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BERLIN Sonnabend

13. April 1929

Der Abend

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B 86 46. Jahrgang.

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38 Milliarden Gesamtschuld.

Der alliierte Vorschlag wird heute überreicht.

Paris , 13. April. ( Eigenbericht.)

Das Alliierten Memorandum, das heute in der Vollsitzung der Sachverständigenkonferenz übergeben werden soll, setzt die deutsche Reparationsschuld in ihrer Gesamtheit nach übereinstimmender Information der Pariser Presse auf

37 bis 38 Milliarden

fest. Davon entfallen auf die Deckung der interalliierten Schulden 20 Milliarden und 12 bis 13 Milliarden auf die Zusakforderung für Wiederaufbaukosten usw. Frankreichs Anteil für die Wiederaufbaukosten soll sich auf 7 Milliarden belaufen.

Die Anfangsannuität soll, wiederum nach überein. stimmender. Darstellung der Pariser Presse, sich fünftig auf 1,8 milliarden belaufen. Sie soll nach zehn Jahren auf 2,4 Milliarden steigen und nach 37 Jahren wieder auf 1,7 Milliarden fallen.

Sämtliche Pariser Blätter glauben voraussagen zu können, daß Reichsbankpräsident Dr. Schacht in der heutigen Vollsikung das Alliierten- Memorandum

lediglich entgegennehmen

werde, ohne sich dazu zu äußern. Er werde einige Tage Bedenkzeit verlangen, um es zu prüfen. Vielleicht wird er auch, bevor er seine Antwort dazu erteilt, noch einmal nach Berlin reisen, um mit den zuständigen deut­ schen Stellen zu verhandeln.

Owen Young findet die Forderung zu hoch? New Yort, 13. April. Jn amerikanischen pressemeldungen wird unter­ftrichen, daß die amerikanischen Sachverständigen den von Paris genannten Ziffern durchaus nicht zustimmten. Der New York Herald " meldet, die Pariser Ziffern hätten in feiner Weise die Zustimmung Owen Youngs ge­funden und stimmter durchaus nicht mit der amerikanischen An­schauung überein. Das deute an, daß die Höhe der Forderungen start über den Punkt hinausgehe, wo sie die Amerikaner, ebenjo auch die Japaner, fehen möchten. Owen Young werde daher möglicherweise gezwungen fein, niedrigere Ziffern in die Debatte zu werfen. Man müsse mit weiteren mühseligen Berhand­lungen rechnen, wenn man bedente, daß acht Tage notwendig gewesen seien, um die Alliierten zur Herabsetzung ihrer Forderungen um 300 millionen Mark zu veranlassen. Obwohl die New York Times " in einem Leitartikel flarzumachen versucht, welche Vor­teile eine Unterzeichnung der Vorschläge für Deutschland mit sich bringen würde, ist es doch auffällig, daß fich auch die New York Times " mit äußerster Mäßigung ausspricht.

Die Minister ernannt.

Amtlich wird mitgeteilt:

Der Reichspräsident hat am heutigen Sonnabend auf Borschlag des Reichskanzlers den Reichsminister Koch- Weser auf seinen Antrag aus dem Amt des Reichsministers der Justiz entlassen und den Reichsminister a. D. Guérard, M. d. R., zum Reichsminister der Justiz ernannt. Ferner hat der Reichspräsident auf Vorschlag des Reichskanzlers den preußischen Ministerpräsidenten a. D. Dr. Stegerwald zum Reichsverkehrsminister und den Reichskanzler a. D. Dr. Wirth zum Reichsminister für die besetzten Gebiete

ernannt.

Heute tritt Bartel zurück. Generalsregierung wird ernannt. Warschau , 13. April. Halbamtlichen Nachrichten zufolge wird Ministerpräsident Dr. Bartel am Sonnabend offiziell zurüdtreten. Gleich­zeitig wird der bisherige Unterrichtsminister Dr. Switalfti mit der Bildung der neuen Regierung betraut werden. Wie bekannt, ist Dr. Switaliti seit jeher der Vertrauensmann der sogenannten Oberstengruppe.

Landesverrat" mit Schießtabellen.

Der Prozeß Goldmann- Diet.

Das Schöffengericht Berlin- Mitte begann heute vormittag mit der Verhandlung gegen den Ballistiker Dr. Goldmann und den Studienassessor und Industriellen Dieß, die beide angeklagt sind, den Versuch unternommen zu haben, militärische Ge heimnisse an eine auswärtige Macht weiterzugeben". Das Er­weiterte Schöffengericht tagt unter Vorsitz von Direktor Steinroß, die Anflage vertritt Staatsanwaltschaftsrat Kirchner. Als Sach­verständige sind geladen von Eberhard von den Krupp- Werken und Oberst Beder vom Reichswehrministerium. Dr. Goldmann wird von Rechsanwalt Dr. Rosenfeld und Dieß von Justizrat Werthauer und Rechtsanwalt Hertel- Bremen verteidigt.

Beide Angeklagte äußern sich zunächst über ihr Borfeben. Dr. Goldmann war Mathematitlehrer und während seiner Militärzeit abkommandiert, die theoretischen Grundlagen für die Schießversuche der deutschen Artillerie zusammenzustellen. Diez war gleichfalls Lehrer, ist aber dann von diesem Beruf zur Industrie hinübergewechselt, weil er in seinem Lehrerberuf sich nicht so rechtspolitisch betätigen fonnte, wie er es wünschte. das er heute noch leitet. Sein Schwiegervater hat ihm dann ein Schraubenwert getauft,

während Dr. Goldmann den Eindruck eines Oberlehrers macht, der fanatisch einem Gedanken nachhängt und Jahrzehnte ver­bringt, um eine Schießtabelle zusammenzustellen, die nach Meinung der militärischen Sachverständigen feinen großen Wert hat, ist Dieß ein flinter Geschäftsmann, der jede Chance ausnuten will, um Geld zusammenzuraffen.

