Beilage Sonnabend, 8. November 1930
Der Abend
Spätausgabe des Vorwärts
Gespenster unter den Bäumen
Text und Zeichnungen von Hans Volker Hyan
Die Meisten gehen achtlos an dem stillen Leben der Bäume vorüber. Und doch gibt es unter ihnen ebensoviele eigenartige Wesen mie unter den Menschen und Tieren. Eine chinesische Sage erzählt von einem Gelehrten, der auszog, um die Seele der Bäume zu studieren. Er durchwanderte viele Jahre das Land und lernte so viel aus dem Wuchs der schönen Laubträger und aus der Sprache ihrer Rinde, daß sein Ruf weit über die Grenzen seines Landes ging. Als er in seine Heimatstadt zurückkehrte, tamen ihm die jungen heiratsfähigen Mädchen entgegen, damit er sich unter ihnen seine Frau aussuche... Dieses Märchen ist typisch für die Ein
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stellung des Ostajiaten der Natur gegenüber. Auch bei uns liegt die Zeit noch nicht so lange zurück, in der Künstler, Mensch und Natur eine Einheit bildeten. Großstadt und Industrialisierung haben allmählich die Naturverbundenheit des europäischen Menschen zurück gedrängt. Selbst der Künstler blieb von dem Umwandlungsprozeß nicht unberührt. Und doch auch heute noch vermag die Phantastik der Natur den tiefer Empfindenden in seinen Bann zu schlagen. Ich denke da an einen Baum, den ich im Zwitterlicht ersten Morgengrauens fah. Die Eiche stand einsam auf einer kleinen Anhöhe und ragte knorrig gegen den noch dunklen Horizont. Erst später erfuhr ich, daß es eine Wendeneiche sei, der man ein Alter von über tausend Jahren gab. Im Dämmer jenes Morgens erschien sie mir wie ein Urbild des Lebens, das bei ständig wechselnder Kulisse und einem ewigen Werden und Vergehen alles Seins doch selbst etwas unvergänglich Dauerndes ist.
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Nicht nur die Eichen reden zu uns. An einem schmalen Pfad, der von einem kleinen Walddorf durch ein Moor führt, steht eine Birte. Die Leute vom Dorf kennen sie, aber der Fremde, der diesen Weg des Nachts bei Mondschein und Nebel geht, erschrict. Bon einem Busch halb verdeckt ragt sie plöglich auf ein Gespenst. Berzweifelt greifen die Arme in die Luft, der Rumpf windet sich in Schmerzen und das Zweighaar flattert im Bind. Der Anbaid hat
etwas schauerlich Menschliches, das durch das Knarren der Aeste und das Klappern der trockenen Zweige ins Unheimliche gesteigert wird. Geht man näher, so bleibt eine verdorrte Krüppelbirke. Aber selbst jetzt bleibt jener seltsame Eindruck der Menschenähnlichkeit. Vertieji man sich in diesen Anblick, so wird einem manch ländlicher Aberglaube und manche Sputgeschichte verständlich. Nachtmahr, Moorfrauen und Irrwische , Werwolf, Kobolde und Tiere mit Feueraugen verdanken sehr wahrscheinlich ihre Entstehung oft bizarren Baum formen und Sträuchern.
Und dann die Weiden! Es gibt Feldwege, in denen stehen si wie eine Reihe uralter Männer; die Stämme verkrümmt, durch löchert und hohl, so daß man sich wundern muß, wie sie überhaupi noch leben können. Aber jeder Frühling läßt die alten Krüppel aufs neue Kätzchen treiben, und in faum einem anderen Baum findet man so oft Kinderstuben aller Art, wie in den hohlen Kopfmeiden. Singvögel haben ihre Nester da, wo die 3meige aus dem Holz wachsen. Auch fommt es vor, daß eine Stockente ihr Gelege aus dem Kopf der Weide ausbringt, obwohl sie im allgemeinen zu evener Erde brütet. Im Stamm wohnt der Kauz mit seinen grauwolligen Jungen, und in manchem solcher alten zähen Bäume hat eine wildernde Katze ihre Jungen untergebracht, oder gar ein Iltis zieht seine Kleinen dort groß. Wenn dann der Abend kommt, fängt das morsche Holz an zu leben. Die merkwürdigsten Gesichter reißen ihre Mäuler auf und in dunstig- feuchten Mondnächten geht von dem faulenden Holz ein eigenartiges Leuchten aus.
