BUNTE WELT
Nr. 19
Unterhaltungsbeilage
1936
Fünfundzwanzig Zigaretten
Als Ewald Krüger, erster Charakterdarsteller des Stadttheaters in B., vor der Vorstellung das Theater betrat, übergab ihm der Bühnenportier ein kleines Paket. Krüger öffnete eine Schachtel mit fünfundzwanzig Zigaretten einer guten, teuren Marke und eine weiße Starte, in deren rechtem Winkel ein einziger Buchstabe stand: G. Ewald Krüger betrachtete die Karte und überlegte. Er hatte keine Befann ten, deren Namen mit G begann. Und Frauen?
Gerda, Grete, Gertrude
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nein. Er zerknitterte
die Karte und schob sie in die Tasche seines
Mantels. Vielleicht wollte ein armes Mädel von
der Galerie ihm eine Freude machen. Er riß die Schachtel auf, als er vor seinem Spiegel in der Garderobe stand, ein Zündholz flammie auf, eine Rauchwolke verhüllte die milchweiße Glas
fugel über dem Spiegel.
Aus dem Spiegel blickte Ewald Krüger ein müdes, wachsbleiches Gesicht entgegen. Die Augen waren ohne Glanz, die Wangen hohl. Du wirst alt, fagte Krüger zu seinem Spiegelbild. Du darfst nicht mehr bis vier Uhr früh in der Bar sigen. Das Spiegelbild zwinkerte mit dem linken Auge. Du nimmst dir schon seit vielen Jahren vor, das geregelte Leben eines braven Bürgers zu führen, sagte es. Aber immer kommt etwas dazwischen. Einmal hat ein Kollege Geburtstag, dann wird eine Premiere gefeiert und gestern kam dieser dicke Herr Killinger, der die Bellini jeden Abend in seinem Auto vom Theater abholt, und lud dich ein. Er ist zwar ein widerwärtiger, dummer Kerl, aber mit der Bellini bist du gern beisammen.
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Renate Bellini. Wie sie in Wirklichkeit heißt, weiß wohl nicht einmal der Herr Killinger. Sie ist eine schlechte Schauspielerin. Erin nerst du dich noch, wie wir alle gelacht haben, als sie die Julia spielte? Der Direktor wollte ihr die Rolle nicht geben, sie weinte und tobte, schließlich zog wohl der Killinger seine Brieftasche Aber in dem neuen Kriminalstück ist sie ganz gut. Der Direktor schwärmt geradezu von ihr besonders, wenn Herr Killinger in der Nähe ist und es hören kann...
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Auf dem Schminktisch lag eine Zeitung. Neber vier Spalten lief in riesengroßen Buchstaben die Meldung eines Mordes. Krüger hatte die Neberschrift gelesen: Ein Mann hatte seine Gelebte erwürgt, die ihm im Wege stand. Ein falt berechnetes Verbrechen. Der Täter saß bereits binter Schloß und Niegel. Krüger interessierte sich nicht näher für den Fall. Ein Mörder, der
dem Stück geschieht ein Mord, ein Mann erwürgt eine Frau; er wollte sich ansehen, wie man das macht.
Dummkopf, dachte Krüger. Aber er begann nun den Bericht genau zu lesen, von der ersten Beile bis zur letzten. Blöglich fuhr er mit der Hand über die Stirn.
Gestern haben die Augen eines Mörders, der zu Gestern war ein Mörder im Theater. seiner Tat fest entschlossen war, auf ihn geblickt und jede seiner Bewegungen verfolgt. Das war tein Buschauer, wie die anderen; das war ein Schüler, der seinen Lehrer betrachtet. Der ihn vielleicht im Stillen verlacht: Ach, wie ungefchickt beginnt er es ich kann es viel besser. Wartet nur, in einer Stunde...
Krüger betrachtete feine Hände. Er streckte die Finger, bis sie knackten. Er bevegte sie, als wären sie erfroren, als wollte er feststellen, ob er sie überhaupt noch gebrauchen fonnte. Steif waren sie und ungelent. Die Finger eines alten Komödianten, der als Mörder ja doch nur ein Dilettant ist... Jeden Abend umfaßten sie den als der Bellini. Sie spannten sich mit aller Kraft, aber sie durften nicht zupacken die Bellini fauchte, wenn Krüger sie einmal ein wenig drückte. Ihr widerliches, aufdringliches Parfüm stieg ihm immer in die Nase.
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Krüger griff nach den Zigaretten. Plötzlich schoß ein Gedanke durch seinen Kopf. Er nahm die Beitung. Er suchte den Namen des Mörders. Er stand ganz groß im Untertitel, Er stand zivanzigmal im Text: Guthaus.
Krüger holte die Karte aus der Tasche seines Mantels. Das große G. Guthaus. Es tann aber ein Zufall sein, dachte er. Viele Namen beginnen mit G. Es muß nicht der Mörder sein.
Die Augen Ewald Krügers im Spiegel brannten. Tiefe Schatten Tagen unter diesen Augen. Müde, dachte er. Nicht geschlafen. Um halb fünf nach Hause. Um zehn Uhr Probe. Müde, müde.
