Nr. SZ3» 4S. Jahrgang Freitag, �Z. November
Spardebatte im Rathaus Oberbürgermeisterspricht imStadtparlament�StandpunktderSozialdemokratie
In der Stadtverordnetenversammlung wurden gestern«ine ganze Anzahl von Anträgen der verschiedensten Frak» t i o n e n beraten, die alle Sparmahnahmeu vom Magistrat verlangen oder an bereits angeordneten Sparmaßnahmen Kritik übten. Die sozialdemokratische Fraktion hatte Anfang Septetpber dieses Jahres einen Dringltchkeitsantrag eingereicht, der zur Sicherung des Mitbestimmungsrechts der Stadtverordnetenversammlung den Magistrat ersucht, beschleunigt der Versammlung eine Vorlage zugehen zu lassen über olle Maßnohmen des Magistrats, die die Erzielung von Erspar- nissen zum Gegenstand haben. Was mit diesem Antrag bezweckt werden sollte, sagte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Genosse Flatau in seiner Rede. Das Verfahren, so führte Flatau aus, das der Ma> gistrat bei seinen Sparmaßnahmen beobachten muhte, kann in seinen Endauswirkungen nicht aufmerksam genug verfolgt werden. Es ist geeignet, die kommunale Selbstverwaltung auf da» schwerste zu gefährden.
Mehr denn se sei in den jetzigen Notzeiten die Erhaltung der städti- schen Selbstverwaltung notwendig(Lebhafter Beifall bei den Soz.) Zuvor hatte Oberbürgermeister Dr. Sahm sich zu dem Sparprogramm des Magistrats geäußert. Der Oberbürgermeister erinnerte zunächst daran, daß bei der Ver- abschiedung des Stadthaushaltsplanes für 193i ein Defizit von 67 Millionen Mark verblieb, dessen Deckung nicht möglich war. Wenn immerhin angenommen werden konnte, daß der vor- sichtig aufgestellte Haushaltsplan durchgeführt werden konnte, so hat sich im Verlauf der weiteren Entwicklung doch gezetgt, daß die Stadt ganz besonders durch die außerordentlich gestie- genen Ausgaben für dteWohlfahrt in arge finanzielle Bedrängnis gekommen ist. Dazu kam, daß durch die Notverord- nung des Reichspräsidenten vom S. August den Sparkassen und öffentlichen Banken untersagt wurde den Kommunen Kredit zu gewähren Die Stadt mußte also sehen, zpic sie selbst fertig wurde. Bareits in der ersten Hälfte des August begannen die Verhandlungen in den städtischen Körperschaften über die notwendigen Sparmaß- nahmen. Wenig später stellte der Magistrat sein..Notprogramm
Die Berufung des Oberbürgermeisters auf die preußische Notver- ordnungen ist zu weit gegangen: in Berlin wäre es jedenfalls mög- lich gewesen, in gemeinsamer Arbeit mit den Stadtverordneten die Maßnahmen zu besprechen und durchzuführen, die notwendig wurden. Das gilt natürlich auch für die Festsetzung des kommen- den Haushaltsplanes für 1932. Hemmungen, die in dieser Hin- ficht der Oberbürgermeister haben sollte, müßten eben beseitigt werden. Allerdings sollten auch die Stadtverordnetenversammlung und die Deputationen und Ausschüsse davon abgehen, mit der bis- her beobachteten beschauliche« Ruhe ihre Beratungen zu pflege«: sie müßten intensiver, rationeller arbeiten. Eine Vereinfachung der ehrenamtlich besetzten Verwaltung sei auf jeden Fall anzustreben. So könnte man sich beispielsweise die lang- wierigen Spezialberatungen des Haushaltsplanes in den einzelnen Deputationen vielleicht sparen. Flatau erinnerte im weiteren Ver- lauf seiner Ausführungen an die noch ausstehende Erledigung einer Reihe von Anträgen der sozialdemokratischen Frak- t i o n. Einsparungen wären möglich gewesen bei der Verein- fachung des Stadtfuhrparks und ganz besonders bei der Umorganlsatiou der Hauptprüfungsstelle. Gerade die letzter» ist an Haupt und Gliedern reformbedürftig, sie maßt sich Befugnisse an, die ihre Kompetenzen weit überschreiten. Zum Beispiel sei ihr Gutachten in Sachen des Nachrichtenamtes so absurd und über ins Ziel hinausschießend, i.o anmaßend.und ohne jedes Verständnis für die Arbeit einer Modernen NachtichteNver» mittlung. daß selbst der Oberbürgermeister l« Haushallsausschuh von diese« Bericht in aller Form abrückte. Dieses Mißtrauensvotum hat allerdings auf die Herren in der Hauptprüfungsstelle keinerlei Eindruck gemacht. Die Experimente, die der Magistrat bei manchen Sparmaßnahmen mache, gleichen der Behandlung eines schwertranken Körpers, der bei völliger Blut» leere eben den notwendigen Lebenssaft nicht mehr abgeben kann. Vielleicht gelingt die bürokratische Operation, vielleicht ist der Patient dann aber auch tot. Genosse Flatau schloß mit einem Appell an den Magistrat, sein- weitereu Maßnahmen so zu treffe«, daß die Mkiwirkung der Stadtverordnetenversammlung garantiert ist.
