1932
Der Abend
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B 113 .49. Jahrgang
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Der Kölner Schöffengerichtssaal zeigt heute morgen das Bild eines großen Tages. Der Zuhörerraum ist dicht besetzt. Auf den Bängen drängen sich die Leute. Bald nach 9 Uhr beginnt im Saal die Berhandlung gegen den nationalsozialistischen Reichstags= abgeordneten Dr. Len und gegen den Nationalsozialisten Fuchs, die sich wegen des befannten lleberfalls auf den Vorfigenden der Sozialdemokratischen Partei, Reichstagsabgeordneten Otto Bels, und den Kölner Polizeipräsidenten Bauknecht, in der Nacht vom 22. zum 23. April im Hotel Deis in Köln zu verantworten haben.
Es find etwa 16 Zeugen geladen. Der als 3euge geladene Redakteur Schwaebe vom Westdeutschen Beobachter" fehlt. Wels and Polizeipräsident Bauknecht sind als Nebenkläger zugelaffen. Die beiden Angeklagten werden verteidigt von dem Berliner Berteidiger Dr. Sad.
Blöde Ausflüchte.
Der Angeklagte Fuchs, der zunächst vernommen wird, will im Laufe der Auseinandersegungen im Lofal von der Toilette an den Tisch zurückgekommen sein. Dabei habe er gesehen, mie Polizeipräsident Bauknecht am Kopf blutete, während die Kleidung von Bels in derangiertem Zustande gewesen sei. Bauknecht und Wels seien um Ben herumgestanden. Er, Fuchs, jei hinzu getreten, um Len aus diesem Knäuel herauszuholen.
Dann jagt der Angeklagte Fuchs wörtlich: ,, Damit schlug Dr. Len mir die Hand meg, und die Hand traf unglücklicherweise Wels gegen die Brust."
Fuchs behauptet dann, Bauknecht sei start betrunken gemejen. Auf die Frage, wie er, Fuchs, ins Lotal getommen jei, erklärte dieser, daß er die beiden Angestellten des Westdeutschen Beobachter", Schwaebe und Koster, auf der Straße getroffen habe.
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Sie hätten ihm gesagt, er folle zum Hotel Deis kommen, wo Len sei. Fuchs und sein Begleiter Ritter wollen dann auf der Straße von drei Leuten mit dem Hitlergruß begrüßt worden sein. Obwohl sich die drei Leute nicht kannten, hätte sie diese mit ins Hotel Deis genommen.
Dann fam es zur
Bernehmung des Dr. Leŋ.
Er schlug seine bekannte Tattif ein, vor Gericht sich unschuldig mie ein Kind zu stellen. Er sei mit dem Berlagsleiter des Westdeutschen Beobachter", Simon, im Hotel Deis 5 Minuten nach 12 1hr nachts zusammengekommen. Hier seien bereits andere Na tionalsozialisten anwesend gewesen. Man habe sich in gehobener Stimmung befunden.
Hinten im Lokal, etwa acht Meter von dem Tisch der National sozialisten entfernt, hätten an einem Tisch fünf Herren gesessen. Auf einmal sei an einem Tisch gefragt worden: ,, Sißt da nicht der Herr Wels?" Er habe die Frage bejaht. Hierauf schilderte Dr. Ley den Vorgang, der sich gegen 2, Uhr abspielte, wie folgt:
Gegen 2 Uhr erhob sich drüben der Tisch. Es wurde an unserem Tisch beim Zuproften öfter,., Heil Hitler" gerufen. Auf einmal stand Herr Wels hinter mir, machte eine Geste nach unserem Tisch und fragte: Was wollt Ihr, gilt das mir?" Da sprang auch schon Baufnecht an uns heran und stieß einen unserer Parteigenossen. Dann entwickelte sich das ganze in so rascher Folge, daß es unmöglich mar, die einzelnen Handlungen zu beobachten.
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Auf einmal sah ich, daß Bauknecht blutete. Wels war überhaupt verschwunden. Ich schrie: Halt" und dann ist auch nichts
mehr geschehen. Wels hat mir erklärt, daß ich ihn in feiner Weise angefaßt habe. Berhaftet murde ich erst auf der Polizeimache. Hier bin ich in Gegenwart von Bauknecht geschlagen und mißhandelt
morden."
Der Nebenfläger Otto Wels jagt man als Zeuge aus. Er spricht sehr angestrengt und heiser, eine Folge des Ueberfalls, an dem er heute noch sehr start leidet. Wels fchildert den Vorgang in aller Ruhe. Das Gespräch am Tisch sei sehr ruhig gwesen. Es sei ihm aufgefallen, daß er von Personen an einem Tisch in einiger Entfernung dauernd firiert morden sei.
