Ttr. 186• 46 Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonntag. 21. April 1929
Man muß sich darüber klar werden, daß das heutige.Scheune» viertel" duräiaus nicht mehr identisch ist mit dem. was unsere Läter so nannten! das umfaßte ja nur die kleinen Gassen zwischen der Linien, und der Hirtensiroße, Gäßchen, die mit den heute so benannten Straßen nicht einmal mehr die Fluchtlinie gemein haben: Die Weydinger-, Koblanck. und die A m a l i e n st r a ß e. die früher.Scheunengasse" hieß, sie sirrd glaU vom Erdboden v« r- s ch w u n d e n. Wer sich heute ein Bild davon machen will, wie diese Gegend noch vor ungefähr ZU Iahren aussah, der muß durch die beiden letzten Straßen gehen, die noch vom alten.Scheunenviertel" übrig sind. Das sind die Bartel- und die Klein« Alex- ander st ratze. Kleinstadt in Verlin. Der Kleinen Alexander st ratze ist freilich schon vor langen Iahren mal schwer zu Leide gegangen worden: Als man die Aleranderkasern« baute, die im Mund« der Einwohner noch immer die„neue" heißt, obgleich sie so zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt ist. Jetzt ist sie Polizeiunterkunst geworden, und die Polizei versi"*t, ivas sie irgend an dem Steinhaufen ausbesiern kann: denn der Kasten ist.großzügig" nur aus militärische Bedürsnisi« zugeschnitten. So umfaßte die Randbebauung einen großen Exerzierhos, der für«in Bataillonsexerzieren hinreichte.(Einen
Abbruch in der Sterlelsfrafie.
Erersterplaß unmittelbar am vlexanderplaß, auf dem teuren Boden der City anzulegen, das kriegte man auch nur im wilhelminischen Berlin fertig! Man hat diesen Exerzierhos nun bereits teilweise bebaut. An der Front zur Münzstraße aber bricht man große Läden heraus, ein Zeichen dafür, daß gelund-wirtschaftliches Denken über bureoukratische Rücksichten aus.Zweck und Würde" siegt. Gegenüber der Kaserne schließt eine Mauer die Gebäude einer Likörfirma von der Straße ab. Auch diese Firma sitzt schon seit den Zeiten der„Kommunikation" hier, sie gehört sozusagen zur Tradition der Gegend. In den vom warmen Kesielwasser der Fa- brik durchspülten Rinnsteinen wusch sich früher das arme Volk Wäsche und Körper. Aber die jetzigen Gebäude sind neu. Gleich daneben jedoch fängt die Kleinstadt an: Man muß freilich aus die chöfe gehen um sie richtig zu entdecken. Da steht neben der Likör- fabnk ein dreistöckiges chäuschen, innen bemerkenswert gut gehalten. Auf dem chos die.Seitenflügel" sind zwei richtige, kleine Land- Häuschen, weinbewachsen, auch die mit einigen Reliess geschmückte Trennungsmauer ist von Wein umrankt. Man möchte wünschen, in diesem Idyll zu wohnen, wenn nicht ein rascher Blick gleich die Schattenseiten enthüllte. Drei schmale Türen führen zu den WC. - Anlagen, die für die Mieter des gon,zen chaufes reichen sollen— und im Vorderhaus wohnen drei Parteien aus jedem Flur! Was diese.sanitären Anlagen" in einem solchen strengen Winter wie dem diesmaligen bedeuten, läßt sich leicht ausmalen, besonders da wenige chäuser hier so gut gehalten sind: die Mehrzahl kam in den Inflationssahren an auswärtige Besitzer, und auch wenn die .Bank für Handel und Grundbesitz" die Verwaltung hat. kann es passieren, daß die über den Kwsettröhren geborstenen Wände noch heute nicht repariert sind.... Die Varielstraße. Einheitlicher als die Kleine Alexanderstroße wirkt die Bartel- st r a ß e. Da» ist die Straße der kleinen Fuhrhalter: fast Hai» bei Hau » sind hier aus dem Hof Pferdeställe, sehr begehrte Objekte in diesem neuen Berlin , das nur noch Garagen baut. Aber Auto« haben so auch den großen Vorzug vor dem„Haserinotor". daß ihr Futter die Rotten nicht anzieht. Hier, in diesen alten Häusern, ist da« Ungeziefer überhaupt nicht mehr auszurotten. Und darum sind die Mieten, wenn sie auch scheinbar nicht teurer als der sonstige Bertiner Durchschnitt sind, doch viel zu teuer. Denn die„Zwei- zimmerwohnung" hier