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141-47. 31. Beilage des Vorwärts
Fritz Nogens' Widerruf.
Eine Gensation im Jakubowski- Nogens- Prozeß.
L. R. Menffrelis, 24. März.( Eigenbericht.) Der erste Berhandlungstag im dritten Jafubomiti. Brozeh nahm einen ganz unerwarteten Berlauf. Bußte man schon nicht, was von der eigenartigen Wandlung in der Ausfage der Frau Kähler zu halten sei, so wuchs das Staunen gewissermaßen ins Unermeßliche, als man erfuhr, daß Frih Rogens, der sich in der ersten Verhandlung mit bewunderungswürdiger Aufrichtigkeit und Deffenheit zu seiner Mitschuld an der Beseitigung des Kleinen Ewald bekannt hatte, feine sämtlichen Geständnisse umgeworfen und sie für bedingungslos widerrufen erklärt habe. Und das kam so:
Der Oberstaatsanwalt Weber hatte turz vor der Verhandlung Friz Nogens zu sich geladen, um mit ihm über gewiffe Einzelheiten zu sprechen. Statt einer Antwort überreichte ihm aber Fritz einen Jeffel, auf dem er sein Geständnis widerrief und ausführlich die Gründe für diesen Widerruf auseinandersezte. Er empfinde tiafe Reue, hieß es da, daß er bis jetzt gelogen babe. Er sei an der Tat nicht beteiligt, wiffe auch nichts von der Beteiligung Jakubowskis und seines Bruders August; das Geständnis sei ihm vom Kriminalrat Gennat erzwungen. Den Bettel habe er bereits zur ersten Verhandlung mitgebracht, ihn aber nicht verlesen. Bei diesem Widerruf blieb er auch heute. Seine Antworten, anfangs einigermaßen sicher, wurden immer unsicherer, stockender, ausweichender, ganz anders als in der ersten Berhand lung. Es war flar: Jm Gefängnis hatte er sich mit seiner Mutter und dem Bruder August in Berbindung gesetzt. Er hatte sich nun gejagt: Meine Aussage hat das Todesurteil gegen meinen Bruder verursacht. Ich fann das nicht verantworten, ich muß ihn nun ent. laften. Mag sein, daß die neun Monate Gefängnis auch nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben sind.
Frig Nogens' Widerruf tam auch für den Nebentläger Rechts anwalt Dr. Brandt völlig unerwartet, alle seine Borhaltungen fruchteten nichts. Fritz erklärte, er habe seinen Bruder in der ersten Verhandlung belastet, weil der Oberstaatsanwalt ihm gesagt habe, Auguft habe einen Brief geschrieben, in dem er ihn und Kreutzfeld belaste. Oberstaatsanwalt Weber sagte darauf heute Quatsch". Der Borsitzende erinnert Frizz Mogens an fein Gespräch mit Bläfer über den empfangenen Auftrag, August zur Beseitigung des fleinen Ewald zu bestellen. Das Gespräch hat nicht stattgefunden", sagte er. ,, Satte er aber nicht in Lübed mit August eine Berabredung ge iroffen, alles auf Jatubomsti zu schieben?"- Nein!"„ Hat
er aber nicht beim Botaltermin bis ins fleinste erzählt, mie. August den fleinen Ewald aus dem Heidefaten geholt hat, bie Stelle gezeigt, an der Jatubomsti Ewald ermürgt hatte?" Das habe ich alles aus mir heraus getan", meint er. Es merden ihm saine sämtlichen Beständnisse vorgehalten, die Fragen und Antworten im Berneh mungsprotokoll des Kriminalrats Gennot, feine August und sich felbft beloftenden Aussagen. Es hilft alles nichts.