Es ist, als schrillte die Klingel, die Krüger auf die Bühne ruft. Sie hat heute einen anderen, fremden Klang. Langsam steht Krüger auf, geht durch den langen Gang zu der Tür, durch die er auftreten soll. Das Haus ist heute halbleer, hört er den Feuerwehrmann sagen. Sie haben wohl Angst, denkt er. Heute würde jeder Zuschauer in seinem Nachbarn den Mörder wittern. Wenn es dunkel wird, springt dich die Bestie an.
Die Bellini spielt heute schlecht. Sie ist zersich so ungeschickt anstellt, daß die Polizei ihn fahren. Wahrscheinlich hatte sie mit Killinger binnen einer Stunde faßt, verdient nur Verach- Streit. Sie gibt falsche Replifen. Der Souffleur turg , dachte er. Auf dem Zeitungsblatt lag die Zigarettenschachtel. Ihr and hob wie ein feiner, mit dem Lineal gezogener weißer Strich eine Beile hervor. In dieser Zeile stand ein Wort, das Krügers Augen auf sich zog, als er nach der Schachtel greifen wollte: Stadt Heater.
Krüger schob die Schachtel zur Seite, griff nach dem Zeitungsblatt, las. Der Mörder war unmittelbar vor der Tat im Theater gewesen. Hier, in diesem Theater, gestern abends. Beim Verhör hatte er den Polizeibeamten erklärt: In
wirft ihr böse Blicke zu. Krüger muß acht geben, fie nimmt ihm alle Dialogpointen weg. Du hast gestern zu viel getrunken, sagt er ihr. Sie lacht.
Aus dem dunklen Haus flingt ein Echo ihres Lachens. Da blickt Krüger in den Buschauerraum, Weiße Kragen, Ein grünes, flimmerndes Kleid in der ersten Parkettreihe. Wozu spielen wir heute eigentlich, denkt Krüger. Niemand achtet auf das Stück, auf uns. Sie wollen alle nur die Szene sehen, in der ich eine Frau erivürge die Bellini
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Pause. Krüger sitzt in der Garderobe. Er flingelt. Er bestellt ein Glas Bier. Er sucht die Zigaretten. Sonderbar- die Zigarettenschachtel liegt nicht mehr auf dem Tisch, auch die Zeitung ist verschwunden. Plötzlich denkt Strüger: Kann ein Mensch morden, wenn er lacht? Ich will sie alle so zum Lachen bringen, daß sie daran vergessen, zu morden...
Er steht wieder auf der Bühne. Er soll
einen Betrunkenen spielen. Einen Menschen, der den Betrunkenen mimt, um harmlos zu erscheinen. Das Publikum lacht jeden Abend über diese Szene. Heute spielt er sie breit aus. Er wirft eine Figur um, die auf dem Schreibtisch steht. Die Augen der Bellini funkeln ihn gläsern an. Aus einer Loge klingt ein hohles Lachen. In der Loge sist eine dicke Frau, ihr Gesicht ist rot und aufgedunsen, sie hat winzige, stechende Augen. Um ihren Hals windet sich eine dreifache, leuchtende Kette. Die Hände in diesen dicken, häßlichen Hals vergraben, denfi Krüger.
Da wirft ihm der Souffleur den Saß zu, bei dem seine Maste fallen soll. Er weiß, nun folgt das Publikum atemlos jeder Bewegung, die er macht. Nun ist er nicht mehr betrunken. Nun kommt hinter seiner lächelnden Fraze das Antlik des brutalen Mörders zum Vorschein. Die Bellini weicht vor ihm zurück. Er muß sie durchs Zimmer jagen. Bei der Tür packt er sie, schleppt sie zum Sofa, wirft sich über sie, preßt ihr die Kehle zu, sie soll schreien, dann wird sie ſtill ganz still
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Widerwärtig, aufdringlich ist das Parfüm der Bellini. Ihr Gesicht ist heute fahl. Krüger packt sie bei den Armen. Er schleift sie zum Sofa. Da lacht die dicke Frau in der Loge. Ein schrilles, häßliches Lacken. Es sagt: mir kann das nicht passieren. Ich würde mich wehren. Du würdest dich wehren? denkt Krüger. Nicht die Bellini liegt unter ihm auf dem Sofa, sondern die dicke Frau aus der Loge. Du willst dich wehren? Eisern ist der Griff seiner Finger, sie umflammern den dicken, faltigen Hals, seine Augen funkeln. Laß doch los, zischt die Bellini, du erwürgst mich ja. Da lacht Krüger. Ich erwürge dich. Natürlich erwürge ich dich. Ich will ja nichts anderes, als dich erwürgen. Die Bellini wehrt sich verzweifelt. Sie versucht ihn mit ihrem Knie wegzustoßen. Er packt ihre Schultern, ihr Kleid zerreißt. Schon haben seine Hände wieder ihren Hals umflammert. Da schreit die Bellini auf. Ihre Stimme reißt den Schleier von Strügers Augen. Nun hält er wieder die Bellini in der Bange seiner Finger. Killinger wird um dich nicht weinen, denkt er. Ich werde um dich weinen, wenn sie mich zum Galgen führen.
Da packen ihn derbe Hände und reißen ihn zurück. Ein großes, graues, schweres Etwas sinkt nieder, es rauscht wie trüber Regen, alle Augen im Zuschauerraum sind erloschen. Krüger finft tief tiefer das schmerzverzerrte Gesicht der Bellini verschwindet im Dunkel.
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Eine Glocke schrillt. Dreimal. Eine feste Hand Tag auf Krügers Schulter. Polizei? Ich fomme, sagte er.