föeilogc Sonnabend, 1 3. April 1929
SprAbpnd
Das moderne Palästina
Reisebilder von Rudolf de Haas
Während ich von der offenen Reede den Klippen des fernen Felsennestes zufahre, gedenke ich der Tücken dieses Meeres, dos ganze Flotten verschlang und Tausende von Menschenleben an den Rissen drüben zerschellte. Kaum einer hat das Bild der zahllosen Katastrophen an dieser Küste so lebendig beschrieben wie der Nor- manne S a e w u l s, der— selber durch den Zufall einer plötzlichen Eingebung rechtzeitig an Land gekommen— am 13. Oktober 1102 von dreißig großen Schissen, die mit ihm gekommen, dreiundzwanzig im Sturm mit Mann und Maus vor Jaffa untergehen sah. Mit heillosem Respekt blickte ich in den auf meine eigene Lam dung folgenden Tagen vom sicheren Port aufs Meer. Donnernd umbrüllt die Brandung selbst bei mäßig bewegter See die Klippen vor der Stadt: es gehört wenig Phantasie dazu, sich Jaffa im Sturm und Schisse hier in Not vorzustellen. *** .Lassa" soll ,chie Schöne' bedeuten. Ich habe mir bisher ver- gebens den Kopf zerbrochen, wie die Stadt zu diesem Namen kam. Seit heute weiß ich es und erkenne an, daß sie mit Recht so genannt wird. Es ist bald erklärt. Die Zeiten sind vorüber, daß fünfzigtausend russisch « Pilger alljährlich um die Osterzeit in Jaffa an Land stiegen und zu Fuß von hier aus nach Jerusalem wallfahrteten. Die heutigen Macht- Haber im Kreml haben andere Dinge im Kopf als die Grabeskirche der heiligen Stadt. Alles zerfällt, was„Mütterchen Rußland' einst im gelobten Lande geschassen, auch der„Russenbau" außerhalb der Mauern Jaffas:«s lausen keine Gelder mehr ein für den Unter» I>alt. Was aber geblieben ist bis auf diesen Tag, mitten im Zerfall der Kirchen und Klöster des Zarismus, das ist der einzigartige Blick vom Turm dieser Russenkirche Jaffas, eines der wahrhasten Wunder dieser Fluren Palästinas . Mit Hangen und Bangen habe ich die durchgerostete und dem Zusammenbruch nahe Treppe hoch oben auf der Turmterrasse der Kirchs erstiegen, soweit sie ersteigbar ist. Zu meinen Füßen umwogt mich, wohin das Auge schweift, ein grünes Wipfelmeer, jahraus jahrein voll Saft und Frische in unoerwelklichem Zauber, wo alles fönst auf dieser glühenden Erde verbrennt und verdorrt. Es sind
Zuckerrohrernte bei deutschen Ansiedlern. die Apfelsinen- oder, w!« man sie hierzulande nennt, die Orangen- gärten Jaffas, heut« noch in der allen Krocht und Schönheit, wie sie«inst die Pharaonen vom Nil entzückten und die Könige vom Euphrat und vom Tigris . Bis fern zum Horizont, wo das morde- rische Meer, das fressende Ungeheuer, am Fuß der Felsen Jaffas eingenickt ist, wo im goldenen Sonnenschein schneewdße Zinnen glänzen, reicht der Wald, von schlanken Dattelpalmen überragt. Nur ganz vereinzell reckt eine Gruppe anderer Bäum« sehnend die ent- laubten Aeste dem Licht entgegen: es sind Aprikosen, Pfirsiche und Feigenstämme, die in diesem Wundergarten verstreut Unterschlupf gesunden hoben. *** Di« Orangentultur Jaffas, so all wie die Weltgeschichte, klärt uns hier oben vom Russenbau herab über einen Haupterwerbszweig der Bewohner dieser großen Ebene am Meere auf. Sie macht uns aber zugleich auf«in Bevölkerungselement aufmerksam, das ganz besonderes Interesse in Anspruch nimmt. Dies sind unser« eigenen deutschen Landsleut«, meist württembergischen Stammes, die vor rund sechzig Jahren in zwei Kolonien am Weichbild