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BERLIN  Sonnabend

22. Februar

1930

Erfdeint t& glt

Der Abend

außer Sonntags

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Nr. 90

B 45 42. Jahrgang

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Wirtschaftliches Paneuropa?

Gegnerschaft und Mißtrauen gegen den Zollfrieden.

Genf  , 22 Februar.( Eigenbericht.)

Im ersten Ausschuß der Zolfriedenstonferenz legte im Namen der deutschen   Regierung Ministerialbirettor Bosse dar, daß es gelte, über sieben Fragen eine Einigung zu erzielen und von dieser Einigung die gesamte Entscheidung, ob ein 3ollfrieden möglich sei ader nicht, abhänge. Der Präsident des Ausschusses, der Holländer Colijn, schloß sich dem Wunsch an, besonders über diese fieben Buntte zu sprechen, mit dem Erfolg, daß sich die Debatte des Tages um diese Probleme drehte. Es ergab sich, daß England, Schweden  , Sugoslamien, die Schweiz  , Holland  , und mit gewissen Vorbehalten Finnland   und Polen   einen Standpunti einnahmer, der eine Einigung über die Streitpunkte möglich macht. Dagegen waren die Ausführungen von Portugal   und Estland   ziemlich zurückhaltend. Der Präsident vertagte den Ausschuß auf Montag in der Hoffnung, Daß bis dahin die neue französische   Regierung igren Standpunft Darlegen wird. Ohne Frankreich  , das wurde in den Wandelgangen betont, fönne weder Deutschland   noch England, noch die übrigen europäischen   Industrieländer einen Zollirieben eingehen, mobet für Deutschland   noch die wichtige Frage besteht, ob Frankreich   bereit ist. durch den Jollfrieden den deutsch  - französischen Handelsvertrag. der jeht alle sechs Monate gekündigt werden fann und gegen den einige Opposition in Frankreich   besteht, zu stabilisieren, Zu Berichterstattern des Ausschusses wurden Dr. Hilfer diny, Deutschland  , und Langenhove, Belgien  , ernannt.

In der zweiten Kommission famen, vornehmlich Gegner schaft und Mißtrauen gegen den Zollfrieden zum Ausdrud. Es zeigte sich schon in den ersten beiden Sigungen: die Aufgabe der Kommission, für die Berhandlungen während des Zollfriedens ein Programm auszuarbeiten, ist derart unbestimmt, daß ungefähr alle Wirtschaftsmünsche und probleme in fie einbezogen merden fönnen. Wichtig ist eine Erklärung des Präsidenten, daß der Aus­schuß ein Programm für die wirtschaftliche Annäherung und die Beseitigung der Handelsschranken auf jeden Fall ausarbeiten fönne, ohne Rücksicht darauf, ob es im ersten Ausschuß gelänge, sich auf einen Zollfrieden zu einigen. Die Agrarländer find sehr geneigt, besonders in der Frage der viehpolizeilichen Maßnahmen, eines direkten Austausches zwischen Industrie- und Wirtschafts­produiten innerhalb Europas   und die Frage regionaler Abtommen in den Vordergrund zu schieben, während die Industrieländer wünschen, daß der Ausschuß vor allem ein Programm für eine etappenmeise Herabjegung der Zölle entwirft.

Am weitesten, in bezug auf die Schaffung einer europäischen  Wirtschaftssolidarität ging der Vertreter der Tschechoslowakei  , der als Ziel die Versorgung der europäischen industriellen Länder durch die europäischen   Agrarländer

uno damit die Steigerung ihrer Kauftraft für die europäischen  Industrieprodukte

aufgestellt wünschte. Die überseeische Konkurrenz soll dabei durch innereuropäische Vorzugs Eisenbahntarife und durch europäische Kreditmaßnahmen ausgeschaltet werden.

Die meisten Minister verlassen Genf   in den nächsten Tagen. Reichswirtschaftsminister Schmidt reist am Dienstag nach Berlin  .

Ein Getreidemonopol in Europa  ?

Der polnische Bertreter hat sich nachmittag im 1. Ausschuß der Zollwaffenstillstandskonferenz gegen die von den meisten Staaten anerkannte Notwendigkeit ausgesprochen, daß sämtliche Teilnehmer des Zollfriedens auch der Konvention über die Abschaffung der Ein­und Ausfuhrverbote beitreten.

