Rr. 41-45. 3abrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 3. September 1931
Rund um die neue Jannowitzbrücke. Fabrik in die Luft geflogen.
Nähert man sich von der Brückenstraße her der Spree , so zeigt einem der riesige, nahezu 40 Meter hohe Brückenkran die Stelle, von TOO aus die neue Jannowitzbrücke die beiden Ufer verbinden wird. In einem einzigen Zuge, ohne Zwischenpfeiler, mit einer Länge von 72 Meter wird sie die gerade Verbindung zwischen Brückenund Alexanderstraße herstellen. Auf ihr werden außer zwei Bürgersteigen von je 5 Meter Breite Platz haben: Zwei Fahrdämme für den Richtungsverkehr von je 8 Meter Breite, und außerdem die Doppelgeleise der Straßenbahn. Die Durchfahrtshöhe für den Schiffsverkehr beträgt 4 Meter. Den besten Blick auf die ganzen Bauarbeiten hat man don der Waisenbrücke aus. Zur Zeit ist man dabei, die Rüstungsträger und den auf ihnen laufenden, gewaltigen Portalkran für die bevorstehende eigentliche Montagearbeit herzurichten. Dabei ereignete sich bekanntlich vor wenigen Tagen ein schweres Unglück:| Abbruch vergehen wird. Am gelungensten ist der von Efeu Ein Arbeiter wurde von einer herabfallenden Eisenplatte getötet, ein anderer schwer verletzt. Wenige Schritte von der neuen Brücke leitet die provisorische Notbrücke den Fußgängerverkehr von Ufer zu Ufer. Hier geht es immer lebhaft zu, hier gibt es auch immer etwas zu sehen. Fliegende Händler locken die Passanten mit nie dagewesenen Attraktionen. Auf der benachbarten Reederei füllt sich langsam ein blendend weißer Vergnügungsdampfer mit wohlgelaunten Ausflüglern. In dem Eisengestänge des Brückenkrans hängen und klettern mit katzenartiger Geschicklichkeit Montagearbeiter und empfangen in luftiger Höhe die von unten heraufgebrüllten Dispositionen. Ganze Barackensiedlungen haben sich an den Brückenköpfen festgesetzt. Manche von diesen Häuschen sind einstöckig gebaut und man erkennt an der soliden Bauart, daß sie schon jahrelang ihren Zroeck erfüllen und daß noch eine geraume Zeit bis zum
So sieht die Jannowitzbrücke im Augenblick aus.
Drei Zentner Dynamit gestohlen! Dice Ziegelmaner des Pulverhauses aufgebrochen. Chemnik, 2, September. In Hartmannsdorf ist in einem Ratssteinbruch, der der Stadtgemeinde Chemnitz gehört, im Pulverhaus die Hintermauer erbrochen und drei Zentner Sprengstoff und 250 Stück Sprengkapseln gestohlen. Die Gendarmerie stellte Nachforschungen an. Es ist nicht festzustellen, wann der Einbruch verübt worden ist, da die Arbeiter am Montag aussehen und der Steinbruch über zwei Tage nicht in Betrieb war.
Am Freitag voriger Woche war in dem Steinbruch zum letzten Male gesprengt worden. Der Diebstahl muß also in der Zeit vom Sonnabend bis Montag ausgeführt worden sein. Die etwa 30 3enti
WENN DERKURSFAL
201
ROMAN
VON
Foly Scherret.
Ein Gefühl der Erhebung durchdringt sie. Dort im Salon der Trubel gesättigte Gäste, die nach einigen Glas Wein in ausgelaffene Stimmung fommen, während ich hier zu meinen Dichtern flüchte.
Neu gestärkt fehrt sie zurück zu den gewöhnlichen Sterblichen. Sie sieht, wie die dicke Aurelie Damme, die endlich Gert Telles erwischt hat, ihren dekolletierten Busen in greifbare Nähe des jungen Mannes rückt.
,, Sagen Sie doch Frau Reli zu mir", bittet Frau Aurelie und entblößt beim Lächeln ihre goldüberzogenen Schneidezähne. Meine lieben Freunde nennen mich alle so."
,, Gern, gnädige Frau", Gert verbeugt sich leicht. Gleich wird sie mich unter irgendeinem Vorwand einladen.