Wörtlich fährt Wels dann fort: Als ich gegen 12 Uhr zur Toilette ging, find hinter mir sofort Herr Simon, Herr Len und ein anderer Nationalsozialist gekommen. Da auch Regierungspizepräsident Bier mich begleitete, ist hier noch nichts passiert. Als ich zurild
Autobanditen plündern und schießen Verfolger nieder.
Ein beispielloser Raubüberfall hat sich in der vergangenen Nacht in der Großbeerenstraße 64 in Mariendorf abgespielt. Dort überfielen vier Räuber, die mit einer Tage gekommen waren, die Gastwirtschaft von Gustav Liepelmann. Die Kolonne bedrohte die Anwesenden mit Parabellumpiftolen, raubte zwei Registriertassen, in denen sie ganze 140 m. fanden, und ichossen auf der Flucht einen ihrer Berfolger, den 53 Jahre alten Prokuristen Bruno Sauer aus der Großbeerenstraße 61 nieder. Sauer erhielt 3 mei Bauchschüsse. Er verstarb im Lanfmizer Krankenhaus. Das alarmierte Ueberfallfommando konnte die Räuber nicht mehr einholen. Das benachrichtigte Berliner Polizeipräsidium entfandte megen Ueberlastung des Raubdezernats die Mordkommiffion Ciffigkeit- Freiberg an den Tatort.
Der Gastwirt Tiepelmann hat vor sein Lotal in der Großbeerenstraße links und rechts auf dem sehr breiten Bürgersteig zmei Tische und Stühle zu stehen. Es war gegen 22 Uhr, als vor dem Lokal eine Tage vorfuhr, der vier junge Männer entstiegen. Sie traten sehr sicher auf, setzten sich an einen der Tische fie ein Kartenspiel. Sie machten einen völlig harmlosen Eindruc vor dem Lokal und verlangten Bier und Kognat. Alsdann begannen und niemand beargwöhnte sie. Etwa fünf Minuten vor Mitternacht erhoben sich die Gäste, tamen ins Lokal und traten auf die Thefe zu. Es maren im Raum noch sechs Gäste anwesend. Der Wirt glaubte, daß die Leute zahlen wollten. Er irrte sich aber. Sie zogen jetzt es maren drei Leute, mährend der vierte draußen an der Tage stand Pistolen und riefen:
-
., Hände hoch! Wer sich rührt, wird erschossen!
Jm nächsten Moment gaben sie schon Feuer. Die Kugeln pfiffen dicht an dem Wirt und seiner Frau vorbei. Die Räuber machten sich dann an die Registriertassen und schleppten sie in das Auto.
In diesem Moment geschah folgendes: der Prokurist Sauer
fam, jah ich an dem Tisch, von dem aus ich firiert wurde, eine größere 3ah1 Menschen stehen, die wir vorher noch nicht gesehen hatten.
Als ich um 2 1hr aufbrach, um mein Zimmer im Hotel aufzusuchen, hat sich an dem Tisch, von dem aus ich firiert murde, der
Zeuge Simon auf seinem Stuhl oftentatio herumgedreht,
die hand gegen mich hochgeschleudert und Heil Hitler" gerufen.
Darauf bin ich an den Tisch getreten und habe in aller Ruhe gefragt: Wem gilt der Gruß, etwa mir?" Ich hörte rechts ein Geräusch, und bekam einen Schlag auf das rechte Auge, mich mit aller Gewalt aufrechterhalten und am Tische feſtgefaßt.
Es fielen sofort vier oder fünf Mann über mich her. Ich habe
Im nächsten Augenblick habe ich dann
einen Schlag vor den Kehlkopf bekommen, der mir beinahe die Besinnung raubte. Ich sah mich um und jah Bauknecht blutüberströmt dastehen. Im Augenblick waren zwei Beamte da, die dann das Weitere veranlaßt haben. Erst bei der Gegenüberstellung auf der Polizeiwache am anderen Morgen habe ich Herrn Dr. Ley fennengelernt.
Wels bezeichnet den Angeklagten Fuchs, den er an seiner
großen Gestalt und an seinen blonden Haaren wiedererkenne, als
Weis hat den Fuchs auch schon bei der Vorführung auf der Polizeiden Täter, der den Schlag gegen den Kehlkopf geführt haben muß. mache als den Täter bezeichnet. Wels betont dann noch, daß er als ruhiger und besonnener Mensch bekannt sei, daß er in seiner 20jährigen Eigenschaft als Reichstagsabgeordneter einen einzigen Ordnungsruf bekommen habe, der jedoch wieder zurück genommen morden sei. Er habe das Benehmen am Tisch der Nationalsozialisten als Bropotation empfunden und es für seine Pflicht als Barteiführer gehalten, diese Provokation zurückzumeisen.