Bolen bereitet einen neuen Zolltarif vor und ist deshalb für den 1. Oktober des Borjahres als Stich. tag, für möglichst wenige Ausnahmen und möglichst furze Dauer des Zollfriedens. Die Ratastrophentíausel müsse im Inter effe der Agrarftaaten möglichst weitgehend gefaßt sein. Schließlich follen nach polnischer Auffassung die besonderen Vorteile, die sich die Teilnehmer des 3ollfriedens zugestehen, auch denjenigen Staaten zustehen, die in einem Meist begünstigungsverhältnis zum Teilnehmerstaat stehen.

Der englische   Handelsminister Graham, der nochmals seiner Hoffnung Ausdrud gab, daß die Konferenz zu einem 3ollwaffen. stillstand oder einer ähnlichen Einigung gelange, tellte in der Frage der Meistbegünstigung die polnische Auffassung, steht aber in den übrigen Fragen auf dem deutschen   Standpunkt und ist auch mit der Späterlegung des Stichtages einverstanden. Die Schweiz   zieht bagegen, mie tie, Agrarstaaten, den 1. Ottober vor, tritt aber fonft dem deuschen Standpunkt bei. Der 1. Ausschuß hat sich bis Montag pertagt in der Annahme, daß bis dahin die französische   Dele­gation in der Lage sein mird, ihren Standpunkt bekanntzugeben.

Ausbeutung deutscher   Landarbeiter

Anklage im Landtag.

In der heute vormittag im Breußischen Landtag fortgefeßten| laffung des Berliner   Sozialetats. Um arbeitslose, ausländische Aussprache über den Landwirtschaftsetot nahm

Abg. Brandenburg( Soz.)

Stellung zur andarbeiterfrage Er begrüßte mit Genug­tuung, daß auch der Landwirtschaftsminister zu diesem Problem ein­gehend Stellung genommen hat, das allerdings nur im Zusammen hang mit der Ausländerfrage behandelt werden tann. Benn im Februar 1929 216 000 Angeboten nur 59 000 offene Stellen gegenüberffanden, so sollte es zu denken geben, wenn die Landwirt. schaft trobem immer noch Ausländer anfordert. Gane folche Rücksichtslosigkeit gegen den inneren deutschen   Arbeitsmart nennen die Herren von rechts dann nationale Bolitit". Um die Beschäftigung von ausländischen Banderarbeitern zu begründen. fei es ein beliebtes Mittel, immer und immer wieder zu behaupten, daß die deutschen   Landarbeiter nicht genug guten Willen zur Arbeit haben. Daß in Birklichkeit ganz andere Gründe für das Berhalten der Großgrundbefizer norliegen, sei an vielen Beispielen zu belegen. Selbst auf die Bereifwilligkeit, oft filometerweite Wege täglich zu machen, wird feine Rüdsicht genommen, weil fast alle Stellen mit Polen   besetzt sind. Es sei bereits so weit gefommen, daß eine in Berlin   erscheinende polnische Zeitung sich auf diese Be schäftigung polnischer Arbeiter in der deutschen   Lani wirtschaft beruft. Unter Hinweis auf die Tatsache, daß viele tausend deutsche Land arbeiter brotlos feien, behauptet biefe Zeitung, daß der deutsche Großgrundbesitzer den polnischen Arbeiter einfach nicht entbehren könne. Daraus müsse eines Tages Bolen feine Schlüsse ziehen.( hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Noch nach anderer Richtung hin habe die Beschäftigung ausländischer Saisonarbeiter üble Folgen. Das zeige fich namentlich in der Be­

Bundeskanzler Schober

traf heute vormittag 8.56 Uhr in Begleitung des General­fetretärs für ausmärtige Angelegenheiten, Peter, Sektionschef Junkar, Konsul Bischof und des deutschen   Gesandten in Wien  , Graf Lerchenfeld, auf dem Anhaf er Bahnhof ein. Zu seinem Empfang hatten sich u. a. Reichstanzler Müller und Reichs­außenminister Dr. Curtius, fomie der österreichische Gesandte Dr. Frant mit den Herren seiner Gesandtschaft am Bahnhof eingefunden.

