Das neue Menschenherz...

Kleiner Kranz auf das Grab eines großen Dichters

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Am 27. November 1916- vor 20 Jahren also verunglüdie in der Nähe von Rouen der Dichter Emile Verhaeren tödlich. Mit­ten im Weltkrieg, der der

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erhalten hat, wird spüren, was wir diesem Sän­ger der Zukunft verdanken.

tiefsten Erniedrigung nicht aufgehört, für sein Ideal zu zeugen. Seine Lieder werden erst , Menschheit, goldenen Sternen brüder- wahrhaft lebendig sein, wenn das neue Men­lich gepaart", der Dichter, der in einer Zeit safenherz, von dem sie fünden, das verlebte All des allgemeinen Todes und der Zerreißung aller erneuert hat. Weil wir das se gläubig hoffen menschlichen Bande zwischen den Völkern vor, wie er, legen wir den fleinen Kranz des Ge­zwanzig Jahren dahinschied, hat auch in der denkens heut' auf sein Grab.

Irma F.

gewendetes Hers die fömerslichte, erregendite ,, Er ging an meiner Seite...

Enttäuschung bedeutete, verloren die Freunde einer Dichtung, die ein besseres Zukunftsideal besingt, den Mann, der zündender als viele an­dere den Ton der Zukunftshymne getroffen hat.

Das schmale Bändchen Hymnen an das Leben verdanken wir dem entscheidenden Menschheitserlebnis dieses größten, in franzö fischer Sprache schreibenden Dichters Belgien3. Stefan Zweig hat uns in mafelloſer Sprache die kongeniale deutsche Nachdichtung der Ver­haerenschen Lyrik vermittelt.

Im Weltkrieg 1914 bis 1918?

Schulbant gesessen, da hat er geweint, wenn Onein! Da war der Freund noch auf der seine Mutter mit leerer Tasche, ohne Brot, nach Hause gekommen ist.

Er hat geweint, bis ihm die Mutter schwar­zen Kuchen gebaden, ein Gemisch von Kaffeeſaß und Sirupsurrogate, den er heißhungrig ver­

fchlang.

Mich hat er damals noch nicht gekannt. Ich irrte durch das Karstgelände, lag zerschlagen und mit einem großen Herzen voll Sehnsucht nach Vater und Muiter und unserem heimat lichen Grenzwald in den Schüßengräben in Italien.

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Worte für die Sache der Armen, der Entrech­teten, meine Begeisterung für den Sozialismus.

Ganz deutlich bebten schon damals in der großen Welt draußen die Fundamente unserer Wirtschaftsordnung. Näher, immer näher zog das Beben, hinter sich verschüttetes Leben, ver nichtete Arbeit laffend, und einmal stand es drohend inmitten des Grenzlandes, der Heimat. Als eines der ersten Opfer fiel ich, dann der Junge; der ebenso schon Familie hatte, schon wie ich.

Das war vor Jahren. Erit nahmen wir beide die Sache leicht. Jn. Unkenntnis der Zu= ſammenhänge warteten wir auf morgen, über­morgen. Von unserem Bintel aus übersahen wir das Kampffeld nicht, erkannten die moder­und verspottet durch die Täler der Abbruzzen, nen Waffen nicht, die sich flingende Fremd= und nach drei Jahren mit einem Fieberbrand wörter umgehangen hatten: Autarkie, Rationa­im Leibe beim zu der gequälien Mutter, in liſierung, Deviſen, Clairing... meinen stillen großen Wald.

Vicle werden sich aus dieser oder jener bild: lichen. Darstellung und Zeitungsphotographie des Bildes eines anderen Belgiers erinnern, der noch heute in der Arbeiterbewegung eine führende Rolle spielt: unseres Freundes Van­ dervelde. Dieselbe Physiognomie, derselbe Ich schlich als Kriegsgefangener verachtet lebendige, geitsprühende Ausdruck im schwarz­bärtigen Gesicht und aus funkelnden Augen hinter Gläsern tritt uns enigegen, wenn wir Verhaerens Bild zur Hand nehmen. Hier ist jene westliche Aftivität spürbar, ein Tempera­ment des Herzens, das sich ganz für die als recht erkannte Sache zu verschtvenden bereit ist. Die Sache Verhaerens war, feitdem der 1855 in einem Dorf bei Antwerpen Geborene schreiben begann, jene Umtvelt, in der er Mauern und Fabritschlote, Maschinen und Le­bensnot wachſen ſah, das Gebrüll der Motoren und Transmissionen hörte, jene Umtvelt, in der er das Menschenherz immer mehr in Gefahr geraten wußte und die ihn daher zum Rufer für eine neue Welt machte.

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Wir bringen, von der Welt und von uns selver trunken in das verliebte All ein neues Menschen­herz. Der Götter Bann und Gnade ist für uns versunken,

in uns nur lebt die Kraft, denn in uns war der Schmerz.

