BUNTE WELT

Nr. 17

Joseph Roth :

Unterhaltungsbeilage

Madame Annette

Ale Annette 28 Jahre alt wurde und noch immer feinen Mann gefunden hatte, begab sie fich zu einem der Juveliere in der Rue de la Providence, in dessen Schaufenstern die Ehe­ringe aus Gold, Silber und Double", zu Dußenden über komische Türmchen aus Samt gestülpt, an winzige schimmernde Denkmäler erinnern, errichtet zu Ehren der Monogamie. Sie erstand einen silbernen Ehering und stedte ihn an den linken Ringfinger, getreu der Sitte des Landes. Im Stillen gedachte sie den filbernen Ring gegen einen goldenen umzutauschen, sobald sich ein Mann gemeldet haben würde. Vorläufig genügte der silberne, gewissermaßen als eine Mahnung an den lieben Gott, als ein morali­scher Zwang, den sie dem Schicksal auferlegte, damit es sich endlich bemüßigt sehe, ihr einen Gatten zu bescheren. Im übrigen hatte der Ring auch einen unmittelbaren Zwed: er konnte das Mädchen vor Zudringlichkeiten unerwünschter Männer, die gewöhnlich auch feige find, bewah­ren, indem er in ihnen die Vorstellung von einem irgendwo vorhandenen eifersüchtigen und träftig gebauten Mann Annettens hervorrief. Er er­zeugte ferner auch einen gewissen Respekt für seine Trägerin bei ihren Kolleginnen, den anderen Mädchen. In der Tat begann, furze Zeit, nachdem Annette den Ring gekauft hatte, das ganze Personal, das früher: Mademoiselle Annette" gesagt hatte, Madame Annette" zu sagen. Bei dieser Gelegenheit ist es vielleicht günstig zu bemerken, daß der Titel einer Frau auch heute noch manchem ledigen Mädchen aus besserer Familie imponiert, das niemals die traurige Ansicht hat, fremden Menschen dienen zu müssen; wie erst einem Mädchen, das beruf­lich immer ein Fräulein bleiben soll, selbst wenn fie eine Großmutter wird!- Den Kolleginnen von Annette, die so wenig Gelegenheit hatten, sich ,, Madame" nennen zu hören, bedeutete die­fer Titel einen gesellschaftlichen Rang. Sie schenkten ihn Annette, obwohl sie ahnen moch ten, daß der silberne Ehering nur ein Vorwand war. Sie fühlten sich selbst gehoben, wenn sie ,, Madame Annette" sagen konnten.

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Seit ihrem sechzehnten Lebensjahre war sie Dienstmädchen. Ihr Vater, ein Fischer aus der Normandie , schickte sie zu der Wirtin eines klei­nen Hotels in Le Havre , zu der er alte Be­ziehungen aus seiner Matrosenzeit hatte. Es scheint, daß in Le Havre die Mädchen nicht lange geduldet werden. Knapp vier Wochen nach ihrer Anfunft erlag Annette dem verspäteten Liebes­röhren eines fünfzigjährigen Reeders, der sie zu heiraten versprach, aber durch seine vor zwanzig Jahren geschlossene Ehe daran verbin­ert war. Annette bekam ein Kind und kurze Zeit darauf eine gute Stelle bei feudalen Leuten in der Nähe von Paris , die auch aus der Norman­· die stammten und ihr Dienstpersonal aus ihrer Heimat zu holen pflegten. Das Kind blieb in Soit bei der Wirtin in Le Havre und starb aus diesem Grunde sechs Monate später. Annette schickte Geld fürs Begräbnis und erstand, da sie kein Bild von ihm besaß, aber ein Andenken daran behalten zu müssen glaubte, in einem Papierladen eine Ansichtskarte, die Photographie

von einem gelungenen Säugling, die sie in einen schwarzen Rahmen spannte und in ihrem Koffer verbarg.

Durch ihre Erfahrungen in Le Havre ge­wißigt und von dem ländlich- normannischen Vorurteil befangen, daß jede Lebesbeziehung zu einem Kind führen müsse, widerstand Annette den Werbungen des Herrn von L., ihres Dienst­gebers-- obuvohl es ihr leid tat. Ja, um vor sich selbst ein für allemal sicher zu sein, erzählte sie der Frau von 2. von den Versuchen des Mannes. Selbstverständlich wurde Annette so­fort gekündigt und, damit sie ja nicht mehr Ver­wirrung in einem herrschaftlichen Hause stifte, an ein großes Pariser Hotel empfohlen, zu dessen Aktionären Herr von 2. gehörte.