Die Bodenkultur läßt die alten Bäume von den Feldern ver schwinden. Bruchs mit verwachsenen Hecken, unheimlichen, aber doch reizvollen, längst nicht mehr ertragreichen Torfftichen werden trockengelegt und riesige, jahrtausendealte Hünengräber gesprengt, um Bausteine und Platz zu gewinnen.
Unsere Zeit ist real und unromantisch. Und doch! Wieviel Reiz haben diese Dokumente vergangener Zeiten, wie öd ist eine Gegend ohne den Schmud stiller Winkel und knorriger Bäume!
Wie die wahren Novemberverbrecher vor sieben Jahren putschten
Hat man fchon vergessen, was sich vor sieben Jahren begab? Am Abend des 8. November 1923 mar der Münchener Bürger bräufeller gestopft voll; blauweiße Patrioten, vaterländische Verbände, Seehundsbärte über stämmigen Maßtrügen. Freibier floß zur Entschädigung für den ledernen Vortrag, den der bayerische Generalstaatskommissar Dr. Kahr über die Bernichtung des Marrismus daherredete, natürlich, was er, subalterner Kopf, so unter Marrismus verstand. Gerade hatte er pathetisch den geiftvollen Satz hingelegt: Unferm Volke kann nur ein Retter erstehen, wenn die nationale Hilfe aus dem Bolte fommt", als ein Wirbel beim Saaleingang aller Blicke dorthinzog. Schwerbewaffnete drängten sich durch, man fah Pistolen, Karabiner, Handgranaten, ein Maschinen gewehr, und da stand auch schon am Bodium Adolf Hitler auf einem Stuhl, fnallte, sich Gehör zu verschaffen, wie ein Löwen bändiger in der Menagerie feine Pistole gegen die Decke los und verkündete mit erregter Stimme, daß
die nationale Revolution ausgebrochen
sei, und wenn nicht sofort Ruhe herrsche, werde er ein Maschinengewehr auf die Galerie stellen lassen, und die bayerische Regierung sei abgesetzt, und die Reichsregierung sei abgesetzt und...
Wie war es zu diesem Handstreich gekommen? Die nationalsozialistische Bewegung, die sich damals fast nur auf Bayern be: schränkte, war stets von Kopf bis Fuß aufs Butschen eingestellt, aber da ihr die Münchener Behörden immerhin auf die Finger paßten, band sie ihrer blutdürstigen Frazze die Biedermannsmaste der Gesez lichteit vor. Als im November 1922 der Innenminister Dr. Schweyer in einer Unterredung mit Hitler vor den Folgen zügellofer Demagogie warnte, schlug sich der Führer des National sozialismus mit der Rechten an die Brust und rief beschwörend: Herr Minister, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich werde nie in meinem Leben einen Butsch machen." Aber ein Jahr später hatte der vollkommene Zusammenbruch der deutschen Währung, Folge der Art, wie der Unheilsfangler Cuno die Ruhrabwehr führte, die Nerven der Massen so zerrüttet und einen solchen Fieber zustand der Deffentlichkeit erzeugt, daß den Butschlüsternen die Zeit für den blödesten Butsch gelommen schien. Namentlich in der Orb nungszelle" Bayern , die sich durch Ernennung eines Generalftaatsfommissar geheißenen Diktators, durch Außerkraftsehung des Republifschutzgesetzes und durch Vereidigung der bayerischen Division auf die Landesbehörden vom Reich schon halb getrennt hatte, ging es hoch her. An jeder Straßenecke Münchens versicherten reaktionäre Krafthuber,
daß jeht mit dem„ Saustall Berlin" aufgeräumt werde und daß die bayerische Faust in Berlin Ordnung schaffen müffe. Aber nicht nur Butschverbände groß und klein wie Bund Bayern und Reich, Organisation Ehrhardt, Reichsflagge, Hermann bund und dergleichen mehr spielten mit der Absicht, mit ihren Maschinengewehren in die Weltgeschichte hineinzuplazen, sondern
man
traute auch den bajuvarischen Triumvirn, Generalstaatsfommiffar Kahr , Wehrfreiskommandeur General Lossom und Landespolizeichef Oberft Seißer umstürzlerische Pläne zu. Drückte nicht Kahr augenzwinkernd ausgefochten Butschisten die Hand? Wartete nicht Lossom lediglich auf 51 Proz. Sicherheit des Ges lingens, um sich für den Staatsstreich zu entscheiden? Fühlte nicht Seißer schon bei Gesinnungsgenossen in Berlin vor? Also galt es, vor Kahr Lossow Seißer, deren Butsch zu einseitig bayerisch sein würde, abzuspringen. Im Grunde war es ein Bett. lauf zwischen Schwarzweißrot und Blauweiß,
face was zu dem Speftatelitüd im Bürgerbräufeller führte. Üleberdies hatten Hitler und Anhang den fanatisierten Hakenkreuzgläubigen jo viel von dem nahenden großen Ereignis, dem Marsch auf Berlin , rorgeredet, daß die Masse der Führung zu entgleiten und zu den Kommunisten abzurutschen drohte. Ehrenwort hin, Ehrenwort her Hitler fonnte nicht mehr warten, mußte losschlagen!