Haben Sie schon meine Katteensammlung besichtigt? Nein?! Also die müssen Sie unbedingt kennenlernen. Ist es Ihnen in der nächsten Woche recht? Bielleicht am Mittwoch?" Spaßeshalber müßte man mal hingehen. Gert sagt zu. Jezt aber fort! Wo mag Harry sein? Muß er ausgerechnet mit den Biedermännern quatschen!
,, Mir scheint die Hausse nicht geeuer." Erikson beißt seine Zigarre ab. Er tut es immer, obgleich es gar nicht vornehm wirkt. In der Hand balanciert er ein Rognafglas. Warum fteigt plötzlich alles? Aktien und Engrospreise marschieren, als ob sie besessen sind. Nur dein Getreide, James, macht eine Ausnahme. Die Kurse stehen zu den Werten in feinem Berhältnis. Ich bitte Sie, meine Herren, die kleine Betonfabrik da draußen am Bahnhof notiert über 200, und früher waren ihre Kurse höchstens mit der Lupe wahrzunehmen. Wo soll das hinführen?"
Wir sind eben ein aufblühendes Land", bemerkt Herr Direttor Marr philosophisch.
,, Ei weih! Trotz der Reparationen und der Arbeitslosigteit." Konsul Dammer medert dazwischen. Sie haben recht, Eriffon, ein sehr merkwürdiger Zustand. Alles abstoßen und bares Geld halten! Gut, Silvester, daß Sie so bodbeinig waren. Wer zuletzt lacht, lacht am besten!"
Und: wie gewonnen, so zerrounen, da wir uns gerade
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überwucherte Ueberrest des Restaurants Belvedere" am rechten Spreeufer, mitten im Bauroirrmarr gelegen. Auf Bretterbohlen zwischen gewundenen Holzzäunen gelangt man zu diesem würdigen Ueberrest wilhelminischer gotischer Architektur aus den 80er Jahren. Säulchen, Ziergiebel, Fachwerk wo einst biedere Berliner bei der Weiße" saßen, lagert jetzt Zement, und im ersten Stock, der ganz von Efeu umsponnen ist, haben Arbeiter ihre bescheidene„ Frühstücksbescheidene ,, Frühstücksstube". Schwierige Bauarbeiten wurden auf dieser Seite der Spree geleistet: Die Untergrundbahnstrecke Neukölln- Gesundbrunnen wurde gebaut, ohne daß der Verkehr der Stadtbahn unterbrochen werden durfte. Eine Hilfskonstruktion aus Eisen ersetzte die Stadtbahnbögen. Die Hilfskonstruktion selbst macht jetzt wieder den neuen Fundamenten Platz und eine Flotille von Zillen schafft Baumaterial auf dem Wassermeg herbei.
I meter starte 3iegelmauer des Pulverhauses war von hinten aufgebrochen worden. Anschließend wurde der Diebstahl in der Nacht ausgeführt, da das Pulverhaus rings von Feldern umgeben ist; auf denen am Tage gearbeitet wird. Es wird angenommen daß es sich um ein pofitisches Verbrechen handelt.
Die Offiziere des Do. X wurden heute vom deutschen Botschafter empfangen und durch ihn sodann dem Präsidenten Hooper vorgestellt, der sie zum erfolgreichen Flug freundlich beglückwünschte.
25jähriges Dienstjubiläum. Der Geschäftsführer und langjährige Einkäufer für Textilwaren und Konfektion, Herr Viktor weiß topf, fonnte gestern auf eine ununterbrochene 25jährige Tätigkeit in dem Hause B. Feder zurückblicken.
mit Sprichwörtern aus Großvaters Hausrat beschäftigen." Harry lächelt malitiös.
Konful Damme will wütend auffahren. Was hat sich diese Roznase in ein Gespräch weiser Männer zu mischen! Aber er muß sich zu seinem größten Schmerz zügeln. Fränze bittet um Aufmerksamkeit. Manfred wird singen.
Diese günstige Gelegenheit benutzt Gert, um Harry anzupumpen und zu verschwinden.
Er läuft durch die Straßen. Atemlos fommt er an. Bor dem Hause steht Lili Rosolf.
Hast du gewartet? Ich bin doch pünktlich? Die alten Tanten beiderlei Geschlechts ließen mich nicht los. Der Teufel soll sie holen! Aber nun fomm!".
Beide steigen die Treppe zum zweiten Stock empor. Gert schließt auf.