Jaffas und in der dritten Kolonie, in S a r o n a, sich weit draußen nach Norden noch über Tel Aviv hinaus als Weingärtner und Orangen- Pflanzer niederließen. Heute sind die beiden erstgenannten, einst draußen vor den Toren Jaffas gelegenen Kolonien längst von den Polqpenarmen der wachsenden Stadt Jaffa aufgesogen und mit der modernen Großstadt Tel Aviv zugleich zu einem einzigen Häuser- meer verschmolzen, und nur Sarona allein hat sich bisher noch der brandenden Flut als selbständiges deutsches Dorf zu entziehen ver- mochb Aber noch nach sechzig Iahren haben diese zähen, arbeit- samen, aus. den kleinsten Anfängen großgcwordenen Ärbeiter und Bauern die ganze Regsamkeit, Spannkrast und Entschlossenheit ihres deutschen Volksstammes und besitzen ein Ansehen, das die Leistungen von drei Generationen ihnen eingebracht haben. Meine Blicke bleiben jodoch hier oben auf dem Turm der Rusien nicht allein an den Orangenhainen haften. Sie fliegen ostwärts Fern am Fuß des Gebirges von Judäa . wo die große Ebene Saron ihren naturaemäßen Abschluß findet, erkennt ein scharfes Aug« ohne Glas rote Ziegeldächer auf grüner Flur. Dort lacht im Schmuck seiner Weizenfeld« da- deutsch « Dorf Wilh«lma. Bor mehr d«nn fünfundzwanzig Jahren ließen sich mitten unter der arabischen Bevölkerung die Deutschen , für die dos Land in Jaffa und Sarona nicht mehr reichte, nieder. In schwerer, einsamer Pionierarbett schufen sie aus dem Nichts eine blühende Oase heimischer Kultur. Es war nur der schlechteste Boden: zu defien Berkauf sich die Araber »erstanden halten: auch rieselle dort nicht, wie in Sarona . das
Wasser in üppiger Fülle und geringer Tiefe, so daß der Orangen- bau die naturgemäße Erwerbsquelle werden konnte; aber der eiserne Fleiß und unbeugsame Energie führten auch dort die Deutschen zum Ziel, und sie brauchen den Vergleich mit den Leuten, aus deren Mitte sie auswanderten, nicht zu scheuen. Schnellwachsende Euka- lypten entwässerten den Boden, boten Schutz gegen das tückische Fieber und gaben dem Dorf mit der Fülle des an die Weiden er- innernden Grüns in kürzester Zeit einen anheimelnden Charakter.
Jaffa . Ein Stück Schwabenland grüßt den erstaunten Wanderer, und die schwäbische Mundart hat sich in der dritten Generation noch unver- fälscht erhalten. » �» In der Neuhebräerstadt Tel Aviv bin ich viele Wochen hindurch fast täglich gewesen. Es ist ein nach jeder Richtung hin auf moderner Grundloge errichtetes Gemeinwesen, das völlige Selbstverwaltung besitzt. Die Einwohnerzahl beträgt vierzig tausend. Für den Neuling ist natürlich die Erfahrung, ein« völlig he» bräische Stadt anzutreffen, in der außer einigen auch in englischer Sprache gegebenen Straßen- und Hotelbezeichnungen nichts, ober auch rein gar nichts Europäisches in irgendwelchen Schriftcharat- teren sich vorfindet, geradezu verblüffend. Ein fiebenswürdiger Arzt, Mitgsied des Stadtrates von Tel Aviv , hatte die Güte, mich umher- zuführen und auf allerlei interessante Emz«lheit«n aüsmerksam zu machen, wie z. B. die Große Synagoge , das Neue Opernhaus, das im Bau begriffen ist, Spitäler, Kliniken. Waisenhäuser und der- gleichen. Hier hatte ein reichgewordener Schlosier aus Chicago «inen Wolkenkratzer erbaut, drüben das Siebenfamilienhaus war von Juden aus Kasan errichtet, jenen Prunkbau führte ein Perser auf, diesen ein Ankömmling aus Bagdad ; kurz alle Himmelsgegenden