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argang 1. Beilage des Vorwärts

Nr. 311 48. Jahrgang

Dienstag, 7. Juli 1931

Die volksfeindlichen Kommunisten.

Kämpfer gegen Arbeiterkultur und Wohlfahrt.- Saboteure des Stadthaushalts.

Die Stadtverordneten seiten gestern die

Beratung des Haushaltplanes

beim Kapitel Wohlfahrtspflege fort. Es sprachen noch einige Redner der kommunistischen   Fraktion. Um 19 Uhr wurden wieder die Abstimmungen für die erledigten Kapitel vorgenommen. Beim Kapitel Kunst und Wissenschaft tam wieder einmal mehr die geradezu gemeingefährliche Arbeiterfeindlichkeit der Kommunisten zum Ausdruck. Sie hatten in einem An­trag die Kündigung der Darlehen an die Bolksbühne verlangt und diesen Antrag mit Hilfe der Nationalsozialisten und einiger anderer Rechtser auch durchgesetzt. Es kann gar keine Frage sein, daß der Magistrat diesem Antrag nicht beitritt; die Volks­bühne ist als Kunstinstitut aus dem Berliner   gemeinnüßigen Kunst­leben nicht mehr fortzudenken. Abgelehnt wurde ein Antrag der Nazis, nach dem der Kaiser- Wilhelm- Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften  " wie bisher weiter 16 000 Mart gezahlt werden Jollen. Dann wurden noch weitere kulturfeindliche Anträge der Kommunisten abgelehnt, so die Streichung des Zuschusses für das Philharmonische Orchester. Das ist natürlich nur

eine bescheidene Blütenlese aus dem Riesenstrauß fommunistischer| wollten, für die Insassen des Obdachs sollten aber nach ihrem An­Anträge.

Beim Kapitel Wohlfahrt

ſparten sie ebenfalls nicht mit Anträgen. Es iſt nicht festzustellen, um wie viele Millionen der Wohlfahrtsetat, der jetzt schon ein volles träge alle Annahme gefunden. Die Kommunisten forderten wahl­Viertel des Gesamtetats ausmacht, steigen würde, hätten die An­los, ohne auch nur den leisesten Versuch zu machen, die Notwendig feit gerade ihrer Ausgabenfestsegung zu beweisen. Ein Beispiel von vielen dafür: Für die Einrichtung von Wer f- stätten in den städtischen Erziehungsanstalten forderten sie den Betrag von zwei Millionen Mark.   Berlin hat fünf solcher Anstalten mit etwa zweitausend männlichen Insassen. Für 400 000 Mart soviel entfiele auf jede Anstalt fann man eine große Fabrik mit den modernsten Werkzeugmaschinen einrichten, und Werkzeug im Betrage von eintausend Mark pro Kopf ist soviel, wie mancher Gewerbetreibender nicht in seinem Betriebe investiert hat. Was hindert das aber die Kommunisten, zwei Millionen zu fordern!!!

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Große Heiterkeit erregte es, als die Kommunisten für die Für­forgezöglinge die Weihnachtsfeiern abgeschafft wissen

Krater am Potsdamer   Platz

Noch immer prangt der auf­fällige Bauzaun mit den riesigen Reklameaufschriften am Pots­ damer   Platz; aber gleich da­hinter hat sich ein gewaltig tiefer Krater aufgetan: die Baugrube für das neue Columbus­Haus, das sich hier nach dem gescheiterten Projekt der ,, Galeries Lafayette" an der Stelle des ehe­maligen Hotels Bellevue erheben wird. Das lebhafte Verkehrs­tempo des Potsdamer Platzes scheint sich auch auf den Betrieb in der Baugrube übertragen zu haben, in der 230 Arbeiter be­schäftigt sind. Passanten DOM Potsdamer Platz treten an die. Barriere und betrachten mit Inter­esse das Treiben in der Baugrube, die mit den zahlreichen Konzen­trisch angeordneten Stützbalken einem Amphitheater gleicht. Eine weitverzweigte Pumpanlage be­sorgte die Grundwasserabsenkung

DOR

Die riesige Baugrube des ,, Columbus- Hauses"