Die Antworten Laufen immer wieder: 3ch weiß nicht! Es ift nicht wahr!
hat that her Untersuchungsrichter nicht gefagt, daß, menn er später einmal widerrufen mürbe, man ihm nicht glauben würde? Der Angeklagte Frig nogens schweigt haben Sie nicht einem Mit gefangenen gefagt, daß August der Täter sei?"-Nein." Gegen diefes eigensinnige Nem" ist nicht aufzutommen.
tönnen, ist bereits in der ersten Berhandlung geschehen. Auch er war früher geständig. Selbst in feinem Lebenslauf hat er fich des gemeinsamen Mordes bezichtigt, obgleich er darauf aufmerksam gemacht worden war, daß ihm das den Kopf fosten würde, blieb er damals bei seinem Geständnis. Heute will er natürlich von alledem nichts miffen. Als Frau Kähler ihm ins Gesicht sagt, er habe mit ihr über Jakubowskis Bergiftungsvorschläge gesprochen, bestreitet er das ganz energisch. Mutter und Sohn erklären, fie seien bereit, ihre Aussagen zu beeiden. Auch dem Angeklagten August Mogens werden seine früheren Geständnisse vorgehalten, aber auch er jetzt allem ein starres Nein entgegen.
Der erste Berhandlungstag ergibt folgende Situation: Frih Nogens, der Hauptbelastungszeuge gegen Jakubowski, der einzige, der bis jetzt bei seiner Schilderung der Vorgänge der Tat geblieben war, hat sein Geständnis widerrufen. Frau Kähler belastet aber Jakubowski mehr als zuvor und fischt Geschichten auf, die den Stempel der Unwahrhaftigkeit auf der Stirn fragen. Das Gericht soll aber über 3atubowftis Schuld oder nichtschuld entscheiden. Das Geheimnis um den Hingerichteten ist im Augenblid noch undurchdringlicher, als es bis dahin schon war.
Dienstag, 25. März 1930
Bölkische Synagogenfchänder gefaßt.
Und das wollen deutsche Helden sein?
In der Nacht vom Sonnabend, dem 15., zum Sonntag, dem 16. Februar d. 3., wurde von Mitgliedern der Rationalfozialistischen Deutschen Arbeitet. partei die am Rottbuffer 21fer 48/50 gelegene Synagoge duch Berwendung von sinaoberrofer Anilinfarbe mit dem Parteiabzeichen, dem Hiflerkreuz und den Worten:„ Juda verrede Juda den Tod Die Rache naht!"" beschmiert. Diese Tat ist nunmehr aufgeklärt.
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Die Polizei hat folgende junge Leute als Täter ermittelt: 1. den Bäckergesellen Walter Wüstenberg, Berlin , Thurneyßerstr. 6; 2. den Stellmachergesellen Otto Ruba, Wendenstraße 6; 3. den Bädergesellen Karl Medelburg, Reichenberger 6; Straße 115a; 4. den Konditor Erich Döring, ebenfalls WendenStraße 6 und 5 den sur Seit sich verborgen haltenden arbeitslosen Kaufmann Rudi Steinle, zulegt Wrangelstr. 121 bei Kurz mohnhaft. Alle fünf gehören der Sturmabteilung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, und zwar dem Sturm 27, an, der das aus vielfachen Anlässen bereits in der Deffentlichkeit häufig genannte Lokal von Zielich zum„ Wiener Garten", Wiener Str. 10, als ständiges Verkehrslotal benutzt. Dieses Lofal bildete auch in der fraglichen Nacht den Ausgangspunft der Unternehmung. Die oben genannten Personen nahmen zunächst an einem in dem Lokal stattfindenden sogenannten„ Lumpenball teil und begaben sich dann in den frühen Morgenstunden mit Farb
Auch Brücken haben ihre Schönheit
Es folgt die Bernehmung von Auguſt Stogens. Er hat heute Die wenig beachtete Stadtbahnbrücke an der Tiergartenschleuse
• nichts zu widerrufen. Alles, was er in dieser Beziehung hat leisten
Aluirio Axevedo
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Ein bra baus
te.
