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Mr. 140.

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8. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: Beuth- Straße 2.

Die oftafrikanische Eisenbahn.

Freitag, den 19. Juni 1891.

Expedition: Beuth- Straße 3.

eine Bahn besteht; die einzigen Interessenten sind die vention der Ostafrikanischen Gesellschaft verweigert. Wir Herren Plantagen besiger selbst. Ohnehin sind sonst für jede Ausbildung des Verkehrswesens, dieses Die Kolonialpolitik ist wie ein Moloch, der unauf- sind die Produkte, die uns aus dem Innern Ostafrifas zur gesellschaftlichen Umbildung so mächtig mitwirkenden hörlich mit offenem Rachen nach den Millionen schnappt, zugeführt werden können, nicht so wichtig, jedenfalls nicht Faktors; indessen ist das Verkehrswesen im Reiche selber die er verschlingen möchte. nothwendig und unentbehrlich für uns. Wir brauchen keineswegs so vollkommen, als daß nicht alle für dasselbe Bekanntlich sind mit knapper Noth die Geldmittel billiges ausländisches Getreide; die ostafrikanischen Pro- verwendbaren Mittel auch im Reiche selber verwendet für den Dampfer auf dem Victoria- Nyanza- See zusammen- dufte können wir vorläufig sehr wohl entbehren. Die werden sollten.

gefochten worden, welches Fahrzeug Herr v. Wiß mann vier Millionen wären sonach nur ein sehr un- Die zudringlichen und dreisten Machinationen der in einer seiner neuesten Publikationen als eine Stüge nöthiges Geschenk an die Herren Plantagenbesitzer, Ostafrikanischen Gesellschaft, die unter allen Umständen aller kulturellen Arbeit" bezeichnet. Wir warnten damals, und wir nehmen an, daß der Reichstag denn doch nicht einige Millionen Staatshilfe ergattern möchte, gehören zu als der Hut für den Dampfer umging, das Publikum, gutmüthig genug ist, diese vier Millionen zu bewilligen, jenem Bug, der zur Zeit durch die oberen Zehntausend" Beiträge zu leisten, da mit dem Dampfer lediglich das falls sie von ihm gefordert würden. geht und darauf gerichtet ist, diesen ohnehin schon so sehr

Interesse der an dem Kolonial- Unternehmen betheiligten Die Herren von der Ostafrikanischen Gesellschaft bevorrechteten Schichten auf Kosten der Gesammtheit noch Handelsherren, Spekulanten und Aktionäre gefördert wird, scheinen sich auch selbst wenig Hoffnung zu machen, daß mehr Privilegien zu verschaffen. Korn- und Viehzöllner, die ihre Dampfer selbst bezahlen sollen und auch Geld man ihnen die vier Millionen auf den Tisch legen wird. Bucker und Schnapsbarone und Kolonialspekulanten genug dazu haben. Sie find darum sehr schnell mit einem anderen Vorschlag schöpfen alle aus dem großen Topf, in den die direkten Kaum sind wir aber so weit, daß wir mit dem bereit. Obwohl die Bahn in ihrem und nur in ihrem und indirekten Steuern und Abgaben der Gesammtheit Victoria Nyanza - Dampfer verschont werden, so kommt Interesse gebaut werden soll, behaupten sie doch, sie der Staatsbürger fließen. schon ein anderes ähnliches Unternehmen auf's Tapet, könnten das Risiko nicht ohne entsprechendes Im Abgeordnetenhause jammern die Vertreter dieser das sich von dem famosen Dampfer nur dadurch unter- Entgelt auf sich nehmen. Und in der Forderung von Schichten, daß sie ihre Häuser mit Stroh decken müssen! scheidet, daß es kostspieliger ist und daß die großen einem solchen Entgelt" sind die Herren natürlich nicht Handelsherren dabei nach einigen Millionen sonderlich bescheiden. Sie verlangen, wenn sie die Bahn Staatshilfe angeln, nach derselben Staatshilfe, die selbst bauen sollen, Landkonzessionen zu beiden sie so sehr bekämpfen, wenn sie für volksthümliche Zwecke Seiten der Bahnlinie und darüber hinaus; mit anderen beansprucht wird.

Berlin , 18. Juni.

