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Morgenausgabe

Nr. 351

A 177

46.Jahrgang

Böchentlich 85 pt. monetfidh 3,60 R tm voraus zahlbar, Bostbezug 4,32 2. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Bfg. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6.-M. pro Monat.

Der Bormarts erscheint wogentág lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abenbausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend Illuftrierte Beilagen Boll und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wiffen"," Frauen timme". Techni!". Blid in bis Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

30. Juli 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etn1palttge Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das lettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zmer fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt. eschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Bernsprecher: Dönhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Litauische Blutjustiz.

09111014 Gozialdemokraten zum Tode verurteilt.

Kowno , 29. Juli. ( Eigenbericht.)

Ein litauisches Standgericht in Schaulen hat 29 p. zialisten abgeurteilt. Bierzehn wurden zum Tode

verurteilt; die übrigen zu langjährigen Zuchthausstrafen.

Das Urteil ist nach viertägiger Verhandlung gefällt worden. Die amtliche Bekanntgabe des Urteils wird vielleicht zurückgehalten, um gleichzeitig die teilweise Begnadigung der Verurteilten durch den Staats­präsidenten melden zu können.

Dem Prozes liegt folgender Tatbestand zugrunde: Im Frühjahr 1929 wurde in den Räumen des Kownver Parteigebäudes der Sozialdemokratischen Partei sowie in den Räumen ihres Organs eine polizeiliche Durch suchung vorgenommen, die nach amtlichen Darstellungen berbotene Literatur, besonders solche von dem in Polen lebenden Emigrantenführer Pletschkaitis zutage ge­fördert hat.

Diese Flugblätter usw. find nach Samaliger Er. klärung der litauischen Sozialdemokraten ihnen unmittelbar vor der Haussuchung von einem Un­bekannten, gewiß einem Lockspitel der Polizei, zugestellt worden!

Verbindung gestanden zu haben, worauf nach dem vor furzem erlassenen Sondergesetz die Todesstrafe steht. Nach den Durchsuchungen war die Partei verboten

worden.

Eine Demonstration gegen Woldemaras.

Kowno , 29. Juli.

Der ehemalige litauische Staatspräsident Grinius, der einer der Führer der demokratisch- liberalen Richtung in Litauen ist, hat von der Regierung Woldemaras( durch deren Emporkommen er seinerzeit gestürzt wurde) eine lebenslängliche Bension von 1000 Lit monatlich erhalten. Diese Pension hat er nun bis auf weiteres den politischen Gefangenen zur Verfügung ge­stellt. Dieses Borgehen richtet sich gegen Woldemaras und die Gefte der Regierung, die dem volkstümlichen Mann diese Zuwendung gemacht hat, ist somit wirkungslos geblieben.

Die polnisch- litauische Grenze für Verwandte von Woldemaras geöffnet.

Warschau , 29. Juli. ( Ost- Expreß.) Zwei minderjährigen Berwandten des litauischen Minister präsidenten Woldemaras ist das Einreisevisum nach Polen erteilt worden. Um dieses Bifum war über die litauische

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Bostschecktonto: Berlin 37 536. Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstr.

Ausnahmezustand in England.

Der Auftakt der Arbeiterregierung.

( Von unserem Londoner Korrespondenten.)

E. W. London , 29. Juli.

Das Unterhaus ist für drei Monate auf Urlaub gegangen; die erfte parlamentarische Feuerprobe der neuen Regierung ist bestanden. Damit ist ein äußerer Einschnitt ge­geben, der einen ersten kritischen Rund- und Rückblick ge­stattet. Eine Reihe von Fragen drängen sich, Antwort heischend, auf: nach den praktischen Arbeitsmöglichkeiten der sozialistischen Minderheitenregierung im neuen Parlament, nach ihren tatsächlichen Leistungen in den wenigen Wochen ihres Bestehens, nach den Perspektiven, die sich aus dem funft ergeben. Sie fönnen im jeßigen Zeitpunkt nur teil­ersten Abschnitt ihrer parlamentarischen Tätigkeit für die Zu­weise und provisorisch beantwortet werden.

Die ersten vier parfamentarischen Wochen können nicht neu, mit der Atmosphäre des neuen Parlaments- noch nicht Opposition durch ihre Niederlage moralisch geschwächt und vertraut und vielfach noch ungenügend eingearbeitet; die aus taktischen Gründen abwartend; die Presse und öffent­liche Meinung, noch übermäßig an den Personalien der neuen Regierung und der neuen Abgeordneten interessiert, jegliche sachliche Arbeit im Parlament eher hemmend als fördernd; die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind verschleiert und ist niemand gewillt, Entscheidungen bis zu einer Krise zu er­zwingen. So herrscht, parlamentarisch gesprochen, eine Art Ausnahmezustand, der über die tatsächlichen Arbeits­möglichkeiten, über das Maß der Handlungsfreiheit der Re­gierung im Parlament feine festen Schlüsse ermöglicht.

