Freihei
Nr. 145 2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Mittwoch, den 27. Juni 1934 Chefredakteur: M. Braun
Saarbrücken steht unter dem Eindruck eines gewaltigen Aufmarsches der Freiheitsfront. Spontan waren auch tausende Kommunisten herbeigeeilt. Die Massen der beiden Arbeiterparteien marschierten vereint. Gemeinsam werden sie kämpfen. Das Saargebiet wird Hitler schlagen!
Freiheit!
Sturmruf von der Kanzel Gestern und fieute
Der Trierer Bischof Bornewasser trägt die Fahne- Das Erwachen der Katholiken an der Saar
In Berlin haben die Verhandlungen zwischen den Bischöfen Gröber Freiburg, Dr. Bares Berlin, Dr. Berning Osnabrück mit den Beauftragten der Hitlerregierung begonnen. Es handelt sich um die Auslegung des im Sommer vorigen Jahres abgeschlossenen Konkordats, um das fortdauernd die heftigsten Auseinandersehungen zwischen Ratholizismus und Nationalsozialismus entbrennen. Die Hitlerdelegierten sind Dr. Ley und Baldur v. Schirach. Daraus ist zu erkennen, welche Fragen im Vordergrunde der Auseinandersetzungen stehen: die Aufnahme der katholischen Arbeitervereinler in die„ Deutsche Arbeitsfront " und die Beziehungen zwischen Hitlerjugend und fatholischen Jugendverbänden.
Der erste Tag der Verhandlungen hat feinerlei Annähes rungen gebracht. Im Gegenteil. Von beiden Seiten wird versucht, die Auseinandersetzungen unter Drud zu setzen. Die Nationalsozialisten beuten nach wie vor die Ermordung des Gutsinspektors Elsholz in ungeheuerlicher Weise gegen den Katholizismus aus, während auf der anderen Seite die deutschen Bischöfe angriffslustiger sind als je und teilweise auch die katholischen Zeitungen zur Teilnahme an diesem Kampfe zwingen.
Mit der Sturmfahne
Am schärfsten sind die Kämpfe augenblicklich in der Diözese Trier . Hier hat ein nationalsozialistischer Propagandafeldzug unter der katholischen Jugend eingesetzt, der den Bischof Bornewasser von Trier zu einem feierlichen Protest veranlaßt hat. In nationalsozialistischen Flugblättern,
gerichtet an die fatholische Jugend, wurde den fatholischen Jungens und fatholischen Mädels vorgeworfen, daß sie das Werf des Führers sabotieren. Daraufhin veranlaßte Bischof
Bornewasser , daß am Sonntag von allen Kanzeln Triers eine Verwahrung verlesen wurde, in der die Rede ist von " Methoden, die nichts anders find als ein von Natur und Gottesrecht verbotener Druck auf das religiöse Gewissen so vieler Beamten, Eltern und Kinder". Niemand habe, so heißt es zum Schluß, das Recht, fatholische Jugend zum Verlassen fatholischer Verbände zu nötigen.
am
Noch schärfer ist eine Erklärung der gesamten Trierer Pfarrgeistlichkeit, die gleichfalls Sonntag von den Kanzeln verlesen wurde.
Die Geistlichkeit weist auf ein nationalsozialistisches Spruchband hin, worin es heißt, daß jeder, der die Hitlerjugend oder den Bund Deutscher Mädel fliehe, für den nationalsozialistischen Staat wertlos" sei. Den Schulkindern werde angedroht, daß fünftig nur noch Angehörige der Hitlerjugend in die Betriebe eingestellt würden, und den Eltern drohe man, daß sie Beruf und Stellung aufs Spiel sezten, wenn sie ihre Kinder nicht ins Jungvolf schickten.
Deutschen Führerbrief" vont 30. Mai heißt, die Saarentscheidung nicht zum Nachteile Hitlerdeutschlands zu belaften.
Es ist aber die Frage, ob derartige taktische Winkelzüge auf die Katholiken an der Saar noch Eindruck machen. Es geht durch ihre Reihen ein großes Erwachen. Es ist ihnen allmählich flar geworden, daß eine vorübergehende Verstän= digung die Katholiken an der Saar in Kürze um nichts besser stellen würde als diejenigen im Reiche.
Selbst die Saarbrücker „ Landeszeitung", das Blatt der gleichgeschalteten Katholiken an der Saar , wagt es neuerdings täglich ganze Spalten über den deutschen Religionsfampf zu veröffentlichen und mit fritischer Schärfe dazu Stellung zu nehmen. Das geschieht, um sich feine Schwierigkeiten mit dem Besitzer der Aftienmehrheit zu bereiten, in den verschiedensten Masfierungen. Angriffsgegenstand ist dabei die von der Führerschaft amtlich beschützte„ Deutsche GlaubensLewegung". Es wird darauf hingewiesen, daß Professor Hauer, der gewählte Führer der Deutschen Glaubensbewegung", jüngst in Dresden gesagt hat, daß die Frage, ob es einen persönlichen oder unpersönlichen Gott gebe, eine reine Theologenfrage sei. Es gebe nur einen Führer, den religiösen Urwillen des deutschen Volkes. Im Deutschen Tertilarbeiter", einem der Blätter der Lenschen Arbeitsfront, hieß es jüngst:„ Es überläuft einen aufrechten Menschen ein gelindes Gruseln, wenn er an einer Kirche vorbeikommt und morgens um 6 Uhr die Gutgläubigen schon wie arme Sünder ins irchenportal eilen sieht. Der Weihrauch, der diese Menschen umfängt, benebelt ihre Sinne und lähmt ihre Gedanken."
