Beilage
Mittwoch, 1. August 1928.
olio
VNBEKANNTE SOLDAT
arim
1642
11.
Tolent
Der Abend
Spalausgabe des Vorward
UNBEKANNT
Es hob sich ein Sturm über blühende Erde, Zerknickte die Ernte auf reifendem Feld; Er warf den Hirten und traf die Herde Und lengte und brannte und schlug die Welt. Da schrien im zuckenden Lichte die Lüfte, Da barsten die Brücken in reißender Flut. Im Pesthauch aufgeriffener Grüfte Verdarb das Leben, erstarrte dos Blut. So Jahre und Jahre im wirbelnden Reigen Europa , in fladernder Städte Glanz, Tanzte beim Klang der höllischen Geigen Den eigenen, Schaurigen Totentanz.
Seht ihr sie noch ziehen, die feldgrauen Schlangen, Ununterbrochen im rhythmischen Tritt? Und flingt euch im Ohre, was sie fangen? Ihr schmücktet ja Flinten und fanget mit!
Ihr feiertet Schlachten in jubelnden Tönen
Was drang da von ferne durch schmetternden Sieg, Wie Fluch und Schrei und Aechzen und Stöhnen? Die Fratze grinste: Das war der Krieg! 60 Sie hingen zerfetzt in den Drahtverhauen, Es zuckte verröchelndes Fleisch im Kot Und wilder schlug mit bepanzerten Klauen Blind um sich der ruhmvolle Heldentod.
Von vierzehn bis achtzehn ein einzig Verderben, Für das Hohn grimmigsten Spott erfand: Sie wußten in großer Zeit zu sterben Mit Gott , für König und Waterland!
Habt ihr das vergessen? Was hetzen sie wieder Mit Reden und Singen und flatterndem Tuch? Ihr Opfer von morgen! Die Waffen nieder! Und nieder die Henker! Wir haben genug!
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FLORATH
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Niemals vergessen: Das war der Krieg!
Gedenktag des Kriegsausbruchs! Zum vierzehnten Male jährt fich der Tag, an dem sich die durch Lügen irregemachte Menschheit aufeinanderstürzte, zum vierzehnten Male jährt sich der Tag, de: Auftakt war einer endlosen Reihe furchtbarer Jahre, und immer noch gibt es Menschen, die nichts aus dieser Zeit gelernt haben oder die alles schon wieder vergessen haben, die nicht mehr wissen, wie es war, als die Not begann, im Felde und in der Heimat!
Troß der Graufigkeit des Geschehens ist viel zu schnell vergessen worden, wie der Krieg gemütet hat. Bei Denkmalsein
Kaiser Wilhelm- Tee und Dreibund Kaffee.
Da gibt es ganze Glasfästen voll mit Pulvern, Pulvern aller Farben, und jedes Pulver soll etwas Genießbares vortäuschen. D, sie haben alle schöne Namen, diese wertlosen Erfagmittel, fie heißen Deutsche Kraft" und Kaiser- Wilhelm- Tee" und ,, Deutsches Mark " und" Dreibund- Kaffee". Und wenn sie gelb gefärbt sind, heißen sie ,, Ei- Ersatz", von den roten behauptete man, daß sie besser feien als fräftigstes Rindfleisch, die weißen sollen Milch oder Käse oder sonst irgendetwas darstellen. Die meisten Packungen dieser Die meisten Padungen diefer Padung" trägt ein Eisernes Kreuz und verfündet stolz: nur echt mit diesem Warenzeichen. Jeder Packung ist irgendein Gutachten irgendeines Kriegsprofessors aufgedruckt. Jedem Pulver wird bescheinigt, daß es nahrhafter sei als jedes Naturprodukt.
weihungen, Kriegervereinsfesten und Regimentsfeiern sprechen heute Fabrikate sind schwarzweißrot umrändert, eine Maimondtee
immer noch ein paar alte Generale von der großen Zeit". vom ..Heldentod" oder vom Dolchstoß". Nur von den Leiden, die er duldet wurden, von Brotkarte und Papierhemd redet kein Festredner,
fein Gedenkstein.
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Niemals vergessen! Ständige Rubrik dieser Zeit ist Lebens mittel der Woche". Eine Woche aus dem November 1917 fei herausgegriffen: Brot 1600 Gramm, Butter 20 Gramm, Margarine 30 Gramm, Fleisch 250 Gramm, Kartoffeln 7 Pfund. Süßstoff. verteilung findet nicht statt, da feiner zur Verfügung steht! Und in einer anderen Woche stehen feine Kartoffeln zur Verfügung, und in der dritten feine Butter. Dann gibt es als besonderes Geschenk 125 Gramm Streichkäse( Auslandsware). Ab und zu, ungefähr alle sechs Wochen, verkünden dide Ueberschriften, werden große Plakate an die Litfaßsäulen geklebt:„ Es gibt wieder ein Ei!" Aber dafür gibt es wieder einmal feine Kartoffeln, die doppelte Menge Kohlrüben foll Ersatz sein.