Worten: die Oſtafrikaniſche Geſellſchaft ergreift diese Ge- Politische Lebersicht. Die Organe der in den Kolonien spekulirenden legenheit, um für ein paar Millionen Haupteigen­Rapitalisten bezeichnen es als eine schreiende thümerin des Grund und Bodens zu werden, Nothwendigkeit", daß eine Eisenbahn von der für dessen Besetzung und Behauptung das Reich nun schon Staaten nimmt trotz der Maßregeln zur Zurückweisung Die Auswanderung nach den Vereinigten ostafrikanischen Küste nach dem Innern gebaut werde. so viele Millionen verausgabt hat. Dann hätten die deut- unbemittelter Einwanderer geradezu riesenhafte Dimen­Wir haben zwar diese" Nothwendigkeit" noch nicht schen Kriegsschiffe an den Küsten von Ostafrika und die fionen an. Im Monat April sind nicht weniger als schreien" hören; wenn sie aber wirklich existirt, so steht Schutztruppen keine andere Aufgabe mehr, als auf Kosten 85 001 Einwanderer gegen 64 212 im April des vorigen den Handelsherren, resp. der o st afrikanischen Gesämmtlicher Steuerzahler den Privatbesitz der Ostafrikanischen Jahres-in den Häfen der Vereinigten Staaten gelandet, fellschaft gar nichts im Wege, auf ihre Kosten die Gesellschaft zu bewachen. Viel anders ist es freilich im die große Zahl derer, die zurückgewiesen wurden, nicht mit­gewünschte Bahnlinie herstellen zu lassen. gegenwärtigen Zustande auch nicht. gerechnet. Jm Mai, für den eine amtliche Einwanderungs­

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Das ist es aber gerade, was die Herren nicht wollen; Bezüglich der Landkonzessionen beruft sich die statistik noch nicht vorliegt, dürfte die Zahl der Europa­sie möchten die Kosten vom Staate ganz oder theilweise Ostafrikanische Gesellschaft darauf, daß man bei dem Bau müden noch höher gewesen sein. Daß Deutschland zu dieser vorgeschossen haben. Daß man beim Publikum die er- der großen Bahnlinien nach dem Westen der Vereinigten sich von selbst, die genauen Ziffern sind aber noch nicht forderlichen Summen nicht zusammenfechten kann, darüber Staaten von Nordamerika in gleicher Weise ver- bekannt. Und jedenfalls wird die herrschende sind sie durch den Verlauf der Dampfer- Affaire belehrt fahren sei. Das rechtfertigt nicht, daß man noch ein- Theuerung den Strom der Auswanderer noch mächtig worden; darum soll der Staat oder das Reich herhalten, mal so verfährt, ganz abgesehen davon, daß die Union anschwellen machen. Natürlich hat die Europamüdigkeit d. h. die Eisenbahn soll auf Kosten der deutschen an dem Zustandekommen der Pacific- Bahn denn nur diejenigen Kreise ergriffen, die den Nothstand merken; Steuerzahler gebaut werden. doch ein ganz anderes Interesse hatte, als Deutschland die Herren Großgrundbesitzer, die keine Noth leiden, fühlen Die Bahn, deren Kosten auf etwa vier Millionen an dem Zustandekommen der oftafrikanischen Bahn. sich einstweilen im Land der Kornzölle und Brotvertheuerung Mark veranschlagt werden, soll die Zufuhr der Produkte Der Kolonialrath hat sich, wie es heißt, dahin aus- noch sehr wohl. Ob aber die deutschen Regierungen, aus dem Innern nach der Küste erleichtern und soll dem gesprochen, das Reich solle die Eisenbahn selbst bauen oder die doch das gesammte Volt vertreten sollen und nicht Plantagenbau und den Handelswegen eine bestimmte das Zustandekommen einer ostafrikanischen Eisenbahn- Ge- blos eine einzelne Klasse, angesichts dieser Massenflucht Direktive geben. Das kann mit einer solchen Bahn ohne sellschaft durch mehrjährige Binsgarantien Bezug auf die Lage des Volks verharren werden? Freilich, vor der Hungerprobe" bei ihrem Optimismus in Zweifel erreicht werden. Aber außer den Handelsherren fördern. Wir wollen hoffen, daß zum Besten des deutschen es giebt Wahrheiten, denen die meisten Menschen sich so und Kapitalisten der oftafrikanischen Gesellschaft hat bei Volkes der Reichstag alle diese Pläne durchkreuzen wird, lange verschließen, bis sie dieselben am eigenen Leibe em­uns gar Niemand ein Interesse daran, daß solch indem er die Mittel für jede offene oder versteckte Sub- pfinden.

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

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Die Falkner von St. Vigil. Roman aus der Zeit der bayerischen Herrschaft in Tyrol von Robert Sa, weichel.

