Einzelbild herunterladen
 

Nr. 83 46. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Dienstag. 19. Februar 1929

Die Gasexplosion am Wedding.

teommer

Die Ursache noch immer ungeklärt.

Die Ruine des explodierten Gasbehälters.

den benachbarten Bohnhäusern an gerichtet wurden, find im Laufe des gestrigen Tages zum großen Teil schon behoben worden.

Der Gasbehälter wird nicht wieder aufgebaut. Im Laufe des gestrigen Montags fanden bei den Städtischen Gas werten mehrere Besprechungen her. vorragender Sachverständiger mit den Ingenieuren der Werke über die wahrscheinlichen Gründe, die zu der Explosion des Hilfsgasometers führ. ten, statt. Dabei wurde die Frage er­örtert, ob man das Bauwert neu errichten solle oder nicht

Die Unglücksstätte in der Sellerstraße war gestern nach| Angesichts der ziemlich erheblichen Kosten, vor allen Dingen mittag, genau wie am Sonntag, das Ziel vieler Tausende von Schaulustigen. Ein fast endloser Menschenzug defilierte an dem Ort der Zerstörung vorbei. Die Straße ist inzwischen in vollem Um­fange für den Verkehr von der Polizei wieder freigegeben worden. Lediglich einige Schupobeamte sind noch vor dem Gaswert ständig postiert und achten darauf, daß kein Unbefugter das Ge­

bäude betritt. Die starke, etwa zwei Meter hohe Mauer, die früher

aber auch aus dem Grunde, weil man derartige Anlagen nach Möglichkeit nicht mehr in start bevölkerten Gegenden errichten mill, tamen die Ingenieure zu der Ansicht, daß der Hilfsgasometer durch andere Maßnahmen ersetzt werden soll. Man will durch Ein Schaltung von Pumpen den Gasdrud verstärken, so daß für die Innenstadt teineswegs eine Berringerung der Gasbelieferung statt­finden wird. Der Schaden, der den Gaswerken durch die Explosion

jede Sicht auf das Hintergelände nahm, ist gleichfalls auf eine Länge von etwa 80 Metern zertrümmert, nur einige Steinstümpferungen, die von den geschädigten Privatleuten. gestellt stehen noch.

Gestern mittag hat auch die Feuerwehr ihre Arbeiten an der Unfallstelle eingestellt. Rings um den Explosionsherd sieht es noch immer recht wüst aus. Bon dem stehengebliebenen Fundament des Gebäudes hängen lange Eiszapfen herunter, die sich bei den Lösch­arbeiten gebildet haben. Nur schwer fann man sich durch das Geröll und die Steintrümmer einen Beg bahnen. Dazwischen liegen zer. rissene Eisenträger, die zum Teil durch den Luftdruck fpiralförmig zerbogen find. Bon der Staatsanwaltschaft find die weiteren Aufräumungsarbeiten freigegeben worden, da fest­zustehen scheint, daß von teiner Seite ein Verschulden vorliegt, das zu der Explosion mit ihrer verheerenden Wirkung geführt hat. Wie weiter ermittelt wurde, ist der Gasbehälter selbst nicht explodiert. Vielmehr haben sich zwischen dem Gastant und der Ummauerung Base angesammelt, die sich aus noch un­geflärter Ursache entzündeten und das ganze Gebäude aus einanderriffen. Genaues hat sich aber nicht feststellen laffen. Bielleicht gibt die Untersuchung im Berlaufe der Aufräumungs­arbeiten nähere Aufschlüsse über die tatsächliche Ursache. Daß bei­spielsweise in der Konstruktion des Gastants ein Fehler vorgelegen habe, scheint so gut wie ausgeschloffen. Die Anlage wurde im Jahre 1884 errichtet und hat niemals Anlaß zu irgendwelchen Mängeln oder Beanstandungen gegeben. Die Möglichkeit ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, daß die eiserne Hülle durch den außer­gewöhnlich starken Frost in Mitleidenschaft gezogen und riffig ge­worden ist; hierauf wird bei der näheren Untersuchung besonderes Augenmerk gerichtet werden. Die kleineren Schäden, die an

27]

Der Aufruhr der Schiefen Calm

Roman einer Revolution. Von Gerhart Herrmann Mostar

zum

Jawohl, Hoheit, nur deswegen," stotterte der Kammer. herr. Er war fahl, seine Baden hingen zitternd erstenmal hatte er des Herzogs Wahnidee ausgenügt, statt fie, wie immer bisher, vorsichtig zu bekämpfen.

