1961. Beilage des Vorwärts
Nr. 569 46. Jahrgang
Die längste Straßenbrücke.
Unten in der Ostmart, ein gut Stüd hinter Rüstrin, dehnt sich das Barthebruch, unter viel Mühe und Not, unter ständiger Arbeit und fiärdigem Verzichtleisten der Kultur erschlossen. Schon vor hundert oder hundertundfünfzig Jahren. Aber es lohnte sich trotzdem nicht recht. Das Bruch war wie von der Welt abgeschnitten. Sein Land war unzugänglich, und in den Ueberschwemmungszeiten waren die einzelnen Beftzungen gewissermaßen Inseln für sich. Der Bruchbauer war darauf angewiesen, alles, was er produzierte, in ein landwirtschaftlich gesegnetes Hinterland zu bringen, was sich als nicht sehr einträglich ermies. Er mar gezwungen, seine Produfte, um bessere Preise zu er zielen, mit der Meinbahn zu perfrechten, und nur selten tonnte er fein Baren über die Warthe nach Vieh, einem großen Dorf von etwa 6000 Einwohnern, bringen. Jit regen und wafferreichen Jahren, wie 1928, war dies überhaupt unmöglich. Das Bruch ist eben nur fruchtbar, wenn das Wasser abgelaufen ist. Jahrzehnte hindurch
Die Fichtnerder Brücke zum Warthebruch.
und links gibt es Fußsteige, die den Passanten dienen, die von Fichtwerder, dem Endlagepunkt der Brückenpfeiler auf der Festlandfeite, in das Warthebruch hinüber wollen. Entworfen wurde das Bauwert von Professor Bernhard- Berlin, während die Bauleitung das Kreisbauamt innehatte.
wurde der Verkehr zum Bruch durch Fähren vermittelt, was stets| verdichtet. Die Fahrbahn ist auf der Brücke 5,20 Meter breit, rechts mit großen Schwierigkeiten verknüpft war. Wetter und Jahreszeit waren hier meist übelwollende Diktatoren. Eine vor einigen Jahren angestellte statistische Erhebung ergab, daß beispielsweise von den wichtigsten Warthefähren zwischen Landsberg und Küstrin die Fähre bei Fichtwerder im dreijährigen Durchschnitt an 69 Tagen, die Fähren bei Viezer Ablage an 184 Tagen und die Fähre bei Schwarzsee an 203 Tagen nicht benutzt werden
fonnten.
Es ist bezeichnend, daß während der reichen Jahre des früheren Deutschland niemals die Mittel aufzubringen waren, durch eine Brüde das Warthebruch mit dem Biezer Festland zu verbinden. Erst in der Republik war es möglich, wenn auch unter ganz bedeutenden Opfern, diese Idee zur Ausführung zu bringen. Schon 1923 liefen die ersten Pläne um, und der Streit der Meinungen über die Nüglichkeit des geplanten Bauwertes begann sich zu entwidein. Jahre dauerte es noch, bis die Mittet flüssig waren. Dann fonnte 1928 mit dem Bau begonnen werden. 16 Monate wurde gearbeitet, die harten Wintermonate fielen natürlich aus, und jeßt fonnte die Brücke, an deren Bollendung die Bewohnerschaft der ganzen Gegend mit Liebe bing, dem Berfehr übergeben werden Man hat nicht viel Besens davon gemacht, daß hier in aller Stille die längste Straßenbrüde Deutschlands erftanden ist Diele ungeheure Strede entfällt zum größten Teil auf die sogenannte Flutbrüde von 504 Meter Bänge, die den Teil der Niederung überbrückt, der im Frühjahr und Herbst gewöhnlich überschwemmt zu sein pflegt. Die eigentliche Strombrüde, die über die Warthe ihre maffigen Bogen spannt, ist 140 Meter lang. Zwischen dem Endpunkt der Strombrüde und dem Anfang der Flutbrüde gibt es ein inselartiges festgelagertes Stüd von etwa 40 Meter. Die Flutbrüde hat zwei Widerlager und 20 3wischenpfeiler, die Strombrücke zwei Widerlager und zwei Strompfeiler. Die Pfahlbauten, die die Zwischenpfeiler tragen, die tief in das weiche Erdreich bis zu 9 Meter hineingetrieben sind, bestehen aus Beton, in Blechröhren
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Damais
Roman von
" Tanteilbut
Ein Mann und eine Frau gehen vom Bahnhof ins nächste Hotel. Die Frau trägt noch immer das Berhüllte in den Armen. Sie müssen durch eine Wirtsstube hindurch, in der lärmend Soldaten und Huren ſizen. Die Kellnerin schiebt sich mit schlenkernden Gliedern durch den Wirrwarr von Tischen, Tornistern und Körben, Kisten und Seemannsfäden hindurch. Die Wirtsstube ist voll von Qualm und Gestank. Vor dem Mann und der Frau, die das Verhüllte trägt, geht der Wirt eine wendelige Treppe hinauf, in der Hand eine Kerze. Er öffnet ein Zimmer, entzündet das Gaslicht und zieht Borhänge vor. Ein Bett, eine Liege, ein Waschtisch und Bilder. hänge vor. Ein Bett, eine Liege, ein Waschtisch und Bilder. Der Mann und die Frau sehen sich um. Der Wirt geht hin
aus.
