AUrömifches Tier Jahre Ausgrabungen in 9€erkulaneuni
Die Stalienwtfenben, die die Sehenswürdigkeiten des alten, aus dem Lavaschutt wieder auferstandenen Pompeji bewundern, müssen einen gewaltigen und neuen Eindruck erhalten, wenn sie jetzt die Ausgrabungen betrachten, durch die die Schwesterstadt cherkulaneum zu neuem Leben erweckt wird. Die großartige Arbeit, die hier in den letzten vier Iahren geleistet wurde, ist bisher nur Verhältnis- mäßig wenigen bekannt geworden: sie wird in ihrer ganzen Be- deutung gewürdigt durch einen zusammenfassenden Aussatz des Lei- Hers der Grabungen, Professor Majuri , in der„Times". Das Gebiet, das während dieser Zeit freigelegt worden ist, um* saßt etwa 4S<K1 Quadratmeter und es mußten dafür mehr als IVO OM Kubikmeter fortgeschafft werden. Diese Aufgabe war nur zu lösen durch die Verwendung mechanischer Bohrer und andever moderner Werkzeuge, weil der feste Kalkstein und Schlamm, unter dem Herkulaneum begraben liegt, sehr viel schwieriger zu entfernen ist als der leichtere Stoff, der Pompeji bedeckt. Wenn man dort in einem Jahr vier bis fünf Häuser ausgraben kann, so ist das in Herkulaneum bei der Aufwendung derselben Kraft nur bei zwei Häusern möglich. Mafuri bezeichnet daher mit Recht diese Gra- bungsarbeiten als das„kühnste und heldenhafteste Unternehmen, das jemals auf dem Gebiete der praktischen Archäologie geplant wurde", und er kann mit Stolz betonen, daß die Erfolge die von ihm gehegten Erwartungen durchaus erfüllt haben.„Die Aus- arabungcn werben fortgesetzt," schreibt er,„mit derselben Hartnäckig- keit und Folgerichtigkeit, mit der die archäologischen Arbeiten in Pompeji während der letzten zwei Jahrhunderte durchgeführt wur- den. Nur auf diese Weise können die Geheimnisse einer antiken Stadt ganz enthüllt werden. Jedes Haus, jeder Gebäudekomplex, jede Straß« ist ein einheitliches Denkmal, ein kostbares und notwen- diges Element zum Verständnis des größten und schwierigsten Pro- hlems, das das Altertum uns aufgegeben hat, nämlich der Erschlie- ßung des alltäglichen Lebens in den Städten dieser frühen Kultur. Nur in der Eampagna und nur in diesem Teil, der von dem Aus- bruch des Vesuvs begraben wurde, ist es möglich, dieses vollständige Studium vorzunehmen. Kein anderer Teil der Alten Welt bietet Gelegenheit, alle Einzelheiten des Stadtlebens zu ergründen, sowohl des öffentlichen wie des privaten, vom einfachen Ofen des Bäckers bis zum Glanz der Tempel, Dinge, die uns so wundervoll erhalten sind in den beiden Städten Herknlaneum und Pompeji , die durch das gemeinsame tragische Schicksal vor fast 2<M Iahren in einein einzigen Grab« vereinigt wurden." Die vier Jahre eifriger und unermüdlicher Arbeit haben auf der Stätte des alten Hcrkulaneum ein Gelände freigelegt, das etwa doppelt so groß ist wie dasjenige, das während der langen Grabun- gen zwischen den Jahren l82S bis 1875 ans Licht gehoben wurde. Di« letzten Entdeckungen zeigen, daß wir dadurch ganz neue Er-
