Dicareue Welt

Nr. 39

( Fortsetzung.)

XI.

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

s war Thauwetter mit fleinen Regenschauern hin und wieder. Grau und schwermüthig hingen die Wolkenfezzen an den Bergseiten und senkten sich einer nach dem anderen gleich Schleiern in das Thal. Die alte Kirche lag da schwer und breit mit dunklen nassen Flecken an der hellen Mauer. Entlaubte Trauerweiden, schiefe Kreuze und schlecht erhaltene Gräber. An den Bäumen festgebunden warteten die ausgespannten Pferde mit hängenden Köpfen. Ab und zu schüttelte sich ein Gaul im Geschirr und ließ ein ungeduldiges Wiehern ertönen. Der Gottes­dienst hatte schon anderthalb Stunden gedauert und es fror sie in der naßkalten Luft. Die Schlitten waren draußen. auf der Landstraße zurückgelassen. In einer langen Reihe standen sie hinter einander neben dem Chausseegraben. Die Nachricht, daß Agestinus Klöften, ein Kind des eigenen Thales, zum ersten Male predigen wirde, hatte viele Leute herangezogen. Einige Bauern, die bei den Pferden geblieben waren, und einige Neugierige aus der nächsten Umgegend, die gern erfahren wollten, wie die Sache abgelaufen sei", standen auf dem Kirch­hof umher und warteten.

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Es ist ein Sohn des versoffenen Geigers Thormod Dalen," sagte ein älterer Mann mit straffen, nichtssagenden Zügen;" wer hätte wohl ge= dacht, daß etwas Gutes von ihm kommen könnte... und nun gar ein Pastor!"

" Pastor ist er noch lange nicht, weil ihm der Probst ein Mal gestattet hat, in seiner Heimath den Gottesdienst zu verrichten. Er soll ein schlechtes Examen gemacht haben." Der diese Worte sprach, war ein kleiner, rothnasiger Greis, der frühere Küster und Schulmeister des Kreises, Ole Tangen, der wegen verschiedener Unregelmäßigkeiten schon vor Jahren sein Amt verloren hatte. Auf die Leute von Solhaug war er seitdem nicht gut zu sprechen, denn in der That waren es zum großen Theil Margit Solhaug's Angaben an die Obrigkeit, denen er seine Entlassung verdankte.

Die Glocken fingen zu läuten an, jetzt war der Gottesdienst zu Ende. Männer und Frauen strömten durch die Kirchenthür hinaus. Aber ganz gegen die Gewohnheit sah man überall aufgeregte Gesichter und roth verweinte Augen.

" Eh Per, was ist Dir denn, was ist Euch denn Allen?" fragte der Küster verwundert. Er ist ein wahrer Gottesmann."

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Wer denn?"

Der junge Pastor. Dir, Ole Tangen, fönnte es nicht schaden, eine solche Predigt zu hören," rief ein langer hagerer Bauer mit rothem Kinnbart in hohem Fistelton.

Zwei Menschen. W

Roman von H. Fries- Schwenzen.

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1898

Nein, der kann des Zornes Ruthe schwingen," Hand zu drücken. Sie haben eine schöne Zukunft meinte ein Anderer.

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Zum Angstundbangewerden, ja!"

Nein, wirklich Ole , es ist wahr, nicht wie die Anderen, weißt Du, er sprach so ganz natürlich, wie Anderen, weißt Du, er sprach so ganz natürlich, wie Du und ich, wenn wir sprechen, und zwar in unserer Mundart, nicht etwa in der Schriftsprache, und das hatte so etwas Packendes hol' mich der Henker! Glaubte ich doch, daß der heilige Geist selbst aus ihm spräche."

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" Ja, Gudbrand hat Recht!" betheuerte ein Kleiner mit schiefer Nase und einem unsicheren, spähenden Blick; man muß an seine Sünden denken, ob man es nun will oder nicht. Und habe ich Dir Unrecht gethan, Ole, im Kartenspiel oder sonst es wäre ja doch möglich dann mußt Du bes denken, daß wir Alle Menschen sind... ach ja. Zum Thierarzt gehe ich nun aber doch."

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" So?" rief Ole Tangen spöttisch. Hat der Pastor Dir einen Floh in's Ohr gesetzt?"

Ich schwur, daß die gelbe Stute, die ich dem Landhändler verkaufen will, nur eine leichte An­schwellung von der Hize hätte. Zeigt es sich nun aber, daß es Steingallen sind... dann.. " Ja, was dann?"

