Am Abend hielt mich das Schicksal wenigstens einigermaßen schadlos, indem es mir in einem Schusterladen ein paar Halbschuhe in die Hand drückte, die mir auf den Millimeter paßten. Wie angemessen, trotz aller Schrunden und Wunden. Nun konnte ich wenigstens wieder gehen und die LarSstraße beschlagen, ohne Angst vor jedem spitzen Stein haben zu müssen. Doch beinahe wär« ich wegen dieser Sclbschilfe im Asyl verschütt gegangen. Nur rin gnädiger Zufäll bewahrte mich da vor einem halben Jahr Loch oder noch Schlimm merem. Das wäre verflucht teures Leder ge- Wesen!•
Bon der Gesundheit. Allerhand Kuriosa. Der bekannte Schädellehrrr Gall besuchte eine- Tages ein Irrenhaus. Einer der Narren führte ihn umher'und sprach fortwährend sehr verständig. Gall befühlte ihm daher den Kopf und sagte:„Hier finde ich keine Spur von Wahnsinn. Wie kamen Sie ins Tollhaus, da Sie nicht das Organ der Tollheit besitzen, ja nicht einmal närrisch sprechen?"„DaS will ich meinen", versetzte der Narr, ,chaß Sie an dem Kopse, der auf meinen Schultern sitzt, kein Organ der Tollheit finden können, Sie müssen aber wissen, eS ist nicht der meinige, er wurde mir nur aufgesetzt, als ich während der Revolution geköpft wurde." Während sich der zu Anfang vorigen Jahr- hunderts berühmte Humorist Saphir einmal in München aufhielt, wurde er lebensgefährlich krank. König Ludwig sandte ihm seinen Leib- arzt. Saphir jedoch ließ den Doktor gar nicht vor, und wies all« seine Verordnungen zurück. Als Saphir wieder gesund geworden war, traf König Ludwig den Genesenen auf der Straße, eilte auf ihn zu und fragte in seiner hastigen,
aber dabei gemütlichen Redeweise-„Sophir, Saphir, warum haben Sie meinen Leibarzt während Ihrer Krankheit nicht angenommen?" Saphir erwidert«:„Der Arzt, Eurer Majestät, ist nur für Unsterbliche!" In früheren Jahren gehörte« die Militärärzte nicht dem Offizierskorps an, mußten im Gegensatz zu den Herrn Leutnants, Litzen statt der Stern« am HalSkragen tragen, und durften kein Portepee am Säbel befestigen. Die Militärärzte beschwerten sich darüber beim Feld- marschall Radetzky , und dieser machte sie den Offizieren vollkommen gleich. Darüber zur Rede gestellt, entgegnet« der General-„Ich kann aus dem schlechtesten Arzt den besten Offizier, aber aus dem besten Offizier nicht einmal den schlechtesten Arzt machen!" Der berühmt« Forscher Pasteur war einmal zum Esten geladen. Als Nachtisch gab eS Kirschen. Pasteur ergriff jede einzelne Kirsch« am Stil, spülte sie in einem GlaS Master ab, und erst dann ah er sie. Sein Gastgeber lächelte darüber.„Dar ist durchaus nicht zum Lachen", sagte Pasteur ,„an jeder Kirsche fitzen Tau- sende von kleinen Lebewesen, dir den Tod bringen können. Deshalb ist eS ratsam, jede Kirsch« vor dem Genuß abzuspAen." Bei diesen Worten ergriff er zerstreut daS Glas voll schmutzigen WasterS und trank es auf einen Zug auS... Ludwig XIV. hörte ungern von Krankheit und Tod reden, wenn ek sich auf seine Person bezog. Dagegen machte es ihm rin teuflisches Vergnügen, ander« auf ihr nahes Ende hinzuweisen. So traf er eines Tages«inen Herrn seiner Umgebung, der, nicht ckehr ganz jung, eine schwere Krankheit knapp überstanden hatte, und begrüßte ihn mit den teilnehmenden War- trn:„Nun, mein Lieber, Sie sehen ja recht alt und schwach aus. Haben Sie schon Ihr« Grabstätte bestimmt?"„Gewiß", gab der Höfling schlagfertig zur Antwort,„zu Füßen<.ur«r Majestät!"
aus den» Lande Nrernaks. Von Rax Barthel.
