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Für unsere Mütter und Hausfrauen
pers betrachtet( 5. und 6. Bild). Ein Korsett preßt nicht bloß seitlich die Weichteile weg, sondern auch vorn und hinten, eben an allen Seiten. Die natürliche Folge ist, daß Bauch- und Rückenlinie eine Einbuchtung erfahren, so daß die Kleidung wie durch die punktierten Linien angedeutet aufsitzt. Dadurch werden die langen vorn lie= genden Muskelbänder bei w geknickt, die die Eingeweide tragen und im natürlichen Zustand nur eine leichte Wölbung des Bauches zulassen. Die Wirkung der Muskeln, die nicht bloß für die Schönheit, sondern auch für die Verdauung von höchster Wichtigkeit sind, wird lahmgelegt, die Eingeweide werden hinuntergepreßt und erzeugen einen häßlichen, dicken, wulstigen Bauch, während gleichzeitig der Hintere start hervortritt, denn schließlich verkrümmt der ständige Druck die Wirbelsäule. Das Ergebnis ist ein gänzlich verunstalteter, häßlicher Körper, dessen Aussehen geradezu Abscheu erregen muß, selbst wenn man von den geschaffenen Widerfinnigkeiten abfieht.
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Wenn sich beim Essen der Bauch ausdehnt und daß er das selbst bei mäßigem Essen tut, weiß jedes Kind, was muß da geschehen? Das Korsett hindert die Weitung, und so bleiben bloß zwei Möglichkeiten: entweder daß die Ausdehnung an anderer Stelle cintritt und auf die Organe drückt, oder daß die Nahrungszufuhr erschwert wird. Gewöhnlich tritt beides ein, damit aber entstehen auch ständige Beschwerden bei der Verdauung, Magenschmerzen und schließlich schwere Magenleiden. Auch die anderen gepreßten Organe die Leber, die Milz, die Nieren, die Lunge werden von dem Stande der Dinge in Mitleidenschaft gezogen. Und daß ein erheblicher Teil der Unterleibskrankheiten von Frauen auf das Konto Korsett zu setzen find, kann jeder hiernach leicht verstehen. Aber auch die Atmung wird durch das Korsett gestört und damit der Stoffwechsel herabge= setzt, der für den lebenden Körper von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die Frauen pflegen den Nachweisen von der Schädlichkeit des Schnürens damit Frauenkörper. zu begegnen, daß sie sagen, sie trügen das Korsett„ nur ganz lose". Was darunter zu verstehen ist, schildert Schulze- Naumburg sehr anschaulich so: Vergegenwärtige man sich das Bild einer das Korsett anlegenden Frau. Ich will ganz absehen von dem wirklichen Schnüren nach dem Anlegen des Korsetts und annehmen, sie könnte es einfach ohne be= sondere Kraftanstrengung zuhaken. Sie streckt sich vor allem, zieht den Unterleib ein, hebt den Brustkorb so hoch, wie ihn auf die Dauer kein Mensch halten kann und benutzt einen Moment der tiefsten Ausatmung, um die Falle über den armen überlisteten Körper zu schließen. Sobald der Körper in seinen natürlichen Zustand zurückkehren will, preßt er sich gegen den Widerstand. Das geschieht nun morgens nach der Toilette, wenn der Körper kühl und nicht blutüberfüllt ist. Und nun stelle man sich gut vor, welche Bein für den naiven noch nicht von der Korsettgewohnheit betörten Körper es ist, wenn er im Zustand lebhafter Tätigkeit, förperlicher Anstrengung, Erhizung ringsum unausdehnbar um= schlossen ist. Eine hübsche Vorstellung, wie gepreßt, gefaltet, überhibt und gequält der Körper einer im Storsett tanzenden Frau sein muß. Und zu diesen Gelegenheiten wird ja das Korsett beſonders„ weit" getragen! Man kann dem Einwurf vom„ loſen Korsett" sehr gut durch die Gegenfrage begegnen: Welchen Zweck erfüllt ein loses Korsett?
5. Bild. Ungefchnürter
6. Bild. Geschnürter
Aber beim Tanzen bewegen sich eigentlich nur die Beine. Wie nun erst, wenn eine geschnürte Frau sich einmal bücken soll? Das fann sie einfach nicht, denn das ließe das Korsett gar nicht zu. Man sieht solche Frauen daher auch niemals sich bücken, sondern stets knicksen. Eine Blume wird nicht gebeugt gepflückt, sondern in tiefster Kniebeuge, denn das Scharnier zwischen Becken und Oberschenkeln ist aufgehoben. Es ist weiter kein Wunder, daß Frauen, die mit Gewalt ihren Körper mißgestalten, bei der Erfüllung des wichtigen Gebäraktes die allergrößten Schwierigkeiten und
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Schmerzen haben. Denn der Raum, den das werdende Kind einnehmen soll, ist schon durch die vom Korsett hinuntergepreßten Eingeweide angefüllt. Während ein unverbildeter weiblicher Körper nach der Geburt die früheren jungfräulichen Formen annähernd wieder annimmt, wird die Korsettfigur eines Weibes nach jeder Geburt häßlicher, die Bauchhaut faltiger und streifiger. Die hervorgehobenen Schädigungen treten zum Teil schon durch den bloßen Rockbund ein. Der in der Taille endigende Rock wird durch Zusammenschnüren am Hinabgleiten gehindert, er sucht seinen Halt über den Hüften und bewirkt ähnliches wie das Korsett, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt.
