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Gewerkschaften als Wirtschafisführer. Starkes Bekenntnis des Gewerkfchastskongresies für die öffentliche Wirtschaft.
F. E.   Frankfurt   a. M., 2. September.  (Eigenbericht.) Auch am dritten Tage des Gewerkschaftskongresses saß das kapitalistische Wirtschaftssystem auf der Anklagebank. Dem Theo- retiker Lederer folgte der Praktiker Brauer als Ankläger, der den Gegensatz zwischen der öffentlichen Wirtschaft und dem Interessenten- Haufen aufzeigte. Die Gemeindewirtschast muß sich mit oller Macht dagegen wehren, daß sie durch Eingriffe in die Selbswerwaltung, durch fortgesetzte Abschiebung der Arbeitslosen in die Wohlfohrts- sürsorge bei gleichzeitiger Sperrung langfristiger Kredite zum Weiß- bluten gebracht wird. Kann auch heute noch nicht die Rede sein von sozialistischer Wirtschast in den Staats- und Gemeindebctrieben, so wird doch künftig mehr als bisher di« Rede davon sein müssen. Am Schlüsse seines glänzenden, mit außerordentlichem Beifall auf- genommenen Referates sagte Genosse Brauer: Die Umwandlung ist kein fernes Zukunstsziel mehr, sondern ein sich täglich vollziehender Prozeß. Aus der schweren Krise ergibt sich der Schluß, daß sie die qualvollen Wehen   einer neuen Zeit darstellt. In der Aussprache begrüßte Polenske-Berlin   vom Gesamtverband, daß Brauer in dieser fast trostlosen Zeit doch einige Lichtblick« geben konnte. Die Lust und Liebe der Gemeindearbeiter zu ihrer Arbeit werde durch Not- Verordnungen gegen sie allerdings nicht erhöht. Genosse Scheffel, der Vorsitzende des Einheitsverbandes der Eisenbahner, unterzog die Reichsbahngesellschaft einer gründlichen Betrachtung. Dieser größte öffentliche Betrieb ist heute unabhängig von Reich und Regierung und dem Einfluß des Parlamentes entzogen. Anstatt der Prioati- slcrung völlig ausgeliefert zu werden, müsse die Reichsbahn von den Einflüssen der großkapitalistischen Jnteressentenhaufen befreit werden. In der Nachmittagssitzung kam der Berliner   Stadtverordneten- Vorsteher, Genosse Haß, zum Wort, der die gründlichen Aus- sührungen Brauers temperamentvoll unterstützt«. Der Gewerk- ichastskongreß sei durchaus legitimiert, sich mit der öffentlichen Wirt- schaft zu befassen, denn der Kampf gegen sie richtet sich zugleich gegen die organisierte Arbeiterschaft. Erst seit wenigen Iahren hat die Arbeiterschaft Gelegenheit zur Mitarbeit in entscheidenden Positionen. Ist auch nicht alles geglückt, haben auch Personen ver- sagt, die Sache ist vorwärtsgegangen. Bernhard, der Bor- sitzende des Baugewerksbundes, erwartet nach dem Vortrag Brauers, daß der Mut der öffentlichen Wirtschaft zur Weiterführung ihrer Betriebe gestärkt wird. Sie könne wegbahnend und durch chrc Aufträge ausgleichend wirken. Die Gemeinden kranken heute an den Sünden der Privatunternehmer, denen sie seit Jahrzehnten, besonders im Wohnungsbau, ausgeliefert wurden. In seinem Schlußwort konnte Genosie Brauer di« Zustimmung mit seinen Ausführungen feststellen. Auf alle Anregungen in der Diskussion ging er näher ein und kam zu dem Schluß, daß die sozialen und kulturellen Errungenschaften erholten werden müssen, trotz mancher Rotmaßnahmen für die nächsten sechs Monate. - Für die 4O-<SiundewWoche. Der Gewerkschaftskongreß führte heut« vormittag di« Aus» spräche über da» Problem der 4ü,Stund«n. Woche zu Ende. Parhsch- Hannover  (Fabrikarbeiter-Berband) wies auf die Arbeitszeitverkürzungsexperimente in der Harburger Oel  - induftrie hin. die sich glänzend bewährt, trotzdem ober keine Nachahmung gefunden haben. Er schilderte an Hand interessanter Ziffern den enormen Fortschritt der Rationalisierung vor allem in der Ziegelindustrie. Tausende von Ziegelorbeitern könnten keine Beschäftigung mehr