IS. Die kleine Stadt lag tief im Schnee versunken. Der Nordwind strich über Berge und Tannenwälder, er fegte eisig in den Straßen und den alten Torwinkeln, er klirrte an den Fenstern. Bon den Abhängen schlitterte und kugelte, rodelte und sprang die Jugend des Städtchens, und die Eis- bahn war noch überfüllter als sonst. Lachen und Jubel. Flirt und barmlose Kinderfreude überall Und wenn nicht die paar Soldaten gewesen wären, die humpelnd oder den Arm in der Binde in dem kleinen Restaurant der Eisbahn saßen— wer hätte denken können. daß man im Krieg lebte, daß nur wenige Kilometer von hier, jenseits des Rheins der Tod eine entsetzliche Ernte hielt? Daß Tag um Tag, Stunde um Stunde, jeden Augenblick ungezählte junge Menschen zerrissen und zerfetzt, verschüttet und erschlagen, vergiftet und erstickt wurden, daß aus allen Himmelsrichtungen Schwaden der Verleumdung, des Haffes, der Verzweiflung, der Raserei über die ganze Welt zogen... In der Ferne tönte Marschmusik. Hin und wieder warf der Nordwind einige Klänge herüber.„So leb denn wohl. wir müssen Abschied nehmen..."„Und unser aUerschonstes junges Leben..." Fenster öffneten sich, als der Gesang näher kam. Man blieb stehen auf der Straße. Die frisch aufgefüllte 2. Kompanie des Ersatzbataillons marschierte heute ab. Voraus rannten einige Buben und Mädel, begeistert mitsingend, Fähnchen schwenkend. Dann folgte die Musik, und hinter ihr, in respektvoller Entfernung, gleichsam in einem luftleeren Raum zwischen Kompanie und Kapelle, ein Hauptmann hoch zu Roß. Es war ein Herr Ende der Vierziger, eine starte, knochige Gestalt mit scharfer Nase und strengen Augen. „Der Seckendorf, unser einstiger Stadtschulrat! sagte ein Dabeistehender halblaut zu seinem Nebenmann.»Bei dem
Das Riesenwerk Unser Bild zeigt den augenblicklichen Stand des Schiffshebewerk- baues bei Niederfinow . Hier muß der Großfchiffahrt»- weg Berlin — Stettin einen Höhenunterschied von 36 Metern überwinden. Das besorgen bisher vier Schleusen, die aber von An- beginn Sorgenkinder der Wasser- straßenverwalwng gewesen sind. Das Gelände ist gerade an dieser Stelle wenig zuverlässig. Nur den ständigen Bemühungen der Wasser- bautechniker ist e» zu danken, daß der Kanal bis heut« betriebsfähig blieb. Der Bau eines Schiff shebe- werkes wurde daher schon gleich nach der Dollendung der großen Wasserstraße, die Berlin gleichsam zur Seestadt macht(tatsächlich � liegen in dep- Kerkiner Häfen vft � genug kleiner« Seodampfer), be». schloffen. Das fertige Wert wird ein« einzig«, mit wunderbarer Genauigkeit arbeitende Maschin« sein. Im Hintergrunde unseres Bildes ist link« der vorläufige Ab- schluß der zum Hebewerk führenden Kanaiabzweigung zu sehen. Hier wird eine Drücke gebaut werden, über die das Wasser zum eigentlichen Schiffshebewerk geleitet wird. Absperrtore werden die Kanalhaltung sichern. Die Schiffe werden in einen großen Trog fähren, der dann gesenkt oder gehoben wird. Es hat jahrelanger, umfangreicher Borarbeiten bedurft, bevor an