wie bei dem Begräbnisse des Pfarrers Moltenbecher, Pfarrer trauen ließ. Wenn ein so angesehener und unab­und Angelo Lacedelli hatte die Trauung vollzogen. Der hängiger Mann wie er der Fremdherrschaft in Glaubens­Klosterbauer hatte gewollt, daß die Ehe in Enneberg sachen sich fügte, wo sollte der Arme und Schwache den von dem Dechanten eingesegnet würde und zwischen den Muth zum Widerstande hernehmen? Brautleuten war es darüber zu einem ersten harten Streit Das war auch die Meinung des Löffel- Franz, der, in gekommen; denn Lisei stellte sich auf die Seite des Vaters und der Hoffnung ein Geschäft zu machen, mit seinem Kram auf auch Vefa bot ihre ganze Beredtsamkeit gegen eine Trauung der Bank der Kirchhofsmauer sich niedergelassen hatte. Das durch den Judas Ischariot auf, wie sie Lacedelli zu nennen Gamsmanndl stimmte ihm bei, und als der Hochzeitszug fortfuhr. Jerg jedoch bestand in Scherz und Erust, mit aus der Kirche kam und inter fortwährendem Schießen heim­Spott und Gründen auf den neuen Pfarrer. Es würde begleitet wurde und von dem Klosterhof her der Böller Er hatte nicht nur ihre Bemühungen, die beiden doch geradezu Verrücktheit sein, stellte er vor, der Regierung knallte, da ärgerte es sich über die Pulververschwendung. reichsten Familien zu verbinden, gekrönt, sondern ihr auch offen Trotz zu bieten, indem man Lacedelli überging und Als ob es keine Bayern und Franzosen im Lande gäbe! gestattet, ihr auf der Pfarre ausgereiftes Kochkünstler- sich an den römisch gesinnten Dechanten wendete. An andern Der Löffel- Franz aber sagte, indem er ausspuckte, er traue genie allseitig im höchsten Glanze zu entfalten. Schon Orten, wo die Leute sich gegen die von ihr eingesetzten Geist- dem Jerg nicht über den Weg. acht Tage zuvor hatte sie sich des Küchendepartements lichen sträubten, hätte sie eine Kompagnie Soldaten ins Das Mißtrauen, welches die ehrlichen Leute in ihn auf dem Klosterhofe bemächtigt, und nun ruhte sie noch in Quartier gelegt, die auf Kosten der Gemeinde schwelgten setzten und die schlimmen Prophezeiungen, zu welchen die Lisei's bisheriger Schlafkammer auf den Lorbeeren, die sie und praßten und jeden Uebermuth begingen, bis die Bauern Trauung durch Lacedelli Veranlassung gab, würden bei von den zahlreichen Gästen geerntet hatte. Auf keinen unter sich fügten. Auf St. Vigil hätte der Kreishauptmann von Jerg nicht das Gewicht eines Strohhalms gehabt haben, ihnen hatte ihr hausfrauliches Auge aber fürsorglicher ge- Hofstetten noch einen alten Span und der Klosterbauer sei wenn er auch darum gewußt hätte. Er hatte fein Ziel er ruht, als auf dem alten Arigaya, und wenn der Müller, der Vater nicht nur des Ambros, sondern auch des Kuraten reicht, und als es der Zufall wollte, daß der Völler auf der freilich ein starker Esser war, heute nicht krank lag, so Hannes, der durch seine heimlichen Predigten die Leute in dem Klosterhofe bei dem dritten Schusse zersprang, glück­war es nicht ihre Schuld. ihrem Widerstande gegen den Pfarrer von St. Vigil unter- licherweise ohne Schaden anzurichten, da nahm er es im

Er war allein dagewesen, denn Afra hatte sich ent- stützte. Wie lange es der Klosterbauer wohl aushalten innern Widerspruche zu den Gästen als ein gutes Vorzeichen. schieden geweigert, der Hochzeit ihres bitter gehaßten Stief- würde, wenn man ihm eine halbe Kompagnie Soldaten auf Das Regiment der Falkner war auf dem Klosterhofe zu Sohnes beizuwohnen. Um Lisei's willen war er hin den Hof legte? Ende und das seinige begann. gegangen und achtete deshalb auch nicht auf das kühle Ver- Aber welche Wirkung konnte der Ehesegen eines ab- Mit diesem Gefühle schaute er am Morgen nach seiner halten des Klosterbauers, der es ihm noch immer nachtrug, trünnigen Priesters haben? Das war es, was sich die Hochzeit von der Galerie des Klosterhofes auf das Thal. daß er sich geweigert hatte, für Jerg zu werben. Echwerlich Buschauer bei der Traming fragten. Ein solcher Segen galt Die Bergwälder funkelten im Sonnenschein und die Dolo­aber hatte schon in St. Vigil eine Trauung stattgefunden, nichts vor Gott , und Lisei selbst dachte eben so und es miten warfen blaue Schatten. Jetzt hieß er der Kloster­bei der unter den unbetheiligten Zuschauern das Gefühl durchriefelte sie eisig, als sie den blonden Kopf unter die Ferg und wie lange noch, so war er der Klosterbauer. Er drohenden Unheils so allgemein gewesen war. Hand Lacedelli's beugte. Andere wieder verargten es dem hätte viel, sehr viel darum gegeben, wenn Ambros ihn ir Die Kirche von St. Vigil war fast eben so voll gewesen, selosterbauer, daß er seine Tochter durch den abtrünnigen diesem Augenblicke hier oben hätte können stehen sehen