Wunschdorf liegt viele Meilen hinter dem Lande Niemals. Im Lande Niemals wohnen die kleinen Bauern, die jungen Dichter, die alten Schauspieler, die armen Kinder, die alten Jungfern, di« Straßenkehrer, die Arbeiter und Angestellten. Rur ganz selten scheint! dort die Sonn«. Die Blumen und Felder verhageln oft und in den Früchten sitzen die Würmer. Die Kontoristin Hella wußte dar aller sehr gut, sie wohnte ja selbst in dem mit Unheil geschlagenen Lande. Aber heute hatte sie sich ausgemacht, wenn auch nur im Traum, und war auf dem Wege nach Wunschdorf. Der Regen goß. Trübe und unfreundlich war die Welt. Aber dann erhellte sich der Himmel. Di« Luft war von einer ungeheuren Milde und Süße wie niemals zuvor. Das Mädchen atmete tief und wußte nicht aus und ein. Sie stand plötzlich vor einer hohen Mauer, die durch ein goldenes Tor durchbrochen war. Hella streckte die Hand aus, und als sie daS Tor nur leicht berührte, da sprang es schon blitzschnell auf. Sie wagt« einen neuen Schritt und ging weiter. Und nun schrie sie auf. Jeder Mensch, auch der stummst«, hätte geschrien, denn hinter dem Tor zeigte sich ein Wunder, Oasen taten sich auf, blühende Gärten vergingen im Blütenschnee silberner Rar« ziffen und über hellen Gewässern, in deren Tiefe diele Fische spielten, pläffchertrn heitere Wasterkünstr. Dann sah das Mädchen weit
verzweigte Hallen, schön wie das Astwerk goldgrüner Buchenwälder Biele Vögel flogen durch die Landschaft und schienen in ihren Schnäbeln die Fäden einer großen Harmonie zu tragen, in der: sich der ganze Park bewegte. Bei dem Anblick der Gärten, Halle « und Gewässer stieg im Herzen der kleinen Kontoristin ein Märchenwunsch auf. „Ach", dachte sie,„wir schön ist doch dir Welt. Und hier zwischen den Blumen und Vögeln müßte auch der- Mensch sein schönstes Kleid tragen. Ein Kleid möchte ich haben, himmelbau mit silbernem Pelzbesatz." Sie hatte kaum diesen Wunsch zu Ende gedacht, da fiel das himmelblaue Kleid wie «ine Wolke auf sie herab. Da erschrak das Mädchen, dann lachte sie und lief nach den Wastrrspirgeln, um sich darin zu bewundern. Sir war noch eitler als der Pfau, der auf dem Brunnenrande saß und schreiend nach den Rarzistenfeldern floh. „Wer so fliegen könnte", dachte Hella. Nun begann«in fernes Sausen. Zuerst klang es wir klirrendes Glas und Herzschlag der Windes, und als dar Mädchen aufblickte, sah sie eine Flugmaschin«, die-sich langsam herniedersenkte. Ihr zweiter Wunsch war erfüllt! WaS war daS für ein Land! Und da bestieg sie herzklopfend daS Flugzeug, der Propeller kreiselte, der Motor summte und dann begann der Start und der Aufftieg nach der Höhe. Und dort oben nun war kein Vogellied mehr, kein Staub und Geschrei, nur Licht