fängt der Mensch erst mit dem Leutnant an. Jetzt führt er die Kompanie bis zum Bahnhof, sitzt auf seinem Schimmel, als gings geradewegs in die Schlacht. Und dort fetzt er sich ins Auto und fährt wieder zurück auf den Truppenübungs- platz, und die Schinderei geht von vorne an. Ich war nie ein Freund vom Militär, aber die aktiven Offiziere sind mir immer noch tausendmal lieber als die Reserveschweine!" Der andere gab seinem Arbeitskollegen einen unfansten Rippenstoß.„Du bist wohl verrückt! Du willst wohl ins Loch wandern oder k. v. werden!" „Werd ich noch früh genug...!" Ein junges Mädchen zwängte sich zwischen sie. „Halt, Fräulein, hier darf keiner rüber, Sie müssen schon einen Augenblick warten." Etwas verwirrt blieb Germaine stehen. Sie kam von der Universstät und wollte nach Hause, etwas früher als sonst, denn eine Vorlesung war ausgefallen, weil der Dozent Soldat geworden war. Run mußte sie hier stehen, bis die paar hundert Menschen vorüber waren, mußte den armen Kerlen, die heute vielleicht zum letztenmal hier durchmarschierten, ins Gesicht sehen. Blasse, schmale Kinder�esichter neben weiter- gebräunten, tief gefurchten Zügen, fröhlich nach rechts und links schauende Mienen neben düsteren tief liegenden Augen, zusammengepreßten Lippen. Und doch eine einheitliche, auf geheimnisvolle Weise gleichmäßig sich fortbewegende Schar, eine graue Welle, ein nicht endenwollender Zug von Stahl- Helmen. „Auf Wiedersehen, Fräulein Loriot!" Dankend grüßte Germaine, ohne zu wissen, wer es war, der ihr die Worte zurief. Vielleicht ein Student oder ein Schüler der Musikhochschule. Sie waren alle so verändert in der grauen Uniform, sie tonnte sich nicht besinnen. Sie wollte sich auch nicht besinnen, denn es war ja so gleichgültig. Sie alle hatten das gleiche Schicksal, die gleiche Pflicht, den gleichen Weg. Was bedeutete da der einzelne! Langsam ging Germaine ksirrch die Parkstraße in die Höhe zum Villenviertel. Je höher sie stieg, um so schärfer hoben sich die Berge und Wälder ab, um so klarer war der Fluß zu sehen, der durch die weiße Landschaft zog. Blaue Schatten lagen da und dort auf dem Schnee. Glitzernd, von gefrorenen Schneeflocken eingehüllt, standen die Bäume. Aber Germaine hatte keinen Blick für die Land- schast. Mechanisch ging sie die längst gewohnte Straße,
1931" soft. Bei der Durchführung durfte kein Tag verlorengehen, weil jeder Tag, der ungenützt- verstrich, einen nicht wieder einzubringen- den Verlust von etwa 130 000 Mark brachte. Der Oberbürgermeister betonte dann mit besonderem Nachdruck, daß er letzt, wie schon immer, den größten Wert darauf lege, bei der Durchführung der Sparmaßnahmen in enger Fühlung mit der Stadtverordnete»»«?- sammlung zu bleiben. Im weiteren Verlauf seiner Rede teilte Dr. Sahm mit, daß die Einkommen- und Körperschaftssteuer am Jahresabschluß einen Ausfall gegenüber dem Anschlag von 15 Millionen Mark haben wird. Bei dem Hauszins st euer- a n t e i l für allgemeine Finanzzwecke fei mit einem Minderauf- kommen von 4.6 Millionen Mark zu rechnen, die Gemeinde- steuern werden«inen Ausfall von 13,4 Millionen, die Wert- z u w a ch s st« u e r von 1.6 Millionen, die G e t r ä n k« st e u e r von 1,8 Millionen, die Hundesteuer von 0,8 Millionen Mv'-r bringen. Znsgefonsi wird der Einnahmeaussall bei allen Slcuern nicht weniger al» 35 Millionen Mark sein. Dr. Sahm verbreitete sich dann über die ungeheuer gestiegenen Lasten bei der allgemeinen Wohlfahrt. In B e r l i n kommen auf 1000 Einwohner 45,6 Wohlfahrtserwerbslnse, ein Stand, der nur von Breslau mit 54,1 übertroffen wird. Bei einer so ungeheuren Belastung muß das Notprogramm des Magistrats Einsparungen auf der einen Seite und Mehreinnahmen andererseits bringen. Insgesamt will der Magistrat auf diese Weise 23,9 Millionen Mark für den Haushalt retten. Aber selbst alle nach so einschneidenden Spar- und Abbaumaßnahmen werden eine Ber -