kennt keinen Korridor, kein Rebengelaß, die Klosett» liegen günsttgenfalls aus dem Flur, die Zimmer sind schmal und klein und— verwanzt ist hier fast jede Wohnung. Trotzdem hier kein« Massenschlosstellen sind— fünf Schlafburschen in zwei Zimmern sind schon ein Ausnahmesall— trotzdem die Mieter Nein« Gewerbetreibende und Arbeiter sind und wenig Prostituierte hier wohnen. Der Kamps um die llngezieserreinheit der Wohnungen ist eine Sysiphusarbeit. die Rattenplage ist nicht auszurollen, und auch diese ollen Häuser müssen verschwinden, wenn die Gegend wirklich„bereinigt" werden soll. Schon darum, well sich die weniger wünschenswerten Elemente au» den niedergerissenen Häusern immer wieder in den Resten der alten Gegend festzusetzen versuchen und, wenn nicht anders, als„Schiofburschen" in dieses Restchen Kleinstadt eindringen. Die alten Anwohner aber, die zum Teil hier in den gleichen Gäßchen geboren, die drüben in die alte Schule gegangen sind, sie trennen sich schwer von diesen alten va- rocken, in denen ja oft ihre ganze Existen.z verwurzelt ist. Da ist zum Beispiet der„Sargdeckel, das niedere alle Landhaus au der Ecke der hirlenstraße. Der Besitzer sah mit der Umgestaltung der Gegend sich aus seinem kleinen Grundstück schon als„Millionen- bauer"(denn in dieser Gegend spuken noch immer die Geschichten von den aus ihren mageren Getreidefeldern gewachsenen Reich- tümern der Bötzows, Wollanks usw.). Kein Preis schien ihm für
sein winziges Häuschen hoch genug: als er ein gutes Angebot der Stadt ablehnte und nun erfuhr, daß er im Enteignun-zsoersahren einige zehntausend Mark weniger bekommen würde, wurde der über fechzigjährige Mann, der doch vor kurzem erst zum drittenmal ge- heiratet hotte, tiefsinnig. Allen klagte er sein Leid, daß er so aus dem Haus, das schon sein Vater gehabt habe, heraus müsse. Und eines Tages stellte er den Besen, mit dem er gerade Schnee vom Bürgersteig gefegt hatte, in die Ecke, ging still ins Haus..., eine halbe Stunde später fand ihn seine Frau: er hotte sich erhängt. Und unter den anderen kleinen Leuten hier, denen beim Abriß des Hauses ja nickst mal eine Entschädigung für den gemieteten Stall, für die klein«, doch für ihr Gewerbe so günstig gelegene Wohnung � zusteht, bedeutet der drohende Abbruch eine Tragödie. Und nirgends so wie hier bedauert man. daß die Stadt Berlin nickst in der gleichen glücklichen Lage ist, wie ihre Schwester an der Donau , die den Armen selbst gesunde Wohnungen zu billigem Preis baut. Die Bresche. Auf dem gleichschenkligen Dreieck, besten Basis an der L I n i e n-. besten Spitze an der H i r t e n st r a ß e liegt, erhebt sich der massive Bau des Volksbühnenhaufes. Von hier aus wurde zu» erst Bresche in da» Scheunenviertel gelegt. Nun steigt an der Hirtenstraße schon der Bau des Großkinos hoch, auch an der Ecke Barielstra he liegt ein Druckereigebäude. 3n der hirlenstraße geht jetzt das große Ausräumen an. Schon fällt an der Ecke der Prenzlauer Straße unter den Hieben der Spitzhocke da« Eckhaus, das fett dem Ende des 18. Jahrhundert ein Wahrzeickzen der Gegend war. Freilich, es war im Laufe der Jahre erheblich herunter gekommen. 1793 wurde es zum erstenmal hypothekarisch belastet. Damals beherbergte es«ine der ältesten Berliner Weißbierbraue- reien. Riesige Gewölbe legen aus dem Abriß Zeugnis für die s»° lide Bauweise der damaligen Zeit ab. Immer blieb eine Braueret auf dem Grundstück. 1889 noch wurde ein neues Kesselhaus ge- baut, das uns freilich heute schon unglaublich altertümlich anmutet. War es, weil die Technik den kleinen Brauereien davonlief oder weil die„zugezogenen Berliner " den Reizen einer„kühlen Dlon- den" nicht mehr recht Geschmack abgewinnen können, vor dreißig Iahren ungefähr hörte hier auch der.Lungbierverkaus" auf. Und damr wurde das alte Haus, dem Wandel der Gegend angepaßt, zum
.3)0* Sonnenbad vor der Tolksbühne.'
