310

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Sie sind

die sich mit Stolz Raffineure nennen. Vom Raffi­neur kommt dann das Glas an die Schleifer und Maler oder an die Schleifer oder Maler. Das Lestere ist das Häufigere. Schon beim Bestellen in der Hütte weiß der Glashändler, ob er das ein­zelne Stück mittelst Schliff oder Farbe dekoriren" Lassen will, und diese Absicht giebt die Entscheidung, welche Glasart zur Verwendung gelangt. Kehren wir in unser Waldthal zurück. Die am Wasserlauf in Gruppen zusammenstehenden Häuschen entpuppen sich fast alle als Schleiferwerkstätten. Sie sind ebenerdig und enthalten zwei Stuben. Die eine dient als Küche, Wohn- und Schlafzimmer, in der anderen arbeitet der Schleifer, entweder allein oder mit seinem Gehülfen. Aus der Werkstatt dringt ein Aus der Werkstatt dringt ein mächtiges Singen, Pfeifen, Kreischen und Piepsen. An den Wänden, in den Fensteröffnungen hängen Vogelkäfige, unter der um den Ofen herumlaufenden Bank ist nicht ein Pläßchen frei: Kreuzschnäbel, Drosseln, Gimpel, Schwarzblättchen lärmen, wie ihnen der Schnabel gewachsen. Unter der einen Hauswand und einem Theil des Fußbodens hindurch schießt die Wasserader und treibt die Transmissionen. Und diese wieder die Schleifsteine: Wagerecht ge= stellte Holzscheiben für den feinen Schliff, Stahl­scheiben, auf die Sand gestreut wird, für den Noh­schliff; senkrecht stehende, ganz dünne Schleifsteine dienen zum, Absprengen der Kappen. Mit einer wagerecht stehenden, sich sehr schnell drehenden Stahl­stange vergrößert der Schleifer die Löcher z. B. bei einer Lampenkugel. Früher war in matten Lampen fugeln ein großes Geschäft. Der Schleifer führte schnell rotirende, feine Stahlbürsten in das Innere der Kugel, das Glas wurde gerißt und matt. Heute arbeitet das Sandstrahlgebläse schneller und billiger. Der Schleifer erhält für die Fertigstellung einer Kleinen matten Lampenkugel- Vergrößern der beiden Vergrößern der beiden Löcher, Abschleifen der Ränder, Mattiren netto netto einen Pfennig. Von den drei in der Glasindustrie beschäftigten Arbeiterkategorien: den Bläsern, Malern und Schleifern, stehen die Leztgenannten sich am schlechtesten. Wegen der Wasserkraft muß fast Jeder Hauseigenthümer werden. Dadurch geräth er in Schulden, wird gebunden und abhängig und ist den Lohndrückereien der Unternehmer völlig preisgegeben.

Der Maler wohnt am liebsten droben am Walde, wo er schönes, gleichmäßiges Licht hat. Auch hier die Theilung des Hauses in zwei Stuben. Wir treten in die Werkstatt eines Meisters", der aus­schließlich die Warmmalerei betreibt. An drei Wänden herum der zusammenhängende, niedrige Werktisch. Die Beine der Stühle, auf denen der Meister und sein Gehülfe bei der Arbeit ſizen, sind zur Hälfte abgeschnitten. Auf dem Werktische Pinsel, Fläschchen mit Farben, Federn, und vor jedem Arbeiter eine eiserne, drehbare Scheibe, mit deren Hülfe man heute einen Kreis macht. Das zu bemalende Stück wird auf die Scheibe gehoben, diese erst eine Zeit lang laufen Lassen, und dann der Pinsel angesetzt. Früher schlugen die Maler den Kreis aus freier Hand. Nach jedem Modell wird eine ganze Reihe von Stücken angefer­tigt, und auf jedem Stück finden gewöhnlich mehrere Farben, meistens auch Gold, Verwendung. Zuerst wird das weiße Email aufgetragen, dann wandern die Stücke in den Brennofen, eine zweite Farbe folgt, und wieder kommen die Stücke in den Ofen, und sofort, bis das Muster erschöpft ist. Zum Schluß wird das Gold aufgetragen, gelöstes Gold aus der Scheideanstalt. Der Maler kauft es in Fläschchen, die fünfzehn Gramm enthalten und drei Gulden fünfzig Kreuzer kosten. Es sieht dunkel­braun aus, ist aber nach dem Brande sofort blant. Die alten Maler verwendeten nur Polirgold.

Nun führt uns der Meister nach dem Flur und zeigt uns seinen Stolz, den Brennofen. Er enthält zwei Thonmuffeln, auf weitmaschige Drahtneze wird das bemalte Glas gesetzt. Wir fehren wieder in die Werkstatt zurück. Bezahlt wird der Maler nach dem Stück. Unser Meister macht die Muster selbst. Er geht damit zum Raffineur und verlangt für das Stück so und so viel. Der Preis wird auch bei Nachbestellungen nicht herabgesezt. Andere Geschäfte treiben es anders. Sie lassen vom Zeichner Muster entwerfen und wandern damit von einem Maler zum

