308

Die Aeue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Meer in Bewegimg versetzten, wenn der Dampfer vorbei zog. Es konnte auch vorkommen, wenn das Wetter ein wenig klar war, daß van Tatzel, mein Boots- kamerad, der gute Augen hatte, weit draußen ein Segelschiff zu entdecken vermochte; aber sie kamen uns niemals so nahe, daß wir einen Menschen an Bord zu unterscheiden vermochten. Wir sahen eben niemals andere Leute, als unsere eigenen: einen Koch, acht Fischer und den gichtbrüchigen Schiffer mit seiner Frau. Merkwürdige Gemiithsbewegungen konnten bis- weilen in uns entstehen, wenn wir saßen und mühsam an den Schnüren zogen und sie fast nicht anfbe- kommen konnten: es war uns dann, als würden unsere Angeln von verborgenen Händen tief unten festgehalten, die unser Boot ans die Seite kippten. Wir riefen einander zu, mit klappernden Zähnen und ganz toll vor Angst. Wir vergaßen, wo wir waren und was wir thaten, wir wurden ungeheuer erregt durch diesen Kampf mit den unsichtbaren Müchteir der Meerestiefe, die nicht loslassen wollten, was sie gefaßt. Wenn einer der Fischer einen Anfall dieser Gemiithsbewcgnng bekam, sagte man auf den Bänken, er sängeum klares Wetter", weil wir meinten, der Nebel wäre daran schuld. Bisweilen kam es uns auch vor, wenn wir saßen und tranken, als wenn wunderliche, phantastische Wesen uns aus dem Nebel auf dem Meere zunickten, recht schlotterig nickten, mit großen, zottigen Köpfen, und wieder ver- schwanden, lind zerfließende, koboldhafte Gestalten schivebten in dem weißen Dunst umher, groß, wie Berge, sie flössen hierhin und dorthin, je nachdem der Wind blies, schwebend in schweren Schritten von West nach Ost, sie rollten sich durch die Luft mit ihren nebelhaften Gliedern und in gewaltigen Mänteln, die ihnen nachflatterten. Bau Tatzel und ich sahen einmal gleichzeitig eine Erscheinung, über die wir fast erstarrten: Es war an einem dunklen Abend, als wir unsere Schnüre auslegten; wir sahen einen Mann, der in der Luft auf und ab schaukelte; sein ganzer Kopf stand in Flammen, er blies wie ein Sturmwind, wir hörten es alle Beide. Kurz darauf strich ein Dampfer an uns vorbei; wir stießen einen Schrei aus, als die Pfeife losschrie; dann verschwand er.... Aber wenn wir ani Vormittag unsere Schnüre eingezogen hatten und mit unseren vollbeladencn Booten amKongo " anlegten, machte unser guter Fang und die Zufriedenheit, die schlimmste Arbeit für diesen Tag gethan zu haben, uns oft in einer anderen Weise thöricht und erregt. So geschah es manchmal, daß wir eine ganz unnatürliche Freude daran fanden, die Fische zu mißhandeln, unsere eigenen Fische ganz einfach zu mißhandeln. Eines Tages bemerkte ich, daß der eine von den Russen in einen rohen Fisch hineinbiß, die Zähne tief in ihn hinein- setzte und ihn etwa zwei Minuten festhielt, indem er die Augen dabei schloß... Wenn die Fischehergerichtet" und die Schnüre wieder ausgelegt waren, war unsere Tagesarbeit gethan, und wir verbrachten ein oder zwei Stunden mit Essen und Tabakrauchen. Und dann gingen wir in die Kojen. Nun konnten wir, wenn wir nicht allzu nillde waren, ein bischen miteinander plaudern und sogar allerlei Geschichten erzählen. Alles in einer derben und unvollkommenen Sprache, voller Flüche und häßlicher Worte... Dann lagen wir eine Weile und dachten an diese Erzählungen, während das Aleer draußen lärmte, die Lampe in ihrem Messing- ringe schwankte, und die Wache mit ihren Holzschuhen auf Deck über uns trampelte. Dann kam die Nacht... £ Böhmisches Glas. Von Nicolaus Krauß.