erklärt
Polizeipräsident Bauknecht:
war furz zuvor mal hinausgegangen und hatte die Schüsse krachen hören. Die Burschen hatten insgesamt etwa zehnmal geschossen. Als der Prokurist nach vorne fam, sah er, wie die Räuber gerade ab= fahren wollten. Er machte ein paar Schritte nach vorn, um ihnen nachzueilen. Die Schurken hatten jetzt das kleine Fenster am Berdeck zertrümmert und richteten ihre Pistolen auf Sauer. Zwei Schüsse trachten und der Mann brach zusammen. Eine Kugel mar ihm in den Bauch gedrungen, die andere hatte ihm die Leber zerrissen. Inzwischen hatten die aufgeregten Gäste das Ueberfalltommando alarmiert. Die Burschen entkamen, auch das Ueberfalltommando fonnte sie nicht mehr einholen.
Tausend Marf Belohnung!
Für die Ergreifung der Täter, die in der heutigen Nacht den Raubüberfall auf das Lokal von Tiepelmann in Mariendorf , Großbeerenstr. 63 verübt haben, wobei der 52 Jahre alte Kaufmann Sauer von den Tätern erschossen wurde, ist vom Polizeipräsidenten eine Belohnung von 1000 Mart ausgesett morden. Bon zwei der Täter liegt jezt eine Personenbeschreibung vor, und zwar wird der eine als ein Mann von etwa 22 Jahren geschildert, der etwa 1,70 Meter groß ist, ein hageres blasses und eingefallenes Geficht und schwarze Haare hat, mit einem blauen Jackett und dunklem Schlapphut gekleidet war, während der meite Täter 1,75 Meter groß sein soll, von fräftiger Gestalt, ein volles Gesicht hat, bartlos ist und dunkelblondes Haar hat. Er mar mit einem schmuzigen pfeffer und salzfarbigen Mantel und blauer Seglermüße mit goldgeftictem Eichenfranz bekleidet. Ber mutlich hat dieser Täter ein Sporthemd mit offenem Kragen( sog. Schillertragen) getragen. Mitteilungen, die zur Ergreifung der Täter führen, werden auf Wunsch auch vertraulich behandelt, erbittet unter Hinweis auf die obige Belohnung die Mordfommission Liffigkeit- Freiberg im Polizeipräsidium Zimmer 134a.
sozialisten dauernd Heil Hitler" und noch gegen 22 Uhr auch Prost Proleten" gerufen. Von einer Betrunkenheit bei ihm könne feine Rede sein.
Wenn er nach dem Ueberfall einen benommenen Eindruc gemacht habe, so sei das selbstverständlich darauf zurückzuführen, daß man ihm
mit einer vollen Weinflasche auf den Kopf geschlagen habe. Zu dem Ueberfall selbst befundet Bauknecht, daß er die Absicht hatte, Auseinandersetzungen am Tisch der Nationalsozialisten mit dem Abgeordneten Wels zu schlichten. Hierbei habe er plöglich einen Schlag ins rechte Auge bekommen und kurz darauf einen
Schlag mit der vollen Weinflasche. Dabei sah Bauknecht, daß der
Angeklagte Fuchs mit noch 2 oder 3 anderen zu entkommen fuchte.
Er habe darauf vom Kellner die Tür des Lokals schließen lassen. Von einer Mißhandlung Leys durch die Polizeibeamten habe er nichts gesehen. Ley sei völlig betrunken gewesen.
Die Verhandlung dauert fort.
Die„ sparsamen" Hakenkreuzler. Aus einem Erziehungsinstitut wollen sie eine- Nazifaserne
machen.
Braunschweig , 14. Mai. ( Eigenbericht.
Aus dem von Klagges still gelegten Forschungsinstitut für internationale Erziehungswissenschaften„ Salve institut für Hofpe" wollten die hiesigen Nazis gern eine S.- Kaserne machen. Sie hatten deshalb einen Antrag an den Rat der Stadt gerichtet.
Die Stadtverwaltung beschloß jedoch, das frei gewordene Gebäude Hierauftulturellen Aufgaben zu erhalten und in ihm ein
Die Situation im Hotel Deist sei schon von Anfang an etmos gespannt gemefen, meil der Nationalsozialist Simon dauernd unferen Tisch firierte. Weiterhin hat man an dem Tisch der Rational
Museum für städtische Kultur und für braunschweigische Vorgeschichte einzurichten. Diesen Beschluß nehmen jezt die Nazis zum Anlaß, um in wüster Weise gegen die Stadtpermalhmg zu heben und um Klagges scharf zu machen, daß er als Aufsichtsinstanz die Einrichtung des Museums aus angeb 1ichen Sparfamteitsgründen verhindere!