1197
Eifersucht.
--3
knäuel an jeder Straßenecke, rote Fahnen, Versammlungen, Demonstrationen.
dich lächerlich machst. Nichts ist lächerlicher als berühmt zu werden oder sich das Ideal seiner Träume zu erringen. Jedenfalls befindet er Er: Du brauchst das nicht zu fürchten. sich in einer Stimmung, in der er zu gefähr Die Masse hat die Stadt in Besitz genom Das Gespräch mit Edwin ist schon über- lichen Abenteuern bereit ist und in der er deſto men. Die Stadt schien auf einmal doppelt so flitffig leichter Schiffbruch erleiden kann. Auch Frauen, viel Bewohner zu zählen wie sonst. Auch zu Sie: Das ist wirklich flug. Ich wußte die in die 40er Jahre eingetreten sind, su- Kriegsbeginn hatte Berlin , Wien ein ähn ja... wirklich, ich weiß, daß du flug bist, chen noch etwas vom Leben zu haben". Es liches Bild geboten: die verlassenen Häuser, viel, viel klüger als ich, aber weißt du, es ist so natürlich, daß man ein legies Glüd" die von Menschen überfluteten Straßen. Wie macht mir Spaß, deine Klugheit auf die Probe begehrt, bevor das Alter kommt. Dieſe 45er der war es so, und doch ganz anders. Die zu stellen, so mit leinen harmlosen Lügen. leben in der dunklen Erwartung, daß irgendein Gebundenheit fehlte, die beinahe sichtbare Aber du bist mir noch immer dahintergekom- großes Abenteuer, irgendeine fabelhafte Sen- Kette, welche die Masse zügelte. Damals war men. Ich bin stolz auf dich! Du, weißt du, fation hinter der nächsten Ecke auf sie lauert. die Masse„ Volk“ gewesen, das ausnahms. was die Modefarbe wird, die ausgesprochene Und wenn sie dann um die Ede herumgegan- weise in Vordergrund agieren durfte, streng Modefarbe: Blan! Was fagst du dazu? gen sind und nichts finden, dann pact sie die nach den Weisungen der Regie natürlich. Und Hoffnungslosigkeit, die Enttäuschung. Frauen nun war die stets so gefügige Statisterie in diesem Alter besuchen eifrig die Schönheits- Hauptakteur und spielte sich selbst, ihr eigenes, salons, faufen sich einen neuen Hut, oder eine unverständliches Leben. Das war neu. Sehr extravagante Toilette und überlegen sich, wie interessant, stellte Anita feſt. Höchſt beunrusie noch einmal die alte Anziehungskraft aus- higend, erklärte die Tante und drängte auf üben können. Aber anstatt anzuziehen, erregen Heimreise nach Berlin . sie Spott, und man macht sich über sie lustig.
Das gefährlichste Alter? C. K. Welches ist das gefährlichste Alter im Leben, in dem man die meisten Dumm heiten macht? Gewöhnlich hält man dafür die Jugend mit ihren„ holden Eseleien", aber die englische Dichterin Ursula Bloom hält das für einen schweren Irrtum.„ Nach meiner Meinung", schreibt sie,„ muß man sich am meisten in acht nehmen und hat die größten Gefahren zu befürchten, wenn man 45 ist.“
Ein Mann wacht auf mit der Erkenntnis, daß er 45 Jahre alt ist, und ihm kommt zum Bewußtsein, daß er irgend etwas in seinem Leben nicht erreicht hat, etwas, das er unbedingt hätte haben wollen. Jede Romantif ist aus seinem Dasein gewichen. Seine Frau ist ihm zum„ bequemen" Lebensgefährten geworden; sie hat es längst aufgegeben, in ihm besondere Liebesgefühle zu erwecken; die Kinder find herangewachsen und nennen ihn alter Herr". Nun ist er 45; es ist das Alter der legten Gelegenheit. Ihn ergreift die Banik vor dem Torschluß": er muß noch etwas unternehmen! Mag es sich dabei um Liebe handeln oder um gesellschaftlichen oder um geschäftlichen Erfolg. Mag er noch einmal eine lezte Anstrengung unternehmen, reich oder
Wenn die Jugend irrt und Dummheiten macht, dann ist das nicht weiter schlimm, denn es ist ihr gutes Recht. Niemand nimmt ihre Tollheiten ernst, und jeder ist geneigt, sie zu verzeihen. Auch in den 20er und 30er Jahren sind solche Entgleisungen auf dem Lebenswege noch nicht so schlimm. Alles renkt sich noch ein. Die Ehefrije kann noch zu einem guten Ende gebracht werden, und man erholt sich wieder von einem finanziellen Zusammenbruch. Aber hat man erst die 40er erreicht, dann hat alles ein anderes Gesicht. Man weiß, daß man die lezzte Karte im Spiel des Lebens himvirft, und wenn man verliert, dann ist man für immer entmutigt, fügt sich mit trüber Entsagung in das Unvermeidliche. Von den klugen Alten, die ich kenne, hat keiner die Dummheiten seiner Sugend oder die Irrtümer der 30er Jahre bedauert, aber alle schütteln ihren Kopf über das, was sie in den 40er Jahren angestellt haben. Deshalb halte ich die 45 für das gefährlichste Alter"
Der Tanz ins Dunkel.