gebniss« erhalten. In dem südlichsten Teil der Stadt sind zwei „Inseln" freigelegt, und während der letzten Monate ist das gleiche bei zwei anderen„Inseln" geschehen, die sich der Linie des..Decu - manus Major" nähern, der Hauptstraße der alten Stadt. Ein Teil der Bäder, die für Frauen bestimmt waren, ist bereits ausgegraben, und jetzt wird an den Badeanlagen für Männer gearbeitet.„Das äußere Aussehen der Stadt fängt an, seinen wahren Charakter zu enthüllen", schreibt der Gelehrte.„Herkulaneum mit seinen edlen und großen Bauten, die über die Bucht von Neapel blicken, mit seinen bescheidenen Wohnungen des kleinen Mittelstandes, seinen ruhigen Straßen, seinen wenigen Läden und Gasthäusern erscheint als«ine ruhiger« Stadt als das benachbarte Pompeji, das als Handelszentrum ein viel lebendigeres Straßenleben gehabt haben muß. Wegen seines gesunden Klimas und seiner schönen Lage an den Abhängen des Vesuvs muß es eine vornehm« Vorstadt gewesen sein. Jeder Besucher wird«inen unvergeßlichen Eindruck von dem Haus empfangen, das kürzlich in Pompeji ausgegraben wurde und in dem alle Gegenstände der Wohnungseinrichtung wiederhergestellt werden konnten, aber noch viel größer ist das menschliche Interess«, das wir von dem Leben in den Häusern von Herkulaneum erhalten. Hier wurde infolge der verschiedenen Art des Bodens, in dem die Bauten begraben wurden, in gutem Erhaltungszustände das wich- tigste Element bei der Anlage und Einrichtung der altitalienischen Wohnungen gefunden, nämlich das Holz. Balken von d«n Dächern und Giebeln der oberen Stockwerke, Türpfosten, Wandbretter, Bei- ten. Treppen und andere Holzteile wurden in ihrer ursprünglichen Lage angetroffen, in der Erhaltung, die für das in der Erde des Vesuvg«biets entdeckte Holz so bezeichnend ist. Diese Vcrkohlung des Holzes war das Ergebnis eines langsamen Vorganges der Fossilierung und nicht, wie man wohl zunächst denken mag, Ergeb- nis der Einäscherung. Besonders wichtig ist das Studium der oberen Stockwerke für Herkulaneum, wo das höhere Niveau des Bodens diese Stockwerk« echielt, die in Pompeji nur in zerstörter Form zu sehen sind. Das Bild, das die neuesten Grabungen von Herkulaneum bieten, vervollständigt nicht nur in vieler Hinsicht das von Pompeji , sondern stellt ein Stadtganzes dar, das in verfchie- dener Beziehung ganz anders ist. Wenn ein genügend großer Teil des dicht bewohnten Stadtviertels ans Licht gehoben ist, wird es möglich sein, die Vorortgebict« zu untersuchen, indem man die Weg- richtungen verfolgt, die von den Toren der Stadt ausgehen. Die Forscher werden dann imstande sein, andere Villen der Patrizier aufzuspüren und die Ausgrabung der berühmten Villa der Papyri zu vollenden, die außer den unschätzbaren Kunstwerken, die sie uns bereits gegeben hat, noch andere Ueberrafchungen erhoffen läßt. Die Wohnviertel der Ostseite waren ja nur zum Teil durch die unterirdi, sehen Gänge erforscht, die von den früheren Archäologen angelegt wurden."
■Alexander von Sacher tllajoch: lllein Jßehrer SStümtein Als er zum ersten Mal« die Klasse betrat, glaubten wir??«« sei der zzeue Schuldiener. So unbedeutend sah Llümlcin aus. Et trug ein«n hochgeschlossenen, schwarzen lllock, der allzu straff fem« schmalen Schultern umspannte und dessen Aermel nicht ganz bis zu den dünnen Knöcheln reichten. Wie ein vom Leben vergessener, gealterter Konfirmandenjüngling sah Blümlein aus in diesem Rock. Seine unbestimmbar grauen Harmonikabeinkleider waren, sagen wir es gleich, hinten ausgefranst und immer trug er Stiefel mit schief getretenen Absätzen. Haare? Ein graugesprentelter Schopf laß wie ein Pinsel auf seiner hochgewölbten