Das war der Ursprung jener Shmnen, die zum Wertvollsten gehören, was die internatio­nale Arbeiterdichtung besißt. Verhaeren ist das bei ein Musterbeispiel dafür, daß man den Bo= den, auf dem man gewachsen ist, lieben und sich doch der ganzen Welt weihen kann. Denn ein wesentlicher Teil seines Werkes ist seiner flandrischen Heimat gewidmet. Indem er fie besang, ihre lebensstroßende Kraft pries und nie verleugnete, daß sein ganzes Wesen in ihr wur­zelte, umfaßte die Sehnsuchtsbrunst seines Dich­terherzens gleichzeitig so begeisternd das ganze All, daß er alle diejenigen mitriß, die noch durch den Klang eines großen Dichterwortes zu rühren find. Dieser Klang allerdings war von einer bis dahin unbekannten, berauschenden Schön­beit. Das sieghafie Gefühl, das ein neues Menschenherz ausströmte, entlud sich verschwen­derisch in Gesängen, die fast den Rahmen der Sprachkunst sprengten. Les rythmes souve rains" so nennt er eines der ersten Bücher, die diesen Klang vermitteln mit Recht: wer nur das bekannteste und verbreitetste seiner Bücher zur Hand nimmt, die ,, Hymnen an das Leben", und sich ein Organ für die Macht der Dichtung

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Die Heimat war arm geworden. Alle Güter lagen draußen an den Fronten zer­schlagen, verrostet und begraben.

In der zwei Stunden entfernten. Bezirks­stadt dauerte es eine geraume Zeit, ehe die Bergunternehmen ihre Spatenstiele, Belt­pflöcke und Handgranatengriffe als überzählig und unbrauchbar eingesargt, und sich wieder der Friedenserzeugung zugewandt.

Aber dann ging es flott. Aufträge über Aufträge flatterien in die Kontore.

Kreissägen jubelten das Lied der Arbeit. Schwungräder pulsten, und breite Lederriemen samaßten in den Holzverschalungen.

Säge und Hovelspäne türmten sich in der genzen Fabrit kniehoch. Ein atemberaubender Geruch von Politur, Beize und Spiritus lag wie Beihrauch über dem Schaffen, und ich und alle die Freunde und Freundinnen waren glüdlich. Mir schien 83, es, als würde ich jetzt voll ent­fchädigt für die schweren Kriegsjahre, für meine hingeopferte Jugend.

Ich flomm sozial über den Durchschnitt meiner armen Heimat, ich erreichte ein Ange­stelltenverhältnis mit Pensionspflicht.

In scheuer Liebe streichelte mir oft die

weißbaarige Mutter über den Scheitel, den sie mit Mühe erreichte. Freudiger Abglanz ihres verborgensten Fühlens spiegelte sich in ihren alten guten Augen.

Kaum vermochte ich inmitten meiner ge­

liebten trauten Waldheimat all das Glück zu

ertragen.

Da ging ich in die Fremde. Erst immer noch glücklich. Neue Menschen, neue Freunde wuchsen in mein Leben. Erfahrungen freudiger und trüber Art wechselten, bis ich in der Heimat des kleinen Jungen landete, der im Kriege die schwarzen Kuchen verschlungen, und mittler­weile zum kundigen Buchhalter geworden war:

Ich und der Junge fadten ab. Böse Worte fielen in den Familien. Oft und oft blieb die Schublade leer.

Die große Kriegszeit mit den schwarzen Kuchen ist wieder erſtanden.

Längst haben wir alle Hoffnung auf nn­Mit verschtvielten seren Beruf aufgegeben. Händen haben wir mit auf der Staatsstraße ge= schippt. Wir haben die Verge der Heimat mit Jungtvald gepflanzt. Wir haben alle erdenk liche Gelegenheitsarbeit getan.

Das war alles wie ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Die Kinder wurden blässer, immer noch schwächer, und die Not touchs weiter.

Zum letzten Male sind wir beide nochmalz in den gräflichen" Forst gezogen und haben für die Menschen, die noch Weihnachten feiern tönnen, Christbäume ,, gemacht".

Tagtäglich sind wir, durchnäßt bis auf die Haut, durch das Jungdidicht gestrichen, haben die abgeschlagenen Bäumchen an die Waldwege gezerri.

In unzähligen Pünktchen stand Blut auf der Handoberfläche. Nadeln und Dürrzweige straften unsere Arbeit.

An einem Morgen Tag Schnee über dem Balde.

Unsere Arbeit war beendet. Furchtsam gingen wir beide heimzu, um Frau und den Kindern zu sagen:., der Verdienst ist zu Ende!"

Da kam zu dem Jungen die Botschaft, morgen folle er in die Fabrik kommen, zur Ar­beit, die Brot, Sattsein und neuen Lebensinhalt gibt!

Kaun, daß er sprechen fonnte, als er mir das kaum Glaubliche erzählte. Mir ging cs nicht beſſer.

Ich schüttelte ihm die Hände, schaute ihm lange in die frohen Augen und sagte: Nun marschiere ich allein weiter! Wie lange ich cz Was uns trotz des verschiedenen Alters zu noch ertragen kann? Weißt du es, mein Freunden gemacht? Ich wüßte selbst nichts Freund, der du fünf Jahre an meiner Seite anderes zu sagen, als meine überschwänglichen gingst? Josef Egerer.

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