als normaler Zustand betrachtet werden. Die Regierung iſt

Es wurde eine große Anzahl Personen verhaftet, haupt. Gefandtschaft in Riga gebeten worden. Der der Regierung nabe überraschend sein. Während sich eine Arbeiterregierung unter fächlich auch stehende Glos Brawdy" benutzt diese Gelegenheit, führer Galinis. Während ein Teil der Verhäfteken wieder auf freien gesetzt wurde, verblieb der Rest in Haft und wurde nunmehr abgeurteilt. Ihnen wurde zur Last gelegt, mit Pletschkaitis und seinen Anhängern in

S

schern Litauens " nochmals die vielen Schwierigkeiten darzulegen, die durch die Schließung der polnisch- litauischen Grenze für die Bevölkerung beider Länder entstanden seien; der litauische Minister habe sich in diesem Fall persönlich ein Bild dieser Schwierigkeiten machen können.

Die Internationale zur Lage.

Für Soforträumung.- Die Vertragsrevision von Trianon.

Zürich , 29. Juli. ( Eigenbericht.)

Die Erefutive der Sozialistischen Arbeiter- Internationale hat ihre Tagung am Montag beendet. Die Erekutive diskutierte zunächst eingehend die Probleme des europäischen Friedens. An der Debatte nahmen teil: Soukup- Tschechoslowakei , Niedziekowski­Bolen, Abramowicz und Suchomlin- Rußland, Wiit- Finnland , Fe dento- Ukraine, Gwarjaladse- Georgien, Brodway- England, Mo­ digliani - Italien , Bauer Desterreich, Vandervelde Belgien und der Sekretär der Internationale Friedrich Adler . Es wurde die Einsetzung einer Kommission beschlossen, die die Pro­

bleme der

Unterordnung der Nationalen Freiheitsbestrebungen im Osten Europas unter die Notwendigkeit des Friedens und der Demo­trafie der Welt

in der nächsten Erefutive zu behandeln haben wird. Die Erefutive beschloß ferner einen Protest gegen die Berfolgungen in Litauen . Von der am Sonntag eingefeßten Kommission über die Kriegs­gefahr im fernen Ost en erstattete Bauer Defterreich Bericht. Nach längerer Debatte wurde eine eingehende Resolution einstimmig angenommen. Die Resolution zur allgemeinen politischen Lage lautet:

Bor dem Zusammentritt der Hanger Konferenz will die Ere futive feststellen, daß die deutschen , englischen, belgischen, französi schen und italienischen Sozialisten bereits 1922 in Frankfurt in der Resolution, die von den Kongreffen der gesamten Inter­nationale in Hamburg 1923 und Brüssel 1928 bestätigt wurde, die Lösungen formuliert haben, nach denen sich nun unter dem Druck der Ereignisse und der öffentlichen Meinung die Re­gierungen orientieren müssen, in bezug auf: 1. die endgültige Regelung des Problems der Reparationen in Berbindung mit dem der Schulden, 2. dem Rückzug der ausländischen Truppen aus dem Rheinland , 3. die Abrüstung zu See. zu Land und in der Luft. Die Annahme des Young- Planes würde notwendigerweise

die Räumung des Rheinlandes ohne weiteren Aufschub und ohne Bedingungen, die Deutschland einer einseitigen und dauernden Kontrolle unterstellen würden,

die mit dem Rechte einer freien Nation unerträglich wäre, und übrigens weder in den Verträgen von Versailles noch von Locarno

vorgesehen ist, zur Folge haben. Die Exekutive erinnert daran, daß die Sozialisten der daran intereffierten Länder auf den ver gangenen Kongreffen der Internationale darüber einmütig waren, daß es, um die Liquidierung des Krieges zu vollenden, notwendig ist, durch gütliche Verständigung das Ausnahmeregime, das im Saargebiet besteht, zu beenden, ein Ausnahmeregime, dessen Beseitigung in der kürzesten Frist erforderlich ist. Die Inter­nationale begrüßt die von der Arbeiterregierung Großbritanniens ausgehende Initiative hinsichtlich der Abrüstung zur See und der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit. Sie unterstützt mit allen ihren Kräften die Entwicklung dieser Aktionen, sowohl in bezug auf die allgemeinen Herabsetzung der Rüftungen zur See, zu Land und in der Luft, als auch hinsichtlich der Ausdehnung der Schieds­gerichtsbarkeit als Lösung internationaler Konflitte. Die englische Arbeiterregierung fann in ihrem Kampf gegen den Krieg und für den Frieden in Europa und in der Welt auf die gesamten organi­fierten Kräfte der Internationale zählen."

