Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
307
gesetzter in spe spreche ich Ihnen meine Entrüstung über Ihr unpassendes Benehmen aus. Wo hörte man schon, daß Aehnliches passirt wäre? An dem- selben Tage, an dem Sie Vormittags im Gottes- Hause gepredigt haben, treten Sie Abends als Komö- diant auf!" Agestin sah den würdigen Herrn bestürzt an. „Aber, Herr Probst... Komödiant?... Was ist das für ein Wort?" Der kleine Geistliche machte große Augen.— „Sie fühlen sich am Ende gar verletzt?... Das fehlte auch noch! Komödiant oder Schauspieler, das kommt bei mir ans eins heraus. Halten Sie es damit, wie Sie wollen, aber im Namen meines Standes proteslire ich dagegen." Das Blut verließ die Wangen des jungen Mannes, als er mit zitternder Stimme erwiderte:„Ich bitte sehr um Verzeihung, Herr Probst, aber ich kann Ihr Recht zu einem solchen Protest nicht anerkennen. Sie können mir höchstens einen wohlgemeinten Rath geben, das ist Alles. Ob ich dem Rothe folgen will, oder nicht, bleibt dann meine Sache." Die klugen Augen hinter den Brillengläsern schössen Blitze. „Ich warne Sie aber, ich warne Sie, junger Mann!... Und damit Sie sehen, daß ich mit meiner Ansicht nicht allein stehe, kann ich Ihnen erzählen, daß es der Amtmann selbst ist, der mir Bescheid geschickt hat, sobald er Ihren Namen auf dem Pro- granim stehen sah. Nun kommt dazu noch, daß dieses Machwerk, was Sie vorgetragen haben, eine ganz gefährliche Tendenz zeigt. Der Amtmann hat mir im Vorübergehen erzählt, daß Ihr Stück darauf ausgeht, den Beamtenstand des Landes in den Schmutz zu ziehen.... Junger Mann, was denken Sie denn?" Der Probst schlug sich im Eifer auf die Stirn.„Sind Sie denn nicht ganz richtig hier? Ich habe meine Meinung gesagt, thun Sie nun, was Sie wollen. Ich empfehle mich." Der geistliche Herr nahm seinen mit Biberpelz verbrämten Reisemantel über den Arm, setzte in der Hitze die Pelzmütze auf das eine Ohr und zog sich zurück. Da stand Agestin mit seinem Mannskript unter dem Arm. Ein Summen, wie von vielen Stimmen, erreichte sein Ohr. Er öffnete die Thür zum Kor- ridor. Laut drangen die Rufe vom Saal herüber. Zugleich wurde in nächster Nähe ein Gespräch ge- führt. Er steckte den Kopf hinaus und sah wie der Amtmann dem Probst half, den Reisemantel an- zuziehen. „Müssen Sie noch so spät fort, lieber Probst?" „Leider, ja.... Ich gäbe etwas darum, diese Nacht im Hotel bleiben zu können. Torkildsen hat gute Betten, überhaupt kommen sie jetzt allmälig dahinter." „Natürlich, der große Touristenverkehr." „Gewiß, gewiß.... Nein, ich muß noch zwei Meilen fahren und es ist empfindlich kalt geworden. Der Adjunkt hat mir eine Depesche geschickt. Das Amt und die Pflicht rufen mich, lieber Amtmann ." „Ach ja, man opfert diesem Volt seine ganze Kraft. Und was ist der Lohn?" „Ausgescholten wird man.... Und von wem? ... Von seinen eigenen Untergebenen!" „Es ist ein eigensinniges, widerspenstiges Volk. ... Aber der gute Klüften soll mich kennen lernen. Adieu, lieber Amtmann!" „Adieu und glückliche Reise." Die Stimmen verloren sich in dem langen Kor- ridor.... „Der zweite Akt! Es wird uni den zweiten Aufzug gebeten!" „Nein!... Nichts mehr von der Sorte!" Agestin erkannte die Stimme des Amtmannes — er hielt eine Rede an die Versammlung, wurde aber überschrien. Die Rufe nach dem zweiten Auf- zug wiederholten sich. „Ich soll ihn kennen lernen, hat er gesagt," murmelte Agestin zwischen den Lippen.