,, Unser Hans!" sagt die Frau. Sie schlägt das grauwollene Tuch zurück und zeigt ihm
fein Kind.
5.
Drei Tage und drei Nächte lebten Hans und Esther zu fammen. Er schrieb einen Brief nach Hessen , an seinen Freund, den Regimentsfameraden, der Herr eines bedeutenden Gutes und feit längerer Zeit zu Hause war, denn eine Verwundung hatte ihm Urlaub verschafft. Am dritten Abend gingen fie vom Hotel zum Bahnhof hinüber. Esther trug das Verhüüte im Arm. Ihre Trennung war diesmal ohne Tränen, denn nun stand nicht mehr zwischen ihnen der Tod, nein, das Leben, die Hoffnung, würde noch in der Ferne beide mit ruhelofer Freude erfüllen. So reiste Esther nach Hessen
Doraus.
Aber als Hans dann im Hause seiner Eltern war, von feiner Mutter nicht mit Frage noch mit Vorwurf aber mit tausend Umarmungen bestürmt, da schien es, als wollte sich fein soldatisches Ehrgefühl an jedem Widerstand reiben, der es verlegte.
Er erzählte vom Kriege; alle faßen am Tisch.,
Die Opferwilligkeit der Kreistörperschaften der Kreise Lands berg und Dststernberg und der ihnen angehörenden Gemeinden um Fichtwerder, der tätigen Hilfe der Provinzialverwaltung der Provinz Brandenburg , den Staats- und Reichsbehörden ist das Bauwert zu danken. Wichtigste Aufgabe der neuen Brücke, auf die die Ostmart. besonders stolz ist, soll die Vermittlung des Durchgangsverkehrs zwischen Norden und Süden, zwischen Pommern , Brandenburg und Schlesien sein, vor allem aber auch die wirtschaftliche und kulturelle Erschließung zurückliegender Landesteile. Mit den Bautosten in Höhe von 1 200 000 Mart ist diese Aufgabe nicht zu hoch bezahlt.
Die Lotterie der Arbeiterwohlfahrt
die am 18. und 19. Dezember dieses Jahres Ziehung hat, bringt bei einem Lospreis von nur 50 Pfennig als Höchstgewinn ein eingerichtetes Landhaus. Die Hauptgewinne sind gleichfalls Landhauser. Weitere Gewinne( insgesamt 146474 nebst zwei Prämien im Gesamtwerte von 500 000 Mk.) sind: Klaviere, Sprechapparate, Küchen, Motorräder, Nähmaschinen, Fahrräder.
Wer es wünscht, kann auch Bargeld bekommen; denn alle Gewinne sind mit 90 Proz. ihres Wertes in bar auszuzahlen. Die Gewinnchancen sind angesichts des niedrigen Lospreises außergewöhnlich günstig. Die Lotterieeinnahmen finden ausschliesslich zu Wohlfahrtszwecken Verwendung.
,, Schweige doch davon," sagte plöglich Albert, genug ist vom Kriege gesprochen worden, solange er herrschte. Unterhalten wir uns von der Zukunft, vom Frieden."
Darauf griff Hans ihn wütend an, mit Kränkungen, die fehr persönlich waren. Albert schwieg. Das erhöhte den Druck. Und die Spannung wuchs täglich. Nein, das war tein Frieden! Da faßte der Graf den Entschluß zu reisen, und Hans fuhr mit seinen Eltern nach Hohenau .
