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(Beilage Montag, 11. November 1929

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Bebels Wahlen zum Reichstag Nach Dokumenten des Leipziger Ratsarchivs Von Arno Kapp-Leipzig

5m Kriegsjahre 1871 fandm die Wahlen zum Reichstag arn 3. März statt unter wie Bebel selbst sagtGlockengeläute und Kanonendonner", da am gleichen Tage der Präliminarfriede in Versailles unterzeichnet wurde. Bebel hotte zwar im 17. sächsischen Wahlkreis mit 7344 Stimmen gegen Schulze-Delitzsch nnt 4679 Stimmen gesiegt, war aber in Leipzig seinem Gegenkandidaten, dem Bizebürgermeister Dr. Stephan i, unterlegen. Trotzdem war das Resultat, Bebel hotte 2576 und Stephani 7312 Stimmen er- halten, ein günstiges. Die Ianuarwahl des Jahres 1875 bracht« Bebel abermals einen Stimmenzuwachs, trotzdem er auf der Festung chubertusburg interniert war. Das Wahlkomitee der Leipziger Sozialdemokratischen Partei brachte folgenden Aufruf unter die °bler:Reichslagswahli Es ist Tatsache, daß es in Leipzig Wähler genug gibt, die eine Wiederwahl des seitherigen Vertreters der Stadt un Reichstage, des Vizebürgermeisters Stephani, nicht wünschen, die keinen Vertreter wollen, der in Berlin zu allem 5a und Amen sagt, die einen Vertreter wollen, der nicht die Wünsche der Regie- rung, sondern nurdasWohlundInteressedesVolkes im Auge Hot, der demgemäß auch den Mut hat. gegen alle volks- feindlichen Bestrebungen, gegen jede Beeinträchtigungen der Volks- interesien ein mannhaftes Veto einzulegen. Ein solcher Mann ist August Bebel , Drechsler in Leipzig , derzeit aus Hubertusburg ." Die Ianuorwohl brachte von 12 953 gültigen Stimmen 3729 für unseren Bebel. Da Dr. Stephani bereits im Mörz dieses Jahres sein Mandat niederlegte, fand am 11. Mai 1875 Nachwahl statt. Bebel stand mit Dr. G o l d sch m i d t im Wahlkampfe. Er erhielt 3976 Stimmen, sein Gegner 8204. Am 11. Mai des Jahres 1878 hatte Hödel sein Attentat auf den Kaiser ausgeführt. Das Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie war auf dem Wege. Der 30. Juli brachte die Wahlen zum Reichs» tage. Bebel kandidierte wieder in Dresden und Leipzig . Letzteres hatte damals 26 807 Stimmberechtigte, die auf 40 Wahlbezirke ver- teilt waren. Aufgestellt als Kandidaten waren von der Bevölkerung Dr. S t e p a n i. K a r l h e i n e und A u g u st B e b e l. Der Kampf der Bürgerlichen war scharf. Man fürchtet« die Sozialdemokratie. Das geht mit aller Deutlichkeit aus einer Reche von Stimm- zetteln hervor, die für ungültig erklärt werden mußten und den Wahlakten beiliegen. Wir lesen auf diesen u. a.: Ich wähle Stephani. um Bebel zu beseitigen!" Herrgott, führe alles zum Besten, erleuchte den vorgenannten Herrn fStephani) und vernichte die Sozialdemokratie!" Die schlechtesten Wespen sind es nicht, die an den Früchten nagen!"'-. Bebel hatte sich damals schon auch unter der Bürgerschaft Leipzigs eine Menge Freunde erworben. Ein großer Teil übte des- halb Stimmenthaltung. Anstoß bei vielen Wählern hatte die hohe Pension Skephauis erweckt. So lesen wir auf einem für ungültig erklärten Wahlzettel (Nr. 161) in echtem Leipziger Idiom: Ich wähle den Vizcwachtmeister W i l Helm Spieß in Leipzig , weil mich derselbe ebensogut meine Interesien wahren wird, wie der Vizebürgermeister a. D. Stephani in Setpztg... Ueberdies nimmt mein Mandatar, solange er arbeitsfähig ist, aus Scham keine Penfill n." Das Ergebnis war folgendes: Bebel 5822 Stimmen, Heime 236! und Dr. Stephani, der sich in Berchtesgaden zur Kur auf- hielt und dort das Resultat erwartet«, 11 940 Stimmen. Stephan« war also gewählt. Oberbürgermeister Dr. Tröndlin, der als Wahl- leiter in Leipzig anwefned fein mußte, sandte dem Bizebürgermeister folgendes Telegramm: Nach Feststellung des Wahlergebnisses habe ich Sie heute als Vertreter des 12. Wahlkreises proklamiert. Ich bitte umgehend« briefliche Erklärung wegen Annahme der Wahl weil auch verreisen möchte!" Die nächste Reichstagswahl im 12. Wohlkreise fand am 27. Ok- tober des Jahres 1881 statt.(3.) Die Sozialdemokratie stand unter dem Ausnahmegesetz. Jede öffentlich- Pro- paganda war ihr untersagt. Di« Furcht vor der Partei zeitigte auch in dieser Wahl eine Reihe Blüten. Auf einem Flugblatt der Bürger- lichen für Stephan! finden wir am Schluß folgende Notiz: Möchte am 27. Oktober der gesunde Sinn der Wählerschaft über" die zeitweilige Verblendung siegen und Leipzig vor der Schmach bewahren, einen Sozialdemokraten seinen Abge- ordneten nennen zu müflen Leipzig , der Sitz des Reichs- gerichts!" Ein demokratischer Wähler glossiert auf seinem Stimmzettel fllr. 284) die Kandidaten in folgendem Poem: Stephani ist gut national wohl hier gefällt mir sein Bekenntnis. hiitt' er für das. was sonst uns frommt. nur auch das richtige Verständnis! V i r ch o w mag ein Gelehrter sein, von Wirtschaftssragen nur indesien versteht der gute Mann so viel, als wie der Ochs vom Schädelmessen. Der M o t h e s. wär' der nur daheim geblieben daß ich es nur sag«! Man wählt doch wohl den Reichstag mcht zur Lösung bloß der Lehrlingsfrag«? Der Bebel, ja der wäre recht. der furcht' ssch nicht vor Hindernissen; der kennt des Volkes Not. allein ich will vom Aukunstsstaat mchts wissen!.. Und ein anderer Stimmzettel(Blatt 106 der Akten) wird noch dautlicher in der Ablehnung der bürgerlichen Kandidaten. Er lautet: Stephan! mag ich nicht. Mothes will ich nicht, Virchon» brauch' ich nicht. Bebel soll und darf ich nickst wählen, darum sage ich so­viel: Euer ganzer Kram ist Sch----!" Das'Ergebnis der Wahl war folgendes: Step hau»... 8894 Stimmen Bebel ..,,. 6482«stmmen Blathe,.,.. 4746 Stimmen . e» 1729 Skmmen.

