Morgenausgabe Nr. 411
A 202
4S.Iahrgang
Wöchentlich SSPf� monatlich 3,60 M Im voraus zahlbar. Postbezug 4�2 M. einschließlich 60 Pf. Postzeitungs- und 72 Pf. Postbestellgebühren. Auslands« abonnement 6,— M. pro Monat; für Länder mit ermäßigtem Druckfachen« vorto 6.— M.
Der„vorwärts' erscheint wochentäg' lich zweimal. Sonntags und Montag» einmal, die Abendausgabe für Berlin ui?d im Handel mit dem Titel„Der Abend". Illustrierte Beilage.Bolt und Zeit'. Ferner„Frauenstimme'. �Technif,„Blick in die Büch erw elf. „Iugend'Lonvärts'u.„Stadtbeilage'
M. Aerttner Volksbta«
Oonnersiag 3. September 1931 Groß-Äerlin 10 Pf- Auswärts 15 pf.
Die einspalt. Nonpareillezelle 6V Pf. Neklamezeile 5.— RM.„Kleine Anzeigen" da» fettgedruckte Wort LS Pf. (zulassig zwei fettgedruckte Worte), jede» weiter« Wort 12 Pf. Rabatt lt. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Ps, jede» weitere Wort 10 Pf. Worte Ober 15 Buchstaben zählen füi zwer Worte. Vrbeitsmarkt Zeile 60 Pf. Familien- anzeigen Zeile 40 Pf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3. wochen. täglich von S1/» bis 17 Uhr. Set Verlag behält sich da» Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor«
Zentvalorgan der SoziawemoSeattfchen Partei Deutschlands Redaktion und Verlag: Berlin <3W 68, Lindenstr. 3 �ernspr.: Dönhoff(A 7) 292—297. Telcgramm-Adr.: Sozialdemokrat Berlin .
Vorwärts-Verlag G. m. b. H.
Postscheckkonto: Berlin 37 S3K.—Bankkonto: Bankder Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3, Dt.B.u.DiSc.-Ges., Depositenk., Jerusalemer Str. 65/63.
Oevaheim-Anfrage im Landtag. Zur den Schuh der geschädigten 20000 Bausparer.
Die sozialdemokratische Fraktion hat im Preußischen Landtag die folgende Große Anfrage eingebracht: Der Zusammenbruch der wirtschaftlichen Einrichtungen der Inneren Mission und der evangelischen Kirche hat große Verluste mit sich gebracht. Es kann als feststehend gelten, daß große Beträge aus Mitteln des Reichs und des Staates in der unverantwortlichsten Meise verwirtschaftet und vergeudet worden sind. Darüber hinaus sind tausende Neiner Sparer, die ihre mühsam zurückgelegten Groschen auf den evangelischen Bausparkaflea au- lcgteu, nicht nur um ihre Hoffnung ans eine Wohnung betrogen, sondern höchstwahrscheinlich auch restlos um ihr Geld gebrocht. Dieser großen Gefahr sind über 20 000 Bausparer ausgesetzt. Der Zu- sammenbruch ist aus unzulässige Spekulationsgeschäfte, leichtfertige Verwendung der Mittel und persönliche Mißwirtschaft auch bei der hilfskaste zurückzuführen. Verantwortlich für den angerichteten Schaden ist nicht nur der Zentralausschuß der Inneren Mission der cvangelischea Kirche, sondern sind auch die evangelischeu kirchlichen Spitzenbehördea, das Kirchenbundesamt, die Synode und der Ober-
kirchenrat. Eine Anzahl der für die Mißwirtschaft verantwortlichen Personen sind nicht nur in mehreren der erwähnten Sörperschaslen, sondern einige in allen als Mitarbeiter tätig gewesen. Es kann daher wohl als selbstverständlich angesehen werden, daß die evangelische Kirche mit ihrem Vermögen die gefährdeten Spargroschen der Lansparer sicherstellt nach dem Rechtsgrundsah: wer Schaden hat. muß Schaden bessern. Mir fragen: Ist das Siaatsministerium bereit, 1. die evangelischen Kirchenbehörden anzuhalten, durch Bereit- stellung von vermögensteilen der evangelischen Kirche jeden vertust von den Bansparern fernzuhalten? 2. Vorsorge zu treffen für eine ordnungsmäßige zweck- entsprechende Verwendung der den Organisationen für Wohlfahrts- zwecke zur Verfügung gestellten Mittel? Z. auf die Reichsregierung einzuwirken, daß die vom Reichstag beschlossene Staatsaufsicht über die Vausparkassen unverzüglich und gründlich durchgeführt wird?
