Morgenausgabe
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46. Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonntag
14. Apríl 1929
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Zum internationalen Frauentag
Sammlung und Vormarsch! Frauen u. a. heute zu Richtern und Geschworenen gemacht besondere Arbeitsschuß für weibliche und jugendliche Arbeit
Müssen wir die Emanzipation der Frauen datieren vom Tage der Erteilung des Wahlrechts? Gewöhnlich geschieht dies. Und doch braucht man nur ein wenig nach zudenken über die Entwicklung der Stellung der Frau in der Gesellschaft in den letzten drei, vier Jahren, um den Irrtum dieser Auffaffung zu erkennen. Lange vorher hatte sich die gesellschaftliche Stellung der Frau zu wandeln begonnen. Etwa nur dadurch, daß einige aufgeflärte, fortschrittliche Frauen die Unwürdigkeit weiblicher Rechtlosigkeit zu erfennen, dagegen anzufämpfen begannen? Man braucht den Mut und den Eifer dieser Vorfämpferinnen nicht zu verfennen, wenn man die Ursachen tiefer erforscht. Im Wirtschaftsleben war der große Wandel zuerst eingetreten. Der moderne Kapitalismus begann mehr und mehr auf allen Betätigungsgebieten weibliche Arbeitskräfte
weitere Schranken für den Eintritt in Berufe gefallen, daß werden können, daß sie in die Aemter, auch in höhere Beamtenstellungen aufgerückt sind und sich dort bewährt haben; sondern die Mitarbeit der Frau in der Gesetzgebung drückte dieser, ganz besonders auf sozialpolitischem Gebiet, ihren Stempel auf. Wenn auch nur in allmählichem Fortschritt, so fonnte doch schließlich ein gesetzlicher Schutz für Mutter und Kind erreicht werden, der wenigstens einem Teil unserer alten Forderungen Verwirklichung gab.
zu dem Schwangerenschutz fam die Jugendfürsorge, der nehmer. Auch für das Recht des unehelichen Kindes ist ein wichtiger Fortschritt erreicht, das Gesetz liegt dem Reichstag vor, das zwar noch nicht volle Erfüllung all unserer Forde rungen, jedoch einen grundsäglichen gegenüber ehemals bringt. Selbst eine leichte, wenn auch völlig ungenügende Milderung des berüchtigten§ 218 fonnte erzwungen werden.
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Aber nur ein Bruchteil notwendigster Arbeit ist damit getan! Unerfüllt noch sind unsere Forderungen auf
Arbeitsschutz für die Frauen.
in feinen Bann zu ziehen. Bon dem ſtillen, zurückgezogenen Forderungen und Widersprüche
Dafein der Frau von ehemals, ihrer emfigen Pflichterfüllung lediglich zwischen den Wänden des Haushalts, der Familie, hat brutal und rücksichtslos die tapitalistische Produktion fie herausgerissen. Zunächst nur die Frauen und Mädchen der Aermsten, die in die Fabriken gezwungen wurden. Aber die Bewegung setzte sich fort bis in die Kreise des fleinen Bürgertums; auch dort wird das Einkommen des Mannes unzureichend; die Familie tann es sich nicht mehr leisten, die Töchter unbeschäftigt zu Hause figen zu lassen. Nun setzt der Kampf ein für ihre Zulassung in alle, auch die sogenannten höheren Berufe. Noch wirfte damals alteingesessenes Vorurteil nach, noch hatte man oft genug in den bürgerlichen Familien Scham, die Erwerbsarbeit der Töchter zuzugestehen. Wie gründlich diese ganze gesellschaftliche Konvention heute bereits überwunden ist nichts fönnte es deutlicher ausdrücken als der grundlegende Wandel in der Tracht der Frau. Nicht den Launen der Mode ist er entsprungen nein, es ist ein dauernder Wandel, der seine Wurzeln hat in der veränderten Stellung der Frau in der Gesellschaft, in der Tatsache, daß sie es als selbstverständlich betrachtet, sich als nüzliches Glied zu betätigen und darum auch alle äußeren Bedingungen so zweckmäßig als möglich zu gestalten. Ohne darum den Schönheitssinn zu verlegen im Gegenteil, durch Beseitigung überflüssigen Tands erst fonnte reinere Schönheit in den Stil gebracht werden.
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Waren auch vor dem Kriege Millionen von Frauen bereits in den Produktionsprozeß hineingerissen- völlig unentbehrlich ward ihre Leistung in den Jahren des Völkermorden s. Jetzt bewiesen sie ihre Fähigkeit, sich ohne jegliche Vorbereitung mit überraschender Behendigkeit in alle, auch die schwierigsten Betätigungsgebiete einzuarbeiten. Sie in erster Linie hielten das fulturelle und wirtschaft liche Leben in der Zeit allgemeiner Zerstörung aufrecht. Konnte man da ihnen noch länger glaubhaft machen, daß sie nicht ebenbürtig seien dem Manne, um in den Dingen der Deffentlichkeit das Wort zu ergreifen?