hatten sich hier auf den einst so verlassenen Dünen Tel Av!os ein Stelldichein gegeben, um neues Leben auf dem uralten Boden Israels pilzartig aus dem Erdreich zu zaubern. „Um die Begeisterung der Jugend für ihre Sache kennen zu lernen, müssen Sie die freiwilligen Uebungen der Tnimpeldor-Wehr kennenlernen!' sagte mir ein anderer,„ich werde Sie einführen! Trumpeldor war der erste Jude, der unter dem Zarenregiment Offizier in der Arme« wurde. Es ist ein um unsere Sache hoch- verdienter Mann, der an der syrischen Grenze von Arabern erschlagen wurde und für unsere Jugend ein Nationolheld geworden ist!" *** Iaffa -Tel Aviv ist durch ein« regelrechte Eisenbahn mit der Landeshauptstadt Jerusalem verbunden. Sie existiert« bereits lange vor dem Kriege. Der ungeheuer gesteigert« Automobilverkehr hatte Ende des Jahres 1928 den Eisenbahnpersoneiwerkehr geradezu erdrossell. Die Krastwagengesellschaften, die sich gegenseitig schon die ungeheuerlichste Konkurrenz machten, unterboten die Bahnpreise bereits erklecklich. Die Eiscnbohnverwaltung setzte für die rund 87 Kilometer betra- gende Streck? Jaffa— Jerusalem mit dem 1. Januar 1929 den Preis für die dritte Klasse auf acht Piaster gleich ein« Mark sechzig Pfennig herunter. Auf der wundervollen Autostraße Jaffa— Jerusalem be- trägt die Entfernung nur etwa 55 Kilometer und. der Preis für den besten Autoplatz fünf Mark: in den Autoomnibussen ist er entsprechend geringer. Natürlich ist die Zeitersparnis mit dem Auto «in ganz außerordentlich in Betracht kommender Fakwr. Für mich
Kamele bei Jaffa . kam selbstverständlich für die Fahrt nach Jerusalem im vorigen Jahre aus Gründen der Billigkeit und des Zeitgewinns nur das Auto in Frage. *** Die Orcmgenhoin« Jaffas sind am Horizont verschwunden, auch Mikw« Israel , die landwirtschaftliche Hochschule der Juden. Well hinten im Süden bleibt RischonleZion.die füdischc Wein- kellerei, einer der Riesenkeller der Welt. Das Auto stürmt an Sarafand vorüber. Hier lagen im Weltkrieg die deutschen Flieger. Die britischen haben heute ihren Plag eingenommen. Zieulich folgte ich einer Einladung zum Pferde-
Dreschen bei deutschen Ansiedlern. z«n«n. Türken und Deuffch« und Engländer geschlagen? Unmöglich, ganz und gar unmöglich! Hier rast ein tollgewordener Chauffeur mit uns gerade hinaus in das peträische Arabien, in die brennenden Felsen des Sinai , in die Wüste des Todes! Immer weiter jagt das Auto. Serpenline auf Serpenline folgt, Kessel auf Kessel, aber die toten, starren Wände links und rechts bleiben immer die gleichen. Kein Baum, kein Strauch, kein Gras- Halm. Doch, ja, dort! Da ist etwas! Was ist es? Sand? Nein mehr! Eine Art sandfarbenes Kraut, das sich an die brennenden Felsen klammert, irgend etwas, das tot sein muß und doch scheinbar noch lebt oder doch wenigstens im Tode noch die Gebärde des Lebens festgehalten hat. Höher und höher stürmt der Wagen. Der Chauffeur weist Plötz- lich nach links. Was flimmert dort drüben nur in diesem Dunst- kreis, in dieser Unermehlichkeit? Ist es der grausilbern« Himmeh? Ist es die grausilberne Wüste, voll Sand und voll Staub? Es ist nicht Himmel, es ist nicht Erde, es ist das flimmernde Meer am Horizont, das Mittelmeer dort unten In der Tiefe am Gestade IaffasI Die weißen Pünktchen dort sind die Häuser der Orangen- stadt und die Paläste von Tel Aviv ! Das weiße Minarett dar» ist Ramleh ! „Sehen Sie drüben di« zwei Pünktchen?" schreit der Chauffeur durch das Rattern des Motors und weist auf zwei Steinchei,, die mitten auf der Linie liegen, die der Horizont durchschneidet, gerode vor uns in der Fahrtrichtung.