„Gut! Er soll auch mich kennen lernen! Schade nur, daß er nicht im Saal ist." Er betrat mit festen Schritten die Bühne. Ein furchtbarer Lärm schlug ihm ent- gegen. Je heftiger die Beifallsrufe erschollen, desto
energischer gestaltete sich der Widerspruch. Der Saal war in zwei scharf getrennte Parteien getheilt. Auf der einen Seite standen mit dem Amtmann an der Spitze sämmtliche Beamten. Zu ihnen gesellten sich die streng religiösen und reaktionären Bauern. Auf der anderen Seite befand sich die Fortschrittspartei, ein Dutzend Ingenieure und ihre Aufseher, Material- Verwalter und Kontoristen. Agestin stand auf der Bühne und konnte nicht zu Worte kommen. Es gewährte ihm einen bis jetzt ungeahnten Genuß, vor dem zahlreichen Publikum so dazustehen, selbst der Zankapfel, um den man sich stritt. Aber vorlesen wollte er, und wenn das ganze Konsistorium und das gesammte Kollegium aller Sauertöpfe der Welt ihn dafür in die Acht erklären würden! Schließlich trat der Vorsitzende des Comite's auf die Bühne und es wurde still. „Ich verlange Ruhe für den Vortrag des Herrn Klöften!" rief er mit voller Kraft.„Diejenigen der Gesellschaft, welche den Vortrag nicht anhören wollen, dürfen den Saal verlassen. Paragraph eins unserer Vereinsstatuten nennt als hauptsächlichen Zweck des Ganzen, ein innigeres Verständniß und einen in- timeren geistigen Verkehr zwischen den verschiedenen Schichten unserer Gesellschaft zu erzielen, und Para- graph fünf schreibt als Mittel zum Zweck geselligen Verkehr vor. Paragraph sechs nennt als erste Haupt- sache unbeschränkte Rede- und Drnckfreiheit und Paragraph acht fordert Toleranz. Hier ist Einer, der etwas zu sagen hat. Wie haben wir seiner Anforderung auf Redefreiheit Geniige geleistet? Wie zeigte sich der gesellige Verkehr? Wie unsere Toleranz? Durch Gebrüll und rohen Lärm, nicht wahr? Es ist meine Pflicht, als Vorsitzender dafür zu sorgen, daß den Gesetzen unseres Vereins Achtung gezollt wird. Ich gebiete Ruhe für den Vortrag des Herrn Klöften!" „Ich bitte um's Wort!" rief der Amtmann. Der Vorsitzende verbeugte sich:„Sofort nach dem Vortrag, Herr Amtmann." „Nein, jetzt gleich, zum Donnerwetter!" rief der Amtmann mit puterrothem Kopf. „Bedauere sehr, jetzt hat Herr Klöften das Wort." „Dann gehen wir. Wer wird den Blödsinn mit anhören..." „Thormod Dalen's Sohn heraus!" brüllte eine heisere Bierstimme. Agestin wurde bleich. „Jetzt weiche ich nie und nimmer," dachte er. Der Amtmann erhob sich noch einmal und rief: „Gut, ich gehe, aber ich bin von jetzt an nicht länger Mitglied des Vereins. Ich empfehle mich." „Ich bin auch nicht mehr Mitglied!" rief der Vogt.„Ich auch nicht... Ich auch nicht!" riefen viele Stimmen. Der Amtmann und alle seine Tischgenossen, wohl zwanzig an der Zahl, verließen den Saal.— (Fortsetzung folgt.) & Auf den ßimlicn bei Ileio-Fuuudluud. Von Knut Hamsun.