"

,, Er hat ja recht," überprüfte der Herzog Rügelgens Gründe. Er wird immer unruhig, der Käfer, in dem Lärm hier, und immer in der schlechten Stubenluft. Wenn ich einmal draußen bin, ist er immer ganz ruhig. Dann habe ich ihn eigentlich ganz gern. Das tribbelt nur so ganz leise, wenn er die Gehirnwindungen entlangläuft. Das ist gan

angenehm."

Er sah der Reihe nach die drei an, die schwiegen. ,, Dort in Quedlinburg sind Bäume und Wiesen mit anderen Käfern. Das ist natürlich besser für ihn. Da wird er vielleicht herausgehen und wegfliegen, meint Rügelgen." Er überlegte eine Weile. Das heißt, wenn er überhaupt fliegen fann... Eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich das wünschen soll. Er macht mir ja Schmerzen, gewiß aber das ist nur wegen Euch, wegen der Wirrheit und Aufge­regtheit, die immer um Ench herum ist. Sonst habe ich mich schon an ihn gewöhnt. Ich habe richtig ein bißchen Angst vor der Zeit, wo er meg sein wird.'

-

Das wird doch Eurer Hoheit so viel Erleichterung bringen! warf Rügelgen ein, mit Tränen fämpfend.

" 1

Alexander Carl beachtete den Einwand nicht. Er drehte die Augen nach oben, als fönne er über die Brauen hinweg feine Stirn sehen. Wenn ich so nach oben schaue, ganz Das heißt nur nach oben, fann ich ihn manchmal sehen. feinen Kopf. Er hat zwei ganz lange filberne Fühler. Seine Flügeldecken müssen golden sein, glaube ich. Es ist ein hübsches Tierchen... Ja. Was haben Sie da für ein Papier, Trosegt?" ,, Eine Bollmacht, Hoheit. Sie wäre noch zu unter­schreiben." Schon wieder!" Er griff zur Stirn: Sehn Sie, er

da

am Sonntag erwachsen ist, wird auf etwa 200000 bis 250000 Mart geschätzt. Hierzu tommen allerdings noch die Forde. werden. Die Gaswerte haben sich deswegen bereits mit der Feuer­fozietät in Verbindung gesezt, um zunächst für den Ersatz der befetten Fensterscheiben Sorge zu tragen. Ferner find den Familien, die bis

Wohnzimmer der Familie Mager, dem Explosions­herd am nächsten gelegen.

beginnt schon wieder herumzurennen da- sehen Sie? jezt dort..." ,, Es handelt sich-"

" Ich will gar nicht wissen, um was es sich handelt. Es ist bestimmt die einzige? Ja? Geben Sie her!" Er unterschrieb, stand auf, lächelte: Gleich wird er wieder ruhig. Manchmal sieht er hier zum Dhr hinaus, mit fugligen, bläulich schimmernden Käferaugen. Aber wenn ich dann rasch zufaffe, fehen Sie, fo!- dann ist er gleich wieder weg... Ich merke nur noch ein Rigeln an den Fingerspigen von seinen Fühlern, oder zuweilen etwas Rühles, das ist sein Kopf, wiffen Sie...

Rügelgen würgte es bitter in der Kehle: Alfo kommen Sie, Hoheit, der Wagen wartet!"

,, Gleich. gleich, Kügelgen. Du tommst nach, Friederite? But, gut. Dann fahre ich nur mit Rügelgen? Sie find doch der einzige, der das versteht mit dem Käfer, lieber Rügel gen. Die anderen stehen herum und schweigen, und wenn ich mich umbrehe, grinsen fie! Die Menschen find dumm, Rügelgen. Viel dümmer, als sie immer glauben. Sie habens zu sehr mit der Wirklichkeit, die Menschen." Er ging zur Tür und jah Trosegt und Friederite, die nebeneinander standen, mit dem dunklen, tiefen Blick an, mit dem er sie oft betrachtete, wenn er sie zusammen fah. Etwas litt in diesem Blid, und etwas lächelte.

zum geftrigen Montag in den falten Räumen ohne Glasscheiben figen mußten, mehrere 3entner Kohle und Kots, gewisser­maßen als vorläufiger Ausgleich, überwiesen worden.

