Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 21°

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Beilage zur Gleichheit oooo

Inhaltsverzeichnis: Das Korsett und die Frauenkleidung. Von Felix Linte. Für die Hausfrau. Feuilleton: Hamza und Hanifa. Von Gustaf Janson.

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Das Korsett und die Frauenkleidung.

Als uns der Lehrer in der Schule von den chinesischen Frauen erzählte, die ganz kleine Füße für eine besondere Schönheit hielten und ihre Füße sogar durch Zwangsmittel verkrüppelten und am Wachstum hinderten, haben wir Jungens über die Dummheit der Chinesinnen furchtbar gelacht. Wir verstanden nicht, wie jemand so unvernünftig sein kann, seine gesunden Glieder zu verkrüppeln nur um eines vermeintlichen Schönheitsideals willen. In der Tat, betrachtet man die Sache vom gesundheitlichen und physiologischen Standpunkt aus, so kommt man zu der überzeugung, daß es ein linsinn sondergleichen ist, gerade diejenigen Gliedmaßen so schlecht zu behandeln, die so ziemlich die größte mechanische Leistung des Körpers zu vollbringen haben. Müssen doch die Füße das ganze Gewicht des Körpers stundenlang ununterbrochen tragen und für seine Bewegung und Fortbewegung sorgen. Man sollte meinen, daß man diesen überaus wichtigen Organen sogar eine ganz besondere Pflege angedeihen lassen müßte. Leider geschieht das durchaus nicht. Gerade die Füße werden von den Menschen allgemein sehr vernachlässigt, wie die vielen Fuß- und Beinleiden zeigen, von denen die Menschheit. geplagt wird, und man braucht nicht nach China zu gehen, um scheußlich verunstaltete Füße zu sehen. Von meinen Mitschülern sind sicherlich die meisten in das Leben hinein­gewachsen, ohne für sich die Lehre fruchtbar zu machen, die ihnen damals geboten wurde. Auch der Herr Oberlehrer, der selbst so weidlich mit seinen Schülern lachte, hat daraus nicht die so nahe­liegende Folgerung gezogen. Ich erinnere mich nämlich genau, wie der gute Mann in dem kleinen schlesischen Städtchen, in dem ich damals zur Schule ging, mit seiner festgeschnürten jungen Frau herumspazierte.

Fest geschnürt! Das ist es. Wir lachen über die Dumm­heit der Chinesinnen, die bloß ihre Füße verkrüppeln, und dulden die blöde Eitelkeit unserer Frauen, die ihren Rumpf verkrüppeln. Denn nichts anderes tun sie, wenn sie sich das Folterwerkzeug des Korsetts um den Leib schnüren. Ich kenne die von der Natur nicht schlecht bedachte Tochter eines wohlhabenden Landarztes, die sich unter Beihilfe ihrer Mutter das Korsett so fest preßt, daß sie des öfteren ohn= mächtig wird. Damit sie wieder zu sich kommt, gibt ihr dann der Vater ein Pülverchen zu schlucken, statt die Ursache zu beseitigen: das entseßliche Schnüren. Wenn das am grünen Holze geschieht, was kann man da von denjenigen verlangen, die nicht die ana­tomischen und medizinischen Kenntnisse besitzen, über die ein Arzt verfügt? Die Frage des Korsetts in ihrem ganzen Umfang ist vor einiger Zeit in einem wertvollen Buche behandelt worden, das bei Eugen Diederichs in Jena erschienen ist:" Die Kulturdes weiblichen Körpers als Grundlage der Frauen= kleidung". Sein Verfasser, ein Künstler, Professor Paul Schulze - Naumburg, legt darin an der Hand von über 100 Bildern die Unsinnigkeit unserer modernen Frauenkleidung dar und beweist, daß sie nach dem anatomischen Bau des Frauen­förpers nicht so sein darf, wie sie ist. Das ganze Buch ist eine ein­zige große Anklage gegen den Rockbund und vornehmlich gegen das Korsett, das nicht bloß die Körper der Frauen berbildet und ver= unstaltet, sondern auch gesundheitlich schwer schädigt. Wir wollen dem Verfasser bei seinen Darlegungen folgen.