Die Zeit der Erfahmittel.
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Niemals vergessen: Ersaß, Ersay! Eine Ausstellung von Ersatzmitteln wurde eröffnet. Fast war es, als gäbe es feine Naturprobufte mehr auf der Welt, alles Erfahz; da wurde eine undefinier bare Flüffigtelt gleichzeitig zum Strecken"- auch ein gebräuchliches Wort in der großen Zeit zum Strecken des Teiges für Badware und zum Beſtreichen von Blechen gegen Roſt empfohlen. Es gab Lebludyenpulver, Waschmittelerfaß, und eine geheimnisvolle Leipziger Sülze" wurde gleichzeitig als Brotaufstrich, Tunke und Bratmittel angeboten.
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Auf der Berliner Ernährungsausstellung am Raiserdamm treffen wir diese Nahrungsmittel" wieder. Geschichte der Er= nährung!" Das ist eine Abteilung der großen Ausstellung. Neben den Spezialgerichten aller Bölfer, neben den ausgesuchten Delikatessen aller Zeitalter, neben Extravaganzen übersättigter Gaumen steht über einem Sonderraum geschrieben: Hungersnet! Best und Kriege waren stets die Ursachen der Hungerfatastrophen. Auf einer großen Tafel wird bildlich dargestellt, wie oft im Verlaufe des Mittelalters die einzelnen Gebiete Deutschlands unter Nahrungsmangel gelitten haben. Auf Tischen ausgestellt sind die Brote der Not, mit denen man einst den Hunger zu stillen versuchte, getreu nach alten Rezepten gebaden: Brot aus Kartoffeln, Brot aus SägeSpänen, Brot aus Erde und Brot aus gemahlenem Stein.
Neben diefen Zeugen vergangener Nöte sind hier die Dokumente ausgestellt der gigantischsten Hungersnot, die je über Deutschland hereingebrochen ist: Dokumente aus den Hungerjahren des Weltfrieges! Geschichte der Ernährung" steht über der ganzen Abteilung. Zu schnell ist hier eine Epoche zur Geschichte geworden, unter deren Folgen noch heute ein Großteil unseres Boltes leidet. Raschlebige Zeit! 3u schnell müffen wir uns in Museen das ungenießbare Brot einer Hungersnot ansehen, die unsere Not war, zu schnell haben wir vergessen, und erft hier vor den Bitrinen wird Bur Erinnerung, was noch vor turzen Jahren gegenwärtig war.
Niemals vergessen: diese Kriegsprofefforen. Sie begründen die Güte aller behördlichen Einschränkungen wissenschaftlich. Es gibt feine Schuhe mehr, selbst auf Bezugschein nicht? Wie gesund ist Barfußgehen!" sagen die Orthopäden piöglich, der Fußmuskel wird gestärkt, der Schuh beschränkt das Wachstum der Füße, sind nicht die alten Germanen auch mit nackten Füßen gegangen?" Die Menschen, die während des Dreißigjährigen Strieges Brot aus Sägeipänen und Erde aßen, haben sich wenigstens nichts vorgemacht. Sie haben gewußt, daß sie ihren Magen mit unverdaulichem 3eug pollschlugen, nur um ihn zu beruhigen, uns aber haben unsere Professoren soviel eingeredet, bis wir wirklich an ihre Bulver
glaubten.
Niemals vergessen: Die Professoren, die die Vorzüge des Holzschuhes und die Gefundheit der Mäßigkeit lehrten, sie lebten ganz nach ihren Worten. So zum Beispiel der Direktor eines Berliner Königlichen Gymnasiums, der jeden Montag feinen nicht gerade abgemagerten Bauch auf die Aulafanzel steminte und nach einer längeren Siegesrede die verschüchterten Schüler fragte: hat jemand von euch schon mal gehungert, der stehe auf. Hat jemand von euch schon mal gehungert, der stehe auf." Natürlich stand niemals einer auf, wenn auch der Magen noch so fnurrte. Auf dem Schulhof aber liefen die fetten Hühner dieses Erziehers zum Heldentum herum und pickten fröhlich die letzten Brotfrumen der Schüler.
Was alles angeboten wurde.
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Niemals vergessen: Die Inserate der Kriegsver= diener! Sie boten Rübensauerkraut und gebrauchte defekte Handtücher an, sie offerierten Klippfische, jeder Biffen ein Hochgenuß und Kohlrübenmus mit Erdbeergeschmack. Sie verdienten an Papierfleidern und anzügen und an Schuhsolen aus Pappe. Sie versuchten sogar noch, getrocknete Spargel- und Erbsenschalen an den Mann zu bringen. Und schamlos teilte ein Hutfabrikant seinen Kunden mit, daß er Trauerhüte der guten Konjunktur wegen nur gegen fofortige Kaffe und 10 Proz. Aufschlag auf die Normalpreise verkaufen könne.