Also begann ihre bescheidene Karriere. Sie hielt es( nicht mit Unrecht) für an­genehmer, im Laufe eines Vormittags zwanzig Zimmer unbekannter und immer wechselnder Bewohner zu säubern, als nur acht oder zehn Räume für alle Ewigkeiten eingesessener Men­schen, von denen sie Lohn und Brot entgegen­zunehmen hatte. Ihr waren Trinkgelder, von Abreisenden als eine Art Steuer hinterlassen, lieber als Weihnachtsgeschenke, von der Frau des Hauses im Dezember feierlich überreicht und noch im April, zu Ostern, vorgehalten. Sie ge­wöhnte sich an ihren Beruf, weil er nicht die

Frühlingsreportage

Wenn täglich ich, auf dem gewohnten Gange, zweds Reportage mir die Welt betrachte und pflichtbewußt auch die Details beachte, ist dies der Eindruck, den ich so empfange: Der Bark erwacht mit Vehemenz zum Leben: den Büschen sprossen überall die Haare, vom Rasen ganz zu schweigen; in den Neben des Königlichen Weinbergs krähen Stare. Fink, Amsel, Spatz und sonstiges Geflügel beschäftigen sich allgemein mit Pfeifen; in Richtung Smichov ficht man um die Hügel auch mal ein frühlingstolles Flugzeug schweisen.

Im Park auf ihren eingeseßnen Bänken sieht man die Männer über Achtzig fitzen und hört sie laut( und mit Geberden) denken und sich in jugendlichem Streit erhitzen.

Sie habens teils von Spanien , teils von Hitler , vom Regus, von der Steuer undsoweiter, und jeder denkt, der andre sei ein Krittler, und schwiege er, so wär es viel gescheiter. Und schließlich wäre noch zu konstatieren die gute Konjunktur in Liebespaaren, die alle Wege weit und breit garnieren und, wie zu sehn ist, nicht mit Liebe sparen. ( Denn dafür ist der Frühling eingerichtet.) Sie sind sich ewig treu an stillen Bläßen. Und wenn man sie im nächsten Frühjahr fichtet, find fie's noch immer, doch mit andern Schäßen. Mar Barth..

1937

Eintönigkeit einer Dienstboten- Existenz hatte, nichts von dem faulen Glanz einer patriarchalis schen Hausordnung, sondern etwas von der tals ten, flaren Sachlichkeit eines Tschäftes, eines Amtes fast und weil er obendrein noch eine Ahnung von der Vielfalt und Buntheit der Welt, ihres Reichtums, ihrer Bewohner vermittelte. Sie gelangte, weil sie hellhörig und neugierig war, mit der Zeit zu einer Kenntnis verſchies dener Sitten der wohlsituierten Kreise, verschie= bener Intimitäten des Lurus, des Liebeslebens in der Kultur und einer Noblesse, die ihre wirts schaftlichen Grundlagen hat. Diese Erfahrungen erhöhten ihre Ansprüche an die Männer, mit denen sie durch Zufall zusammen fam. Und ob= wohl ihr der und jener gefiel, konnte sie sich dennoch nicht entschließen, den und jenen zu hei­raten. Der einzige Mann, mit dem sie auf einem Ball zusammengekommen war und der ritterliche Formen zu beherrschen schien, die nach der Meinung der Zimmermädchen den Herren der gehobenen Schichten eigen sind, war ein Quave, ein Feldwebel aus den Kolonien. Offen gestanden hatte sie ein wenig Angst vor Far­bigen. Wenn einer gelb oder schwarz war, so mußte es sich doch eines Tages auf irgendeine Weise äußern: in einem plößlichen Wahnsinn, in einer unerwarteten Gewalt, oder auch nur in einer merkwürdigen Krankheit. Trotzdem wollte fie es wagen. Da brach der Krieg aus- und der Zuave starb, wie es sich gehörte, für Elsaß­Lothringen...

Ihre Trauer war größer, als ihre Liebe jemals gewesen war. Denn sie verlieh dem Toten noch mehr Vorzüge, als der Lebendige besessen hatte. Sie hinterblieb in der Ueberzeu­gung, das Ideal der Männlichkeit verloren zu haben. Mit dem Bild verglichen, das sie sich von dem Toten gemacht hatte, waren alle vornehmen Gäste des Hotels mißlungene Exemplare des männlichen Geschlechts. Selbst Boxer und Avias tifer blieben weit hinter dem toten Zuaven zus rüd. Da sie tein Bild von ihm besaß und Ans sichtskarten von Ideal- Zuaven nicht hergestellt werden, dichtete sie ihm die Züge aller photo­graphierien Heroen in den illustrierten Zeitnns gen an. In ihrem pietätvollen Hirn, das im Laufe weniger Jahre die Arbeit verrichtete, die sonst einigen Generationen zu einer Legenden bildung nötig ist, wurde der Tote ein farbiger Halbgott. Die Erinnerung an ihn bewahrte sie, nebenbei gesagt, vor den Verführungsverſuchen weizer, eiwas angetrunkener und sorgloser Hotelgäste.

Wenn man einen großen Schmerz hat, ist ca gut, seinen Aufenthaltsort zu wechseln. Sie fam hieher in dieses Hotel, von dem ich eben berichte, verhältnismäßig leicht, denn es gehört derselben Aktiengesellschaft, die das Pariser Hotel Annettens besitzt. Hier kaufte sie den Ehe­ring, hier bekam sie den Titel: Madame und damit im Zusammenhang einen leichteren Dienst. Sie ist jetzt gewissermaßen die rechte Hand der Wirtschafterin, hat nur fünf, fech Zimmer zu besorgen und die Mädchen zweier Stockwerke zu beaufrichtigen. Sie tränt nicht mehr ein blaues Kleid, sondern ein schwarzes

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