Und doch bedurfte es erst der Revolution, um auch in dieser Frage die Schlußfolgerungen aus der tatsächlichen Entwicklung zu ziehen. Die sozialistischen Volksbeauftragten gaben den Frauen das gleiche Wahlrecht, die neue Reichsverfassung machte sie zu gleichberechtigten Staatsbürgern. Indeffen mit einem Federstrich, mit der Annahme eines Grundsages allein ist der ganze Wuft von Rückständigkeit und Vorurteilen noch nicht ausgefegt, ist die in Einzelgeſetzen aus alter Zeit festgelegte einseitige Benachteiligung der Frau noch nicht beseitigt.
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3ehn Jahre hatten wir Zeit, darum zu fämpfen, daß aus dem schönen Grundsatz praktisches Leben werde. Und manches Jahr in dieser Frist ward in der politischen Arbeit völlig in Anspruch genommen von anderen dringenderen Sorgen der Ueberwindung schwerer außenpolitischer und reparationspolitischer Bedrohung, dem Kampf gegen den Untergang in Inflation und Ruhrbefegung. Betrachtet man daher unter Berücksichtigung dieser schweren hemmenden Momente heute das Erreichte, so muß man anerkennen: Ein gutes Stück Weg ist in der Richtung der weiteren Befreiung Der Frau von uns zurüdgelegt worden! Nicht nur, daß
Der Internationale Sozialistentongreß von 1928 hat ohne Widerspruch der ihm von der voraufgegangenen Internationalen sozialistischen Frauenfonferenz vorgelegten Entschließung zugestimmt, in der es heißt:
Freiheit für die Frauen, sich ihren Lebensweg nach ihren Kräften und nach ihrem Können zu gestalten. Arbeitsbedingungen, die den Erwerbsarbeit, verrichtenden. Frauen die erforderlichen Kräfte und Fähigkeiten zu förperlicher und geistiger Entwidlung erhalten und die fie nicht hindern, die den Frauen von der Natur zugewiesenen Funktionen als Geschlechtswesen zu erfüllen.
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Das zeigte fich deutlich auf der internationalen Tagung, des Weltbundes für Frauenstimmrecht in Paris im Jahre 1926. Dort gelang es den Gegnern eines befonderen Frauenschutzes, eine Mehrheit- wenn auch nur eine schwache für einen Beschluß zu erhalten, in dem es u. a. heißt:
Der Kongreß verlangt, daß die gefeßliche Regelung für die fchwangeren Frauen den Frauen nicht verbietet, zu arbeiten, sondern daß man ihnen Arbeitsbedingungen schafft, die es ihnen ermöglichen, ihre Kinder unter den günstigsten Voraussegungen zur Welt zu bringen Jedes internationale System der verschiedenen Gesetzgebung für beide Geschlechter muß, ungeachtet vorübergehender Borteile, in Tyrannei ausarten und wird als Ergebnis die Verdrängung der Arbeiterinnen und Die Berringerung ihrer Löhne und Gehälter haben."
Die auf dem Kongreß ebenfalls start vertretenen Befürworteders die deutschen Delegierten, die im Bund deutscher rinnen eines besonderen Arbeiterinnenschußes, unter denen beson
forderungen in bezug auf Arbeitszeit, Entlohnung und Schutz Die Entschließung enthält ferner eine Reihe von Einzel der Frauen gegen Gesundheitsgefahren der Erwerbsarbeit und zum Schutze der erwerbstätigen Frauen vor und nach der Niederkunft. fetten, wiesen in einer Minderheitsentschließung auf das UngerechtFrauenvereine organisiert sind, sich für diese Auffassung einEin Jahr vorher hatten sich der Internationale Gefertigte und Naive der Ansicht der Mehrheit hin. In ihrer Entwertschaftstongreß und die Internationale geschließung wird gesagt: wertschaftliche Arbeiterinnentonferenz für die gleichen Forderungen entschieden. In der gewerkschaftlichen Arbeiterinnenfonferenz war die Annahme der Entschließung nicht einstimmig erfolgt. Die Bertreterinnen aus Dänemart hatten sich
der Stimme enthalten.
Mit dem einstimmigen Botum der beiden höchsten Instanzen der sozialistischen Arbeiterorganisationen ist voraussichtlich der Streit innerhalb der ihnen angehörenden weiblichen Mitglieder über das Für und Wider besonderer Schuhvorschriften für weibliche Arbeitnehmer endgültig beseitigt. Auch diejenigen Vertreterinnen werden sich den Beschlüssen fügen müssen, die bis dahin immer wieder versucht haben, Stimmung gegen einen besonderen Schutz weiblicher Arbeitnehmer zu machen.