�n Görlitz merkt man erst wieder, daß es noch Eisenbahnschaffner giebt. Es sind Sachsen , höfliche Leute, die sofort mit einem Fetzen gesprungeil kommen, wenn es auch nur ein klein wenig in den Wagen geregnet hat, und die auch aufmerksam

zuhören würden, wenn man von den Strümpfen seiner Großmutter erzählte. Bis Löbau geht's mit der Fahrgeschwindigkeit noch halbwegs, dann aber setzt bis zur Grenze eine Bummelbahn mit der Schnelligkeit des preußischen Jnstanzenzuges ein. Man weiß wirklich nicht, ist die dem Zuge vor- gespannte Maschine schon so alt, daß sie nicht mehr pusten kann, oder ist sie noch so jung, daß sie das Pusten noch nicht gelernt hat. Endlich tauchen die Holzmiitzen" der böhmischen Konduktcure auf, und nun geht es auch wieder etwas schneller. Nord- böhmen fällt durch Zweierlei sofort auf: Durch die Kornblumen, die hier schier aus jedem Knopfloch zu wachsen scheinen, und durch die schönen Esche». Das Erste niuß man eben hinnehmen, die krönen- gewaltigen Bäume erfreuen um so mehr. Einige Stationen von der Grenze, knapp vor der Wasser- scheide, liegt mitten im Walde, am Fuße des Tannen- berges, ein Stationsgebäude. Es läßt sich nicht leicht etwas Einsameres denken als dieses Haus, wenn die paar Züge, die hier täglich Halt machen, abgefertigt sind. Schön ist es hier: Im Mai, wenn hundert Drosselstimmen in den Fichtenbüschen flöten, an einem Sommerabend, wenn das letzte Roth ver- glimmt, und nichts mehr an die Welt draußen er- innert, als das leise Klingeln des Telegraphen. Im Winter freilich ist diese Siedeluug der reine Dachsbau. Gar oft müssen die Züge zur Station hinein- und wieder hinausgeschaufelt werden. Unter der Station gabelt sich die Bahn. Einige Minuten, und man ist in einem ziemlich breiten, nach Süden sich senkenden Waldthal. Das ganze Thal ist übersät mit Gehöften und Häuschen; unten am Wasserlaufe drücken und ducken sie sich in Gruppen zusammen, am Hange, dem Saume des Waldes ent- lang, liegen sie einzeln. Ans einem mittelgroßen, verrußten Gebäude schiebt sich eine schlanke Esse empor. Hohe Stockholz-Stöße stehen innerhalb der Umzäunung, die das Gebäude umschließt, große weiße, grüne, rothe Glasballons man schneidet aus ihnen Leuchtermanschetten sind in Haufen zusammen- gestellt, Packstroh liegt umher. Wir stehen vor einer Glashütte . Eine furchtbare Hitze schlägt dem Ein- tretenden entgegen. Unwillkürlich schließt er die Augen vor dem Feuer, das in dem Rundbau, der die Mitte des hohen Raumes einnimmt, loht. Dann beginnt der Schweiß zu fließen, und man wird fähig, Umschau zu halten. In dem Rundbau, dem Ofen, befinden sich in etwa halber Mannshöhe Löcher. Hinter jedem Loche, innerhalb des Ofens, steht ein feuerfester Thonhafen, der die geschmolzene Glas- masse birgt. Der typische Vorgang beim Glasblasen ist der folgende: Der wegen der Hitze nur mit Hemd und Hosen bekleidete Glasbläser tritt mit seinerPfeife", einer mit einem Mundstück versehenen Röhre, an den Ofen und taucht das untere Ende des Blasinstrumentes in die flüssige Masse. Im nächsten Augenblick zieht er diePfeife" zurück und bläst das anhaftende Stück Masse zurBirne" auf. Dann geht er langsam vom Ofen weg nach dem Rande des herumlaufenden Bretterbodens, schwenkt die Pfeife mit der Birne bald nach oben, bald nach unten, bläst immer wieder in diePfeife"; ans derBirne" ist ein längliches Hohlgefäß geworden; die weißglühende Masse hat sich roth gefärbt und wird schließlich orangegelb. Endlich ist die ungefähre Größe des Gegenstandes, der hergestellt werden soll, erreicht, am Rande des Bretterbodens wartet der Gehülfe schon mit der Holzform. Das weiche Glas wird in die Form gepreßt, noch einmal bläst der Meister in diePfeife", ein leichter Schlag, daß es sich von derPfeife" löst, und das Stück ist im Rohen fertig. Der Abträger erscheint mit einer Eisengabel und schiebt es in eine Muffel des Kühl- ofens, wo es allmälig erkaltet. In Nr. 4 unserer Bilderreihe ist dieser Vorgang in allen seinen Stadien zur Anschauung gebracht. So wenig verwickelt er- scheint der Prozeß des Glasblasens natürlich nur bei ganz einfachen Sachen. In der Glashütte , in der wir uns befinden, werden neben gewöhnlichen Gebrauchsartikeln auch Zier- und Luxusgläser hergestellt. Hier arbeitet kein Glasbläser für sich allein. Ein jeder hat einen Gehiilfen, der diePfeife" anbläst und demMeister"