(Berechtigit Uebersetzung von Erwin Magnus ). Daylight reiste ohne Uhr, er fühlte die Zeit. Als es seiner Berechnung nach sechs Uhr sein mußte, begann er sich nach einem Lagerplatz umzusehen. Bei emer Biegung kreuzten die Reisenden den Fluß. Da sie nicht gleich eine passende Stelle fanden, fuhren sie eine Meile am anderen Ufer entlang, wurden aber unterwegs vom Eise aufgehalten und brauchten eine Stunde schwerer Arbeit, um durchzu- kommen. Schließlich fand Daylight. was er sucht«, einen abgestorbenen Baum am Ufer. Der Schlitten wurde hinauf- gefahren. Kama grunzte zufrieden, und sie begannen ihr Lager aufzuschlagen. Die Arbeitsteilung war ausgezeichnet. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Mit der einen Axt zerhieb Daylight die tote Fichte. Mit der anderen Axt und einem Schnee- schuh legte Aama die Eisdecke des Duton frei und schlug Eis zum Kochen los. Das Feuer wurde mit einem Stück trockener Rinde angezündet, und Daylight machte sich ans Kochen. während der Indianer den Schlitten ablud und jedem Hund feine Portion an gedörrtem Fisch austeilte. Die Proviant- sacke warf er so hoch in die Bäume, daß die Hunde sie nicht erreichen konnten. Dann fällte er eine junge Tanne und hieb die Zweige ab. Dicht am Feuer trat er den Schnee fest und bedeckte ihn mit Zweigen. Auf diese legte er sein eigenes und Daylights Gepäck, das aus trockenen Strümpfen. Unter- zeug und Schlafsäcken bestand. Kama hatte zwei Schlafsäcke aus Kaninchenfell. Daylight nur einen. Sie arbeiteten ruhig, ohne die Zeit mit Sprechen zu vergeuden. Jeder tat das seine, ohne dem andern etwas von feiner eigenen Arbeit aufzubürden. Kama Iah, daß sie mehr Eis brauchten, und Holle es. während Daylight«inen Schnee- schuh, den die Hunde umgeworfen hatten, wieder aufrichtete. Während der Kaffee kochte und der Speck briet, und Kama den Teig zu den Pfannkuchen knetete, fand Daylight Zeit, emen großen Topf mit Lohnen aufzusetzen. Dann kam
Kama zurück, setzte sich an den Rand der Tannenzweige und benutzte die Wartezeit, um die Hundeleinen nachzusehen. „Ich glaub', Skookum und Booga werden sich beißen," bemerkte Kama, als sie sich zum Essen niederließen. „Paß gut auf sie auf, war Daylights Antwort. Und das-war die einzige Unterhaltung während der ganzen Mahlzeit. Einmal sprang Kama mit einem leisen Fluch auf und schlug mit einem brennenden Holzscheit auf ein paar Hunde ein, die aneinandergeraten waren. Daylight tat während des Essens Eisstücke in den Blechtopf, wo sie zerschmolzen. Als die Mahlzeit beendet war, fachte Kama das Feuer an, hieb noch etwas Holz für den nächsten Morgen ab und kehrte dann zu den Tannenzweigen und seiner Be- schäftigung mit den Hundeleinen zurück. Daylight schnitt große Speckstücke ab und warf sie in den Topf mit den kochenden Bohnen. Ihre Mokassins waren trotz der starten Kälte feucht geworden: sobald sie ihre Arbeit beendet hatten, nahmen sie die Mokassins ab, hingen sie zum Trocknen an kurzen Stöcken vor das Feuer und wendeten sie von Zeit zu Zeit. Als die Bohnen gar gekocht waren, schüttete Daylight einen Teil davon in einen kleinen Sack, den er in den Schnee legte, währen der Rest der Bohnen zum Frühstück stehen- blieb. Es war neun Uhr vorbei, als sie endlich zu Bett gehen konnten. Der Kampf zwischen den Hunden hatte längst auf- gehört, und die müden Tiere waren im Schnee zusammen- gekrochen, wobei sie Pfoten und Schnauze zusammensteckten und sie mit der buschigen Wolfsrute bedeckten Kama breitete feisten