Der Kampf gegen solchen besonderen Schutz wird geführt unter der Barole„ gleiches Recht für Mann und Frau"! Die Wortführer dieser Idee behaupten, durch besondere Schutzvorschriften für Frauen würden diese aus einer Reihe gerade der am besten bezahlten Arbeitspläße verdrängt und dadurch mehr geschädigt, als es durch die Erwerbsarbeit geschehen fönnte. Als Beweis für diese Behauptung führten die Genoffinnen aus Dänemark und Schweden auf der Internationalen gewerkschaftlichen Frauenkonferenz in Paris 1927 an, bei einem Verbot der Nachtarbeit der Frauen( die in diesen Ländern noch zulässig ist) würden Frauen gutbezahlte Arbeitsplätze verlassen müssen. Gegen einen Schuß erwerbstätiger Frauen vor und nach der Niederkunft im Sinne des Washingtoner Uebereinkommens von 1919 wenden sich diese Genoffinnen zwar nicht, feßen sich aber auch nicht dafür ein.
Ganz allgemein gegen einen besonderen Schutz erwerbstätiger Frauen aber wenden sich eine Reihe bürgerlicher Frauenvereini gungen. unter denen der Bund britischer Frauenver eine"( National Council of Women) wohl als die bedeutendste Beseitigung jeglichen Sonderschutzes für Frauen ist. Den gleichen Organisation und energischste Verfechterinnen der Bestrebungen nach Standpunkt vertritt der amerikanische Frauenbund ( National Womens Party) in den Bereinigten Staaten. Auch auf dem Festlande Europas finden sich in allen Ländern Verfechterinnen dieser Jdee. Sie haben aber hier, außer in den südöstlichen Ländern mit noch sehr junger Frauenbewegung und einer noch unentwickelten Arbeiterinnenbewegung, feinen nennenswerten Einfluß.
Immerhin stellen die Gegnerinnen eines besonderen FrauenSchutzes, der praktisch fast ausnahmslos nur für die als Arbeiterinnen und Angestellte tätigen Frauen in Frage tommt, innerhalb ber internationalen Frauenbewegung einen bedeutenden Faktor. Er wird aber fast ausnahmslos von solchen Frauen gebildet, für die der besondere Frauenschuß persönlich feine Bedeutung hat, da sie nicht als Arbeiterinnen oder Angestellte erwerbstätig find.
daß in der bestehenden Wirtschaftsordnung feine Aussicht besteht, daß die Industrie freiwillig für die schwangeren Frauen derartige Arbeitsbedingungen schafft, die es ihnen ermöglichen, ihre Kinder unter den günstigsten Vorausfegungen zur Welt zu bringen Die in der Resolution ver langte Abschaffung des Schwangeren- und Mutterschutzes würde nur zur Folge haben, daß die Frauen unter den gleichen schädlichen Bedingungen wie bisher ihre Arbeit bis zur Entbindung leisten und daß die ihnen auf Grund des Arbeitsverbots gewährte Unterstügung durch die Sozialversicherung wegfallen würde."
Der Kampf der verschiebenen Auffassungen ist seit der Pariser Tagung meitergeführt. morden. Er wird befonders heftig geführt in England. Die englischen Betämpferinnen eines besonderen Frauenschutzes haben einen besonderen Verband für die Politi! der offenen Tür"( The Open Door Council") für die Frauen im Wirtschaftsleben gegründet. Es ist ihnen auch gelungen, Den Bund Britischer Frauenvereine noch auf jener 1928 abgehaltenen Generalversammlung zu einer ablehnenden Stellung zum besonderen Frauenschutz zu veranlassen, obgleich er furz vorher, auf der Tagung des Internationalen Frauenbundes in Genf nach einer Rede des Leiters des Internationalen Arbeitsamts, des Genoffen Albert Thomas , mit beschlossen hatte ,,, daß der Internationale Frauenbund und die ihm angeschlossenen Nationalbunde zu Sonderschußgesehen für Arbeiterinnen teine Stellung nehmen follen, ohne vorher mit den in Betracht kommenden Arbeiterinnenverbänden Fühlung zu nehmen".
In England bekämpft der Ständige gemeinsame Ausschuß Britischer Arbeiterinnenverbände" unter der Führung der Genossinnen Eleanor Hood, Susan Lawrence, M. 3. Pidgeon, Julia Barley und Marion Phillips energisch die Auffassung der bürgerlichen britischen Frauenorganisation. organisationen wird auf der für den Juni d. I. vorgesehenen TaDie ablehnende Stellung einer Reihe bürgerlicher Frauen eine Rolle spielen. Auch aus diesem Grunde ist es notwendig, daß gung des Weltbundes für Frauenstimmrecht in Berlin aufs neue unser Internationaler Frauentag fich mit aller Deutlichkeit und unter großer Anteilnahme der Frauen, die als Arbeiterinnen und Angestellte Erwerbsarbeit leiften, für einen ausreichenden Schuß der erwerbstätigen weiblichen Arbeitnehmer gegen die Gefahren für Leben und Gesundheit der Erwerbsarbeit im fapitalistischen Wirtschaftsleben ausspricht. Wir müffen alle eintreten für einen Gdyuz ber erwerbstätigen Frauen im Sinne möglichen, ihre Arbeitskraft für die Dauer ihres Lebens zu er der vorliegenden internationalen Beschliffe, die es den Frauen er halten und die den Frauen von der Natur zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.