Stirn. Alles an Blümlem war außergewöhnlich. Seine Gliedmaßen, sein Hals, seine Hände, Ohren, Lippen, Brauen waren zu kurz oder zu lang, zu groß oder zu klein geraten. Auch seine Augen. Lange Jahre'' sind darüber vergangen und ich habe sesther in viele Menschenaugen geblickt. Doch nie waren es Blümleins Augen, Denn Blümleins Augen waren voll von einer Güte, die nicht von diejer Welt ist. Aber damals wußten wir davon noch nichts. Wir sahen nur Blümleins aufgeregt flatternde Rockschöße zur Tür hereinfegen, beim Erklettern des Podiums wäre er fast lang hingefallen. Dann stand er hinter dem Lehrpult und verneigte sich eckig wie ein Hainpelmann. „Meine lieben Freunde..." Wir glaubten nicht recht zu hören. So etwas waren wir nicht gewöhnt und hatten auch wenig Sinn dafür. Die Knaben stießen einander an, leises Gekicher ent- stand und schwoll dann zu brausendem Hohngelächter an. Blümlein stand stumm hinter dem Pult. Er blickte mit seinen kurzsichtigen Augen träumerisch mitten in das Gelächter hinein und wartete ge- Kuldig das End« dieser Ovation ab.„Ich habe den Geschichtsunter- richt übernommen", jagte er dann.„Wir wollen gemeinsam arbeiten, ich will nicht euer Lehrer, sondern euer Freund sein." Er sprach noch eine Weile davon, wie er sich den Unterricht vorstellte. Was er sagte, kam uns neuartig vor, aber wir hörten nur heraus, was uns gerade paßte. Kein Büffeln mehr, Vorträge an Stelle von Lektionen, »reier Meinungsaustausch und so weiter. Wir saßen blöde da und starrten Blümlein an wie ein fremdartiges Tier. Gegen Ende der Stunde schoß Müller II mit Apfelkernen nach Blümlein, aber der neue Lehrer reagierte nicht auf diesen Angriff. So ließ es denn Müller sein. Viele Stunden gab Blümlein in dem einen Jahr, das er bei uns verbrachte, aber wir lernten nichts bei ihm. Und das war vcrständ- lich. Denn Blümleins Methode erforderte freie Menschen. Er wurde die Zielscheibe unseres Spottes. Er war als Hilfslehrer angestellt und auch die anderen Professoren sahen mit einiger Verachtung auf ihn herab. Blümlein war höflich zu jedermann, und es kam oft vor, daß er uns junge Bengels auf der Straße zuerst grüßte. Wir machten.natürlich dann absichtlich so. als sähen wir ihn nicht. Nie geschah es aber, daß Blümlein einem von uns ein böses Wort ge- geben hätte. Blümleins Wangen sielen im Laufe dieses Jahres ein und seine Backenknochen traten spitz hervor. Rote Flecke blühten auf Blümleins gelber Haut und er hustete immer öfter in sein blautariertes, großes Taschentuch Wir sprachen in seinen Stunden ganz laut vom Wetter, von unseren Spielen, legten faule Aepfel in den Kreide- behälter, bestrichen Blümleins Sessel mit Pflaumenmus, und einmal, als Blümlein, gehetzt wie stets, das Klassenzimmer betrat, brannte eine Galerie bunter Kerzenstummel aus dem Lehrpult... Im Städtchen erregte Blümlein einiges Aufsehen. Man erzählte sich. er sei aus einem Seminar entsprungen und Pfarrer gewesen, aber er Hab« sich ganz der Wissenschaft verschrieben und sei«in schlechter Diener Gottes . Die Ellern oder Schüler trieben ihren Spott mit ihm, wenn sie ihn auf der Straße trafen: „Guten Morgen, Herr Blümlein. Sie haben wohl gestern Kasfee getrunken", und deuteten dabei auf Blümleins Rockcnaufschläge, die freilich immer voll waren von den Spuren vergangener Mahlzeiten.
