ftr. 319• 46. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 11. Iuli 1929
Sin mmUes QroftkraHwerk
Unweit der Nonnendammallee in Siemensstadt sind dl» Vorarbet- ten für das Kraftwert West im Tang«, das in seiner Anlage und Ausdehnung dem Grohkraftwerk Klingenberg Nicht viel nachstehen wird. An der nahen Spree wird ein Hafen angelegt. Zahlreiche Dampframmen treiben S— 8 Meter lange Betonpfähle In den etwas sumpfigen Boden, der eine gründ- lich« Fundamentierung notwendig machi. Ein 80 Meter hoher Mon- tagetran befördert die Eisenton- struttionsteile Besonders nachts bietet der Bauplad im Licht« der Scheinwerfer«inen phantastischen Anblick. Sechs Hauptmaschinen werden in diesem Spitzenkraftwerk je lWOM Kilowatt erzeugen. Hinzu kommen noch zwei Vorwärmer- turbinen von je 12 000 Kilowatt für die Deckung des Eigenbedarfes. Zwei Schornsteine, aber von erheblich größerem Umfang als die bekannten Klingenberg�Jchornstein«, werden 120 Meter Höhe erreichen. Die Kessel erhalten Stoter-Feuerung. Der erste Bauabschnitt wird Herbst 1930, der zweite»in Jahr später vollendet sein.
Ehetragödie im Norden. Die Frau auf offener Straße niedergeschossen. vor dem haus« Exerzierstraße 6 aus dem Gesund- brunneu spielt« sich gestern abend ein blutiger Ehe- zwifl ab. Der Arbeiter Seemann hatte eine länger, Freiheitsstrafe zu verbüßen; gestern war er aus dem Tefängnis entlassen worden. Sein erster Weg galt feiner inzwischen von ihm geschiedenen 3SjShrigen F r a u M a r i a. Da er sie in den Mittagestunden nicht in der Wohnung antraf, lauerte er ihr im Hausflur zwei Häuser weiter auf. Als dl« Arau gegen 16 Uhr ahnungslos die Exerzier - striche heraufkam, trat Seemann aus dem Hausflur plötzlich hervor und gab auf seine frühere Frau vier Schüsse ob. Eine Kugel drang der Frau in den Oberkörper, so daß sie ohnmächtig zu- sammenbrach. Die anderen Kugeln hatten glücklicherweise ihr Ziel verfehlt. Mehrere Passanten, die Augenzeugen des blutigen Dorfalls ge- worden waren, hielten den Täter fest und entwaffneten ihn. Auf dem nächsten Pviizeivevier gab der Revolverschütze zu. die Absicht gehabt zu haben, seine ehemalige Frau zu töten. Frau Seemann liegt tm Jüdischen Krankenhaus in der Exerzier. straße schwer danieder._ Das Stralauer Großfeuer. Da» Troßfeuer in der Engelhardt-Brauerei hat gestern länger» Zeit die Untersuchungskommission der Kriminalpolizei und andere Sackverständige beschäftigt. Die erste Vermutung, daß der Brand durch irgendeine Fahrlässigkeit entstanden sein könnte, hat bisher keine Bestätigung gefunden. Die in dem Betrieb tätigen Arbeiter sind all« al» zuverlässig« und gewissenhafte Leute bekannt. Nach dem Ergebnis der Ermittelungen scheint e» sich um «inen sogenannten Staubbrand zu handeln. In der Malzputze der ausgebrannten Mälzerei wurden die Gerste- und Malzvorräte auf etwa 80 bis 100 Grad erhitzt, um den Zuckergehalt auszu- scheiden. Die Staubteilchen werden durch Schlote und Schächte
abgeführt. Schon am Nachmittag bemerkten Arbeiter, daß einer der Säcke, in die die Staubteilchen fallen, wahrscheinlich infolge eines hineingeflogenen Funken schwelte. Sie löschten den kleinen Brand ab und sicherten alles, als sie nach Feierabend den Raum verließen. Man nimmt deshalb an, daß in einem der Abzugskonäle durch Funkenflug der Riesenbrand hervor- gerufen worden ist. Eine strafbare Handlung liegt jedenfalls nicht vor; es handelt sich um ein Vorkommnis, wie es in diesen De» trieben auch bei größter Sorgfalt und Kontrolle passieren kann.