Wir gehen in mein Zimmer. Oder wohin du willst. Die regierungsrätliche Mama ist nicht da, die ganze Wohnung steht heute zu deiner Verfügung!"
,, Wir gehen zu dir!"
Gert knipst die Lampe auf dem Rauchtischchen in seinem Zimmer an. Mehr Licht erscheint ihm Verschwendung. Er zieht das Smokingjakett und die Weste aus, denn die Zentralheizung verbreitet eine höllische Glut, und dieser Aprilabend ist außergewöhnlich warm.
Lili jetzt sich auf die Chaiselongue. Immer wenn ich bei dir bin, kommt es mir wie ein Traum vor. Entschuldige, das flingt blöd, aber es ist doch so."
"
,, Gewiß!" bestätigt Gert und setzt sich zu ihr. Er reißt an ihrer weißen Seidenbluse. ,, Gib mir endlich deinen Mund. Sie füssen sich.
Lili macht sich los. Es ist mir heut so verdammt unwirklich zumut. Und ich hab Appetit auf etwas Wirkliches, vielleicht auf Liför...! Hast du welchen?"
,, Die Frau Mama pflegt ihren Besucherinnen Malaga zu dem gnädigen Fräulein damit servieren. Wenn dient ist...?"
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,, Gib schon her! Oder besser, ich tomme gleich mit." Gert und Lili wandern ins Speisezimmer, wo im linken Büfettschränkchen eine angebrochene und eine ganze Flasche Malaga aufbewahrt sind. Lili füllt die Gläser.
Fein habt Ihrs hier!" Sie lächelt spöttisch und schaut sich in dem düstern Speisezimmer um.
,, Das ist meine Welt, das heißt eine Welt..." zitiert Gert grollend.
,, Komm, Gert, wir wollen..."
Was?" Gert umschlingt sie non hinten.
Schwere Explosion bei Paris.- Zwei Fabrikgebäude zerstört Paris , 2. September. ( Eigenbericht.)
In einer chemischen Fabrik in einem Pariser Borort hat sich am Mittwochvormittag eine schwere Explosion ereignet. Das ganze Fabrifgebäude fing Feuer und ffürzte in sich zusammen. Unter den brennenden Trümmern wurden von der Feuerwehr die vollkommen 3 erstückelten Leichen zweier Arbeiterinnen hervergezogen. 20 Arbeiter wurden schwer verwundet. Durch die Explosion wurde auch eine benachbarte Fahrstuhlfabrik zum Teil zerstört. Auch in diesem Betrieb haben etwa 20 Arbeiter Verlegungen erliften. Schließlich find eine Anzahl Wohnhäuser in der. Umgebung beschädigt worden und mehrere ihrer Bewohner verlegt worden. Die Gesamtzahl der Verletzten wird am Nachmittag auf etwa 60 beziffert. Die Ursache der Katastrophe ist noch nicht festgestellt. Die Staatsanwaltschaft von Versailles hat sich an die Unglücksstelle begeben und die Untersuchung eingeleitet.
Anschlag auf Kassenboten.
Mißglückter Raubüberfall. - Täter flüchten auf Motorrad. Im Hause Leibnizffr. 30 in Charlottenburg , in dem sich eine Reichsbanknebenstelle befindet, wurde gestern auf den 18jährigen Expedienten Walter Seefeld ein Raubüberfall verübt.
G. hatte von seiner Firma, der Berliner Bleirohrfabrik, den Auftrag erhalten, 600 M. Wechselgeld abzuheben. Der junge Mann steckte das Geld, obgleich er eine Aktentasche bei sich hatte, vorsichtshalber in die Brusttasche seines Jacketts. Wie wertvoll diese Vorsicht war, sollte wenige Minuten später der Ueberfall beweisen. Als der Expedient den Flur verlassen wollte, drang plötzlich ein etwa 22- bis 23jähriger Bursche auf ihn ein. Der Täter schlug auf Seefeld ein und entriß ihm die Attentasche, in der er Geld vermutete. Der Ueberfallene rief laut um Hilfe und machte dadurch Passanten auf den Täter aufmerksam. Der Flüchtende lief noch ein Stück die Leibnizstraße hinunter und schwang sich auf den Soziusfiz eines Motorrades, dessen Führer in hoher Geschwindigfeit davonraste. Die Aktentasche hatte der Haupttäter bereits auf der Flucht aus dem Hause fortgeworfen, als er merkte, daß sie leer mar.