Irene blieb also mit Albert allein zurüd. Nicht einen einzigen Tag nach seiner Heimfehr hatte er der Entspannung geschenkt. Er ging an die Arbeit, er richtete sich ein. Während erweitert und vertieft: Vor allem brauchte er nun Apparate. des Krieges hatte er seine Kenntnisse theoretisch und praktisch Sie wurden beschafft, und in einem Hause, das mitten im Strudel der wiederbelebten Stadt lag, eröffnete Albert seine ärztliche Braris. Irene beklagte sich deswegen sie wünschte, daß er zum mindesten einen Teil feiner Bragis in die eigene Billa verlegte, die ihnen die Sorge des alten de Castro verschafft hatte. Natürlich wünschte sie das der vornehmeren Patientenschaft wegen aber Albert gab ihr in dieser Forde rung nicht nach, seine Absicht entsprang genau dem entgegenDie jungen, durch das Erlebnis des Krieges halt- und steuergesezten Motip als die ihre. Er wollte die einfachen Leute, los, religions- und gottlos gewordenen Menschen als Krante in seiner Behandlung haben, um Bunden zu heilen, die sich tiefer befanden als in Haut und Fleisch. Der Nerv der Jugend, die im Wirbel des Chaos treibende Geele, war erschüttert, verletzt. Sie sollten es nicht einmal nötig haben, wenn es ihnen schwierig war, den Besuch bei ihm mit Geld zu bezahlener gab ihnen das gleich zum Anfang seiner Behandlung befannt.
Irene fah aber in dieser seiner Art von Arbeit mieder einen Merkstein , an dem sie die innere Fremdheit zwischen sich und ihm zu erkennen glaubte.
,, Unter allen Menschen die ich fenne," jagte sie ,,, ist feiner, von dem ich mir vorstellen fönnte, daß er täte, was niemand in aller Welt tut wie zum Beispiel solch eine Braris treiben, feiner, sage ich, außer dir."
Also: daß er tat, was niemand in aller Welt tut, das war für sie ein Grund, ihn gering zu achten.
Wie soll ich den jungen Menschen, die meistens egiftenzlos find, für den Rat, außer dem ich ihnen manchmal gar nichts zu geben habe, eine Rechnung machen," fragte er fie. ,, So entferne dein Schild, das die Schlucker auffordert, zu bir zu kommen, vom Eingang des Hauses da. Ueberhaupt, nimm endlich hier im Hause deine Braris auf! Mir ist nicht
Donnerstag, 5. Dezember 1929
Mord und Versicherungsbetrug
Berhaffung eines angeblich Berbrannten in Strasburg . Leipzig , 4. Dezember.
Nach einer bei der Leipziger Kriminalpolizei ein gegangenen Drahtmeldung ist der in Leipzig wohnende. Kaufmann Kurt Zehner, der bei Regensburg angeblich in seinem Auto verbrannt ist, in Straßburg im Elsaß verhaftet worden. Frau Tekner, die durch die Leipziger Kriminalpolizei verhaftet wurde, hat gestanden, daß ihr Mann einen Unbekannten ermordet und mit dem Kraftwagen ver. brannt hat. Er wollte dadurch den Anschein erwecken, als ob er selbst verunglückt sei, um auf diese Weise seine Frau in den Genuß einer Unfallversicherung zu bringen, die er vor vier Wochen in Höhe von 142 000 Mark abgeschlossen hatte. Frau Tekner wird nach Regensburg übergeführt, gegen Tegner wird bei der französischen Regierung das Auslieferungsverfahren beantragt werden.
Englisches Lob der öffentlichen Verwaltung. Berkehrsminister Morrison erklärte im Unterhaus, die Regierung prüfe jetzt die Londoner Verkehrsverhältnisse und sei darüber einig, daß feine Lösung der Verkehrsfrage möglich sei, wenn man die unnüze und unwirtschaftliche Konkurrenz nicht ausschalte. Die Regierung fei ebenfalls der Meinung, daß die Bereinheitlichung der Verkehrsunternehmen unter öffent. lier Kontrolle wesentlich sei und daß das Interesse des Publitums nur dadurch wahrgenommen werden könne, daß man durch eine einheitliche und einfache öffentliche Ver maltung das bisherige tomplizierte Durcheinander der privaten und städtischen Unternehmen ersetze.
Das wär' ein Weihnachtsgeschenk.