Schlafsack aus und steckte sich eine Pfeife an. Daylight drehte sich eine Zigarette aus braunem Papier, und die zweite Unterhaltung des Abends begann. „Ich denke, wir haben fast sechzig Meilen gemacht," sagte Daylight. „Hm. glaub' ich auch," sagte Kama. Wie sie gingen und standen, nur mit einer wollenen Mackinawjacke anstatt der„Parka", die sie den ganzen Tag getragen hatten, wickelten sie sich in ihre Schlafsäcke. Und fast im selben Augenblick schliefen sie auch schon fest. Die Sterne funkelten in der frostklaren Nacht, und über ihnen fuhren die farbenprächtigen Streifen des Nordlichts wie große Scheinwerfer über den Himmel.— Es war noch dunkel, als Daylight erwachte und Kama rief. Obwohl das Nordlicht noch flammte, war doch ein neuer Tag angebrochen. Ihr Frühstück bestand aus Pfann- kuchen, aufgewärmten Bohnen, gebratenem Speck und Kaffee. Die Hunde erhielten nichts, obwohl sie mit sehnsüchtiger
Miene in einiger Entfernung im Schnee lagen und mit um die Schnauzen gelegten Ruten zusahen. Hin und wieder hoben sie unruhig eine Borderpfote, als ob ihnen in der Kälte die Füße schmerzten. Es war bitterkalt, wenigstens fünf- undsechzig Grad unter Null, und als Kama die Hunde mit bloßen Händen vor den Schlitten spannte, mußte er sich mehrmals die gefühllos gewordenen Fingerspitzen am Feuer wärmen. Gemeinsam beluden die beiden Männer den Schlitten, Sie wärmten sich zum letztenmal die Hände, zogen die Handschuhe an und trieben das Gespann zum Fluß hin- unter. Nach Daylights Berechnung war es jetzt ungefähr sieben Uhr, aber die Sterne funkelten noch ebenso hell wie früher, und das Nordlicht pulste still über ihren Häuptern. Zwei Stunden später wurde es plötzlich dunkel— so dunkel, daß.sie den Weg nur noch fühlen tonnten, und Daylight wußte nun, daß seine Zeitberechnung richtig ge- wesen war. Es war jene Dunkelheit vor Tagesanbruch, die nirgends auffälliger ist, als auf winterlichen Schlittenreisen in Alaska . Langsam stahl sich das graue Licht durch die Finsternis, im Anfang noch unmerklich, so daß sie fast mit Ueberraschung den unsicheren Schimmer der Spur unter ihren Füßen bemerkten. Das nächste, was sie zu sehen be- kamen, war der letzte Hund, dann die ganze Reihe laufender Tiere, und zuletzt erschienen die schneebedeckten Hänge zu beiden Seiten. Einen Augenblick tauchte das Ufer selbst auf, verschwand wieder, tauchte wieder auf und blieb nun. Wenige Minuten später erschien das andere Ufer eine Melle entfernt, und nun konnte man weithin den zugefrorenen Fluß und zur Linken ganz in der Ferne eine langgestreckte Kette sich scharf abzeichnender schneebedeckter Berge sehen. Und das war alles. Die Sonne zeigte sich nicht, und das Licht blieb grau. Einmal während des Tages kreuzte plötzlich ein Luchs gerade vor der Nase des Leithundes den Weg und verschwand in den weißen Wäldern. Der Raubtierinstinkt der Hunde erwachte. Sie erhoben den Iagdruf des Rudels, warfen sich ins Geschirr und wandten sich seitwärts zur Verfolgung. Daylight brüllte:„Hoa!", riß die Lenkstange herum, und es glückte ihm. den Schlitten in den weichen Schnee zu lenken, wo er umschlug. Die Hunde ließen von der Verfolgung ab, der Schlitten wurde aufgerichtet, und fünf Minuten später flogen sie wieder auf dem festen Wege dahin. Der Luchs war das einzige lebende Wesen, das sie seit zwei Tagen ge- sehen hatten, und wie er auf sametweichen Pfoten leicht vor- übersprang, wirkte er fast wie eine Erscheinung., �__......... u-,......... Kortsetzung folgt.) J