Volksurteil über Naziverleumdung GenosseOiiimann rechnet mit den Verleumdern ab/ Niederlage der Hakenkreuzler
-- ß Nachdem vor dem Meimnqer Schöffengericht die von dem Nazistudienrot Hille in Hildburghausen dem ».Völkischen Beobachter" nachgeplapperte Verleumdung gegen die Genossen Crispien und Diktniann', daß sie im Kriege mit dem französischen Offiziersspion Dcsgranges konspiriert hätten, elend zusammengebrochen ist, gestaltete sich ein« Versammlungstour, die Genosse Dittmann in dem Gebiet von Eisenach über Meiningeu bis Hildburghausen abhielt, zu einem wahren Volksurteil über die Naziverleumdung. Ueberall, wo Genosse Ditt- wann unter stürmischer Zustimmung sprach, waren die Säle total überfüllt und auch zahlreich von Bürgerlichen besucht, so in Eisenach löCKZ Besucher, in Meiningen lSvy, in Schweina 600, in Wasungen HOV und in Hildburghaiisen 800. Die imposanteste der Versammlungen war die in Hildburg- Hansen, dem Wohnort des Nazistudienrats Hille, der zur ver- fammlung eingeladen und auch erschienen war. Außer den 800 Besuchern, die den polizeilich abgesperrten Saal füllten, standen noch 600 Personen vor dem Lokal, die keinen Einlaß fanden. In dem 6S00 Einwohner zählenden Ort mar die Ver- sammlung eine nie dagewesene Situation. Genosse Dittmann nahm die Kapitulation 5)illcs vor dem Mcininger Schöffengericht zum Anlaß, in einer zweistündigen Red« gründliche Abrechnung zu halten mit den Lügen über
Dolchstoß, Kriegsschuld, Matrosenmeuterei, Munitionsarbeiterstreik und Revolution. Er schloß mit einer grundsätzlichen Auseinander- setzung> über Kapitalismus- und � Sozialismus und erntete den stürmischen Beifall der überfüllten Versammlung. Der N a z i m a n n Hille, dein'30 Minuten �Redezeit bewilligt wurde, die er um zehn Minuten überschritt, spielte eine geradezu klägliche Rolle. Er ging mit keiner Silbe auf seine Blamage vor dem Meimnger Schöffengericht ein und plapperte unter dem Kopfschütteln und Erstaunen der zahlreich anwesenden bürgerlichen Kreise lediglich die schon im Referat des Genossen Dittmann wider- legten Lügen wieder herunter. Vor dem Schlußwort des Genossen Dittman verließ'Herr Hille mit zirka fünfzig seiner Getreuen lärmend den Saal und ver- suchte, dt« Versammlung zu sprengen, was ihm aber dank der Disziplin unserer Genossen und der imponierenden Stärke des Reichsbanners kläglich mißlang, so daß Genosse Dittmann sein Schlußwort ungestört halten konnte. Vei dieser versammlangslour war c» wegen ihres besonderen Anlasses möglich, zahlreiche Leute aus bürgerlichen Kreisen in die Versammlung zu bringen. So wurde die Tour zu einer vorzüglichen Werbeaktion für die Partei und den Sozialismus. Die Vcrleumdungsaltion der Nazis erwies sich als ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft.