Die Stichwahl zwischen Bebel und Stephani wurde für den 10. November angesetzt. Bebel war aus Leipzig ausgewiesen, sein Wohnort unbekannt. So stand's in der Uebersichtstobelle des Rates für die Stichwahl am 10. November 1881 verzeichnet. Die Ordnung-- Parteien hatten folgendes Flugblatt herausgebracht: Die unterzeichneten Komitees für die Reichstagswahl Leipzigs betrachten es als eine unabweisbare Pflicht, bei der bevorstehenden Stichwahl, olle Meinungsverschiedenheiten beiseite lassend, ge­meinsam gegen die sozialdemokratischen Bestre- bungen einzutreten.. Die Wahlakten bewahren auch das Original eines sozial» demokratischenFlugblattes auf. Als Herausgeber zeichnet die RedaktionSt. Best in Plauen ", als DruckerSchwartze u. Co. in Chemnitz :. Das Flugblatt lautet: An die Wähler der Sladi Leipzig ! Donnerstag, den 10. Novembee sollt Ihr nochmals an die Wahlurne treten und entscheiden zwischen dem seiner politischen Ueberzeugung halber aus Leipzig vertriebenen hochachtbaren deutschen Bolksmann, Drechstermeister August Bebel-Leipzig und dem vom Schweiße der Bürger und Arbeiter lebenden pensio- nierten Bürgermeister Dr. Stephani Wähler! Leute, die Euch sonst nicht kennen, kommen und betteln um Eure Stimme für Stephani, für denselben Mann, der mit dafür gestimmt hat, daß jeder Ehrenmann seiner Ueberzeugung halber ohne Richterspruch durch polizeiliches Machtgebot von Weib und Kind vertrieben werden kann, der überall mit dabei war, wenn es galt, die körglichen Rechte des Volkes noch mehr zu beschneiden, der für die Losten, welche Euch ollen auferlegt sind, und welche Ihr zu tragen kaum noch imstande seid, mit verantwortlich ist. Wähler! Diesen Leuten, die Euch bloß als un» «issende» Stimmvieh betrachten, zeigt die Tür!