" Dann wäre es eine schwere Sünde von mir, wenn ich es dem Landhändler nicht sagte."

Ein unterdrücktes Gelächter, und die kleine Gruppe löste sich auf, indem Jeder vorsichtig von dannen schlich. Aehnliche Gespräche hörte man übrigens auch anderswo.

Agestin's Predigt hatte wie ein zündender Funke in die schlafenden Gewissen vieler Zuhörer ge= schlagen. Der größte Theil der Kirchenbesucher war auf dem Friedhof stehen geblieben, theils um den Probst zu begrüßen, der sich jetzt mit Ragnhild Solhaug unterhielt, theils um noch einen Blick von dem neu entdeckten Wunderpriester, der die Sakristei noch nicht verlassen hatte, zu empfangen.

Endlich öffnet sich die kleine Thür in der grauen dicken Steinmauer, und ein großer, kräftig gebauter und doch schlanker Mann in der Mitte der Zwanziger tritt heraus. Der schwarze Talar hebt seine bleiche Gesichtsfarbe hervor und ein schmerzlicher Zug in dem männlichen Gesicht ist Jedem auffallend, der Agestinus Klöften's sonst so zufriedenes und glück­liches Naturell fennt. Er erwidert ernst und bei­nahe übertrieben höflich den Gruß der bersammelten Bauern und nähert sich den Seinigen, die ihm stolz und voll Bewunderung gratuliren. Aber der bes fümmerte Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Geistlichen will nicht weichen. Der Probst lüftet den Hut vor ihm und sagt: Mein junger Freund, gestatten sie einem alten Diener des Herrn, Ihre

zu erwarten."

Agestin verbeugte sich, biß sich aber auf die Lippen. Aber Ragnhild's Gesicht strahlte, und sie preßte seine Hand zwischen den ihrigen.

Als sie in die gute Stube auf Solhaug eintraten, schlang Ragnhild ihre Arme um ihn und wollte ihn tiissen. Er ließ sie gewähren, erwiderte aber ihre Zärtlichkeit nicht. Unmittelbar darauf ging er in sein Zimmer, entledigte sich des Talars, sowie des weißen Kragens und verpackte diese Gegenstände in eine längliche Pappschachtel. Er war so eifrig damit beschäftigt, daß er garnicht bemerkte, wie seine Braut in das Zimmer trat.

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" So, jetzt ist das besorgt!" sagte er laut, in­den er einen Bindfaden um die Schachtel schnürte. Ach... Du bist hier, Ragnhild? suchst Du etwas?" Sie ging gerade auf ihn zu, faßte seine beiden Hände und sah ihm fest in die Augen. ,, Agestin, Du bist nicht glücklich."

Es erfolgte keine Antwort.

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Du verheimlichst mir etwas! Hast Du kein Vertrauen zu mir?" Er that einen tiefen Seufzer und ging rasch im Zimmer auf und ab.

" Ich weiß nicht, was ich Dir antworten soll ... aber-"

" Die Wahrheit, die Wahrheit!"

,, Gut, dann muß ich Dir sagen, daß ich mich noch nie so unglücklich gefühlt habe, wie in diesem Augenblick." Ragnhild wurde bleich.

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Das sind harte Worte, Agestin."

Du wolltest ja die Wahrheit hören."

Aber wie ist es denn möglich?" rief sie und schlang die Arme um ihn. Ich glaubte, es müſſe ein beglückendes Gefühl sein, so eine Menge von Zuhörern mit sich fortzureißen. Du hast ja Viele zu Thränen gerührt."

Er fuhr mit der Hand liebfosend über ihr Haar und erwiderte mit einer von Leidenschaft durch­bebten Stimme: Es fehlt mir der Beruf dazu, die Inspiration, oder wie Du es nun nennen willst ... Ich tauge nicht dazu!"

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Agestin schlug eifrig mit der Hand auf den Tisch., Es mag sonderbar genug klingen, aber heute auf der Kanzel fühlte ich es, daß mein Beruf

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der andere ist."

Agestin's Braut war freidebleich geworden. Sie erwiderte aber nichts. Da klopfte es an der Thür. Es war Kari, die meldete, daß unten das Mittag­essen angerichtet sei. Sie gingen hinunter und fanden ein Mahl vorbereitet, wie man es noch nie auf Sol­haug erlebt hatte. Da war sowohl Fisch als Braten, und Knud hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine Flasche Nothwein gekauft, der zu den delikaten