Unter tragischen Umständen ist die Treppen der Matthiaskirche, hens Häusereinst von der Lebewelt aller Großstädte gewirr, das sich zur Donau hinabzog, den Europas und darüber hinaus gefeierte mächtigen Fluß, über den sich wie ein lockeres Tänzerin Anita Berber zugrunde und kunstvoll geknüpftes Seil die Kettengegangen. Sie war die Tänzerin der Le- brücke spannte. Boote ſchoſſen vorüber, herbensgier, ein Produkt der Nachkriegszeit, über, Dampfer mit großen Rädern schaufel einer Zeit, die bis ins Mark faul und ten sich mühsam einen Weg durch das Wasser, frank war. Dieser Frau, die exzentrisch das hier unter einem grauen Himmel so und lebenshungrig wie die Menschen vor schwer und träge vorbeisirömte wie flüssiger denen sie tanzte, hat Leo Lania ein Stahl. Der Blick über die Donau , die Hügel Buch gewidmet(„ Der Tanz ins entlang, gab ein berauschendes Gefühl der Dunkel", Verlag Albert Schultz, Ber- Weite. Man konnte die Augen halb schließen lin), das die Erinnerung an die Tage und fühlte sich leicht und körperlos werden, des Krieges, des Hungers, all des dam eins mit dem Strom, den Wolken, dem Wasser, mers, durch das die Menschheit hindurch dem Himmel. Das war Musik. Nur hier war gehen mußte, wieder aufleben läßt und Musik. mitten in diese Zeit stellt er die Gestalt dieser Tänzerin als ein Symbol dieser Epoche. Leo Lania hat hier ein Stück jüngster Bergangenheit und den Lebens ablauf Anita Berbers zu einem Roman geformt, der ein Zeitdokument und ein Stunstwerk ist. Mit Erlaubnis des Verlages veröffentlichen wir nachstehend einen kleinen Abschnitt aus dem intereſſanten Werk, der uns nach Budapest in die Tage nach Ausbruch der November- Revo lution versest:
Von ihrem Zimmer im Hotel„ Hungaria" sah Anita den Blogberg gerade gegenüber, rechts davon die Kuppeln und Türme der Königsburg, das Rankenwerk der Stiegen und
Anita tanzte im„ Orpheum", hatte großen Erfolg, wurde gefeiert, bejubelt, bewundert. Gesellschaften, Einladungen, hohe Gage Anita Berber war arriviert.
Anita lachte sie aus. Sie trieb sich zum Entseßen der Tante den ganzen Tag auf den Straßen herum, mischte sich in kostbarem Belz und Seidenhandschuhen unter die schlechtgeklei deten, schlechtgenährten, verwahrloften und blassen Menschen. Alle haben denselben dro henden Zug um den Mund, alle haben schwielige Fäuste und gesprungene schwarze Finger nägel, alle haben Hunger und leine Ideale, alle schreien nach Brot und singen die Mar seillaise.
Die Marjaillaise ist ein schönes Lied. Anita fingt mit. Man winkt ihr zu, man lacht, zwei junge Arbeiter fassen sie unter den Armen, so ziehen sie über die Andrassy- Straße. In Reih und Glied.
Vor der Oper stockt der Zug. Bolizei sperrte die Straße, Helme blinien, auf einmal war man zwischen die Beine wildschnaubender Pferde geraten, Menschen fielen zu Boden, irgendwo splitterte Glas, irgendwo flatschte eine Kugel, dann das Tacken von Maschinengewehren wie das Geplärr einer Kinderfnarre flingt es. Im Tumult der wilden Flucht ist das Anitas einziger Gedanke.
Jemand reißt sie zur Seite, in ein Haustor hinein, das Tor fälle zu. Anita, kaum verwundert, Kisdobrony vor sich zu sehen.
Von der Straße hörte man Pferdegetrappel, Jammer und Schreien von Stürzenden und Verwundeten.
„ Eine Gemeinheit“, erregt sich Anita, „ Diese Hunde von Polizisten!" Sie ist auf einmal Revolutionärin geworden, ihre Augen flammen, sie zittert am ganzen Leib.„ Ich will hinaus! Laffen Sie mich sofort hinaus!" Als Risdobrony zögert, sie vor den Gefahren warnt, öffnet sie selbst das Tor, es bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Die Straße ist jetzt leer. Verlorene Hüte, zerbrochene Stöcke liegen herum. Es ist ganz still.
Als sie um die Ecke biegen, Anita immer zwei Schritte voraus, hören sie ein wehes Wimmern. An der Mauer liegt ein junger Mensch, wachsgelb das Gesicht, der ganze Rod ist blutbeschmiert, eine kleine Lache Blut steht auf dem Trottoir; und dieses Blut ist dick, schwärzlich, gränschillernd.
Anita Berber verlor sich wie Millionen junger Menschen dieser Generation an flüch- Um Anita beginnt alles zu freisen. Kistige Stimmungen, starke Reize, groteske i dobrony kann sie gerade noch in den Armen dersprüche, an Rauich, Farbe, Bewegung dieser auffangen. ,, Sch will nach Hause! Bringen Sie Tage. Sie sind wie ein kurzer Tag. Und die mich nach Hause!", jammert sie und iſt auf Nächte fallen wie schmukige, zerrissene Feßen einmal ein verlorenes Kind, das Furcht hat. vom Himmel, die den wachen Lärm und die Im Hotel beim Nachtmahl. Kisdobronh fiebrige Haſt des Tages nicht zu dämpfen ver mögen. Wild geht der Pulsschlag der Stadt. Sie findet nicht Riche noch Schlaf. Denn viele Legionen von Rasten laufen die Gerüchte durch alle Straßen in alle Häufer. Menschen- Stunde:
hat fine sprühende Laune zurückgewonnen, erzählte von Bekannten und Freunden, dekre tierte, vie sich die weitere politische Entwid lung tollziehen müsse, verriet das Gebot der