Zeigt, daß Ihr zu unterscheiden versteht zwischen Volksvertretern und Volksverrätern, zwischen dem mit den Rechten des Volkes schachernden Dr. Stephani und dem kühnen Kämpfer für Volks- wohlfahrt und Volksfreiheit, dem Drechslermeister A u g u st Bebel- Leipzig. Für diesen Mann einzutreten, der seit vielen Iahren Euch allen durch sein mannhaftes Eintreten für die Rechte des Volkes wohl bekannt ist, sei Eure höchste Aufgabe. Laßt Euch nicht ein- schüchtern noch abhallen, sondern wählt alle mit uns am Tage der Wahl, Donnerstag, den 10. November, den Drechslermeister August Bebel -Leipzig . Der Sieg der Wahrheit usid des Rechts muß unser werden! Wir empfangen soeben folgende Zuschrift: 3ch erkläre hiermit, daß die Gerüchte, wonach ich erklärt hätte, die Wahl für Leipzig nicht anzunehmen, erlogen find. 3ch nehme die Wahl an! A u g u st B° b e l." Unterzeichnet war dieses Flugblatt mit den Worten:Viele Wähler aus dem Bürger- und Handwerkerstande Leipzigs ". Die Gehässigkeit des Bürgertums gegen die Sozialdemokratie während der Stichwahl tritt klar in Erscheinung aus den Aufzeich- nungen einer Reihe von Stimmzetteln, die den Wahlakten als un- gültig beigelegt worden sind. Wir lesen auf ihnen u. a.Nieder m i t B e b e l!" und:Den roten Sozialisten wollen wir heut' ausmisten!" Trotz alledem-erhielt der bürgerlich« Kan» didat von 21 684 gültigen Stimmen nur 11 863. Bebel war zwar mit 9821 Stimmen unterlegen, aber die Sozialdemokratische Partei Leipzigs hatte einen gewaltigen Stimmenzuwachs erhallen. Und das, trotzdem August Bebel ausgewiesen war und die Partei unter den Schikanen der Polizei infolge des Sozialistengesetzes zu leiden hatte!«s

Besuch Im Tonbergwerk Die Industrie der Stadt Klingenberg

Auf von fröhlichen Wanderscharen vielbegangenam Wege im fränkifckzen Maingau liegt das mittÄalierliche Städtchen Klingen» b e r g. An die spalierbedeckten Hänge des Hohbergs und des Schanz- bergs kuschen sich altfränkische, über Eck stehende Häuser hier«in Renaissaneegiebel. dort eine Holzschnitzerei, ein alles Tor. ein Dotivbild,«in Fochbauwevk mit Erker. Und auf halber Höhe haftet der Blick an«wer Burgruine,, dem einstigeu Sitz der Dynasten von

Jnneres einer SchachihilHe Klingenberg, die gelegentlich wie ihr« Adelsgeiwsscu der Gegend auch dem Raubritterhandwerk oblagen. Klingenberg ist m der ganzen Well bekannt wegen der vor- züglichen OuaRtot des dort gewonnenen Tons. In einer Mulde des Mainsandsteins, etwa zwei Kilometer vom Städtchen entfernt, liegt das Tonoorkommen, das fast die einzige Einnahmequelle der Stadt bildet, aus der die Gemeinde säst sämtliche Unternehmungen smanziert, zugleich Beschäftigungsort der meisten Klingenberger Ein» wohner. Die fette, keinen größeren GeHall an abschlönnnbarem Sand führende Tonart soll von einem Töpfer der 11. römischen Legion auf ihren Wert erkannt und zu Töpserarbeiten verwendet worden sein. Nach dem Iurisdiktionalbuch von 1567 hatte die Stadt ein«, Lettengrub«", ober keinen Bergbau. Erst später verlieh man die Gewinnung aus offener Grube(Tag- bau) und nahm bergmännischen Stollenbau aus, bis 1855 zumeist in Pacht, worauf die Stadtverwaltung dein Raubbau der Pächter durch Uebernahm« des Werks in eigene Regie ein Ende berellet«. Das Tonbergwcrk, das als staubfreie Grübe von den Häuern mit offener Azstylenlampe befahren werden kann, ist ein sogenanntesbewegliches" Wert. Unmerklich aber stetig senken sich die Massen der geschmeidigen Cdelerde nach unten im Maßstab des Abbaues, so daß die Holzversprießungen, sofern sie nicht knicken, sich millimeterweise dem nachdrängenden Ton eindrücken. Di« Beweg- lichteit der Grube ist auch daran schuld, daß an Rollwagenbetrieb nicht zu denken ist. Lediglich im Horizontalstollen, durch denein- gefahren" wird, finden Schubkarren Verwendung. Der Häuer(Berg» mann), dar von draußen seinen Eimer Wasser mitnimmt, srrebt an der Gestewsgrenze vorbei durch den Schacht nach dan Leitar» g ä n g e». die er abwärts tlimint, bis er von einer der Bühnan aus seinen jeweiligen Standort mühelos erreicht. Ist auch der Ton- tiefbau mit weniger Gefahren verbunden als die Arbeit des Kum­pels in der Kohlengrube, so ist trotzdem die Gewinnung des wert» vollen Materials mit Mühe und Beschwer verknüpft Ein Glück, daß stärker« Tonschichten für Wasser undurchläffig sind! Der Tagesdurchschnitt des Häuers ist gegenwärtig 600 Schollen, von denen jede ein Gewicht von 10 Kilo hat. Er taucht zu diesem Zweck die Hack« in das mitgebrachte Wasser, und als erfahrener Tonberg, mamr hat er sein Schollengewicht fast unfehlbar getroffen Aus vier Schächten wird der Ton nach oben gefördert, wo Arbeiter ihn nach drei verschiedenen Wertbef chaffenheiten sortieren. Früher