und Raum und Atmen des Weltalls. Wunschdorf ertrank und versank in seiner Fülle«ich war wie dar Feuer eines großen Diamanten im fahlen Grau seiner Fassung. Di« fahle Fastung war das Land: Niemals. DaS sah' und erkannte das Mädchen von seiner Höhe ganz genau. Da mußt« der Mensch im großen Raum noch einmal schreien. Er schrie nicht ans. Angst, nein, er schrie auS Weltbegeisterungk Und dieser Schrei war Wunsch und neuer Befehl: das Flugzeug senkt« sich und fiel auf di« Erde niwer. Hella ging weiter. Und nun dachte sie und wußte nicht warum, an schöne Musik. Plötzlich wehte ein Wind. Aus sternenvollen Bezirken kam er her, vom Rande der Ewigkeit, und in diesem verzauberten Hauche rührten sich alle Blumen und Gräser- Bon den Feldern und auS den Gärten stieg nun Musik empor, Geigenmusik, Harfenmusik, Orgelmustk, in vollen Einzelstimmen und brau, senden Chören. Lange lauschte die kleine Hella, und neue Wünsche überfielen ihr Herz. Jeder Wunsch aber, der aus ihrem Herzen kam, wurde erfüllt! Da trieb sie daS liebliche Spiel so, lange, bis ihr vor der drängenden Füll« grauste! WaS war daS für ein Traum! WaS war daS für eine Mit! Mitten im staunen- den Glück aber entsetzte sie sich. „Ihr Blumen und Gräser", begann sie z« rufen,„ihr Bäume und Springbrunnen, und vor allem du unsichtbarer Geist, der hier geht und weht, o sagt, warum werden heute alle meine Wünsche erfüllt? Als ich früher hungerte, wer hat mich gespeist, als ich früher weinte, wer hat meine Tränen getrocknet?, Warum müsien im Lande Ri«mals alle Wünsch« sterben? Antwort, Antwort will ich haben, gebt mir endlich Antwort!" Es kam keine Antwort. Dir Wasser der vielen Brunnen standen unbeweglich in der Lust, an den Bäumen rührte sich kein Blatt/ dir Wirsen wogten nicht mehr auf und ab, der Dust der Blumen erfüllte nicht mehr den ganzen Park, er blieb wie ein« Honigwolke nur über den Blumen stehen. Jene große Stille war da, m der man das eigene Herz schlagen hört. Und als di« Fragende das eigen« Herz schlagen hörte, da kam auch dir Antwort. „Mädchen auS dem Lande Niemals," schrie rin« Stimme,„erzähle deinen Brüdern und Schwestern von diesem Paradies. Alles, WaS du hier siehst, kam auS der Bitternis der Armut, auS dem Jammer eures Daseins! Weil euer Leben jo häßlich ist, find hier alle Ding« so schön! Weil ihr viel weinen müßt, darum springt hier das Gelächter! Aus der Sehn- sucht eures Blutes stieg die Musik, die du hörtest. Und hier in Wunschdorf sammeln sich alle Wünsche aus eurem 8«nb. Hier wurden die Wünsche lebendig, wie sie auch bei euch im Lande Niemals lebendig werden können, wenn ihr nur darum kämpft! Dann flogst du selbst empor und sahst rin Bild der Welt. Und doch flogst du nur zu jener Höhe, die einmal die Höh« sein wird für alle Mensche» aus dem Lande Niemals. Ja, einmal wird euer Land„Immer" heißen und ,Licht" und„Wohlgefallen" Und„Ewigkeit!", Sage eS deinen Brüdern und Schwestern!" Die Stimm« verrollte und entschwand wie ein gosi>ener Ball über den fernen Wiesen. Hella erwachte aus ihrer Verzückung. Sie mußte nun zu ihren Brüdern und Schwestern znriick. Als sie die Füße hob. in waren sie schwer wie Blei. Sie konnte sie nicht mehr bewege». Da befahl ihr Herz aber: ,Lhr müßt!", nud da gehorchten dir Füße. Wie ein Bogel die Flügel entfaltete, so entfaltet« daS