Wochenendgeseh in England. Die Ladenbefiher sind mit frühem Schluß einverstanden. Ikach der Londoner „Itlorning-Posi" soll e« in der Absicht der neuen britischen Regierung liegen, da» Gesetz über den Ladenschluß an Sonniagen derart abzuändern und obligatorisch zu gestalten, daß von Sonnabend mittag» 12 Uhr bis Montag früh die Schließung in Kraft tritt. Der verband der Ladenbesiher hat sich bereits mit dem Projekt befaßt. Die große Mehrheit der Geschäftsleute ist der Ansicht, daß diese Wochenend- schließung durchführbar und auch vom Standpunkte de« Ladenbeslhers au» praktisch sei. Es werde trotz dieser Schließung, die den Angestellten größere Erholungsausflüge gestatte, in den Läden auch nicht um einen penny weniger gekauft werde«. Und in Deutschland ? In Berlin vor allem? Seit zwei Jahren spricht und schreibt man viel über Wochenende, aber die Reichs. bahn ist bockbeinig und will die Tarife erhöhen, di« Hoteliers und T a st w i r t e der Provinz verfallen sofort dem Nepp, wenn die Wochenendpropagando sich für sie erfolgreich auswirkt, die Geschäftsleute aber meinen, sie müsien Pleite machen, wenn sie ihren Angestellten von Sonnabend um 12 Uhr ab freigeben sollen, sie selber fahren selbstverständlich mit ihrem 40/120 Auto» in die schöne Freiheit und lassen es zu, daß ihre Angestellten abends um 9 Uhr erschöpft nach Hause kommen. Wann kommt«in deutsches Wochenendgesetz? Und warum lassen wir uns alles vom Ausland vormachen?
Mord im Machnower Forst? Ein Mann im Dickicht tot aufgefunden. Gestern abend machten Spaziergänger im Machnower Forst einen grausigen Fund. Unweit des Jagdschlosses Dreiliade«. in nächster Nähe der versuchsan- sialtfürhandfenerwaffea. entdeckten sie im Dickicht in einer großen Blutlache die Leiche eine» Mannes. Die Leute benachrichtigten sofort da» nächste Polizeirevier, das mehrere Beamte an den Fundort entsandte. Verschiedene Umstände ließen dm starken verdacht aufkommen, daß der Mann den Tod von fremder Hand gefunden hatte. Aus diesem Grande wurde sofort die Mordkommission alarmiert, die unter Leitung des Kriminalrates Gennat, sowie der Kommissare Müller und P a s s o w an die Fundstelle eilte. Außerdem wurde der bekannte Polizeiarzt Professor Dr. Strauch benachrichtigt, der sich unverzüglich nach der Mach- nower Forst begab. llnbetannter Toter im märkischen Wald. Im Jagen 47 der Michendorfer Forst fand ein Pilz- sucher die stark verweste Leiche eines unbekannten Mannes, der sich erschossen hat. Der Tote mag an der wenig begangenen Stelle wohl schon 7 bis8Monate gelegen haben. Er war etwa 40 bis S0 Jahre alt, 1,7S Meter groß und trug schwarzen steifen Hut, schwarzen Paletot mit Samttragen, schwarzes Cheviotjackett und Weste, gestreifte Hose, schwarzen Schlips mit gelben Streifen und schwarze Schuhe. In seinen Taschen fand man nur»in Mesier mit Hirschhornschale» aber weder Geld noch Answeis- papier«._ Die Auiokaiastrophe im Osten. Ein unsicherer Herrenfahrer ohne Führerschein. Die Autokalastroph« aus der Thaussee von hohen- schönhausen nach Alt-Landsberg wurde zur Klärung der Schuldsrage von der Kriminalpolizei untersucht. Es wurde festgestellt, daß der Führer des Personenwagens, der Handelsvertreter Walter Haertel aus der Thaerstrahe, seinen