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Für unsere Mütter und Hausfrauen

rühmtesten Gegner der Sklaverei, und eben darum der bestgehaßte Mann in den Südstaaten der Union, auf dessen Kopf das Parla­ment von Georgia   einen Preis von 5000 Dollar gesetzt hatte. Unter diesen Umständen bereitete Luch Stones Agitation für das furcht­lose Kampfblatt der Seminarleitung gelindes Unbehagen. Es wurde dem jungen Mädchen gesagt: Die Sklavenfrage ist eine sehr wichtige Frage, und eine Frage, in der die Meinungen der besten Leute geteilt sind." Allein Luch Stone ließ sich durch solche weltfluge Zaghaftigkeit weder in ihrer Überzeugung noch in ihrem Tun beirren.

Lehrend und lernend zugleich bereitete sie sich auf den Besuch der Universität vor. Lehrend, um die nötigen Geldmittel dafür zu erwerben, lernend, um die erforderliche Vorbildung zu gewin­nen. Wie viele ungezählte Nachtstunden verbrachte sie über den ge= liebten Büchern! Da zu jener Zeit Lehrerinnen auch in den Ver­ einigten Staaten   noch sehr niedrig besoldet wurden, mußte Luch Stone neun Jahre lang unterrichten, ehe sie daran denken konnte, die Hochschule zu beziehen. Und ihre Mittel waren auch dann noch so winzig, daß sie für die Fahrt über den Griesee von Buffalo nach Cleveland   keine Kabine zu bezahlen imstande war. Sie schlief mit cinigen anderen armen Frauen zusammen im Zwischendeck, auf aufgetürmten Getreidesäcken, zwischen Pferden und anderer Schiffsfracht. Das Ziel ihrer Reise war das berühmte Oberlin­College in Ohio  , damals die einzige Universität, die in den Ver­cinigten Staaten den Frauen ihre Tore geöffnet hatte. Trotz der bescheidenen Ersparnisse hieß es auch hier für Luch neben dem Studium den größten Teil des Lebensunterhalts arbeitend zu ver­dienen. Sie erteilte Unterricht an den Vorbereitungsklassen und übernahm Hausarbeit an dem Frauenalumnat, das nach dem alt= flösterlichen Muster der englischen Universitäten zur Hochschule gehörte. Mit dieser Arbeit verdiente sie 9 Pfennig in der Stunde. Da die wenigsten Studenten und Studentinnen wohlhabend waren, erhielten sie im Alumnat für einen Dollar wöchentlich ihre Ver­pflegung. Luch Stone vermochte jedoch nicht einmal diesen be­scheidenen Betrag dafür aufzuwenden. Deshalb führte sie während des größten Teils ihres Universitätsstudiums auf ihrem Zimmer cigene Wirtschaft und verausgabte für Speise und Trank weniger als 1,50 Mark wöchentlich. Sie konnte sich in den vier Jahren fein neues Kleid kaufen und mußte sogar auf jeden Ferienbesuch daheim verzichten. Luch Stones Persönlichkeit war so ganz auf innere Befriedigung gestellt, ging so vollständig in dem Ningen um das gesteckte Ziel auf, daß die bitterste Armut der Heiterkeit des Gemüts feinen Eintrag tat. Und die fröhliche Studentin mit dem fast stets leeren Beutel machte es noch möglich, anderen hilfreich beizustehen. Es bleibt wahr:" Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg."

Während Luch Stone so durch ihr Leben, ihre Persönlichkeit Beweis auf Beweis häufte, daß die Frau dem Mann ebenbürtig, gleichwertig sein kann, mußte sie auch in der Zeit ihres Universitätsstudiums wiederholt erfahren, wie festgewurzelt und zählebig das Vorurteil gegen das weibliche Geschlecht war. Das aber sowohl bei Leuten, von denen man hätte meinen sollen, ihre Bildung müsse sie über jede Voreingenommenheit erheben, wie auch unter Bevölkerungs­schichten, die sich gegen auferlegtes Unrecht aufzubäumen began­nen. Die Stadt Oberlin war wegen ihrer entschiedenen Gegner­schaft gegen die Sklaverei bekannt; viele geflüchtete Sklaven ließen sich in ihr nieder. Es wurde eine Schule errichtet, in der sie Lesen, Schreiben usw. lernen sollten. Luch Stone nahm freudig die Auf­forderung an, die Farbigen zu unterrichten. Aber siehe da! Die kaum der Sklaverei entflohenen Männer waren der Meinung, daß es unter ihrer Würde sei, sich von einer Frau belehren zu lassen. Der Schulausschuß verschwieg das und hoffte, daß sich der Protest in Gegenwart der jungen Lehrerin nicht hervorwagen werde. Als jedoch Luch Stone ihren Böglingen vorgestellt wurde, erhob sich unwilliges Gemurmel, ein riesiger Neger stand auf und erklärte unter allgemeiner Zustimmung, daß er zwar persönlich nichts gegen Fräulein Stone habe, aber bekennen müsse, die Vorstellung sage ihm nicht zu, von einer Frau unterwiesen zu werden. Luch Stone bewies bei dieser Gelegenheit, wie so oft später, ihren Mut und die überzeugende Macht ihrer Nede, ihrer Gedanken. Statt sich hinter den Ausschuß zu verkriechen, ergriff sie selbst das Wort und machte den Farbigen klar, daß es ihr eigener Vorteil sei, lesen zu lernen, ganz gleich von wem, von einem Mann oder einem Weib. Ez dauerte nicht lange, und die schwarzen Schüler hingen mit Be­geisterung an ihrer Lehrerin. Als während einer kurzen Abwesen= heit Luchs eine Feuersbrunst im Frauenalumnat der Universität ausbrach, tamen viele Neger atemlos herbeigestürzt, um" Fräu­lein Stones Koffer herauszuholen". So restlos hatte sie bei den Farbigen das Vorurteil gegen ihr Geschlecht überwunden, daß sie