finden. Wohin mit diesen Arbeitern? Priehel(Musikerverband) begründet einen Antrag seines Ber- bandes auf Einführung der 40-Stulldsn-Woch« und Beseitigung des Doppelverdiener- und Schwarzarbeitunwesens. Di« Einführung der technischen Musik habe die Arbeitslosigkeit der Musiker ungeheuer anschwellen lassen. Zimmer-Bochum(Bergarbeiter-Verband) fordert di« Herstellung einer geschlossenen und einheitlichen Aussassung über die Durch- führung der Arbeitszeitverkürzung. Meier-Berlin(Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter-Verband) beleuchtet die Frage der Arbeitszeitverkürzung vom Standpunkt der handwerksmäßigen Betriebe au». Hier werde sortgesetzt noch b i s 311 72 Stunden gearbeitet. Die Arbeitszeitsverkürzungsoerhand- lungen im Braugewerbe hätten bereits einen gewissen Erfolg zu verzeichnen. Für Z0 0<X1 ArKcilskräsle des Braugewerbes ist bereits die Fünf- Tage-wache gesichert. Sie müsie für die gesamte Nahrungsmittel, und Getränkeindustrie restlos durchgesetzt werden. Professor Dederer ging in seinem Schlußwort zunächst mit einigen Worten auf die Ausführungen des Delegierten Kraus-Stutt» gart ein, der in seinem Loblied auf Sowjetrußland für die Frag« der Arbeitszeitverkürzung denrevolutionären Klassenkampf" zur Lösung empfahl. Mit der FormelUeberwindung der kapita- listischen Wirtschaftsordnung" sind di« Problem« der Arbeiterschaft in Gedanken natürlich leicht zu lösen. Sobald es aber an die p r a k- tische Durchführung und Gestaltung geht, kommt di« Cnt- täuschung. Di« Problem« der Vorkriegszeit find durch den Krieg nicht gelöst worden. Und ebenso bringt der Bürgerkrieg keine Lösung sozialer Fragen. Krieg wie Bürgerkrieg, beide sind«in und die» selbe Katastrophenpolitit. Die Kotastrophenpolitiker glauben immer an Wunder. Wunderglauben hift uns keinen Schritt weiter. Tarnow   hat die Frag« angeschnitten, ob nicht eine L e r S n d e- rung des Kreditmechanismu» uns retten könne. Schon während der Inflation wurden solch« Gedanken geäußert. Wir können uns ober nicht au? dem allgemeinen Wirtschaftsgesüge der Welt herauslösen. Ein Rückgängigmochen des Preissturzes wäre nur international denkbar. Ein entscheidender Anstoß zur Belebung der Kreditbeschaffung kann mit besierer Ausficht auf Erfolg auf politischem Feld« unter­nommen werden. Die eng« Berührung der Wirtschast mit der Polittk, von der wir am Dienstag gesprochen hoben, zwingt dazu, durch Reinigung der politischen Atmosphäre die Kreditkrise zu überwinden. Kurzfristige Kredit« sind heute im Ausland für gut« Gläu- biger fast umsonst zu haben. Wenn da» politisch« Risiko in Weg­fall kommen würbe, dann würde das oh« Zweifel eine vMfach« Ab,
Hilfe des Mangels an Kredit bedeuten. Di« Oeffcntlichkeit muß zu- gleich dafür sorgen, daß eine neue Verschwendung investierten Ka- pitals nicht mehr möglich ist. Eine ausgedehnte Kreditkon- trolle ist deshalb ein dringendes Gebot. Zur Frage der 40-Stunden-Woche erkärt Lederer in seinem Schlußwort noch einmal mit stärkstem Nachdruck: Die 40-SlundeN'woche ist heute durchführbar. Die Rentabilitätseinwände sind in der vom Bundesvorstand dem Kongreß vorgelegten Sammelschrist über die 4l1-Stunden-Woche r e st- los widerlegt worden. Für den Unternehmer kann es nur darauf ankommen, daß die Arbeit ohne wesentliche Mehrkosten er- ledigt wird. Auf dem Weg, den die Gewerkschaften gewiesen hoben, entstehen durch Arbeitszeitverkürzung keine wesentlichen Unkosten. Die Dürftigkeit der Argumente, die jetzt noch gegen die Arbeitszeit- Verkürzung ins Treffen geführt werden, ist geradezu auffallend. Sie sind durch die Praxis tausendfältig widerlegt. Es ist ein Ausfluß höchster Solidarität der Arbeiter, wenn sie das Arbeitsvolumen unter die Gesamtheit der Arbeiter aufteilen wollen. Die Regierung aber steht dem Problem mit einer voll- ständigen Apathie gegenüber. Soll wirtlich nur der Machtstandpunkt des Unternehmertums ausschlag- gebend sein? Die breiteste Oeffentlichkeit muh jetzt zu der von den Gewerkschaften aufgeworfenen Frage einer neuen Volksgemeinschaft zur Durchführung der 40-Swnden-Woche Stellung nehmen.