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Saijonarbeiter unterzubringen, hat Berlin   im Jahre 1928 allein 64 500 Mark aufbringen müffen.( Hört, hört!) Ein besonders betrübliches Kapitel sei die Frage des

Hofgängerwesens in der Landwirtschaft.

en in Pommern   ein jugendlicher Landarbeiter als Hofgänger 17 Pf. pro Stunde Gesamtlohn mit Deputat bekommt, so sei das ein ungeheuerlicher Zustand.( Erregte Zwischenrufe rechts: Das ist la unmöglich!) Mit diesen Zwischenrufen scheine die deutschnationale Graftion beweisen zu wollen, daß sie selbst einen solchen Lohn für unglaublich halte. Aber das lei nicht nur allein in Bommern  fo. fondern auch in Ostpreußen   und besonders in Schlesien  . Dort betrage u. a. der Familienlohn als ofgänger und Deputant 70 Pf. pro Stunde. Daß sich eine solche Stla­berei, wenn man noch dazu das System der Entlassungsscheine in Rechnung stellt, in 2and flucht auswirke, sei schließlich nicht zu vermundern. 3u erwähnen feien auch noch die immer wieder tehrenden Klagen über ffandalöse Mißhandlungsfälle.

Die landwirtschaftlichen Organisationen sollten selbst ein Interesse daran haben, solche brutalen Schinder, die sich immer wieder an Bandarbeitern und auch an Arbeiterinnen vergreifen, aus ihren Reihen rücksichtslos zu entfernen.( Sehr wahr! bei den Soz.) Der Redner forderte schließlich den Minister auf, auch auf bie Wahrung der sozialen Interessen der Landarbeiterschaft bedacht zu sein und die Entwicklung des Landkrankentassen und Unfallversicherungswesens, der Unfallverhütung und der Unfallrenten aufmerksam zu beobachten. Denjenigen Kreisen der Landwirtschaft aber, die sich immer wieder über mangelnde ,, Gegenliebe" beflagen, sei gesagt, daß, folange sie selbst sich den elementarsten Forderungen der organisierten Landarbeiterschaft widersetzen, sie nicht damit rechnen können, die Sympathie ber deutschen   Arbeiterschaft und des deutschen   Volkes überhaupt zu er­ringen.( Lebhafter Beifall bei den Soz)

Abg. Dr. Kaufhold( Dnat.) widerspricht den Aeußerungen des Borredners. Er hält es für unmöglich, daß die Landwirtschaft folche Schundlöhne zahle, wie sie hier vorgebracht seien. Aber man dürfe auch nicht vergessen, daß die Landwirtschaft insofern unpro­duktiv arbeite, als sie teine Preise für ihre Waren bekommt. Der Redner äußert sich sodann noch zu einzelnen Etatfragen.

Der Landtag führte im weiteren Verlaufe der Aussprache die zweite Lesung des Landwirtschaftsetats zu Ende.

Am Montag beginnt die zweite Lesung des Etats des Innen­ministeriums.

Mutter" in London   verboten.

Blamable Filmzenfur in England.

London  , 22. Februar.( Eigenbericht.) Der Londoner   Grafschaftsrat hat die Aufführung des russischen Films Mutter" Derboten. Der Film jollte im Rahmen der ersten Filmvorführungen der neu gegründeten englischen Volksbühnenbewegung gezeigt werden.

,, Europa  " sitzt auf Grund.

Die Elbe für das Riesenschiff nicht tief genug. Hamburg  , 22. Februar.

Die Ausfahrt des Riefendampfers Europa  ", die am Freitag noch zweifelhaft erschien, wurde am heutigen Sonnabendfrüh zum Ereignis der ganzen Wafferkante. Trotz des noch anhaltenden Ostwindes und des dadurch bedingten niedrigen Wasserstandes faßte die Bauwerff von Blohm u. Boß heute früh den Entschluß, die Ausfahrt zu wagen. Die Geduld der gewaltigen Men­fchenmenge wurde auf eine Probe geftellt. Als gegen 9 Uhr der Wasserstand eine genügende Höhe erreicht hatte, fonnte man vom jenseifigen Ufer die Wahrnehmung machen, daß der Riese im Tau einer ganzen Anzahl größerer Schlepper sich langsam vom Aus­rüftungstai der Werft fortbewegte, um nach kurzer Zeit die