar Pantoffel und trugen nur an einem Fuß das von der zivilisationsgierigen Regierung angeordnete Schuhzeug. Auf den ureigenen Gebieten der Frau jedoch sind nicht einmal solch oberflächliche Reformen bisher versucht worden. Die Frau steht in Portugal noch völlig und uneingeschränkt unter dem Druck mittelalterlicher und orientalischer Denkweise, die—«inst von den maurischen Eroberern und von den zahlreichen orientalischen Einwandererelementen eingebracht— heute noch in jeder Hinsicht und durch alle soziale Schichtungen hindurch lebendig und wirksam ist. Etwaige Bersuche, sie zu durchbrechen, wurden schon im Keime durch die in den iberischen Landstrichen sehr mächtige und in serualethischer Hinsicht bekanntlich sehr reaktionäre Kirche erstickt: auch der vorübergehend sehr heftige, heute wieder völlig abflauende Kampf der Regiening gegen die katholische Kirch«, hatte diesen Einiluß nicht geändert. Die Sklavin des Mannes. So ist die Situation der portugiesischen Frau heute eine für uns kaum begreifliche. Die Frau ist de facto die Gefangene, die Sklavin des Mannes, dessen Besitzerrolle von der öffentlichen Meinung nirgend«!« angetastet wird. Sie ist das ungeschützte Objekt uralter männlicher Tyranneninstinkte. Nach außen— das intimere Familienleben lernt der Fremde kaum kennen, da es
absolut unzugänglich und gegen die Außenwelt hermetisch ver, schlössen ist— wirkt sich dieser Zustand in einem fast völligen Fehlen des weiblichen Bürgerelementes im öffentlichen Leben aus. Die Frau wird unter Klausur gehalten: sie darf nicht allein auf die Straße, in öffentliche Lokale, Institute, nicht ohne Einwilligung des Mannes, des Vaters und nur in seiner oder von ihm ge- nehmigter Begleitung. Der Mann bestimmt ihre Lektüre, ihren—- sehr spärlichen und ausschließlich weiblichen— Umgang. Es ist ihr von der Sitte und von der Kirche streng verboten und durch die Lebensformen auch unmöglich gemocht, mit einem anderen als dem Ehemann allein zusammen zu sein: ebenso das Mädchen, das nicht einmal mit dem Verlobten sich allein treffen und sprechen darf. Zusammenkünfte zwischen Verlobten oder Verliebten ge- schehen derart, daß das Mädchen vom Balkon oder Fenster aus unter Beisein Verwandter mit dem auf der Straße stehenden Manne sich unterhält. Di« eheliche Gemeinschaft wird unter allen Umständen aufrechterhalten. El)escheidungen kommen unter katho, tischen Portugiesen überhaupt nicht, unter den wenigen nicht« katholischen, insofern sie der bürgerlichen Gesellschaftsklasse an« gehören, kaum vor. Soweit die Frau dem gut situierten Bürger« tum zugehört, geht es ihr materiell nicht schlecht: sie wird in ihrer Geschlechtseigenschast als wertvoll betrachtet und gut gehalten. Das junge Mädchen wird nur für die Ehe erzogen, felbstverftänd« lich im durchaus konservativen Sinne. Kuliarbeii der Frauen. Die Stellung der proletarischen Frau unterscheidet sich nur in materieller Hinsicht von derjenigen der bürgerlichen. Innerhalb der Familie ist sie den gleichen Bindungen unterworfen. Nur die wirtschaftlichen Verhältnisse in Portugal — neben einem sehe wohlhabenden Bürgertum ein« große, außerordentlich verelendete proletarische Masse— bewirken für die Proletarierin äußerlich eine Sonderstellung: sie muß, wie kaum sonst irgendwo in Europa ihre Geschlechtsgenossin, schwer arbeiten. Während der Mann teile als zu teure Arbeitskraft oder aber— als Südländer— in frei, williger Muße auf dem Pflaster liegt, wird die Frau zu den schwersten Männerarbciten herangezogen. Ich sah in den portu- giesischen Häsen Tausende von verhärmten, unterernährten Frauen, vielsach im schwangeren Zustand«, schwerste Lasttrögerarbeit ver»- richten. Es ist ein empörender, erschütternder Anblick, diese armen, zerlumpten, schlecht genährten Geschöpf« zentnerschwere Lasten aus dem Kopfe— Fässer, Eisenstangen, Kohlcnsäcke— unter Kontrolle von kräftigen Männern von den Lagerhäusern über schwankende, schmale Bretter auf die Lastschisfe schleppen zu sehen. Regierung wie Kirche sehen diesem Zustande völlig tatenlos zu. lind das Proletariat, von keiner starken Arbeiterbewegung erfaßt und ge-
Eigenartige Postzustellung.
Auf Neu-Seelaftd finden sich die oben abgebildeten Postkästen der in der Nähe wohnenden Farmer. Diese müssen sich von den Freiluft- Post- schließ- fächern die eingegangenen Bnefe abholen.
führt, ergibt sich fatalistisch seinem Geschick, ftoh und zufrieden, wenn es seinen Hunger mit Maisbrot und Fisch stillen, seine Leiden den Heiligenbildern klagen und abends singen und Raketen steigen lassen kann. Wenn zuweilen aus Portugal die Nachricht von Revolutionen zu uns dringt, dann sind wir Mitteleuropäer geneigt, darin Zeichen zu erblicken, daß es im portugiesischen Proleteariat gärt. Aber das ist eine Täuschung. Die„Revolutionen" Portugals haben mit dem Proletariat nichts zu tun. Die portugiesische Republik ist ein« Dreiviertelsdiktatur in den Händen ehrgeiziger Militörpolitiker, ständig umkämpft von Ehrgeizlingen, die dauernd bemüht sind, einen Teil der viel zu großen Armee auf ihre Seite zu bringen und damit die Macht an sich zu reißen. Soweit die Arbeiterschaft sich überhaupt politisch betätigt, neigt sie zu anarchistischen Ten- denzen. Eine klare, gesunde und starke Arbeiterbewegung wird in Portugal erst erstehen können, wenn die vorhandene Arbeiter- bewegung sich von diesen Tendenzen freimacht, und wenn der Ein» stuß der Kirche auf die Gemüter zurückgedrängt ist. Dann erst wird auch die Stellung der Frau sich von Grund auf ändern können und aus der Haremsdome und dem weiblichen Kuli ein freies, schönes und an Leib und Seele gesundes Menschengeschöpf werden. Heinz Eisgrubcr.