Erzieherprovokation im katholischen Westen
Noch bunter treibt es die„ Nationalsozialistische Erzieherzeitung Rhein- Ruhr ", das amtliche Organ des NS. - Lehrerbundes für die Gaue Düsseldorf , Essen und Koblenz . Hier, mitten im katholischen Westen, heißt es wörtlich, laut Nr. 11:
Eine Zeit wird kommen, da wir Deutsche alle von einem Gottesglauben beseelt find, der nicht an orientalischen Worten hängt, die uns unverständlich bleiben. Wir Deutsche werden uns einer glücklicheren Weltanschauung zuwenden, ohne uns zu zerquälen bis zur Auferstehung."
Es ist dann in diesem amtlichen nationalsozialistischen Erzicherblatte von der„ göttlichen Kraft Luthers im Kampf gegen Rom " die Rede, aus der schließlich der Nationalsozialismus erwachsen sei..
Das sind nicht einmal Gipfelpunkte im neuen„ Kampf gegen Rom ". Der Felsen Petri wird von der politischen, weltanschaulichen, fulturellen und religiösen Seite her unaufhörlich berannt. Es gibt für den Nationalsozialismus hier faum noch ein Zurück, wenn er die von ihm selbst erweckten Kräfte nicht wieder von sich abstoßen will. Er braucht sie zur
Die Trierer Pfarrgeistlichkeit beruft sich auf die göttliche Machtbehauptung heute nötiger als je. und die firchliche Sendung und geht mit ihrem Angriff bis aur äußerst möglichen Grenze.
Was wir heute vor Euch erklären, ist unsere ernste Seel: forgepflicht. Es mag manchem vielleicht hart erscheinen; aber
wenn göttliche Rechte in der gröbsten Weise ver legt werden,
wenn das Königsrecht Chrifti auf die Jugend miẞachtet wird,
wenn die Sendung der Kirche für die Jugend sabotiert wird,
wenn die natürlichen Rechte der Familie auf das Kind mit Füßen getreten werden
dann stehen wir, unerschroden wie der Herold Jesu Chrifti, wie Johannes der Täufer, auf und erklären: „ Es ist Dir nicht erlaubt!"
Und die Kirche? Glauben ihre verantwortlichen Auto= ritäten immer noch, daß sie mit Hilfe altbewährter strate= gischer und taftischer Künste Brücken zu schlagen vermögen? Sie sollten sich besser auf den Kampf einrichten. Er ist der dynamischen Entwicklung des deutschen Nationalsozialismus und seiner sogenannten Weltanschauung ganz unvermeidlich.
Der Mörder des polnischen Innenministers?
Eine Festnahme
Berlin , 26. Juni. Umfangreiche Fahndungsmaßnahmen der deutschen Grenzbehörden führten am 28. Juni 1984 früh gegen 6 Uhr zur Festnahme des polnischen Staatsangehörigen Eugen Skyba, Student der Chemie, geboren am 11. Mai 1908 in Lemberg , auf den die von den polnischen Behörden gegebene Personenbeschreibung des flüchtigen Mörders des polnischen Innenministers genau zutraf. Styba fam am genannten Tage mit einem Dampfer aus 3oppot nach Swinemünde , wo er von Beamten der Ge
deutung, weil sie eine Rückwirkung auf die Saarfrage beimen Staatspolizei unter den etwa 600 Ausflüglern er
haben. Das Saargebiet gehört zur Diözese Trier . Die Gefahren, die sich aus dem Konflift mit den kirchlichen Autoritäten für die Abstimmung ergeben fönnten, scheinen auch den deutschen Vertretern bei den Konkordatsverhandlungen nicht fremd zu sein. Man will der Kirche gegenüber zunächst ein gewisses Entgegenkommen zeigen, um, wie es in einem
mittelt und festgenommen werden konnte. Sfyba bestreitet zwar, der gesuchte Attentäter zu sein; nach der Sachlage fann er aber als überführt angesehen werden.
Der Festgenommene wurde noch am gleichen Tage mittels eines polnischen Sonderflugzeuges nach Warschau transportiert.
Ein ungewöhnliches Ereignis hat in Saarbrücken stattgefunden. Die Stadt sah eine antifaschistische Demonstration von solchem Ausmaß und solch innerer Kraft, daß man sie nur mit den großen deutschen Arbeiterkundgebungen nach der Ermordung Rathenaus vergleichen kann.