Die Resolution wurde einstimmig angenommen, ebenso die folgende Resolution in der Frage der

Revision des Friedensvertrages von Trianon: Die Erefutive erklärt: Die sozialistische Arbeiterinternationale Die Erefutive erklärt: Die sozialistische Arbeiterinternationale unterstützt den Kampf der ungarischen Arbeitertiaffe gegen das gegenrevolutionäre Regime, das eine Gefahr für den Frieden Europas und für republikanische Ordnung der Nachbar. staaten ist. Sie wird nicht aufhören, ihren ganzen Einfluß gegen das gegenwärtige ungarische Regime einzufeßen. Das ungarische Bolk hat denselben Anspruch auf die Unterstützung der Internationale im Kampf um sein Selbstbestimmungsrecht wie jedes andere Bolt, aber dieser Anspruch kann nicht benutzt werden, um die Unterstüßung der Internationale für ein antidemokratisches Regie­rungssystem zu erlangen. Nur ein demokratisches und friedliches Ungarn wird die volle Unterſtügung der Internationale für die freie Entwicklung des ungarischen Boltes erlangen können."

Für den ausländischen Beobachter mußte ein Moment ähnlichen parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen auf dem Kontinent in erster Linie an die Liberalen um Unterſtügung wenden würde, ging die Taktik Macdonalds sichtlich darauf hinaus, wo es irgend ging seine Abstimmungsmehrheiten auf die Hilfe der konservativen O position zu gründen. Daß diese konservative Hilfe auch tatsächlich bei zwei oder drei Gelegenheiten gewährt wurde, lag darin, daß sich die Konservativen mit den Sozialisten in dem Wunsche begegnen, Lloyd Georges parlamentarische Schlüsselstellung so unwirksam als möglich zu gestalten. Dieser Zustand kann jedoch nur vorübergehend sein. Je weiter die Arbeiterregie­rung von Maßregeln mehr oder minder überparteilicher Natur zu umstrittenen Maßnahmen vorschreiten wird, desto mehr wird sich das Gewicht der liberalen Minderheit im Barlament fühlbar machen. Die Liberalen werden hierbei allerdings in ihrem Handeln nicht so frei sein, wie Lloyd George es wahr haben möchte. Das Land wünscht eine fort­schrittliche Regierung und eine fortschrittliche Politik vorzeitiger Sturz der Arbeiterregierung infolge par­lamentarischer Prestigesucht der Liberalen würde von der Nation nicht gebilligt werden und müßte mit einer geradezu vernichtenden Niederlage der Liberalen enden. Die Arbeiterregierung fann daher sachlich mehr wagen als eine Minderheitsregierung auf dem Kontinent unter gleichen parlamentarischen Voraussetzungen zu riskieren ver­

möchte.

Ein

Blidt man unter diesem Gesichtswinkel auf die bisherigen Arbeiten der jungen Arbeiterregierung, so wird man den neuen Männern die Anerkennung für das, in den kurzen acht Wochen ihrer Eristenz tatsächlich bereits Geleistete nicht versagen können. Selbst wenn man von allen Zukunfts­plänen, wie der beabsichtigten Erhöhung des schulpflichtigen Alters und den Ankündigungen der Thronrede für die nächsten zwölf Monate abfieht, so bleiben doch eine ganze Reihe von Maßregeln, die angesichts der Kürze der Zeit als erstaunlich bezeichnet werden müssen und in schroffstem und erfreulichstem Gegensatz zur fonservativen Politik des Nichts­tuns stehen. Die Regierung hat unter der energischen Füh­feiten mit ihrem Programm der Bekämpfung der Ar­rung von 3. H. Thomas trop aller technischen Schwierig­beitslosigkeit bereits begonnen und drei Gefeßzent­würfe eingebracht, deren Rückwirkungen auf den Arbeits­marft nicht lange auf sich warten laffen dürften. Die Ent wicklungs- Bill" zielt darauf ab, für Arbeiten von Nuzen für die Deffentlichkeit und zur Produktionsförderung" 500 Millionen Mark zur Verfügung zu stellen.

"

Der zweite Gefeßentwurf, die ,, Rolonial- Entwid= Iungs- Bill" dient zur Schaffung eines Fonds, durch den die landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung in den Rolonien, Protektoraten und Mandaten gefördert werden soll. Wiewohl die jährliche Summe, die das Parlament zu diesem Zwecke zur Verfügung stellen soll, lediglich 20 Millionen Mark beträgt, so wird von sachverständiger Seite doch gehofft, daß dieser Fonds mit Hilfe der Kolonien selbst eine jährliche Kapital­ausgabe von rund 800 Millionen Mark zum landwirtschaft­sonderes Merkmal dieses Gesezentwurfes besteht darin, daß der verantwortliche Minister das Recht befißt, die Gewährung der staatlichen Hilfe unter dieser Vorlage von der Einhal=

Die Sizung wurde vom Vorsitzenden Wibaut- Holland um 6% Uhr abends geschlossen. Im Anschluß an die Sigung findet eine große Rundgebung gegen Krieg und Imperialismus ftatt, in der Otto Bauer- Desterreich Longuet- Frankreich , Crispien- Deutsch- lichen und industriellen Ausbau ermöglichen wird. Ein be land, Brockway- England, Hilquith- Amerika. Adelheid Popp - Defter­reich( Internationales Frauenfomitee), Wibaut- Holland, Andersen Dänemark und Robert Grimm - Schweiz sprechen.