(Starter Beifall.) Der Antrag des Musikerverbandes zur Eindämmung der Schwarzarbeit und der Doppelverdiener«! wird dem Bundesvor- stand zur Berücksichtigung überwiesen. Die Entschließung des Bundesvorstandes zur Wirtschaftskrise und der Frage der 40-Stunden-Woche wurde gegen eine Stimme unter starkem Beifall angenommen. Die Entschließung lautet: Die Weltwirtschaftskrise ist in ihrer Dauer und Schwere durch die Ueberlagerung zahlreicher Störungen verursacht. Das gewohnte Krisenmoment der kapitalistischen   Wirtschaft, die Spannung zwischen Erzeugungsmöglichkeiten und Kauftraft hat außergewöhnliche Aus- maße angenommen. Hinzugetreten ist eine Reihe von Sonder- Ursachen, deren Wirtungen insbesondere Deutschland   katastrophal getroffen haben. Die Entwicklung der Krise hat in eindringlicher Weise gezeigt, daß die politische Organisation der Welt nicht den für die Wirtschaft erforderlichen Grad erreicht hat. Die Welt steht vor der Wahl, die politischen Spannungen durch eine ausrichttge Absage an den Krieg, das heißt durch allgemeine Abrüstung zu beseitigen und derart die notwendigen Vorbedin­gungen für eine Weltwirtschaft zu erfüllen. oder auf den weltwirtschaftlichen Zusammenhalt zu verzichten und alle hier­aus sich ergebenden schlimmen Folgen zu tragen. Der Kongreß bekräftigt mit Nachdruck die Forderungen, die der Bundesvorstand und der Bundssausschuß des ADGB.   in ihren wiederholten Kundgebungen zur Einleitung des Heilungsprozesses er­hoben haben. In der Erkenntnis, daß selbst bei günstiger Entwick- lung eine volle Ausnutzung des vorhandenen Produktionsapparotes nicht sehr bald zu erwarten ist, betont der Kongreß insbesondere die dringende Notwendigkeit, durch ein« systematische Verkür- zung der Arbeitszeit die Arbeitslosigkeit zu verringern. Diese Maßnahme ist möglich, und au» sozialen und politischen Gründen unabweisbar. ver Kongreß beauftragt den vundesvorftand. die Forderung nach der gesetzlichen allgemein 4üstüadigen Arbeitswoche weiter- hin mit größter Entfchiedenheit zu vertreten. Der Kongreß verpflichtet olle Funktionäre der Gewerkschastcn und die Gesamtheit der Mitglieder, sich mit ollen Kräften für diese For- derung einzusetzen, um den nationalen Notstand der Erwerbslosig- keit zu lindern und die brachliegenden Arbeitskräfte wieder in den Dienst der Volkswirtschaft zu stellen." Oeffeniliche und prwaie Wirischast. Die Beratung des vierten Punktes der Tagesordnung wurde eingeleitet durch einen auf dem Kongreß mit viel Interesse und starkem Beifall aufgenommenen Vortrag des Altonaer Oberbürger- meisters Genossen Brauer. Seit den Tagen der Inflation erleben wir in Deutschland   ein Kesseltreiben gegen die Gemeinden. Es geht um die öffentliche Wirtschast. Der soziale, kulturelle und wirtschaftliche Fortschritt der Arbeiter in den Gemeinden infolg« der Einführung
des allgemeinen Wahlrechts zu den Gemeindeparlamenten soll zu» Nichte gemacht werden. Die gesamte Reaktion im Bunde mit dem früheren Präsidenten der Reichsbank Schacht bildet eine Front zur Zerschlagung der gemeindlichen Betriebe. Wir rufen daher in diesem Augenblick den Kongreß des Allgemeinen Deutschen Gewerk- schaftsbunde- zur Hilfe auf. Es geht ums Ganze, um Sein oder Richtsein der Gemein- Wirtschaft. Der private Betrieb hat in erster Linie den Vorteil seiner Aktionäre im Auge. Ihm ist ethisches Handeln unwirtschaftlich, wenn es die Dividende schmälert. Im Gegensatz