sonst zur Hand geht, und einen Lehrjnngen, derab- trägt". Btancher dieser Glasbläser ist ein reiner Künstler. Er muß Geschmack besitzen, die Holzform giebt ihm nur den rohen Umriß. Er arbeitet das Meiste ans freier Hand nach Zeichnung, au Werkzeugen hat er nur eine Zange und eine Scheere. Jeder Griff muß sitzen, sonst entsteht Ausschuß, Scherben, für die nichts bezahlt wird. Und dieses Arbeiten voll- zieht sich mit einer Hast und Schnelligkeit, daß dem Zuschauer beinahe schwindelig wird. Neben dem Arbeitsplatz eines Glasbläsers be- findet sich ein Radgestelle, das aussieht wie ein Spulrad. Mit dieser Maschine wird Glas gesponnen. Der Vorgang gleicht dem des Spulens. Die Trink- gläser und Krüge, denen man jetzt häufiger begegnet, und deren oberes Drittel wie fein gerippt erscheint, sind auf diese Weise mit Glas übersponnen. In allen nordböhmischen Glashütten wird den Arbeitern nach demSchock" bezahlt. Auf das Schock können gehen: 1 Stück, 2, 20, 40, 60 und 100 Stücke, je nach der Größe, der Zierlichkeit, der Zeit, die die Herstellung erfordert. Für das Schock werden 40 Kreuzer gezahlt. Ein Schock Rubinglas rechnet ein und ein halbes Schock. Ter Unternehmer rechnet nur mit dem Glasbläser, demMeister" ab. Ein guter Glasbläser bringt es im Monat auf 120 bis 150 Gulden. Davon hat er einen oder zwei Ge- hülfen zu bezahlen, so daß ihm etwa 90 Gulden bleiben. EinKünstler" steht sich um 10 bis 20 Gulden besser. Für den Lehrling erhält der Meister" Kostgeld von der Fabrik. Hinter dem Arbeitsraume befindet sich das ge- räumige Gelaß, in dem die fertige Waare auf- geschichtet ist. Auf den ersten Blick findet man die Formen der Schnaps-, Bier- und Weingläser, der Vasen und Schüsseln garnicht heraus. Dann er- innert man sich, daß alle diese Gegenstände durch Blasen nur in einer geschlossenen Form hergestellt werden können, und jetzt sieht man deutlich die Doppelformen, und die Hauben oder Kappen, die uns vorhin genarrt. Unser Begleiter nimmt eine der flachen Kugeln, hält sie etwas oberhalb der AUtte an eine rotirende Scheibe, einige Umdrehuugeu, die Kappe istabgesprengt", die Form einer Kompot- schale nicht mehr zu verkennen. In der Mischkammer waltet derMischer" seines Amtes. Hier wird die Qualität des Glases bestimmt, das erzeugt werden soll. Die Hauptbestandtheile bilden gebrannter, fein gestampfter Kies und Potasche. Der Zusätze giebt es viele. Setzt man Gold zu, so erhält man das prachtvolle Rubinglas, das sich in allen Nuancen vom sattesten Bordeaux bis zum hellsten Gelb her- stellen läßt. Da es sehr theuer zu stehen kommt, begnügt man sich gewöhnlich mit einem Surrogat; man übergeht,überfängt" reines Glas mit Rubi». Beim Schleifen lassen sich mit diesem Glase sehr schöne Effekte erzielen. Man schleift einen Theil des Rubins weg und erhält dadurch erhabene, rothe Flächen. In diese schneidet, gravirt, ätzt nian Figuren, Landschaften, Spruchbänder rc., und hat so zum Schlüsse weiß auf roth auf weiß. Vor dreißig Jahren waren derartige schöne Ziergläser besonders in Karlsbad zu haben, man zahlte für ein Stück oft mehrere hundert Gulden. Früher heizte man in den Glashütten nur mit Holz. Jetzt hat die Braunkohle das Uebergewicht erlangt. Aber man feuert heutzutage nicht mehr direkt. Die Kohle wird erst vergast. Manche Hütten mischen Stockholz und Kohle; bei einzelnen Glas- sorten wird nur Holz verwendet, das Glas wird reiner und erhält einen feurigen Glanz. Zu jeder Glashütte gehört eine Werkstatt, in der man die Holzformen anfertigt. Sie werden nach einer vor- liegenden Zeichnung aus Buchen- oder Birnbaumholz gedreht. Diese Drechsler haben jederzeit zu thun. Gar oft arbeitet jeder Glasbläser nach einem anderen Modell, und die Formen sind schnell ausgebraunt und ausgeleiert. Zu Tausenden liegen die weg- geworfeneu hinter der Fabrik. Zweimal in der Woche wird das fertige Produkt in großen Wagen, wohl in Stroh verpackt, zum Raffineur gefahren. Die Hütte, in der wir waren, gehört keinem Unternehmer, der zugleich Glashändler ist, sie arbeitet um Lohn für einen dieser Herren,