kannte man nur zweierlei Güte, als noch der Ton in die privaten Glashütten im Spessart , nach London , an den Niederrhein und nach Holland ging. Diese beiden Sorten wurden kurzwegG l a s e r d e" undHafenerde" genannt. Die Fördersohle liegt etwa.55 Meter unter der Erde. Eine unlängst angestellte Bohrung ergab an be- nachbarter Stelle bei 9 Meter Tief« ein Tvnvvrkominen, das erst bei 60 Meter aufhörte. Der Klingenberger Ton ist an Bildsamkeit und Bindefähigieit allen bekannten Tonen überlegen. Er läßt sich kneten wie Wachs und verbindet und kittet selbst die ungleichartigsten Be- standteil«. Daher kommt seine Hauptaufgabe namentlich bei der Graffit-Schmelztiegelfabrikation zur Gellung. wo er die spröden Grafsitteile einhüllen muß, um sie vor Verbrennung zu schützen, und sie fest verkitten muß. um dem Tiegel einen festen Holt selbst bei stärksten Temperaturschwankungen zu geben. Man kann einen glühenden Tiegel ins kalt« Wasser werfen, ohne daß er Schaden leidet. Sorgfällige Versuche ergaben, daß ein Tiegel aus Klingenberger Ton 9vmal zu Schmelzungen benutzt wurde, bis feine Wände so dünn waren wie ein stärkeres Schreib- papier. Die Amerikaner nennen den Klingenberger Ton wegen seiner Gütecrown branck clay", d. h. Kronen-Drand-Ton. Wegen | seiner vorzüglichen Bindekrast wird der Ton auch zur Bindung von Schmirgel w den bekannten Schleifscheiben, ferner bei dar Fabri- kation von Bleistiftminen, zu Porzellankapseln. Zinnkapfeln usw., und auf anderen Gebieten verwandt. An Werktagen entrollt sich um die Mittagszeit ein eigenartiges Bild. Vor die Häuser Klingenbergs werden die Essen» kästen gestellt, um mit Pserdewagen hinaufgeschafft zu werde» zu den im Bergwerk arbeitenden�Häuern. Kasseroleu kennt man hier nicht. Es sind langgestreckte, dunkle Kästen, die die Frau des Arbellers vor die Tür stellt. Sie sind aus... Töpferwn gefertigt. Mit der Tonindvftri« steht und fällt die Existenz dieses Stödt» chens, das einst von seinem Weinexport lebte. Der Winzer ist Proletarier geworden: er arbeitet im Bergwerk um

Ausfehrl durch den Stollen Wvchenlohn. Seinan Feierabend umgibt da» Mittslalter, das Ge» ficht seiner Vaterstadt', seinen Werktag dagegen die Nene Zeit, dos Gesicht der Industrie. - Der Ton stellt Zersetzungsprodukte feldspathaltiger oder gl immer» reicher Gesteine dar und besteht aus kieselsaurer Tonerde. Die ver» schiedene Färbung hängt mit der Verunreinigung durch Kalk, Mag- nesio. Eisen- und Manganhydroxyd, Quarzsand usw. zusammen. Man unterscheidet Kaolin, Porzellanerde,(Bildhauer-, Modellier») Ton, Lehm, Löß. Walkerde, Mergel. Der weißlich« Töpserwn, der fast unschmelzbar ist, wird für Pfeifen, Steinzeug, Fayence und feuerfeste Tonwaren verwendet. Der in der Hitze ve'glasende Töpfer- ton dient zur Anfertigung von Topfwaren, Backsteinen, zum Mo- de llieren usw. Cawc.