Florinda, die sich jetzt mit einem Eisenbahnbeamten zu sammengetan hatte, war nach Sao Romao zurückgekehrt und wurde bekannt für die Sauberkeit, die in ihrem fleinen Haushalt herrschte. Sie war in Trauer um die alte Marcianna, die im Irrenhaus gestorben war. Am Sonntag hatte ihr Freund gern Besuch zu Tisch, und nachher wurde musiziert und getanzt, was Florinda an die alten Zeiten erinnerte, als Rita Bahiana solche Feste für die Nachbarn peranstaltete. Aber jetzt wurden diese Bersammlungen in den vier Wänden abgehalten, denn es vertrug sich nicht mit den neuen Allüren der ,, Avenida", daß solche Feiern im Freien statt fanden. Machona war nicht mehr die alte und schien nach dem Tode Augustos gebrochen und müde und viel weniger geneigt zu schreien. Sie hatte immer viel junge Leute bet fich zu Gast, die sich offenbar darum rissen, ihr Schwiegerjohn zu werden, denn Nenem war ein schönes Mädchen geworden, und ihre Angst, alte Jungfer zu bleiben, war verschwunden. Alerandre war zum Sergeanten apanciert und schien in feiner Uniform imposanter denn je. Augusta hatte nach mie por ein winziges Baby auf dem Arm oder es war eins unter wegs. Leonie besuchte ihre Freunde ab und zu und erregte immer Sensation mit ihrer Kleidung. Eines Sonnabends nachmittags brachte sie das ganze Haus in Aufruhr, weil fie feine andere als Bombinha mitbrachte, die ebenfalls in die rote Schwesternschaft eingetreten war, bei der die Küsse mit Breisetifetts versehen sind.
Jezt lebte sie mit Leonie, ihrer Führerin und Ratgeberein auf ihrem neuen Lebensweg, in einem Hause. Arme Bombinha! Eine turze Cheerfahrung hatte sie zu der Ueberzeugung gebracht, daß sie ihren Mann nicht er tragen fonnte. Eine Zeitlang tämpfte fie, um fich einem phantasielosen Menschen ohne Ideale anzupassen. Sie hörte mit erheucheltem Interesse zu, menn er banale und lang meilige Geschichten erzählte, was der aber jener im Büro gejagt hatte, weshalb der oder, jener nicht vertrauenswürdig erscheine und all die anderen fleinlichen Angelegenheiten, aus denen feine Belt bestand. Sie ließ fich bon feinen Tränen rühren, menn er eifersüchtig war, und als er frant murde, pflegte sie ihn fürjorglich. Sie versuchte, fich thre Liebe zu Mufit, Kunst. Büchern und allem anderen Schönen
aus dem Herzen zu reißen, damit es sie Joao da Casto nicht entfremde. Sie versuchte sich einzureden, daß sie sich für das interessiert, was er sagte, was er verdiente, wie er var märts tam und für alle Gedankengänge innerhalb seines engen Horizonts. Aber plößlich lernte sie einen talentierten Wüstling fennen, einen Dichter und Spieler, und es war um fie geschehen. Eine Zeitlang ahnte der Gatte nichts. Aber als sein Mißtrauen erst einmal erwacht war, folgte er ihr auf einem ihrer mysteriösen Gänge und ertappte sie in einer so hoffnungslos tompromittierenden Situation, daß er nicht mehr zweifeln fonnte, sie hätte ihn betrogen. Diesmal war es nicht mit dem Dichter, sondern mit einem Schauspieler, der Bombinhas schönen Augen Tränen der Rührung entlockt hatte, als er im Theatre Apollo die Leiden eines unverstandenen Ehemanns dargestellt hatte. Als er von ihrer Untreue überzeugt war, verzichtete da Costa trotz der großen Liebe auf seine Frau und gab sie Dona Isabel zurück, worauf er nach Sao Paulo floh, wo seine Firma ein Zweig geschäft hatte.
Die arme alte Isabel, die schon lange, bevor der junge Ehemann seine traurige Entdedung gemacht hatte, von den 21bmegen ihrer Tochter wußte, brach zusammen und flehte die fündige Bombinha unter Tränen an, doch zu bereuen und das leichtsinnige Leben aufzugeben. Dann schrieb die alte Seele ihrem Schwiegerjohn, bat ihn, sich mit seiner Frau zu verföhnen und versprach, in Zukunft für Bombinhas Be tragen einzustehen. Aber der junge Mafin beantwortete den Brief nicht, und turze Zeit darauf verschwand Bombinha aus dem Haufe ihrer Mutter. Dona Jjabel starb beinahe an ge brochenem Herzen. Wohin fonnte das Kind gegangen sein? Sie suchte überall, aber erst als viele Tage vergangen waren, entdeckte sie schließlich, daß ihre Tochter bei Leonie mohnte die Schlange hatte endlich gefiegt, und die Knospe aus der Mietsfaserne stand in voller Blüte.