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Der Anlaß war klein, fast unbedeutend. 150 Arbeiterjungens waren zu einem Sportfest ihrer belgischen Kameraden nach Löwen gefahren. Am Montagabend kamen sie zurück; man beschloß, sie festlich am Bahnhof abzuholen. Ein paar kleine Notizen in der Volksstimme", sonst nur Durchsagen von Mund zu Mund das waren die ganzen Vorbereitungen. kein tagelanges Trommeln, kein Hämmern in Aufrufen und Zeitungsartikeln nichts als die schlichte mündliche Parole: Alles ist da!
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Keine Propaganda,
Und es war alles da!
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Alles ob Sozialdemokraten oder Kommunisten. Parteien wollen für sich werben. Das liegt in ihrer Natur. An diesem Montagabend dachte von den marschierenden Zehntausend niemand an dergleichen. Sie marschierten gegen Hitler , sie marschierten in Einheitsfront, sie marschierten für den Sozialismus.
Der Bahnhofsplats war schwarz von Menschen. An den Rändern gab es auch Gegner. Aber als der Zug sich in Bewegung setzte, da sah man: es waren keine Spaliere von Neugierigen und Schlachtenbummlern. Sobald das Zugende vorbei, strömte es von den Gehsteigen in die Fahrbahn. Im Strudel riß der Zug alles von den Rändern her mit. Er wuchs im Marschieren, er marschierte wachsend, endlos wachsend. Und darüber flatterten die roten Fahnen, die Kapellen spielten, und die marschierenden Massen sangen ,, Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" und die Internationale".
Im Arbeiterviertel von St. Arnual sahen wir eine alte Frau, daneben ihr Enkelkind. Tränen standen der alten Frau in den Augen, und immer mußte der Enkel ihr helfen, den schwachen Arm in die Höhe zu heben. Mit erhobenen Fäusten marschierten die Arbeiter an der alten Frau vorbei, dreiviertel Stunde lang. Und dreiviertel Stunde lang stand das Mütterchen tapfer da, und der Enkel hob ihren Arm.
Und so standen sie zu Tausenden auf den Trottoiren; junge Burschen mit Fahrrädern und grauhaarige Männer, Mädels und Frauen und riefen Freiheit" und ,, Rot Front ", und wenn der Zug vorbei war, schlossen sie sich an.
Zehntausend Menschen sind nach übereinstimmender Zählung verschiedener Beobachter marschiert. Und es fehlte noch ein wahrscheinlich beträchtliches Kontingent: die Arbeiter, die noch Schicht hatten, und diejenigen, die aus Angst um ihren Arbeitsplatz nicht wagen durften, zu kommen. Eine Abteilung städtischer Arbeiter begegnete dem Zug; sie hielten die geballte Faust gesenkt und riefen:„ Wenn wir nur mitdürften!"
Es war keine fabrizierte" Demonstration. Es waren nicht auf Lastwagen oder Fahrrädern Hilfstruppen von auswärts herbeigeschafft worden. Es war überhaupt nicht organisiert worden; man könnte eher sagen, daß alles zu sehr improvisiert war. Aber nun, da der Erfolg da ist, beweist erst der Mangel an Vorbereitung die Großartigkeit und die politische Bedeutung dieser Kundgebung. Saarbrücken hat 130 000 Einwohner. In der Vier- Millionen- Stadt Berlin marschierten bei solchen Anlässen durchschnittlich je 100 000 Menschen. Ber lin ist dreißigmal so groß wie Saarbrücken . Das gibt ein Maßstab. Die Demonstration vom Montagabend verdient es, ein politisches Ereignis von ungewöhnlicher Tragweite genannt zu werden.
Erstens weil die Kraft der Saarbrücker Antifaschisten sich als überraschend groß erwiesen hat; weil unwiderleglich der Beweis geführt wurde, daß das Bild der fahnengeschmückten Straßen dieser terrorisierten Stadt trügt. Eine Frau rief zuschauenden Nazis höhnisch zu:„, Hier marschieren unsere drei Prozent!"
Zweitens, weil an diesem Abend die Arbeiter über ihre Parteispaltung hinweg brüderlich zusammen marschiert sind. ,, Freiheit... Rot Front ... Rot Front ... Freiheit!" so scholl es den ganzen Zug entlang, scholl es den Zuschauern entgegen, scholl es zurück. Der Sozialdemokrat marschierte buchstäblich Schulter an Schulter mit den Kommunisten; es gab Glieder, in deren der eine Flügelmann Freiheit", der andere ,, Rot Front " rief. Und alle fühlten es: sie hatten über ihren Bruderzwist hinweg doch nur das eine gemeinsame Ziel, den einen heißen Willen, die eine große Sehnsucht: den Sozialismus. Was verschlug es ihnen in dieser Stunde, ob sie die Faust halb oder ganz in die Höhe hoben?
Ein Gegner, eine Front, ein Ziel: diese Arbeiterschaft wird nicht nur Hitler schlagen, sondern die Welt gewinnen.