Von dem Täter und seinem Komplicen fehlt bisher jede Spur. Nach allem scheint es sich um ein vorbereitetes Verbrechen zu handeln.
Stadtparlament am 7. Geptember.
Anfang September nehmen die Ferien des Berliner Stadtparlaments ihr Ende. Die erste Sigung nach den Ferien wird am 7. September stattfinden. Die Tagesordnung dürfte aller. Voraussicht nach ziemlich umfangreich werden, da sich während der Ferienzeit eine große Anzahl von Vorlagen angesammelt hat. Außerdem werden die in der Zwischenzeit vom Magistrat unter dem Zwange der allgemeinen Not vorgenommenen Sparmaß nahmen Anlaß zu ausführlichen Debatten sein.
Auswahl der Schöffen und Geschworenen.
J
Vom Bezirksverband der Berliner Sozialdemokratie wird uns geschrieben: Genossinnen und Genossen, die in Straßen mit dem Anfangsbuchstaben S wohnen und gewillt sind, das Amt eines Schöffen oder Geschworenen zu übernehmen, werden ge= beten, sich umgehend bei ihrem Kreis- oder Abteilungsleiter zu melden. Ausgeschlossen vom Amt eines Laienrichters sind schwer porbestrafte, angeklagte oder entmündigte Personen. Ferner sollen nicht berufen werden: Rechtsanwälte, Richter, Abgeordnete, Aerzte und solche Personen, die die öffentliche Wohlfahrt in Anspruch nehmen oder förperliche Gebrechen haben.
uns die weiteren Räume dieses gastlichen Hauses
ansehen." ,, Also du erblickst hier den Salon der Firma Telles und Sohn." Er öffnet eine Schiebetür. Alles mit der Hand ges schnigt!" Er deutet auf die Möbel, deren überreiche Berzierung bei der Aufwartefrau immer einen Wutausbruch ver ursacht. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers prangt ein in Leder gebundenes Photographiealbum.
,, Die Familie!" erläutert Gert. ,, Pikante Aktaufnahmen!" Er zieht das junge Mädchen hinter sich her ins Zimmer nebenan. Hier schläft die verwitwete Frau Regierungsrat." Der Raum, den sie betreten, ist einfach. Ueber dem Bett hängen die Bilder eines Mannes und einer Frau in alt= modischer Kleidung.
Gräßlich! Wie vermodert!" Lili schüttelt sich.
,, Und hier ist der Lokus, pardon, das Badezimmer." Er nimmt einen Schwamm aus dem Behälter, läßt faltes Wasser hineinlaufen und drückt ihn über Lilis Kopf aus.
Lili kreischt. Sie läuft zurück ins Speisezimmer. ,, Hier nimm dein Glas!" Gert trinkt den Malaga, der nach Sirup schmeckt und füllt die Gläser von neuem.
Lili läßt sich in dem mit Kissen überladenen Schaufelstuhl nieder. Mach das Licht aus. Die Laterne von drüben ist schon hell genug."
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Gert schleppt einen fleinen, mit Samt bespannten Hocker heran und stellt Flasche und Gläser neben sich auf die Erde. ,, So ist's fein! Erzähl was."
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,, Als ob du dazu hergekommen bist..." protestiert Gerts ,, Wenn die Frau Mama das wüßt! Das Söhnchen mit der Konkubine in den guten Möbeln!" Lili wippt im Schaufelstuhl hin und her.
,, Weißt du, wie sie das nennen würde?" ,, Na?"
,, Verrucht!"
Lili schüttelt sich vor Lachen.
Gert lehnt den Kopf an ihre Knie. ,, Dabei meint sie's gut, die brave Dame. Sie fißt und wartet, daß ich den Doktor mache und mich reich verheirate. Darauf wird sie wohl ihr Leben lang warten müssen... Weißt du, diese ganze Das ständige Schinderei ist mir so entsetzlich über Schnorren um Taschengeld, verflucht noch mal! Die Pension reicht nicht hin und her. Und wenn ich das Eramen gemacht habe, ist auch nichts gewonnen. Genau dasselbe. Kein Geld und ein Doktor mehr! Am besten wär's, man würde Proletarier und ernährte sich durch manuelle Arbeit." Gert sieht auf seine weißen, schmalen Hände.( Fortsetzung folgt.)