5 Meter, gerechnet vom ursprünglichen Wasserspiegel. Viele Tausende von Hekto-| platte, die für das 37 m hohe Bürohaus mit seiner Grund­litern Wasser flossen auf diese Weise durch den Regenwasser­kanal in den Landroehrkanal. Ein mächtiger Raupenlöffel­bagger besorgte die Ausschachtung( 20 000 Kubikmeter). Auf kleinen Geleisen laufende Loren brachten die Erdmassen zu dem Aufzug, von dem sie automatisch in die bereitstehenden Fuhrwerke gekippt wurden. Nun sind gerade die Betonierungs­arbeiten im Gange: Betonmischmaschinen kreischen und lang­sam wächst die Fundierung: Eine 1,50 m starke Beton­

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Hible

VON

1. ILF UND F. PETROW

Hätte dieser Mensch zwei Stunden lang stillfißen können, so wären vielleicht ganz unerwartete Dinge geschehen. Viel leicht hätte er dann eine schöne Geschichte schreiben oder ein Gesuch an die Kassa der Gegenseitigen Hilfe" verfassen fönnen, ihm ein Darlehen auf unbegrenzte Frist zu gewähren. Oder er hätte vielleicht ein neues Wohnungsgesetz entworfen oder ähnliches.

"

Stillsigen aber war gegen seine Natur. Seine wahn finnig geschäftigen Beine trugen ihn davon, der Bleistift schoß wie der Blitz, geführt von wahnsinnig geschäftigen Händen. Die Gedanken flogen sprunghaft hin und her.

Iznurenko lief im Zimmer umher und die amtlichen Siegel auf den Möbelstücken zitterten wie die Ohrringe einer tanzenden Zigeunerin. Das luftige Peripheriemädchen saß auf dem Stuhl.

,, Ach, ach!" rief Awessalom Wladimirowitsch. Göttlich! Die Anwesenheit der Königin verschönert das Mahl mit ihrer Stimme, ihrem Blick! Hohe Klasse! Sie sind die Königin Margot."

Die Peripheriekönigin verstand nichts und lachte respektvoll. Effen Sie doch, nehmen Sie doch ein Stück Schokolade, ich bitte Sie! Ach, ach! Wunderbar!" Er füßte jeden Moment die Hände der Königin, setzte ihr den Kater auf den Schoß und fragte flehend: ,, Nicht wahr, er sieht wie ein Papagei aus? Ein Löwe! Ein Löwe! Ein echter Löwe! Sehen Sie nur, wie flaumig er ist!.. Und der Schwanz! Der Schwanz! Ein prachtvoller Schweif! Ach!"

Dann flog die Kaze in die Ede und Awessalom Wladimi­romitsch preßte seine Arme gegen die dicke Brust und begann jemanden im Fenster vis- à- vis zu begrüßen. Nun mußte sich aber in seinem Kopf irgendein Ventil geöffnet haben, denn er begann anzügliche Wizze zu machen, Anspielungen auf phplfche und feelische Eigenschaften feiner Bejucherin,

fläche von 2000 Quadratmetern das Fundament bilden wird. Durch die Tiefe dieses Fundamentes mußten auch die Keller­sohlen der benachbarten Häuser auf 8,50 m unterfahren werden. Daher auch die umständlichen Sicherheitsmaßnahmen durch Absteifung. Der Bau, der einen entscheidenden Anstoß zur Modernisierung des Potsdamer Platzes geben wird, stammt im Entwurf von Architekt Erich   Mendelsohn. Im Mai 1932 soll das | ,, Columbus- Haus" fix und fertig dastehen.

,, Sagen Sie, Fräulein, diese Brosche ist doch eigentlich nur aus Glas? Und was für ein Glanz! Ach, Sie haben mich geblendet, mein Ehrenwort!... Sagen Sie, ist   Paris wirklich eine so großartige Stadt? Und gibt es dort wirklich einen Eiffelturm?... Ach, ach! Welche Hände! Welche Nafe! Ach!..

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Er trat dem Mädchen dabei körperlich nicht im gering­sten nahe. Er begnügte sich damit, ihr Komplimente zu sagen. Und er sagte sie endlos. Dieser Redestrom wurde durch Ostaps Kommen unterbrochen.

Der große Kombinator trat ein, drehte einen Bogen  Papier in den Händen und sagte streng: Wohnt hier Iznu­rentom? Sind Sie es?"