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von ihnen zusammen mit dem Rektor und einigen Professoren der Universität gewählt wurde, um bei der Feier der Sklavenbefrei­ung in Westindien   zu reden. Es war dies das erstemal, daß Luch Stone in der Öffentlichkeit sprach. Sie tat es als die selbst­verständliche Erfüllung einer ihr anvertrauten Pflicht. Andere Leute jedoch betrachteten das unziemliche Ereignis" mit anderen Augen. Am Tage nach der Feier wurde Luch vor den Frauen­ausschuß des Colleges geladen, der in der Hauptsache aus den Gattinnen der Universitätslehrer bestand. Die Damen hielten ihr vor, daß sie unweiblich gehandelt und gegen die Bibel verstoßen habe, indem sie öffentlich sprach. Die Gattin des Rektors fragte: " Haben Sie nicht gefühlt, daß Sie auf der Tribüne unter all den Männern am unrechten Plaze waren? Waren Sie nicht verlegen und erschrocken?" Luch Stone antwortete mit der ihr eigenen Schlichtheit: Warum, Frau Mahan? Die Männer waren doch Herr Rektor Mahan und meine Professoren, mit denen ich täglich bei den Vorlesungen zusammen bin. Ich habe mich gar nicht vor ihnen gefürchtet." Der Ausschuß entließ die unbußfertige Sünderin mit einer Verwarnung", die ohne hemmende Kraft für die leiden­schaftliche Überzeugung, den starken inneren Drang der Kämpferin bleiben mußte

Während ihres Studiums an dem Oberlin- College   wurde Luch Stone mit Antoinette Brown   bekannt, die sich dort auf den theolo­gischen Beruf vorbereitete und später der erste weibliche Geistliche in den Vereinigten Staaten   war, ja höchstwahrscheinlich in der ganzen modernen Christenheit. Noch ehe daß Antoinette Brown  die Universität bezogen hatte, war sie vor einer jungen Studentin namens Luch Stone ausdrücklich gewarnt worden wegen der sehr radikalen Ansichten", denen diese huldige. Nichtsdestoweniger er­füllte sich bald, was in der Wahlverwandtschaft der Seelen, des Strebens begründet lag. Die beiden jungen, lauteren Kämpferin­nen für das Recht ihres Geschlechts zur Mitarbeit an allen Mensch­heitsaufgaben fanden sich in inniger Freundschaft, die eine be­glüdende, lebenslange Macht blieb. Vereint heizten sie den Ele menten der Universität gehörig ein", deren hervorstechendste Eigen­schaft geistig, sozial die Trägheit war, der Abscheu gegen alles, was nicht als Ewig- Gestriges auftrat.

So nahmen sie den Kampf auf für ihr Recht, sich auf den Beruf der Vortragenden, der Agitatorin, der Geistlichen durch die Beteiligung an den schulplanmäßigen Diskussionsübungen der Studenten praktisch vorzubereiten. Wohl durften auch die Stu dentinner den Übungen anwohnen, jedoch nur als demutsvoll schweigende Zuhörerinnen, wie die Frauen in dem berühmten Segment", das noch vor wenigen Jahren ein preußischer Minister des Innern erfunden" hatte, um das alte vormärzliche politische Vereinsrecht vor dem Ansturm der neuen Zeit zu retten. Luch und Antoinette heischten das Recht, sich an den Diskussionen tätig zu beteiligen. Der Leiter der Übungen, ein Mann von libe­ralen Anschauungen, gewährte es ihnen. Die frauenrechtlerische Tradition berichtet, daß die beiden Studentinnen mit Geist und Wort glänzend turniert hätten. Aber ihr Triumph sollte auf eine einzige übung beschränkt bleiben Der ganzen Universitätsleitung war die Neuerung zu bunt, fie beschloß feierlich, daß feine zweite Diskussionsübung unter Beteiligung von Studentinnen stattfinden dürfe. Die Stürmerinnen kamen nun auf einem anderen Wege zur erstrebten Praxis. Ihre Rebellion gegen das Herkommen hatte andere Studentinnen ergriffen. Man tat sich zusammen: Luch und Antoinette gründeten den ersten Diskussionsverein für stu­dierende Frauen. Wie die Dinge lagen, mußte er im geheimen egi stieren. Die Nedeübungen fanden meist im Wohnzimmer einer alten Negerin statt, die den jungen Mädchen ihr Haus gastlich ge­öffnet hatte. Im Sommer traf man sich bei schönem Wetter im Walde, wohin man in echter und rechter Verschwörerweise" zu zweien oder dreien auf verschwiegenen Pfaden pilgerte. So fehlte den Zusammenkünften nicht eine verklärende Romantik mit manchem lustigen Abenteuer, aber auch mancher Gefahr uner­wünschter Folgen.

Als Lucy Stone   vor dem Abschluß ihrer Studien stand, hatte sie für die Prüfung eine Abhandlung zu schreiben, die jedoch von einem Professor verlesen werden sollte, da es sich für eine Frau nicht zieme, in der Öffentlichkeit ihre Arbeit vorzutragen". Unter diesen Umständen lehnte es Luch ab, die Studie abzufassen. Fast vierzig Jahre später feierte das Oberlin- College   das Jubiläum feines fünfzigjährigen Bestehens. Lucy Stone   wurde aufgefordert, bei der Feier zu sprechen. Und sie bewegt sich doch", die schwer­( Fortsetzung folgt.) fällige, vorurteilsvolle Welt!

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Drud und Berlag von J. H. W. Diep Nachf. G.m.b.h. in Stuttgart  .