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Niemals vergessen: Auf jeder Seite der alten Zeitungen werden Maßnahmen ergriffen". Es wird nur noch organisiert, der Maßnahmen ergriffen". Es wird nur noch organisiert, der Oberbefehlshaber in den Marken erläßt Verfügung über Verfügung; er schränkt die Straßenbeleuchtung bis zur völligen Finsternis ein, er und nur für Kaisers Geburtstag wird setzt Gassperrstunden fest eine Berlängerung der Polizeistunde über 11 Uhr hinaus gewährt. Er erläßt Heizungsverbote und beiegt alles mit Beschlag. Er verfügt den Arbeitszwang für Kriegerfrauen und befiehlt, daß bei etwaigen Beigerungen die Unterstügung sofort entzogen wird. Seine besondere Fürsorge aber galt den sogenannten Hamsterern.
Niemals vergessen, wie von Gendarmen auf arme Frauen Jagd gemacht wurde, wenn sie irgendwo in der Umgebung einen Zentner Kartoffeln ergattert hatten. Lieber zerschlugen sie Eier und ließen Milch sauer werden, als daß sie den Frauen mehr als ihre Rationen gestatteten, und das ganze hieß dann Be
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wirtschaftung". Wer aber Beziehungen hatte und Geld, bekam alles,
was er wollte hintenherum. Lebensmittelfarten wurden gestohlen, gefälscht, zu 5 Mart das Stüd verkauft. Wer Geld hatte, brauchte nicht zu„ Rochvorführungen über Kohlrübenverwendung mit Softproben und Rezepten" gehen, sondern besorgte sich im Schleichhandel seine Butter, das Pfund zu 18 Mart. Was halfen da Prozesse, das Geld triumphierte über Lebensmittelverordnungen und Hungergefeßze.
Niemals vergessen: Die Leute, die am meisten schrien, und die auch heute wieder nach dem Stahlbad der Krieges schreien, die saßen auf ihren Bütern. Sie litten feine Not und mußten oft sogar non den Königlichen" Landräten öffentlich angeprangert werden. Da meldet zum Beispiel der Landrat des Kreises Grüneberg Ende 1917:
,, Ich mache hiermit bekannt, daß die Befizer. des Rittergutes Starpel/ Oder fortwährend reine Sahne getrunken gaben, bei weitem nicht die erforderliche Menge Milch und Butter ablieferten. Es wurde zum Kochen nur reine Butter in großen Mengen verwandt, und der Kuchen ist sogar noch mit Butter bestrichen worden."
Auf der anderen Seite wurde dann vom Gewerbegerich: ein
Barbierlehrling verurteilt, der es verschmäht hatte, Gänse. Pfoten, auch eine Kriegsdelikatesse, als Mittagsmahl zu essen.
Der Mensch vergißt schnell.
Nun gehen wir in das Ernährungsmuseum und staunen über die Dinge, die wir vor zehn Jahren aßen. Die Besucher tommen hinein und lächeln, fie lächeln über ihre eigene einstige Not, so fremd ist ihnen das alles hier geworden. Sie lächeln und vergessen, daß noch Hunderttausende deutscher Volksgenossen an den Folgen dieses großen Hungerns in den Siechenhäusern liegen, sie lächeln und vergessen die ganze Generation der, Kriegstinder, die mit Trockenmilch groß gezogen werden mußte, bis sie endlich durch das Hilfswerk der Quäter nach dem Kriege das erste nahrhafte Essen ihres Lebens bekamen. Der Mensch vergißt schnell, deshalb ist es wichtig, daß er hin und wieder an die Bergangenheit erinnert wird, vielleicht nur so nebenbei, wie es in der kleinen Abteilung auf der Ernährungsausstellung geschieht. Gerade dann, menu er von den anderen Ständen kommt, an denen er durch ledere Rostproben gejättigt wurde, wirkt der Anblid eines gräulichen Etwas, das sich als brotmarkenfreier Zwieback des Jahres 1917 entpuppt, um so stärker.
Niemals vergessen: Auf der ersten Seite der Kriegszeitungen hieß es oft: Bom westlichen Kriegsschauplah nichts Besonderes!" Nichts Besonderes, das waren nur ein paar hundert neue Nichts Besonderes, das waren Ariegergräber, nichts Besonderes, das waren nur ein paar hundert zerfette Menschenleiber. Nichts Befonderes, das war das ewige Hungern der Millionen; all dies nichts Besonderes nur Be gleiterscheinungen. Aber an den Hunger gewöhnt man sich nicht troß aller Berfügungen."
Die Leute aber, die uns in diesen Krieg in diese Hungersnot geführt haben, die wagen es auch heute noch, uns führen zu wollen. Sie find feinen Heldentod gestorben, sie sind nicht zu Krüppeln ge schossen worden, sie haben nie gehungert!
Immer daran denken, stets davon sprechen! Grekow,