Wagen er st kürzlich erworben hat. Am Mittwoch unternahm Haertel eine Probefahrt, auf der ihn sein Wert- meister begleitete. In mäßigem 30<Kilometer-Tempo fuhr das Auto die Chaussee entlang, als es von einem Vierlastauto überholt wurde. Di» Chaussee ist stark gewölbt und ziemlich eng. Um einen Zu- fammenstoß zu vermeiden, lenkte Haertel seinen Wagen nach rechts herüber, wo außer dem Sommerweg noch ein schmaler Fuß- p f a d sich hinzieht. Auf dem Sommerweg ging die eine der Ar- beiterinnen, während die beiden anderen den Fußweg benutzten. Das rechte Rad glitt nun von der Schrägung der Chaussee ab und so verlor der Führer di» Herrschast über den Wagen. Der Werk- meister und Haertel zogen zwar die Bremsen- au, konnten aber nicht mehr verhindern, daß die Frauen umgerissen wurden. Haertel behauptet, daß die Steuerung auch versagt habe. Er ist nicht tm Besitz eines Führerscheins. Die Kriminal- pdkizei nahm ihn vorläufig fest.— Auch den zweiten Raser vom Prager Platz, den Wagenwäscher Bruno Wilden- Hägen, konnte die Wilmersdorfer Kriminalpolizei jetzt in seiner Wohnung ermittel». Er behauptet, daß nicht er, sondern sein Mit- fahrer Stelter den Unglückswagen gesteuert habe. Bekanntlich hatte Stelter, der schon vorher festgenommen war, er- klärt, daß Wildenhagen gefahren Hobe. In einem Punkte gleichen sich die Aussagen beider. Sie geben zu, daß sie an- getrunken waren. Wildenhagen wurde dem Vernehmungs- richte? vorgeführt, der ihn wieder entließ. Das Verfahren nimmt aber seinen Fortgang.
(Bereditigie ütberseizung von Erwin Magnus ). Er bog bei der Lehmgrube ab und bahnt« sich den Weg durch den Wald zur Linken, an der ersten Quelle vorbei, wo die Pferds über die zerfallenen Gatter springen mußten. Neben der glucksenden Quelle, zwischen den Rottannen, wuchs wieder«ine große Lilie, die auf ihrem schlanken Stengel eine Füll« weißer, wachsartiger Glocken trug. Diesmal stieg«r nicht ab, sondern ritt voraus zu dem tiefen Canion, den der
Fluß in die Höhen geschnitten hatte. Hier hatte er einen steilen, glatten Reitweg angelegt, der über den Boden des Cansons in die tiefe Dämmerung der
Rottannen und dann durch einen fast undurchdringlichen Wald von Eichen und Madronjos führte. Dann kamen sie an eine kleine Rodung von«inigen Morgen, wo das Getreide ihnen fast bis an den Leib reichte. steilen, glatten Reitweg angelegt, der über den Boden des Canjons in die tiefe Dämmerung der Rottannen und dann durch einen fast undurchdringlichen Wald von Eichen und Madronios führt«. Dann kamen sie an eine kleine Rodung von einigen Morgen, wo das Getreide ihnen fast bis an den Leib reicht«. „Unser," sagte Daylight. Sie beugte sich vom Sattel herab, pflückte einen Halm und schmeckte ihn. „Süßes Bergheu," rief sie aus,„Mabs Lieblinasfutter. Und den ganzen Ritt hindurch äußert« st« ihr Entzücken und ihr« Ueberrafchuna in frohen kleinen Ausrufen. „Und davon hast du mir nie etwas erzählt!" sagte sie vorwurfsvoll, als sie über die klein« Rodung und die de- waldeten Höhen blickten, die sich ganz bis zur großen Krüm- mung de» Sonoma-Tales erstreckten. „Komm," sagte er, und sie machten kehrt und ritten im Schatten zurück, fetzten über den Fluß und kamen wieder zu der Lilie an der Quell«.