Aber Blümlein lächelle nur immer zerstreut vor sich hin, grüßte ties und ging ellig weiter. Blümlein wohnte bei einer Witwe im Färberviertel. Aermlich genug war die kleine Kammer im Erdgeschoß, die Frau Amalie Buresch dem HUsslehrer überließ. Eines Abends schlichen wir an Blümleins'Fenster,' hinter dem Licht brannte. Da faß Llilinlsin vor einem mit Büchern und Schriften vollgepfropften Tisch bei spür- lichem Licht, den Kopf tief vornüber geneigt. Seine Feder tanzte eilig über das Papier und während wir atemlos durch die Scheiben spähten, hatte er in wenigen Minuten zwei große Bogen beschrieben. Wir ahmten das Miauen von Kotzen nach und liefen fort.«So war Blümlein. In den Nächten faß er über verstaubten Büchern und Papieren. Einmal stellten wir vor der Stunde einen Strauß Wiesen- blumen auf Blümleins Tisch. Huber hatte daheim im Brunnen eine dicke Kröte gefangen, die verbargen wir zwischen den Blüten. Blümlein trat ein. Ungewohntes Schweigen empfing ihn. Er sah die Blumen und lächelle. Er lächelle zum ersten Male, fest wir ihn konnten. Dann hob er die Lugen und sah uns an. In diesem Augenblick sprang die Kröte schwer plumpsend auf den Tisch. Das Lächeln wurde um einen Schatten bläffer in Blümleins Gesicht, ober er sagte: „Ich freue mich trotzdem über die Blumen"— und begann mit dem Vortrag. Man wußte im Städtchen wenig über Blümleins Leben. Niemals empfing er Briefe, er besuchte niemanden, und keiner kam zu ihm. Einmal, als man mich in«in« fremde Stadt unter fremde Menschen zur Schule geben wollte, sagte ich zu meiner Mutter: „Ich möchte nicht so allein sein wie Blümlein." Nach einem Jahr etwa, als die Gsschickitsstunde gerade vorbei war, schwankt« Blümlein einmal leicht beim Aufstehen und sah uns au« trüben Augen etwas länger als sonst an. Er kam und ging schon gebückt um diese Zeit und der schmal« Rock saß nicht mehr straff auf seinen Schultern. Und während«ines Nachts hundert Knaben still und kräftig atmend dem Leben entgegenschliefen, fiel Blümleins Stirn schwer vornüber auf den Tisch. Di« Tinte rieselte in dünnen Fäden auf Amalie Bureschs schlechtesten Teppich herab. Blümlein, mein Lehrer, ruhe in Frieden!
Steinerner Unsinn In B u d a p e st erzählt man sich noch heute die Geschichte des bronzenen Löwen, der vor Jahrzehnten am Kopfe- der Kellen- brücke aufgestellt wurde. Am Tage der Enthüllung der Skulptur war ihr viclgefeierter Schöpfer der Held des Tages, bis ein ge- wiegter Journalist herausfand, daß dem Löwen die Zunge fehlte. Die ironische Stadt, die Budapest nun schon einmal ist, lieh sich die Gelegenheit nicht entgehen und machte sich einen Heidenspaß daraus, sich über den armen Bildhauer lustig zu machen. Tagelang waren die Zeitungen voll des Spottes. Der ehrgeizige Bildhauer aber, der die Hetze nicht ertragen konnte, stürzte sich eines Nachts von der Kettenbrücke in die Donau . Aehnlich klingt auch ein« Legende, die sich in Hannover im Zusammenhange mit der Entstehung eines Kunstwerkes gebildet hat, und unzählige Geschichten, die man sich in fast allen Groß- städten der ganzen Well crzähll, zeugen dafür, wie oft selbst ganz bekannten Künstlern bei der Schaffung ihrer Kunstwerk« Schnitzer unterlaufen sind, die im Kreuzfeuer der Kritik des Publikums so manche Gloriolen beschattet haben. Glücklicherweise sind jedoch die Folgen der Entdeckung solcher Künsllerschnitzer harmloserer Natur als in dem oben erzähllcn Falle. Die Entdeckung beschwört höchstens hier und da«inen mehr oder weniger leidenschaftlichen Streit herauf und drückt dem Kunstwerk einen gewiffen Kuriositätswert auf. Wie fast alle Welt- und Großstädte, so kann sich auch Berlin rühmen, so manchen steinernen oder bronzenen Unsinn zu be- Herbergen. In erster Linie soll hier auf den Siegeswagen ans dem Brandenburger Tor « hingewiesen werden, der schon etliche Male|