Awessalom Wladimirowitsch blickte betreten in das steinerne Gesicht des Besuchers. Er suchte in seinen Augen zu lesen, was für ein Anfinnen der Besucher an ihn zu stellen hatte. Vielleicht eine Geldstrafe wegen einer zerbrochenen Scheibe während eines Gesprächs in der Elektrischen? Eine Vorladung vor das Volksgericht wegen der Wohnungsmiete oder die Werbung zum Abonnement für die Zeitschrift der Blinden?

,, Was soll denn das heißen, Genosse", sagte Bender ,,, wie fönnen Sie sich unterstehen, einen Staatskurier davonzujagen?" ,, Was für einen Kurier?" fragte Iznurenkow erschrocken. ,, Sie werden es schon selbst wissen. Ich werde jetzt sofort Möbel hinaustragen. Vor allem diesen Stuhl hier. Bitte sehr, Bürgerin, machen Sie den Stuhl frei."

die

Die Bürgerin, deren Haupt eben noch der Hauch einer zarten Poesie umschwebt hatte, stand auf.

,, Nein! Bleiben Sie ſizen!" rief Iznurenfom und deckte den Stuhl mit seinem Körper. Sie haben kein Recht dazu!" ,, Was Recht oder Unrecht anlangt, so haben Sie zu schweigen, Bürger. Ehre dem Gefeß!" Mit diesen Worten hob Ostap den Stuhl und schwenkte ihn in der Luft. Diesen Stuhl werde ich jetzt mitnehmen", sagte Bender entschlossen. ,, Nein, Sie werden es nicht tun."

,, Wieso denn nicht", lächelte Ostap und begab sich mit dem Stuhl auf den Gang.

Awesjalom füßte der Königin die Hand, neigte den Kopf und lief dem unerbittlichen Erefutor nach. Ostap stieg bereits die Treppe hinab.

Und ich jage Ihnen, daß Sie fein Recht dazu haben

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trag die Ausgaben für die gleichen Feiern noch erhöht werden. Es war eben zur Zeit der Etatberatung im Ausschuß auch schon sehr heiß! Im letzten Jahre war die Genossin Todenhagen als Amtmann in das Landesjugendamt eingetreten, nachdem sie vorher lange Jahre der Arbeiterwohlfahrt vorgestanden hatte. Dagegen links; gestern bot sich Gelegenheit, in einer Abstimmung dagegen richtete sich schon lange der Haß der Reaktionäre von rechts und zu votieren und so geschah es, daß die Stelle der Genossin Toden­munisten schon einmal beantragt, für die Unterstützungsbedürftigen hagen gestrichen wurde. Vor Jahr und Tag hatten die Kom­aller Arten Säge festzusetzen, die über dem Einkommen der in Arbeit Stehenden liegen. Für ein Ehepaar mit zwei Kindern verlangten sie monatlich 230 So auch wieder beim Wohlfahrtsetat: mung abgelehnt, auch die sozialdemokratische Fraktion stimmte da­Mark( ohne Abzüge). Der Antrag wurde in namentlicher Abstim gegen. Ueber 100 Abstimmungen zum Wohlfahrtsetat waren nötig, darunter befanden sich fünf namentliche. fchließlich in der Fassung des Haushaltsausschusses angenommen. Die Etatkapitel wurden Die Versammlung wandte sich dann der Beratung des Gesundheitsetats

zu. Dazu sprachen die Stadtverordneten Dr. Bamberg( Dem.), Dröll( Komm.) und Frau Frohn( 3.).

Um 21.30 Uhr beantragte Herr Wisnewski die Beratungen zu vertagen, weil seine Freunde kein Interesse mehr an der Sizung hätten. Bei beschlußunfähigem Hause kam der Kommunist mit diesem Antrag durch; der Erfolg wird sein, daß die Verabschiedung des Stadthaushaltes noch um einen Tag hinausgezögert wird.

Notzeiten überall!