Da ferner mit der Gefahr zu rechnen ist, daß sich unter den Schuttmaffen und in dem Wasserbehälter noch größere Gas­mengen befinden, ist von der Direktion angeordnet worden, daß die mit den Aufräumungsarbeiten betrauten Techniker mit größter Borsicht vorgehen sollen. Die Anwendung von Sauerstoffschneide­brennern ist vorläufig gänzlich untersagt, um nachträgliche Er­plosionen zu verhindern. Aus diesem Grunde darf auch das in der Taffe" eingefrorene Wasser nicht durch offene Feueranlagen, Kofs= förbe usw. aufgetaut werden. Vielmehr soll die Eisdecke, die sich dort gebildet hat, lediglich durch Aufschüttung von Kalt und Salzen beseitigt werden.

Und die Entschädigung?

Bezüglich der Entschädigung fürchten die betroffenen Geschäfts­leute und Mieter, daß ihre Erledigung sehr lange auf sich warten lassen wird. Schon jetzt erklären die Gaswerke, daß die Ber= liner Feuersozietät, die die Haftung für die Gaswerke über­nommen hat, erst die Gutachten der Sachverständigenkommission ab= warten will, ehe sie sich zu Entschädigungen entschließt. Nach den Erfahrungen des Hauseinsturzes in der Landsberger Allee können in diesem Falle wieder Jahre vergehen, ehe eine Entscheidung zugunsten oder zuungunsten der Geschädigten erfolgen wird.

Die Rundfunkhelden vor Gericht.

Prozeß vor dem Amtsgericht Neukölln.

"

Heute vormittag findet vor dem Amtsgericht Neukölln der Prozeß gegen die brei Kommunisten Scherlinsty, Beute und Dr. Frant statt, die im Oktober den Vorwärts"-Redakteur Wolfgang Schwarz in ein Auto gelodt und mit Revolvern bedroht hatten, damit an seiner Stelle der kommunistische Landtags­abgeordnete Schulz eine Rede für das Volksbegehren gegen den Panzertreuzer halten konnte. Beute und Scherlinsky befinden sich auf freiem Fuß, Dr. Frant ist, weil er Ausländer ist und in Berlin unter falschem Namen angemeldet war, in Haft gehalten. Die A11= flage ist wegen Freiheitsberaubung und Nötigung durch Bedrohung mit Erfchießen erhoben worden.

Dachstuhlbrand in Charlottenburg .

Um ein Haar im Fahrstuhl erstickt.

Durch unvorsichtigteit bei Auftauarbeiten entstand gestern nachmittag in einem Bodenverschlag des Hauses Rastanienallee 25 in Charlottenburg Feuer. Sofort vor­genommene Löschversuche waren ohne Erfolg und als die arlamierte Feuerwehr mit drei Zügen eintraf, brinnte bereits der Dachstuhl in einer Länge von 15 Metern lichterloh.

Durch Kurzschluß in der Hausleitung brach gestern abend in dem Keller einer Apotheke Unter den Linden 53 Feuer aus. Gleichzeitig blieb der Personen aufzug, in dem sich eine Frau und ein junger Mann befanden, zwischen dem 2. und 3. Stockwerk fteden. Die Rauchgase drangen in den Fahrstuhlschacht und brachten die beiden Menschen in Erstidungsgefahr. Die Tür zum Schacht mußte eingeschlagen und der Fahrstuhl hochgewunden. werden. Die beiden Bersonen waren durch die Einwirtung der Rauchgase schon start benommen. Sie wurden mit Sauer­st off behandelt und konnten sich bald wieder erholen.