die Aufmerksamkeit der Kritik auf sich gelenkt hat. Zuletzt noch in den 80er Iahren des vorigen Jahrhunderts entbrannte um ihn ein heftiger Strett, und die Angriffe der Kunftkretfe wurden gar nicht so sehr zu Unrecht gegen ihn gerichtet, denn es ist in der Tat sonderbar, daß, während der Genius mit well ausgebretteten Flügeln in dem Siegeswagen förmlich zu fliegen scheint, die Pserde davor zu gleicher Zett in ruhigem Schritt einhertrotten. Aus dem Kreuzberg im Viktoriapark ist das Denkmal des Dichters Ernit Moritz Arndt ausgestellt. Der kritische Betrachter mutz sich hiervor oerwundert fragen: Wieso ist das Papier in der Linien des Dichters zerknüllt, während doch das Gesicht dichterische Erleuchtung ausdrückt und die Rechte den Federkiel zum Schreiben hält? Oder hält Arndt die Papierrolle etwa so unnatürlich, nur um das daraus geschriebene Gedicht dem Betrachter zu zeigen? Es scheinen hier, wenn auch kein steinerner Unsinn, immerhin schwerwiegende Fehler ungewollt begangen worden zu sein. Einen um so ge- waltigeren Bock hat der Schopfer des im Tiergarten ausgestellten Fontane - Denkmals geschaffen. Der Künsller modellierte den Rock so, daß er ihm die Knöpfe verkehrt, wie bei einem Frauenrock auf der rechten Seite, die Knopflöcher auf der linken anbrachte. Noch kurioser mutet das Kaifer-Friedrich-Reiterdenkmal vor dem Kaifer-Friedrich-Mufeum an. Das Pferd, das der Kaiser hier reiten hat den sogenannten Paßgang, wie ein Kamel. Der Bildhauer M a i s o n dürfte kein allzu großer Kenner von Pferden gewesen sein, denn sonst hätte er gewußt, daß ein Pferd nicht zwei linke und dann zwei rechte, sondern die Beine links vorn, rechts hinten, rechts vorn, links hinten setzt. Uebrigens weiß die Legende auch in Berlin von einem Künstlerschicksal ähnlich dem eingangs erzählten, zu berichten. Es handelt sich dabei um den Schöpfer des Retterstandbildes des Großen Kurfürsten auf der Kursürftenbrücke nahe dem Schloßplatz, der sich, als man ihn nachträglich darauf aufmerksam machte, daß dem Pferde am rechten Bordersuß das Hufeisen fehlt, in ge- kränktem Künstlerstolz in die Spree gestürzt haben sollte. Zu Ehren der Schöpfer der genannten Bildwerke sei jedoch gesagt, daß die Fehler, die die Künstler bei der Schaffung ihrer oben erwähnten Kunstwerke unbewußt begangen haben, dem hohen Wert ihrer Leistungen keinen allzu großen Abbruch getan haben. Die hier angeführten Plastiken zählen trotz dieser kleinen Mängel nach wie vor zu den schönsten Denkmälern Berlins.— osi. IC Uly lllttbut; IfaffenStillftänd an der SEuider See Die Trockenlegung der Zuider See,«in großes Kulturwerk, dessen Fortgong die ganze Welt seit mehr als einem Jahrzehnt mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte, scheint ein Opfer der Welt- Wirtschaftskrise zu werden. In dem gewaltigen Kampf, den das holländische Volk mit der Nordsee führt, ist ein Wafsenstillstand ein- getreten. Die Arbeiten werden eingestellt, das vom Meer im Mittel- alter eroberte Gebiet der Zuider See kann bis auf weiteres nicht zurückgewonnen werden. Im Jahre 1918 beschloß das Parlament der Niederlande , die Zuider See trocken zu legen. Um welch« ungeheuerlich« Ausgab« es sich handelte, zeigt die Totsache, daß 224 000 Hektar neuen Landes dem Meere abgerungen werden sollten. Mit größter Energie g'n- gen die verantwortlichen Männer an die Arbeit. In den Jahren 1920/25 wurd« nach den Plänen des Ingenieurs Lest) die Injel Wieringen durch einen 2,5 Kilometer langen Damm mtt dem Festland verbunden. Bis 1934 sollt« ein Damm von 30 Kilometer Länge, 90 Meter Brette und 7,25 Meter Höhe nach Aurich in Friesland über Wieringen und an der friesischen Küste geplant. Innerhalb des so abgeschlossenen Gebietes sollten vier groß« sogenannte