Schulze- Naumburg zeigt zunächst, daß der männliche und der weibliche Körper im Aufbau der Knochen und Muskeln nur wenig Unterschiede aufweist. Die Umrißlinien des Oberkörpers von den Achseln bis zu den Hüften verlaufen in weicher Wellenlinie, im großen und ganzen aber parallel, und zwar in fast gleicher Weise beim männlichen wie beim weiblichen Körper. An dem Knochen­gerüst eines unverbildeten männlichen und weiblichen( 1. Bild) Körpers läßt sich das im einzelnen sehr genau verfolgen. Die Bedeckung des Knochengerüstes mit Muskeln und Haut( 2. Bild) ergibt eine Körperform, die ihre schmalste Stelle durchaus nicht dort hat, wo nach der landläufigen Vorstellung die Taille" sitt, sondern höher. Sehen wir uns dagegen an, wie im allgemeinen eine Frauengestalt auf der Straße aussieht. Unser 3. Bild zeigt

1913

uns das. Zeichnen wir die Konturen nach, so bekommen wir das Schema Bild 4. Die starke Linie gibt den Umriß der Frau an, während die punktierte Linie zeigt, wie sie aussehen würde, wenn ihr Körper unverbildet wäre. Die allgemeine rohe Vorstellung von der Form des Frauenoberkörpers entspricht einem auf die Spitze gestellten stumpfen Kegel, der dort auf den Hüften" auffißt, wo die Darmbeinschaufeln J( 1. Bild) sind, die dann weit vorspringen. Von den Hüften aus aber verengt sich die Umrißlinie nach unten

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S.S.A

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1. Bild. Knochengerüst

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2. Bild. Mustelbedeckung des unverbildeten weiblichen Körpers. wieder. Unser Bild von dem wahren Frauenkörper dagegen zeigt, daß die weiteste Stelle der Umrißlinien über dem Rollhügel R der Oberschenkelknochen liegt und nicht über einem Beckenknochen, daß also die Darmbeinschaufeln J nicht der weitest vorspringende Punkt des Körpers sind. Die Verbildung der Hüftpartie wird nicht

allein durch die Einschnürung der Taille hervorgerufen, sondern auch durch die Herabdrückung des Rollhügels R, die noch bewirkt, daß die Oberschenkel innen auseinanderklaffen. Beim Manne aber wie beim Weibe berühren sich die nor­malen schönen Beine in der Länge des Oberschenkels. Wo trop des Korsetts die Beine einer Frau geschlossen blei­ben, tritt als Folge des Schnürens der Taille die X- Beinigkeit auf, eine Bein­form, die leichtes, kraftvolles Gehen hindert. Die breite Hüfte" der Frau

3. Bild. Straßenübliche Frauengestalt.

4. Bild. Die durch die Schnürung verur fachte Körpergeftalt unter der Kleidung.

ist also eine ganz unnatürliche Erscheinung, die nicht bloß zu großen Unzweckmäßigkeiten führt, vielmehr auch vom ästhetischen Stand­punkt aus ganz verwerflich ist.

Doch zurück zur engen Taille". Wo diese aus dem unverbildeten Körper herausgeschnürt werden soll, muß das Korsett die dort liegenden Körperteile wegdrücken. Lägen an der Stelle Knochen, so würde das nicht so leicht gelingen. Dort liegen aber Weichteile: nämlich die Eingeweide der Bauchhöhle und die flachen Bauch­muskeln. Wohin werden diese gepreßt? Daß sie sich, ohne auszu­weichen, völlig zusammendrüden lassen, glaubt wohl niemand. Die Lösung ist sehr einfach, und man erkennt sie sofort, wenn man die Seitenansicht eines ungeschnürten und eines geschnürten Kör­