-

Trosegt sah nicht hinunter. Er blickte auf die Frau an seiner Seite. Erschreckt fühlte er, wie der Schauer seiner Sinnlichkeit ihm die Augen trübte. Seit jener Stunde am Bläs hatte diese Frau ihn begehrt, Tag um Tag. Er hatte stand gehalten, auch damals, als sie ihn zum Minister gemacht hatte. Für ihn war Liebe noch enger mit Ehrgeiz gepaart als für fie. Aber heute war der Rausch des nahen Erfolges pridelnd in ihm, trieb die monatelange Spannung der Nerven zur finnlichen Lösung; der Leib wollte den Sieg des Verstandes feiern...

Der Wagen unten fuhr durch das Tor. Er tut mir leid," sagte Friederike leer.

Trosegt wollte mit gleichmütigem Achselzuden seine Er regung niederzwingen. Gerade heute mußte er fühl, überlegt fein, gerade heute! In anderthalb Stunden stand er vor dem Landtag... Er wandte den Blid von ihr. Es geschiett im Interesse des Landes."

"

In ihrem vernachlässigten Leibe stieg wieder das Be­gehren heiß und rauschend auf. Im Interesse des Landes, natürlich. Ünd-?" Sie sah ihn an, suchte seinen Blick.

In anderthalb Stunden," sagte er sachlich, fällt die Entscheidung. Die Vollmacht, die er eben unterschrieben hat, gibt mir jedes Recht. Auch das, gemeinsam mit dem Landtag die Entscheidung über die Regierungsform zu treffen.

Er trat noch einmal ins Zimmer zurüd, vor Trosegt, der die Bollmacht sorgfältig in der Luft schwebend hielt, da­mit die Unterschrift nicht verwische. Nicht wahr, Trofegtans Sie werden den Leuten sagen, daß ich nur um ihrer selbst willen gegangen bin, und und um seinetwillen?" Er zeigte wieder auf seine Stirn.

,, Gewiß, Hoheit, gewiß."

,, und daß ich gleich wiederkomme? Sobald er heraus ist? Und Sie werden die Leute in Ruhe lassen?" ,, Selbstverständlich, Hoheit. Ich werde das möglichste tun. Es wird bestimmt nicht lange dauern."

Kügelgen biß der Efel im Halse: der Efel vor Trofegt, vor Friederike, vor sich selbst. Er nahm des Herzogs Hand. ,, Kommen Sie, fommen Sie, Hoheit!"

Alexander Carl winfte, wieder mit dem langen, dunklen Blick, wandte sich und ging.

Trosegt und Friederike traten ans Fenster. Die Herzo gin blickte auf den Hof, verfolgte mit rätselhaftem Lächeln das Heraustreten des Herzogs aus dem Tor, das Einsteigen in den leise schwankenden Wagen Rügelgen vermochte nicht zu helfen, er sah aus wie ein Greis, sein Rinn zitterte.

-

Komm," sagte sie leise, ihre Stimme vibrierte, sie zog ihn mit sich. Man sieht uns hier vom Hofe aus." Sie traten Fenster im Erferzimmer, das auf Fluß und Land blickte. ,, Es fann also auch," fuhr er gezwungen ruhig fort ,,, die Entscheidung über eine etwaige Regentschaft getroffen wer­den: für die Zeit seiner Abwesenheit; das heißt für die Zeit feiner Krankheit; das heißt-"

Für immer," ergänzte sie. Ihre meiße Hand legte sich auf seine Schulter. Der Ritter vom Pfuhl ist Kanzler."

Draußen trieb die Saale noch Eis, die Erde trug Schnee, aber aus den Bäumen blidten mit feuchtglänzenden Augen die Knospen. Trojegt wehrte fich gegen ihre heiße Hand, die sein Blut auffluten ließ in die Stirn: die mußte fühl bleiben mußte...

In diesem Augenblid," sagte er haftig, wird in der Stadt ausgestreut, daß der Herzog flieht und sich unter den militärischen Schutz Preußens begibt. Wenn in anderthalb Stunden der Landtag zusammentritt, wissen die Abgeord­neten, daß dem Minister von Trosegt die absolute Vollmacht für alle Regierungshandlungen übertragen ist." ( Fortsetzung folgt.)