Nach seiner Ansprache nötigte Hitler den Dr. Kahr und die gleichfalls anwesenden Lossom und Seißer in ein Nebenzimmer, der vergötterte Ludendorff , eilends herbeigeholt, erschien, ein schäumender Maßkrug für den Führer! wurde wie ein Gral hineingetragen, und abermals stand Hitler vor dem Saal, um die Bildung der provisorischen Regierung mitzuteilen: an der Spize Bayerns Kahr und Pöhner, Leitung der Reichspolitik: JCH, diftatorischer Chef der deutschen Nationalarmée: Ludendorff , deutscher Wehrminister Lossow, Reichspolizeiminister: Seißer. Weihevoll redete Ludendorff einiges von einem ,,, Wendepunkt in unserer Geschichte", aber der Führer der nationalsozialistischen S.-A., Hauptmann Göhring, rief mit der ganzen Verachtung des geborenen Herrenmenschen in den noch nicht ganz überzeugten Saal:
,, Da unten haben Sie ja 3hr Bier, feien Sie nur ruhig!"
Die ersten Botschaften freilich, die im Bürgerbräufeller als dem Hauptquartier der ,, nationalen Revolution" einliesen, schmeckten sehr nach Hiobspost: weder die Kaserne, der Pioniere noch des 19. Infanterieregiments öffnete den Butschisten, ob sie gleich das Behrfreiskommando bejezten, ihre Tore, und als es Kahr , Losso w und Seißer gelungen war, mit Versprechung und Handschlag dem Bannkreis Hitlers zu entrinnen, fießen sie um 2.15 Uhr einen Juntspruch los, daß fie das Unternehmen mißbilligten und bekämpften. So gedieh der Aufbau des dritten Reichs nicht weiter als bis zur vandalischen 3 er störung der Münchner Post"-Redaktion, zur Erleichterung einiger Privatkassen um soundsoviel Billionen Papiermark und zur Wegschleppung sozialdemokratischer Stadträte als Geiseln unter Anipuden, Beschimpfungen und Drohungen mit Umlegen". Als am Mittag des 9. November Hitler, Ludendorff und Genossen im Bewußtsein riefiger Pleite einen bewaffneten, aber völlig planund sinnlosen Umzug durch München versuchten, stießen sie in der Ludwigstraße auf eine Abteilung Landespolizei, die Halt gebot. Schüsse antworteten, von beiden Seiten frachte es, hier wie dort lagen Tote und Verwundete auf dem Pflaster, 3.erstoben war der Sput der nationalen Revolution".
Als Hitler am Abend vorher, wild mit der Pistole herum= fuchtelnd, auf Rahr samt Begleiter einredete, sich ihm doch um alles in der Welt anzuschließen, hielt er sich das Schießeisen theatralisch an die Schläfe: Wenn die Sache schief geht, habe ich vier Schüsse in meiner Pistole, drei für meine Mitarbeiter, men fie mich verlassen,
die lehte Sugel für mich."
Er fügte hinzu: Wenn ich nicht morgen Nachmittag Sieger bin, bin ich ein toter Mann", und wiederum mit Emphase im Gaal zu der Versammlung: Der Morgen findet entweder eine deutsche nationale Regierung oder uns tot!" Die Sache ging schief, Hitler war nicht der Sieger, der Morgen erblickte teine sogenannte nationale Regierung, aber wer auch nicht tot war, sondern sich noch heute des besten Wohlseins erfreut, physisch und leider auch politisch, ist Adolf mit dem Hafenfreu Denn überall tötet. Lächerlichkeit, nur nicht bei denen, die selber lächerlich sind, den deutschen Spießbürgern!