Leider beeinflußt das verkehrte Schönheitsideal der Frauen und auch der Männer noch in anderer merkwürdiger Weise die Geftaltung des Frauenkörpers. Der„ engen Taille" entspricht eine riesenhaft breite Brust, eine sogenannte„ volle Büste". In der Tat ist aber der Körper ganz anders gebaut, als die„ üppige Frauenschönheit" vermuten läßt. Zwischen der ersten und vierten Rippe, wo man gemeinhin die„ Breite der Brust" Hinverlegt, ist in Wirklichkeit der Brustkorb so eng, daß die oberste Rippe in den Hals hinaufsteigt. Die wirkliche Breite des Brustkorbes und ebenso der Lungensäcke, die ihm in ihrer Form vollkommen folgen, liegt dicht über der Stelle, wo der Körper der Frau durch das Korsett zusammengeschnürt wird.... Die Atmung haben die unteren Rippen zu besorgen, nicht die oberen, also ausgerechnet die, welche frei entwickelt jede Taillenfigur unmöglich machen." Heutzutage täuschen die Korsettfiguren Brüste vor, die als Fleischmaffen ungeheuerlich sein müßten und freigelassen bis zum Bauch in unförmigen schwammigen Massen hinabhängen müßten. Solche Brüste besitzt keine stillende Frau. Aber jedes junge Mädchen, ja selbst solche, die kaum in das gebärfähige Alter gekommen sind, tragen eine Kleidung, die diese Riesenbrüste vortäuschen soll. Da= bei ist die schönste Form der Brüste die der ebenmäßig in den Brustkorb verlaufenden; sie sind fest und elastisch und bedürfen feines Stüßpunktes, wie ein Korsett das sein soll.
Begünstigt werden heutzutage die Korsettfiguren der Frauen durch den völlig verbildeten Geschmack der meisten Männer, die sich an den Gestalten der wandelnden Modepuppen erfreuen. Sogar in Künstlerkreisen hat der verbildete Geschmack Eingang gefunden. Manche Bildhauer wagen es heute, Korsettfiguren zu meißeln und zu gießen, die klassischen Meister und die modernen echten Künstler schaffen dagegen die wundervollen ebenmäßigen Gestalten, wie sie die Natur bildet. Schulze- Naumburg zeigt durch Abbildungen, daß die Modefigur der Frauen der Gestalt eines Infektes gleicht. Nackt muß diese Figur abstoßend, widerlich aussehen, während sie mit den Modekleidern behangen bestaunt wird. Man sehe sich daneben die prachtvollen unverbildeten Körper an, deren das Buch eine Menge vorführt. Erst der Vergleich bringt recht zum Bewußtsein, wie häßlich der Körper durch das Schnüren wird. Man sollte aber weiter auch alle die schlagenden Ausführungen lesen, die Professor Schulze über die Wirkungen des Korsetts gibt, die Teintverwüstungen, die Verfärbungen des Gesichtes, der Haut überhaupt, die Ringe um die Augen und der= gleichen mehr. Die Frau, die sie aufmerksam liest, müßte ein für allemal von dem Wunsche geheilt sein, ein Korsett zu tragen.
Wenn man einer Frau flar macht, wie ungefund das Korsetttragen ist, so hört man oft den Einwurf, daß ohne das Korsett Rückenschmerzen eintreten. Das mag stimmen, beweist aber nur, daß durch das Tragen des Korsetts schon schwere Schädigungen des Körpers eingetreten sind. Dieser kann in der Folge nicht einmal das Selbstverständlichste mehr erfüllen, nämlich sich selbst gerade halten. Natürlich kann eine Frau, bei der das der Fall ist, nicht plötzlich das Korsett weglassen. Sie muß allmählich noch zu retten suchen, was zu retten ist, und das Korsett loser und loser tragen, bis es schließlich ganz abzulegen ist. Natürlich wird sie dann auch ihre Kleider ändern müssen, wie überhaupt die Machart geändert werden muß, wenn kein Korsett getragen wird, und wenn der Rockbund verschwinden soll. Das ist aber eine unumgängliche Forderung. Um ihr zu genügen, bleibt nur übrig, die Schultern zu Trägern des Gewandes zu machen. Man darf nicht Rock und Taille trennen, sondern muß das Kleid als Ganzes herstellen lassen, als sogenanntes Reformkleid. Auch das Gewicht der Strümpfe und der Unterkleidung muß den Schultern aufgelegt werden. Das mag zuerst unbequem erscheinen, wenigstens der Frau, die lange Jahre, vielleicht seit der Jugend, Korsett und Rock getragen hat. Wer aber seine Mädchen von klein auf an die Reformkleidung gewöhnt, der wird bemerken, daß sie dabei prächtig gedeihen. Um im einzelnen zu sehen, wie schön die auf der Schulter getragene Reformkleidung sein und wie man fie anlegen fann - der Erfindungskunst und dem Geschmack sind dabei natürlich