„Das sind die ersten Häuser von Jerusalem , hoch oben auf der Höhe! Di« Stadt selbst ist N'�'t sichtbar!" -*** Die Gegend ist belebter geworden. Vereinzelte yelbäum« haben den Anfang gemacht. Olivenhain« folgten. Neuanpflanzungen lüdi- scher Kolonisten. Missionsbautcn auf ragender Höhe. Arabisch- Siedlungen. Wir passieren Abu G h o s ch. Dort irgendwo in den Bergen siegt Emmaus, die Schöpfung des Pater Müller, der aus der Steinwüste ein Paradies hervorgezaubert hat Die Höhe hinab jagt der Wagen auf nicht endenwollenden Ser- pentinen und gewinnt gleich darauf die nächste Bergwand. Wieder steigen wir in Schlangenwindungen... Der nächste Dreh muh den unvermeidlichen Zusammenstoß bringen, trotz aller Alarmsignale.— Nichts geschieht. Plötzlich sind wir in einer prosaischen Straße. Z Es ist eine nüchterne Vorstadt, die wir durchrasen. Zu sehen ist nichts. Immer noch nicht. Seit zehn Minuten fahre ich entgeistert durch Jerusalem .
rennen dorthin. Es war ein ganz friedlicher Wettbewerb zwischen Briten , Juden und Deutschen . Einer der Orangebauern aus Sarona. der Sohn des dortigen deutschen Gemeindevorstehers, holte sich einen der ersten Preise. Der Blick der Zuschauer fiel auf das Gebirge von Judäa , das den Horizont abschnitt. Im Vordergründe lachte im Schatten seiner Fruchtbäume Ludd, das alle Lydda , der Knoten- punkt der Eisenbahnstrecken Jaffa— Haifa— Jerusalem— Aegypten. Dort hatte noch vor wenigen Iahren bei hellem Tag« um die Mittagszeit ein arabischer Wegelagerer hinter einer Kaktushecke dem greisen Dater eines meiner Freunde den Gewehrlauf unmlltelbor auf die Brust gehalten und seine ganze Barschaft geraubt. Auf derartige unliebsam« Vorfälle muß man auch heute noch gefaßt sein. Die Schluchten des Gebirges von Judäa bieten zu jeder Zeit allerlei lichtscheuem Gesindel ein sicheres Asyl. Dann und wann fängt di« Polizei eine Bande ab, ab«r das sind Ausnahmen, die Araber hängen wie Pech und Schwefel' zusammen und verraten so leicht nicht «inen ihres Blutes... Das Gebirg« von Judäa . Längst hat die flimmernd« Mauer scharf bestimmte Umrisse angenommen und ihr« Formen dem Auge enthüllt. Gespannt spähe ich nach vorn. Wo öffnet sich nur der Engpaß, durch den unser Wagen die Höhe erklettern muß? Die Ebene ist öder geworden. Dann und wann kommt uns «in Trupp Kamele entgegen. Sie muten mich seltsam auf der moder- nen Autostraße an. Schon mögen wir dreißig bis fünfunddreißig Kilometer zurückgelegt haben. Che ich noch recht dahintergekommen bin, sind wir bereits in das Gebirg« eingebogen. Ich habe gar nicht darauf geachtet, wie wir hineingelangten. All« mein« Gedanken sind abgelenkt. Was ist geschehen? Das, was meine Augen hier schauen, habe ich nie erwartet. Mein Gott, dies« Berge links und rechts sind ja geradezu mit Steinen gepflastert! Dieser Weg führt ja schnurstracks in die Hölle. Jenseits dieser Felsblöcke können doch unmöglich noch Menschen wohnen, di« sich von Früchten der Erde nähren! Dort soll Ieru- salem liegen, eine Stadt sterblicher Menschen? Um dieses Erd- reich hier haben sich Aegypter und Babylonier, Assyrer und Perser, Römer und Juden, Byzanllner und Araber, Kreuzfahrer und Sara-