Die arme, alte Frau betrauerte ihr Kind wie eine Tote, aber sie mar zu alt zum Arbeiten, und die vielen Sorgen in ihrem Leben hatten ihre Gesundheit angegriffen; daher nahm fie fchließlich unter Tränen der Scham das Geld an, das Bombinha ihr schidte. Und von der Zeit an war Bombinha die einzige Stige ihres Alters, obgleich das Brot, das um den Preis der Brostitution erfauft war, bitter schmeckte. Unb da der Mensch nicht allein sein mag und fein Hera fidh nach der Gesellschaft geliebter Menschen sehnt, besuchte label thre Tochter gelegentlich und schlief auch öfter in demselben Hause. Aber wenn Bäfte tamen, ließ sie sich nie bliden, und wenn Außenstehende sie in ihrem Bersted überraschten, gab fie nor, ein Dienstmädchen zu sein, so sehr fchämte fie fich, in solcher Umgebung gefunden zu werden.
Die beiden Kofotten waren jetzt unzertrennliche Freundinnen und bildeten eine Art zweiföpfiger Schlange, die hoch und niedrig in Rio de Janeiro beherrschten. Ueberall, wo es Vergnügen gab, und überall, wo Männer waren, fonnte man die beiden sehen. Sie gingen in Duvidor spazieren; fuhren nachmittags mit Juju im Wagen durch Cattete; faßen abends in der auffallendsten Loge eines Theaters und empfingen Besuch von den abgelebtesten alten Staatsräten und anderen Männern in hohen politischen Stellungen.
Aber in Sao Romao wurde Bombinha noch immer vergöttert wie in ihrer Mädchenzeit, denn die alten Freunde, denen sie die Briefe geschrieben und deren Geheimnisse sie geteilt hatte, waren ihr treu. Wenn sie und Leonie Juju zu ihren Eltern brachten, war Augustas Tür von einer bemundernden Menge umlagert wie in alten Zeiten. Pombinha half denen, die auf die schiefe Ebene geraten waren, höchft freigebig. Dazu gehörte hauptsächlich die Frau Jeronymos, deren Tochter ihr besonderer Liebling war und die jetzt im Hause den Plaz ausfüllte, den Bombinha einmal eingenommen hatte. Birklich, Bombinha perschwendete auf die fleine Senhorina dieselbe Zärtlichkeit, die Leonie einmal ihr erwiesen hatte. Die Kette schlang sich unaufhörlich weiter fort, und immer diefelben Kräfte famen in der Siedlung zur Auswirkung. Jeronymos arme, unglüdliche Tochter bereitete fich im ftillen vor, ihren Blah neben Leonie und Bombinha einzunehmen, wenn ihre Stunde geschlagen hatte.
Bombinhas Großmut verschaffte der unglücklichen Senhorina und ihrer immer betrunkenen Mutter Nahrung und Obdach, denn Piedade mar so tief gesunken, daß ihr niemand mehr Arbeit anvertrauen wollte.
Sie war eine so unangenehme Mieterin, daß Joos Romans Berwalter ihr schon dreimal gekündigt hatte; aber durch ihre eigenen flehentlichen Bitten und die Fürsprache der mitleidigen Nachbarn hatte er sich ermeichen lassen, und fie durfte wohnen bleiben, bis sie ein anderes, Quartier gefunden hätte. Am Tag nach Bombinhas legtem Besuch war fie dann doch schließlich ausquartiert worden, aber mit dein Geld, das sie eben bekommen hatte, fonnte sie bei den Katzentöpfen Unterkunft finden, und da gab es noch mehr so elende Kreaturen wie fie selber.
Denn in dem Maße mie Sao Romad aufgeblüht und emporgefommen mar, mar der Kazentopf" immer tiefer gejunten und war nichts Besseres mehr als ein armjelige höhle, wo Obdachlose Zuflucht finden fonnten. Hier erfolgte nach der nächtlichen Samba regelmäßig der traditionelle Kampf um die sinnlichste Zangerin. Hier fielen Opfer, aber die Mörder murden nicht entbedt; hier wohnte unter Schmus und Krantheit der Abschaum der Menschheit.
( Fort folgt)