Der ungeheure Wachstum der an die zuständigen Wohl= fahrtsstellen gerichteten Gesuche um Gewährung von Unter­stügungen liefert den sichtbarsten Beweis für die Notlage weiter Kreise der   Berliner Bevölkerung. Unter den mannigfaltigen Sach­leistungen, die von der offenen Fürsorge zur Linderung der Not gewährt werden, rangieren die Summen, die allmonatlich in Gestalt von Mietbeihilfen für bedürftige Familien bewilligt werden mit an erster Stelle. Daß immer größere Kreise infolge der langen Dauer der Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Verschlechte­rung der wirtschaftlichen Lage ihren Verpflichtungen in der Auf­bringung der Wohnungsmiete nicht nachkommen tönnen, geht mit aller Deutlichkeit aus der enormen Belastung der Fürsorgestellen hervor, die im Bereich der 20 Verwaltungsbezirke im Laufe der erften drei Monate dieses Jahres nicht weniger als 1415.000 Mart als Mietsunterstügung direkt an die Vermieter zahlten. Während im Januar 430 000 Mark für diese Zwecke aus­reichten, mußten im Februar bereits 461 000 Mark und im März fogar 524 000 Mark zur Verfügung gestellt werden. Unter den einzelnen Verwaltungsbezirken verzeichnet der dichtbevölkerte Ar­beiterwohnbezirk Prenzlauer   Berg mit einem Aufwand von 377 000 Mart im Laufe des ersten Vierteljahres die Höchstsumme.  Kreuzberg verausgabte in derselben Zeit rund 195 000 Mart; nicht minder groß ist die Notlage im   Berliner Westen, wo Char­  lottenburg von Januar bis Ende März 228 000 Mark Unter­stützungen zahlte.   Lichtenberg und Neukölln, beide stark ausgeprägte Arbeiterwohnbezirke, fühlen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise ebenfalls besonders deutlich in den wachsenden so­zialen Lasten. Die Summen, die von den offenen Fürsorgestellen der beiden Bezirke allein für Mietbeihilfen, ohne die übrigen Sach­leistungen wie Kleidung, Hausrat und Lebenmittelzuweisungen ge­

Nach dem Gesetz können die gepfändeten Möbel vierzehn Tage lang beim Besizer bleiben und die Sache datiert erst seit drei Tagen. Vielleicht werde ich bis dahin bezahlen."

Iznurenkow schwirrte wie eine Biene um Ostap herum. So famen sie auf die Straße. Awessalom Wladimirowitsch lief dem Stuhle bis zur nächsten Straßenecke nach. Dort sah er einige Spaßen, die auf einem Misthaufen herumhüpften. Er sah ihnen mit heiteren Augen zu, flüsterte etwas vor sich hin, flatschte mit den Händen und rief lächelnd: ,, Hohe Klasse! Ach!... Ach!... Welcher Einfall!"

Er war durch den Reiz einer plöglichen Eingebung hin­gerissen. Er drehte sich lustig um und hüpfte zurück nach Hause. Erst als er das Peripheriemädchen mitten im Zimmer stehen sah, erinnerte er sich wieder an den Stuhl.

Ostap brachte den Stuhl indes in einer Droschte nach Hause.

,, Hier können Sie sich ein Beispiel nehmen", sprach er zu Worobjew. Diesen Stuhl habe ich mit meinen bloßen Händen genommen. Ohne einen Heller zu bezahlen. Ber­stehen Sie?"

So wurde Iwanopulos Möbeln ein neuer Stuhl hin zugefügt. Nach der Durchsuchung des Stuhles wurde Wo­robjem sehr traurig.

Die Chancen werden immer größer", sagte Ostap ,,, und wir haben keinen Groschen Geld. Sagen Sie, hatte Ihre selige Schwiegermutter nicht eine besondere Vorliebe für Scherze?" Wie kommen Sie darauf?"

,, Vielleicht existieren die Brillanten überhaupt nicht." Borobjem hob die Arme so hoch, daß sein Rod ganz furz wurde.

,, Nun, dann ist alles in Ordnung. Hoffen wir, daß Iwanopulo jetzt nur noch um einen Stuhl bereichert wird."

Genosse Bender, man hat heute über Sie in der Zeitung geschrieben", sagte Worobjem zuvorkommend. Ostap runzelte die Augenbrauen. Er liebte es nicht, wenn die Presse seinen Namen ans Licht zerrte. Was fafeln Sie da? Welche Zeitung?" Worobjem entfaltete triumphierend Die Werkstatt". Hier, in der Rubrik ,, Ereignisse vom Tage". Ostap atmete auf. Er hatte eventuelle Nachrichten in den Spalten Unsere Verdächtigen" oder Verbrecher vors Tribunal!" gefürchtet. Fortseßung folgt.)