Im Berliner Kirchentreis Kölln Land II, der einen Teil des südlich der Spree gelegenen Stadtgebietes umfaßt, hat der Soziale Ausschuß den folgenden Beschluß gefaßt:
Reihe von Betrieben in der Zeit zwischen Weihnachten ,, Der Soziale Ausschuß hat zur Kenntnis genommen, daß eine und Neujahr geschlossen bleiben. Er verfennt feineswegs die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die dieser Maßnahme zugrunde liegen, fann aber auf der anderen Seite nicht an der Tatsache stillschweigend vorübergehen, daß die Belegschaft dieser Betriebe eine Woche lang ohne Lohn bleibt, und dies im Weihnachtsmonal, wo die wirtschaftliche Grundlage in den Haushaltungen einer be sonderen Sicherstellung bedarf, wenn anders rechte Feftesfreude in den Familien aufkommen soll. Der Lohnausfall für eine halbe oder ganze Woche bedeutet für weite Kreise der Arbeiterschaft eine ungeheure Härte und ist geeignet, die Festesfreude zu ver gallen und soziale Berbitterung in wachsendem Maße in den Be troffenen zu erzeugen. Der Soziale Ausschuß steht daher auf dem Standpunkt, daß in dieser Frage die chriftlich- menschlichen Ermägungen vor den rein wirtschaftlichen durchaus den Borrang haben müssen. Er erachtet es als eine Pflicht aller Arbeitgeber eine Schließung der Betriebe zwischen Weihnachten und Neujahr unter allen Umständen zu vermeiden oder aber, wenn nur irgendmöglich, eine Schließung der Betriebe bei voller Lohnzahlung für die letzte Dezemberwoche vorzunehmen."
Uns wird mitgeteilt, daß im Sozialen Ausschuß dieses Kirchenfreises fünf religiöse Sozialisten sien. Auf einen Antrag von ihnen geht diese Beschlußfassung zurüd.
zumut, als wäre ich die Frau eines Arztes Berzeihung, ich tönnte ebenso gut die Frau eines Armenpflegers sein.
,, Nun, und wenn du es wärest?" Er sah sie lächelnd an. Sie fonnte ihn nur anstarren auf solche Frage wußte fie feine Antwort.
Und er lebte so weiter, wie er begonnen hatte- er hatte genug, mehr als genug zu tun. Und wenn er sich hätte sehr bescheiden einrichten wollen, so hätte er von dieser Braris mohl zur Not auch noch leben fönnen. Nein, es ging ihn nicht schlecht. Er war immer voll Mut, und davon blizten seine großen, tiefbraunen Augen und lachten den Leidenden, Mädchen gestand ihm nachher, ihr wäre im ersten Augender zu ihm geflüchtet tam, an. O, dies Lachen! Ein junges blid, als er sie aus dem Warteraum in sein Sprechzimmer rief, schon geholfen gewesen. Und das hätte einfach sein Lachen getan. Denn da hätte sie wieder an eine helle leichte fröhliche Welt geglaubt und darum habe sie auch nicht um den Eingriff gebeten, sondern nur um Rat. Sie war Dienstmädchen von Beruf.
Ja, sie tamen mit ihren Qualen zu ihm, wie sehr gute Bekannte empfing er fie. Da brauchte sich also niemand zu entzog ihn so ziemlich dem Familienleben, und das war für wundern, wenn dieser Arzt viel beschäftigt war. Seine Arbeit Irene wieder ein Grund, sich zu beklagen.
Wenn du mir helfen wolltest", sagte Albert ,,, wenn wir gemeinsam arbeiten fönnten in die diesem Beruf!"
,, Mich willst du zu deiner Narrheit verleiten?" Sie sagte Narrheit; das verzerrte seinen Mund. Du hast andere Pflichten", rief sie, genug, und die vernachlässigst du alle."
Ja, andere Pflichten Besuche, Repräsentation. Er hatte eigentlich gar nichts dagegen, ihm fehlte nur einfach die Zeit dazu. Er faß am Abend gern in Gesellschaft, aber, um die Wahrheit zu sagen, er faß am liebsten mit den alten Freunden zusammen. In solchen Gesprächen gemann er Klarheit über die Geschehnisse im Leben der Staaten. Mit Irene war solch ein Gespräch unmöglich, und wenn sie einmal das Thema aufnahm, so widersprach sie nur und hing zäh am Atten am Alten so zäh, daß er schwieg, um nichts weiter zu hören. Troß seinem Beispiel begriff er nichts von den neuen Notwendigkeiten der Zeit! Sie schläft, sagte 2lbert für fich, fie träumt, ich muß sie vorsichtig wecken.
Und da er sie liebte, ermüdete er nicht; jeden Tag begann er neu den Versuch, sie auf seine Seite zu ziehen. Aber nichts als Klagen gab sie zur Antwort; sie fand ihn lächerlich, schämte sich seiner. ( Fortsetzung folgt.)