Auch hier, wo der Weg den steilen, mit Buschwerk be- wachsenen Berg hinanführte, hatte er einen primitiven Reit- weg angelegt. Als sie im Zickzack hinaufritten, konnten sie durch den dichten Laubverhang einen Schimmer dessen sehen, was sich hinter ihnen bis zum Horizont erstreckte. Aber immer noch blieb di« Aussicht versperrt durch die Reihen grüner Bäume, die sich den ganzen Weg entlang als Laub- wölbung über ihn schlössen und nur hier und dort einen schmalen Spalt ließen, der Bündel von Sonnenstrahlen ein- dringen ließ. Und zu allen Seiten wuchsen Farne aller Arten, von winzig kleinem Benushaar bis zu riesigen Adler- farnen, die sich zu einer Höhe von sechs Fuß erhoben. Unten in der Tiefe konnten sie ständig die großen verzerrten Stämme und Aeste der Bäume sehen, und über ihren Köpfen hingen ähnliche große Aest«. Dede hielt ihr Pferd an und seufzt« über all die Schönheit. „Es ist, al« wären wir Schwimmer, die aus der Tiefe eines stillen grünen Sees emportaucht«n!" sagte sie.„Hoch droben sind Himmel und Sonne, aber hier ist der See, und wir sind tlaftertief unter seiner Oberfläche." Dann erreichten sie den Gipfel, kamen gleichsam in«ine ander« Welt, denn jetzt waren sie wieder in dem dichten Busch von jungen samstämmigen Madronjos und sahen hin- unter auf den freien, sonnenbeschienenen Hang, über die nickenden Gräser, zu den großen Sträußen blauer und weißer Nemophilen, di« wi« ein Teppich über der winzigen Wiese zu beiden Seiten de« kl«in«n Bache » lagen. Dede klatschte in di« Hände. Sie setzten über den Bach und ritten auf dem Vieh- steige über die niedrige Felshöhe und durch das Manzanita- gebüsch, bis st« das nächste Tal mit seinem von Wiesen um- kränzten kl«in«n Bach erreicht«». „Es sollte mich wundern, wenn wir nicht bald auf«in paar Wachteln stießen," sagte Daylight. Und kaum hatte er ausgesprochen, al« auch schon wildes, aufgeregtes Trommeln erscholl, und die alten Wachteln um Wolf aufflogen, während die jungen eilig Schutz suchten und wie durch Zauberwort gerade vor ihren Äugen verschwanden. Er zeigte ihr den Habichtshorst, den er in dem zer- splitterten Wipfel der Rottannen gefunden, und sie entdeckte
«in Waldrattennest, das er noch nicht gesehen hatte. Dann schlugen sie den alten Waldpsad ein und kamen an eine kleine Rodung, wo die Weintrauben in der roten vulkanischen Erde wuchsen. Hierauf folgten sie dem Biehsteig durch neue Wälder, neues Gestrüpp, durchritten hin und wieder ein be- waldetes Tal und erreichten den Hof, der am Rande des großen Eanjons lag und erst in Sicht kam, als sie ihn fast erreicht hatten. Dede stand auf der breiten Beranda, die rings um das Haus lief, während Daylight die Pferde anband. Es schien Dede, als wäre es sehr still. Es war die trockene, warme, atemlose Ruhe des kalifornischen Mittags. Die ganze Welt schien zu schlafen. Irgendwo gurrten träge Tauben. Sie hörte Daylight zurückkommen, und ihr Atem ging tief und schnell. Er nahm ihre Hand in die seine, und als er den Türgriff faßte, fühlte er, wie sie zögerte. Da legte er den Arm um sie; die Tür sprang auf, und zusammen traten sie ein.
Viele, die in der Stadt geboren und aufgewachsen, sind zum Mutterschoß der Erde geflohen und haben großes Glück S ewonnen. Aber sie haben es sich nur durch eine Reihe itterer Enttäuschungen erkämpft. Mit Dede und Daylight war es anders. Sie waren beide auf dem Lande geboren und kannten es. Sie glichen zwei Menschen, die nach langer Wanderung endlich heimgekehrt waren. Es war weniger das Unerwartete in ihrem Verhältnis zur Natur, als die Freude des Wiedererkennens. Und noch etwas hatten sie gelernt, nämlich, daß es für sie, die sich an die Fleischtöpfe gewöhnt hatten, leichter war, sich an das trockene Brot zu gewöhnen, als für die, die nur das Brot gekannt hatten. Nicht etwa, daß sie ärmlich ge- lebt hätten, sie fühlten nur innige Freude und tiefe Befriedi- gung über die kleinen Dinge. Daylight, der das höchste und phantastischste Spiel gespielt hatte, fand, daß es hier auf den Hängen der Sonoma-Bergs noch dasselbe Spiel war. Man hatte stets«ine Arbeit zu verrichten, Kämpfe zu bestehen, Hindernisse zu überwinden. Wenn er im kleinen Versuche anstellte und Geflügel für den Markt züchtete, interessierte ihn die Spekulation in Küken nicht weniger als früher das Rechnen mit Millionen. (Fortsetzung folgt.)