zu diesem Prositstreben erhält der öffentliche Betrieb seinen inneren Antrieb vom Dienst- willen für die Gesamtheit. Angesichts dieser Sachlage kann die Führung großer Versorgungs- betriebe heute weniger denn je allein vom privatwirtschastlichen Standpunkt aus erfolgen. Wo durch Zusammenschlüsse die günstigen Auswirkungen der freien Konkurrenz auf die Preisbildung und den technischen Fortschritt ausgeschaltet sind, müssen durch öffentlich« Konkurrenzbetriebe die Preise beeinflußt werden. Die Mono» pole aber gehören in die Hand der öffentlich-recht, lichen Körperschaften. Die Steigerung der Boden« werte im Weichbild der Städte ist im wesentlichen das Ergebnis der kommunalen Entwicklung. Eine weitschauende kommunale Aodenoorratspolitik kann aber den Mehrwert gemeinnützig zur Geltung bringen. Die städtebaulichen Ausgaben sind unabhängig zu machen vom Spekulantentum. Der Privatbetrieb ist nie zur Anlage von Stromnetzen, Straßenbahnlinien und zum Straßenbau für städtische Randbezirte zu bewegen. Dagegen ist der öffentliche Betrieb zu Verlusten bereit, wenn er sich daraus Vorteile für die Bevölkerung verspricht. Vom kapitalistischen   Standpunkt aus ge- sehen ist das allerdings eineunwirtschaftliche" Betätigung der öffentlichen Wirtschaft. Die kommunalen Betriebe sollen soziale Musterbetriebe sein. von rund lS Millionen gewerblichen Arbeitnehmern werden etwa 2% Millionen in öffentlichen Beirieben beschäftigt. Die öffentliche Hand ist aber nicht nur der größte Arbeitgeber in Deutschland  , sie ist zugleich auch der größte Austraggeber für die Privatwirtschaft. Die Austräge der öffentlichen Hand an die Privatwirtschaft bewegten sich bis zu Beginn der schweren Krise im Jahresdurchschnitt von 8 bis g Milliarden Mark. Besonders ernst war der Vorstoß der Industrie gegen pi« k o m- munale Gasversorgung. Die deutschen   Gemeinden stehen diesen Bestrebungen größtenteils ablehnend gegenüber. Di« Gas- werk« würden sich bei Stillegung ihrer Produktion aller Möglich- leiten berauben, di« ständigen Erfolge der Technik auf dem Ge-. biete der Kohlenveredlung nutzbringend zu verwerten. Man wirst den Leitern öffentlicher Betriebe Mangel an Initiative vor, im selben Atemzug klagt man aber die Au»- dehnung der öffentlichen Wirtschaft heftig an. Ich glaube aber,, daß Q,ui die Leiter öffentlicher Betriebe sich in ihrer Verantwortung stärker gebunden fühlen als die Prlvaiunternehmer. zumal die öffentlichen Betriebe ganz anders der Kritik ausgesetzt sind als die Privatbetriebe. Als besondere» Uebek der öff«ntlichen Unternehmungen wird mitunter ihre Politisierung b«z«ichnet: so­wohl die Verwaltungsräte als auch die Aussichtsräte der Betriebs- gesellschaften feien nach politischen Gesichtspunkten zusammengesetzt. Das stimmt bis zu einem gewissen Grade. Aber d i« Privat» Wirtschaft ist nicht weniger politisiert. Der einzig« Unterschied ist aber: die Privatwirtschaft ist einseitig recht»« radikal politisiert, während die Stadtparlamente und di« Auf- sichtsräte der öffentlichen Gesellschaften au; den verschiedensten Parteien zusammengesetzt sind. Die Drivatwirtschasl hat kein Recht, über die Produktivitäl und Unproduklioität öffentlicher Betriebe zu Gericht zu sitzen, da sie selbst ungeheure Produktionsverluste in ständigen Krisen, eine gerlagere Ausnutzung der vorhandenen Anlagen. Millionen Ar- beitslose. Produktionseinschränkungen durch Syndikate und künstliche hochhaltung der Preise aufzuweisen hat. Die Schwierigkeiten der öffentlichen Wirtschaft kommen nicht vom Regiebetrieb, sondern vom Wirtschaftssystem der Privatwirtschaft. Völlig abzulehnen ist die gemischtwirtschaft» liche Betriebsform. Der gemischte Bettieb ist nichts anderes
Ketzerverbrennung.
Hitler   opfert Kranze» der Legalität.