Millionen für Militza? Zmmer noch Fürstenabfindung— trotz tiefster Not. Beim Oberlandesgericht in Rostock schwebt in zweiter Instanz der Prozeß, den die ehemalige Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz mit ihren Töchtern Militza von Monte- negro und Marie zur Lippe gegen das Land Mecklenburg - Streliß führt. Das Oberlandesgericht hat einen Vergleichs- Vorschlag unterbreitet, nach dem das Land eine Kapital- abfindung von einer Million Mark und außerdem eine jähr- liche Rente von 100(MX) M. zahlen soll. Das Land hat den Vergleichsvorschlag abgelehnt; das Urteil im Abfindungs- prozeß soll am 29. September verkündet werden. Dos Land Mecklenburg-Strelitz hat rund 100 000 Ein- wohner. An die klagenden Exfürstinnen sollten nach dem Aergleichsvorschlag pro Kopf eines jeden Einwohners 10 M. als Rente gezahlt werden— was eine fühlbare Zusatz- besteuerung bedeuten würde. Und das in der Zeit der tiefsten Rot, der Massenarbeitslosigkeit, der Lohnsenkung und Ge- Haltskürzung, der bittersten Finanznot der Länder und Ge- meinden, die nicht mehr wissen, woher sie die Mittel zur Er- Haltung der Wohlfahrtserwerbslosen nehmen sollen! Eine derartige Anforderung in dieser Zeit ist im tiefsten Grunde unsittlich._ Die Zollunions-Erklärung fertig. Wird heute im Suropakomitee abgegeben. Genf . 2. September. D'e Befpccchi-, ngen über die Behandlung der Zollunionssroge find heute nochmitlag abgeschlossen worden. Die Außen- minister Oesterreichs und Deutschlands werde» vermutlich schon in
der ersten Sitzung des Europa -Ausschusses, der morgen zu feiner vierten Tagung zusammentritt, Erklärungen über das Zollunionsprojekt abgeben. Das Gutachten des Haager Gerichtshofes wird Sonnabend in öffentlicher Sitzung des haager Gerichtshose» be- kanntgegeben und am Freitagabend in mehreren hundert Exem- plaren mit Flugzeug nach Genf übersandi werden. Terminkalender des Nückzuges. Heute Verzichtserklärungen auf die Durchführung der Zollunion. Curtius und Schober werden die angekündigten Erktä- rungen zur Zollunion im Europa -Ausschuß am heutigen Donnerstag abgeben. Der Wortlaut ist den Großmächten gestern abend bereits mitgeteilt worden. Oesterreichs Gesuch um Fi- n a n z H i t s e wird daraufhin im Völkerbundsrat am Freitag behandelt werden. Zu dem Gutachten des Haager Gerichtshofes, dos am Sonnabend vormittag bekanntgegeben wird und übrigens nur noch platonische Bedeutung besitzt, nimmt der Rat erst am Montag Stellung. Oiktaturregierung im Gefängnis. Berenguer und die anderen Generale sitzen. vi a d r i d, 2. September. (Eigenbericht.) Heule nacht lieh der Staatsgerichishof alle TNltglieder des ZNililärdirektoriums de Riveras verhaften, unter anderem den bekannten General Friedrich Berenguer und Jor- dana, sowie Admiral Magaz und Eornejo. Der 2b. September ist endgültig als Datum des französischen Ministerbesuches in Berlin sestgejetzt worden.