Po'- der, i>. h. zusammenhängend« Flächen trockengelegten Landes, g'- wannen werden. Die Kosten wurden auf insgesamt KIZ Million m Gulden geschätzt. Bei der Durchführung diese? groß angelegten Werkes war nicht nur der Gedanke maßgebend, dem holländischen Staat ein« neue Provinz zu gewinnen, sondern es kam auch darauf an, nach dem Abschluß dieser Riesenarbetten«inen wirtschaftlichen Nutzen zu er- zielen. Und hier tritt nun die schwache Stell« des ganzen Projekts in die Erscheinung. Der Gewinnungepreis des neuen Trocke»landsz wird zu hoch— es wird sich kein Käufer finden, der den Ke- stehungspreis zu zahlen bereit ist. Wenn dieses dem Meer obae- rungcn« Land besiedelt werden soll, dann müssen die Kosten von der öffentlichen Verwaltung getragen werden. Der erste Polder ist in dem Dreieck zwischen Wieringsn, Winkel und Medemblick fertiggestellt worden. Di« Kosten für dieses 18000 Hektar große Neulan» waren ursprünglich auf IS Millionen Gulden veranschlagt worden. Di« endgültige Abrechnung aber zeigte, daß ein Kostenaufwand von 86 Millionen zur Fertigstellung des ersten Teils der Arbeiten notwendig gewesen ist. Di« ursprüngliche Reck:- nung sah so aus. daß der Staat hoffen konnte, bei einem Anlage- kapttal von 16 Millionen Gulden durch den Verkauf des neu ge- wonnenen Geländes 40 Millionen Gulden hereinzubekommen, lo daß ein Gewinn von mehr als 20 Millionen Gulden zu erwarten war. Dieses erste Reuland in der Zuider See ist also schwer erkauft worden, und man fürchtet nicht mit Unrecht, daß di« weitere Durch- führung des riesigen Werkes die Verluste ins Unermeßlich« steigern könnte. Von dem Damm zwischen Wieringea und Zürich sind bisher 18 Kilometer zuzuschütten, bevor dem Meerwasser der freie Zutritt verwehrt ist. Jetzt werden in Holland Stimmen laut, die fordern, daß die weiteren Dammarbeiten eingestellt werden und daß man an Stelle des Damms-,«ine Brücke baue, über die der ursprünglich vor- gesehen« Automobil, und Eisenbahnverkehr laufen könnte. Dadurch würde auch der Einbau der vorgesehenen 25 Entwässerungsschleusen vermieden werden. Die Wirksamkeit dieser Schleusen war so ge- dacht, daß sie bei Flut geschlossen werocn sollten. Nach dem ur- sprünglichen Plan verbleibt nämlich auch innerhalb des Dammes eine Wasserfläche von erheblichem Umfang, in die«in Mündung?- arm des Rheines, die Pssel, seine Wasser sendet. Da bei Ebbe das Meer tiefer liegt als der Rest der Zuider See. so würde sich dann durch die geöffneten Schleusen ein Wasserstrom meerwärts ergießen. Dadurch aber müßte der sprichwörtliche Reichtum an Fischen, den die Zuider See besitzt, vernichtet werden, denn allmöh- lich müßte durch den Zustrom von der Bssel dos ehemalig« Salz- wasser— in«in Süßwasserbecken umgewandelt werden Hinzu kommt, daß di« Abwässer von Amsterdam sicherlich auch nicht dazu beitragen werden, das Leben in dem neuen Binr»snse« zu fördern. Aus uraller Gewöhnung an ihren von Generation zu Generation oererbten Beruf weigern sich ferner die Fischer der Zuidersee, Landwirte zu werden, obgleich die Regierung bestrebt ist. ihnen diesen Uebergang durch Zuwendung van Geldmitteln zu erleichtern. Diese psychologischen Momente im Zusammenhang mtt der bisher festgestellten Unwirtschoftlichkeit der Arbeiten haben die holländisch« Regierung in der Zeit der Weltwirtschaftskrise veranlaßt, den Be- schluh zu fassen, die Inangriffnahme der Trockenlegung weiterer Gebiete innerhalb der Zuider See einzustellen und nur solche Ar- betten zu vollenden, durch die bisher investierte Wert« erhalten bleiben. So ist das gigantische Werk einstweilen in weite Ferne gerückt. Erst dann, wenn die Wirtschaftsloge stch geklärt und viel- leicht auch die Technik ihre Hilfsmittel noch erheblich oerbessert haben wird, kann der uralte Kampf gegen die Dämonen de, Me«re» er- neut beginnen.