ona' Monat lagen wir auf den Bänken und fischten Kabliau. Der Sommer und der Winter kam und ging, und wir lagen immer auf derselben Stelle, mitten im Meere, an der Grenze zweier Erdtheile, Europa und Amerika . Vier bis fünf Mal im Jahre gingen wir nach Miquelon hinauf, um unseren Fang zu verkaufen und uns zu verproviantiren. Dann segelten wir wieder auf das Meer hinaus, verankerten uns auf demselben Grunde und fischten Kabliau — und steuerten wieder nach Miquelon hinauf, um abermals zu löschen. Ich war in der Stadt niemals am Land. Warum sollte ich auch an's Land gehen? Man sah dort wenige Menschen auf dem Platze, diesem kleinen Weitende, das nur einige Fischer und Schiffshändler bewohnten. Unser Schiff war ein Russe und führte den Namen„Kongo ", ein wirklicher Russe, eine alte
Bark, die noch auf den Seiten halb verdeckte Stück- Pforten hatte, von ihren jüngeren Tagen her. Wir waren acht Mann an Bord: zwei Holländer und ein Franzose, zwei Russen und ich, der Rest waren Neger. Der„Kongo " hatte vier Boote. Auf ihnen fuhren wir am Morgen hinaus und zogen unsere Schnüre ein, im Sommer um drei Uhr, im Winter beim Morgengrauen, und am Abend legten wir sie wieder aus, immer auf derselben Stelle, sieben- bis achthundert Faden W8W vor dem„Kongo ". Ein Tag verging wie der andere, immer lagen wir da. Unser Dasein bot keine Abwechselung; wir wußten nicht einmal immer, ob es Sonntag oder Montag war. Das Einzige, was unsere Verhältnisse von denen der anderen New-Foundlandfischer unter- schied, war das Ungewöhnliche, daß unser Schiffer seine Frau mit an Bord hatte. Diese Frau war ein junges, aber sehr widerliches Geschöpf. Wir sahen sie fast jeden Morgen, wenn wir von Bord abstießen; sie war dann gerade aufgestanden, war schläfrig und sehr unordentlich angezogen. Aber obwohl sie so unsauber war und fast niemals ein Wort mit uns sprach, hatten wir sie doch gern; wir Alle hatten sie gern, Jeder in seiner Weise, und Keiner von uns hätte sie gern entbehrt. So genüg- sam waren wir geworden. Wir waren keine Seeleute, sondern nur Fischer. Ein Seemann segelt immer weiter, gelangt irgend- wo hin und beendet schließlich eine Reise, wie lange sie auch währt; aber wir, wir lagen still, ewig und immer still, mit all' unseren Ankern in der Bank. Es war nun so lange in dieser Weise gegangen, daß wir schließlich uns fast nicht mehr entsinnen konnten, wie das Festland eigentlich aussieht. Wir hatten uns sehr verändert. Das ewige Stillliegen hatte uns seltsam stumpf, wirklich sehr stumpf gemacht. Wir sahen nichts weiter, als Nebel und Aleer, und hörten nichts Anderes, als Wind und Wetter von oben und unten; wir interessirten uns für nichts und dachten keine längeren Gedanken mehr. Warum sollten wir auch denken? Unsere ständige Beschäftigung mit Fischen hatte uns selbst zu Fischen gemacht, zu seit- samen, fleischarttgen Seethieren, die auf einem Schiffe herumkrochen und eine eigene, nur uns gegenseitig verständliche Sprache redeten. Wir lasen auch nicht, nichts lasen wir. Briefe konnten zu uns hier draußen in's Meer nicht hinauskommen und außerdem hatte der scharfe Nebel, den wir einsogen, unsere tägliche Beschäftigung mit rohen Fischen, unser ununterbrochener Aufenthalt auf den Bänken unsere ganze Lebensfreude ertödtet. Wir aßen, arbeiteten und schliefen. Der Einzige von uns, der nicht ganz den Kopf verloren hatte und noch einigermaßen am Leben theilnahm, war der Franzose. Er zog mich einmal auf Deck bei Seite und fragte in ernstestem Tone: „Meinst Du, daß man jetzt daheim Krieg führt?" So gleichgültig waren wir für Alles geworden, daß wir fast nicht Mehr miteinander sprachen. Wir wußten allzu gut, wie die Antwort auf jede Frage lauten wiirde, und dazu kam noch, daß wir oft die größte Mühe hatten, gegenseitig unsere Sprache zu verstehen. Was half es nämlich, daß die offizielle Sprache des Schiffes englisch war? Sowohl die Holländer, als der Franzose waren zu ungelehrig und zu trotzig, um sie zu lernen, und selbst wenn die Russen etwas Längeres sagen wollten, gingen sie ärgerlich in ihre eigene Sprache über. Kurz, wir waren in jeder Beziehung hülflos und verlassen. Aber bisweilen, wenn wir so saßen und die Schnüre einholten, zog draußen ein Auswanderer- schiff vorbei, ein mächtiger, schattenhafter Koloß, der seine Pfeife einmal ertönen ließ und im selben Augenblicke im Nebel verschwand. Diese gewaltigen Ungeheuer, die für einen Augenblick auftauchten und dann wieder verschwunden waren, gewährten fast einen unheimlichen Anblick. Wenn es im Dunkel geschah und die Lichter vom Schiffe uns mit runden, glühenden Ochsenaugen längs des ganzen Rumpfes anstarrten, stießen wir oft einen plötzlichen Schrei der Angst und Verwunderung aus. Bei stillem Wetter reichte der Luftdruck von dem gigantischen Gespenst bis zu uns hin, und unsere Boote wiegten sich lange hernach in den schweren Wellen, die das