Zu der Beschuldigung äußert sich als erster Dr. Goldmann. Er will während seiner Militärzeit und auch später festgestellt haben, daß man die

für jedes Geschüh notwendige Pulvermenge theoretisch errechnen und dadurch praktische Versuche ersparen fönne. An Hand von Schießtabellen der deutschen und ausländischen Geschütze hat Dr. Gold­

Der Neubau der Reichskanzlei.

Hohe Krane recken sich neben der Reichskanzlei empor, wo der Erweiterungsbau aus der Erde wächst.

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mann eine Tabelle zusammengestellt, die ermöglichen soll, die Pulvers mengen für die Geschüße genau festzustellen. Er hat auch ein Lehr­buch über Ballistit geschrieben, das aber vom Reichswehr­ministerium abgelehnt wurde. In seiner Heimatstadt Haspe war Dr. Goldmann als Mathematiker sehr bekannt und wurde während und nach dem Kriege immer wieder mit Fragen bestürmt, wie das Langrohrgeschüß, das Paris beschossen hat, ausgesehen habe. Dr. Goldmann, der nie mit diesem Geschütz zu tun hatte, konnte sich auf Grund feiner wissenschaftlichen Vorbildung davon aber eine Borstellung machen und rühmte sich vor Freunden und Bekannten, daß er die Pulverberechnung für dieses Geschüß gemacht hätte. Im Jahre 1922 hat er im Speisewagen eines D- 3uges Die getroffen, dem er fofort auch von seinen Pulverprüfungsversuchen erzählte. Dr. Goldmann, der sich dadurch enttäuscht fah, daß die deutschen Militärstellen sein Buch abgelehnt hatten, wollte nunmehr als Ballistiker ins Ausland gehen. In dem Speisewagen erzählte er davon Diet, der ihn dann eine Woche später aufsuchte und mit ihm einen Vertrag abschloß. Dietz wollte ihm helfen, ins Ausland zu gehen. Es wurde ein Bertrag aufgefeßt, in dem merkwürdigerweise auch der Satz enthalten ist, daß Dietz an der Verwendung der Bulver­tabellen finanziell beteiligt wäre. Daraus entnimmt die Anklage, daß zwischen beiden nicht nur der Plan bestanden hat, Goldmann eine Stellung im Ausland als Ballistiker zu besorgen, sondern auch die Pulvertabellen zu verkaufen. Bis zu dieser Ver­tragsübereinkunft wurde zunächst Dr. Goldmann gehört.

Dieß bestätigte die Darstellung des Speisewagengesprächs und äußerte sich dann über seine politische Gesinnung. Er gehört damals zur politischen Rechten und hatte

mit Justizrat Claß Berbindung aufgenommen. Sein Plan war angeblich, der deutschen Wehrmacht nach allen Kräften zu helfen, er wollte Dr. Goldmann ermöglichen, im Auslande feine Kenntnisse als Ballistiker zu vervollkommnen, um sie später wieder einmal der deutschen Armee zur Verfügung zu stellen. Dieß hat, nachdem er mit Dr. Goldmann den Vertrag abgeschlossen hatte, einige sehr. merkwürdige Briefe an den amerifa­nischen Botschafter geschrieben. In diesen bietet er dem Amerikaner die Kenntnisse, Dr. Goldmanns und die Pulvertabellen an. Um die Sache recht schmackhaft zu machen, berichtet er an den amerikanischen Botschafter, daß Dr. Goldmann auch die Pulverberech nungen für das Langrohrgeschüß, das Paris beschoß, zusammen­gestellt hätte.

Auf Einwurf der Berteidiger und des Borjizenden erklärt Dr. Goldmann noch, daß er auch heute noch nicht glaube, sich des Berrats militärischer Geheimnisse schuldig zu machen, wenn er als Ballistiler ins Ausland ginge. Er verweist darauf, daß schon vor dem Kriege höhere Generalstabsoffiziere aus der deutschen Armee in auswärtige Heere übergetreten wären. Die politischen Zusammen­hänge dieses Prozesses werden wahrscheinlich erst in der Nachmittags­verhandlung zur Sprache fommen; besonders soll sich dann Dietz dazu äußern, wie er dem Kreis um Justizrat Claß die Freundschaft auftündete.

USA . und USSR .

Keine Wiederaufnahme einstweilen in Aussicht. Washington , 13. April.

3n Kreisen, die dem Bundesfenator Borah naheftehen, wurde heute erklärt, daß eine Anerkennung der Sowjet­ union durch die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei, da die inner politischen Probleme die Auf­merksamkeit Ameritas voll in Anspruch nähmen. Jm Staats­departement wurde dies auf Anfrage insoweit bestätigt, daß in der Frage einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Sowjetrußland feine neue Entwidlung eingetreten fei. Auf eine Frage über die Wiederaufnahme diplomatischer Be­ziehungen zum Batikan wurde darauf hingewiesen, daß diese Frage nicht afut sei, da der bestehende Bertrag mit dem Quirinal noch nicht außer Kraft getreten fei. Der letzte amerikanische Ver­treter beim Vatikan wurde im Jahre 1870 nach Aufhebung bes Kirchenstaates zurückgezogen.