Die Freidenker-Internationale. Sin Einigungskongreß in Berlin . Vom 5. bis 7. September 1931 tagt im ehemaligen Herrenhaus zu Berlin ein Internationaler Frei- d e n k e r k o n g r e ß, der bereits am Freitagabend durch eine große festlich inszenierte Massenkundgebung in der„Neuen Welt" eingeleitet wird. Angemeldet sind Delegierte aus Oesterreich , der Tschecho- slowakei , Frankreich , Belgien , Holland , der Schweiz , England, Italien , Polen , Luxemburg u. a. Der Deutsche Freidenker- Verband wird seiner Stärke gemäß mit 65 Delegierten vertreten sein. � Hinter allen delegierenden Verbänden steht eine Gesamtmitgliederzahl von 800 000 Freidenkern. Diese Zahl legt Zeugnis davon ab, daß die Freidenker- bewegung auch im internationalen Maßstabe sich in ständiger Aufwärtsbewegung befindet, und die Tatsache des Zustande- kommens dieses Kongresses inmitten verheerender Wirtschasts- krise und politischer Stürme beweist, wie stark in den Reihen der Kulturorganisationen das Bedürfnis nach internationaler Zusammenarbeit und Verständigung vorhanden ist. Ja, hinter diesem Kongreß steht das Wort Verständigung als Motto für die gesamte Tagung noch in einem anderen konkreteren Sinn, als es in der offiziellen Tagesordnung zum Ausdruck kommt. Es sind zwei internationale Freidenker- Vereinigungen, die sich hier, einer Einladung des Deutschen Freidenker-Verbandes folgend, zu einer gemeinsamen Tagung zusammenfinden: die im Jahre 1925 gegründete Jnternatio- nale proletarischer Freidenker, mit deren Namen mißbräuch- licherweise die Kommunisten im letzten Jahre sehr viel Unfug getrieben haben, und die seit Jahrzehnten bestehende rntion Internationale des Societ�s de Libre-Pensöe, die in Brüssel ihren Sitz hat. . Als die durch den Weltkrieg unterbrochene internationale Zusammenarbeit der Freidenker wieder aufgenommen werden sollte, als die veränderten Verhältnisse neue prinzipielle und taktische Probleme auszeigten, führte die Debatte über eine neue Methodik und eine neue Zielsetzung des Kampfes gegen die Kirche nicht zu einer Einigung, sondern zu einer Spaltung der Internationale und mit ihr zur Gründung der„Internationale proletarischer Freidenker". In den Ländern Westeuropas war die Freidenkerbewc- gung fast ausschließlich auf lose Vereinigungen intellektueller Schichten aufgebaut, in den Ländern Mitteleuropas war sie inzwischen zu machtvollen zentralistisch proletarischen Organi- sationen angewachsen. Dort galt noch die Losung von der politisch neutralen, die individuelle Freiheit prokla- mierende Freidenkerbewegung, hier prägte man die Losung Kulturkampf ist Klassenkampf und stellte das positive Bekenntnis zur sozialistischen Idee und den Willen zur sozialistischen Zielsetzung in den Vordergrund. Dieselben Auseinandersetzungen um die zukünftige Ge- staltung der modernen Freidenkerbewegung sind bereits vor- dem in Deutschland zwischen den verschiedenen Frei- denkerverbänden nicht minder lebhaft geführt worden. Sie brachten die Erkenntnis, daß die Entscheidung über derartige Fragen nicht in theoretischen Diskussionen fallen kann, sondern nur möglich ist im Rahmen praktischer Tagesarbeit. Als die vier größten Freidenkerverbände Deutschlands sich zu einer heute noch bestehenden Reichsarbeitsgemeinschast zusammen- schlössen, zeigte sich sehr bald, daß die so geschaffene Gemein- samkeit der Arbeit viel schneller die innere Annäherung brachte als alle theoretischen Diskussionen. So war es ganz natürlich, daß von Deutschland aus die Versuche ausgingen, diesen selben Weg mit dem Ziel einer späteren völligen Einheit auch im internationalen Maßstabe zu beschreiten. Von beiden Seiten, von Brüssel und von Berlin aus, wurde am Brückenbau gearbeitet, der fest fundiert werden konnte durch die Tatsache, daß auch in westeuropäi- schen Freidenkerorganisationen die sozialistischen Tendenzen immer stärker durchdrangen. Der sichtbare Erfolg aller dieser Bemühungen findet seine Verkörperung in dem vor uns stehenden gemeinsamen Kongreß. In ohnmächtiger Wut begeifern die Kommuni st en die bevorstehende Tagung. Es wird niemand von diesem Gekläffe sonderlich Notiz nehmen. Auch das Geschrei, daß bürgerliche Politik auf dem Kongreß betrieben werden soll, wird keinen Eindruck machen. Auf diesem Kongreß sitzt niemand, der in den Verdacht steht, mit Hitler und Hugenberg gemeinsame Sache zu machen, niemand, der Sympathien für reaktionäre Bombenleger und Fememörder bekundet. Aufbauende, vorwärts schauende positive Kulturpolitik zu treiben, ist der Zweck der Tagung. Es soll Stellung ge- nommen werden zu den Fragen, die heute in dem einen oder