am Oderstrand die Ausführung dieses gewaltigen Ingenieurbauwerks herangegangen werben konnte, von dem folgende Zählen«ine Borstellung geben können: Der Trog, in dem die Schiffe schwimmend gc- hoben und gesenkt:verd-'n. hat eine Lange von 85 Metern, eine Breite von 12 Meten, und eine Wassertiese von 2,50 Metern. Dos Gewicht des Troges einschließlich de« in ihm schwimmenden 1000- Tonnen-Scknftes beträgt rund 4200 Tonnen. Diese gewaltig« Last wird durch Gegengewichte ausgeglichen. die an 256 Drahtseilen hängen. 128 doppelrillige Seilscheiben von 3.50 Meter Durchmesser, die beider- seits aut dem 60 Meter hohen S t a h l g e r ü ft des Hebewerkes aufgestellt sind, nehmen die Draht- 'sekie aUff.' Das Stahlgerüst selbst steht auf einer 122 Meter langen, 33,5 Meter dritten und 4 Meter starken Betonplatte. Rund 78 000 Kubikmeter Beton und 11 700 Ton- nen Stahl und Eisenteile kommen zur Verarbeitung. Die Kosten sind auf 23,7 Millionen Mark geschätzt. Davon kommen allein 10 Millionen aus die Filndamentierungsarbeiten, dit durch den schlechten Untergrund besondere Maßnahmen erforderten. Man hofft, die Arbeiten End« des Jahres 1933 äbschkießen zu können, wenn die Baukosten von der öffentlichen Verwaltung in regelmäßigen Raten aufgebracht werden können.
mechanisch öffnete sie ihre Handtasche und zog den Schlüssel zum Gartentor heraus. In der Diele standen Möbel in buntem Durcheinander. ein Damenschreibtisch. ein Porzellanfchränkchen, zwei Sessel, ein polierter Tisch, Bilder. Ein Teppich stand aufgerollt in der Ecke. Germaine blieb erstaunt stehen. Das war doch das gesamte Mobiliar aus Mutters Zimmer, was sollte denn damit werden? Eben kam Frau Loriot die Treppe herunten. Hinter ihr stampfte ein Mann, der eine große Kiste schleppte. Im ! Zimmerflur setzte er sie ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Frau Loriot hatte verweinte Augen. Auch der Mann schien etwas bewegt. „Lassen Sie. Frau Professor", sagte er, als Frau Loriot ihm etwas in die Hand drücken wollte,„Sie brauchen jetzt jede Mark. Und in zehn Minuten bin ich wieder da und lade alles auf meinen Wagen. Ohne Sorge, ich bin vor- sichtig, kein Eckchen von den schönen Sachen soll abgestoßen werden, keine Vase soll entzwei gehen. Mir tuts selber leid darum— aber was muß man heutzutage nicht alles tun, um auszukommen!" Er warf der Frau einen mitleidigen Blick zu. Mit zwei Schritten war Germaine neben der Mutter. „Deine Möbel— was bedeutet denn das! Was ist denn ge- schehen?"» Frau Loriot machte eine ihrer müden Handbewegungen, die gleichzeitig abwehrend und beruhigend gemeint waren. „Lege erst einmal ab, mein Kind— so." Sie nahm der Tochter Mantel und Hut ab und führte sie in den kleinen Salotk. Die gelbe Tischlampe warf einen hellen Schein auf die beiden, so verschiedenartigen Frauengesichter. Rur die Formen von Mund und Kinn waren beiden gemeinsam. „Ich habe meine Möbel verkauft, Germaine", und als diese erregt aufspringen wollte:„Bleibe sitzen, mein Kind und höre mich ruhig an. Ich habe dich später erwartet, ich wollte die diesen Anblick ersparen. Run ist es anders ge- kommen. Aber du hast so viel Schweres hinter dir, Germaine, daß diese Aeußerlichkeit dich nicht mehr treffen kann." „Aeuherlichkeit nennst du das, Mutter, das alles, das mit uns verwachsen ist, das ich von den ersten Tagen meiner Kindheit an geliebt habe, das mir vertraut ist, wie etwas Lebendiges—" Die Stimme versagte ihr. (Fortsetzung folgt)