anderen; wer es billiger macht, bekommt die Arbeit. Die Preise werden dadurch mehr und mehr gedrückt. Bei einer besonderen Art von Dosen, die nach Amerika  erportirt werden, wurden bei den ersten Liefe­rungen für das Stück sechzig Kreuzer bezahlt, schon nach kurzer Zeit aber nur noch fünfunddreißig Kreuzer. Wir kommen in's Plaudern. Der Maler entpuppt sich als Sozialist, was übrigens schier Jeder hier im Thale   ist. Er erzählt, wie vor einigen Jahren die kaltere Malerei", bei der die Farbe mit Pinsel oder Feder nur aufgetragen, nicht aber eingebrannt wird, auch in dieser Gegend mächtig überhand ge­nommen, und daß es erst wieder besser geworden, als die Unternehmer erkennen mußten, daß sie sich mit dieser Schleuderwaare selbst schädigten. Dann mit dieser Schleuderwaare selbst schädigten. Dann kommt er auf die Kunstfertigkeit der Alten zu sprechen. Wie sie beim Malen selbst die Fingernägel zu Hülfe genommen; Kerben hätten sie sich in die Nägel ge­schnitten und damit die Struktur der Blumenblätter nachzubilden versucht. Und der Meister geht an einen Kasten und bringt ein altes Erbstück, eine hundertdreißig Jahre alte Dose, auf der das Bild einer Tulpe auf diese Weise hergestellt worden. Dem freundlichen, rundlichen Mannle an dieser Stelle unseren Dank und Gruß!

Wer an einem Freitag Nachmittag oder an einem Sonnabend auf einer der Straßen, auf einem der Wege oder Steige geht, die nach der böhmischen Stadt Haida führen, wird von Männern, Frauen und Mädchen überholt, die große, mit weißen Tüchern zugebundene/ Körbe auf dem Rücken tragen. In Gegenden, in denen viel Landwirthschaft getrieben wird, begegnet man diesen großen Tragkörben auch, aber dann stecken quietende Schweinchen oder schnat ternde Gänse darin; hier enthalten sie geschliffene oder bemalte Glaswaaren, ihre Träger gehen lies fern". In Haida und dem benachbarten Stein­schönau befindet sich das Zentrum des böhmischen Glashandels. Haida muß ehemals eine, einem böhmischen Magnaten unterthänige Stadt gewesen sein. Seit Jahren schon hat sie elektrische Beleuch tung. Fast in jedem Hause sieht man Glasvasen. Das ist das Zeichen, daß hier ein Händler, Raffineur oder Exporteur wohnt. Es giebt Welthäuser in Haida und Krauterer, welche die mit einem Korbe herumziehenden Slovaken mit Waare versorgen. Unter den den Großen" giebt es solche, die nur für den Er­port, und zwar nur in ganz billigen Sorten, ar­beiten, Andere, die neben der Negerwaare" auch feine Stücke führen, und endlich Solche, die sich nur mit feinen Tafelsachen befassen. Bei einem der Letteren wollen wir Umschau halten.

"

Ein schönes, einstöckiges Gebäude. Zu ebener Erde arbeiten die Buchhalter, Musterzeichner und andere Angestellte. Das Geschäft besitzt eine Glas­hitte und läßt noch in Lohn arbeiten. Die ganze obere Etage ist zu einem Musterlager eingerichtet. Eine Flucht von hohen, hellen Zimmern. Und überall, auf großen Tischen, in Schränken, in den Fenstern, stehen Glaswaaren, die Stücke mit gleichem Muster nebeneinander, ein Service oft aus mehr als hundert Stücken bestehend. Und in jedem Zimmer dominirt eine andere Farbe: Hier Gold auf Rubinroth, im nächsten Zimmer Gold auf einem schönen, hellen Grün. Ein Zimmer ist mit Frisglas angefüllt; das fertige Glas kommt in eine Muffel und wird mit bestimmten Salzen behandelt, die den eigen thümlichen Glanz geben. Ein anderes Gelaß birgt Stücke, die inwendig grün und roth, außen blau sind, sie machen den Eindruck wie schöne Opale. Ein Raum enthält nur reines, weißes, mit schwerem Schliff versehenes Krystallglas, wie es auch auf dem Tische des Minderbemittelten zu sehen ist: Salz­fässer, Essig- und Delkännchen, Butterdosen, Kompot­fässer, Essig- und Delfännchen, Butterdosen, Kompot­schalen usw. Und nun stoßen wir auch hier auf die Spuren Stumm's. Der Freiherr ist auch seinem Ge­schmack nach massiv. Vor einiger Zeit hat er sich hier in Nordböhmen   eine aus vielen Stücken bestehende Garnitur aus altböhmischem" Glase anfertigen lassen.' Aus schweren Krystallstücken sind die Gegen­stände herausgeschliffen. Bei den Bechern und Gläsern sind ungefähr in der Mitte rundherum etwa einen Centimeter hohe, ovale Flächen stehen gelassen. Diese Ovale sind mit Rubin   oder Kobalt überfangen,

"

während die weißen Flächen des Krystallglases ganz mit Federzeichnungen bedeckt sind, zu denen man Dukatengold genommen. Die Gläser machen den Eindruck, als wären es altindische, mit großen Edel­steinen geschmückte Goldgefäße. Und die Dinger sind furchtbar schwer. Eine Kölnischwasserflasche wiegt zwei Pfund, und mit einem Kognakglase kann man auf zwanzig Schritte noch einen ausgewachsenen Schlächterhund todtwerfen.

Wir gehen weiter, in die Zimmer, die nur Trinkgeschirre enthalten: Krüge und Pokale, Römer, Schalen, Seftgläser und Gläser chne Fuß. Hier sieht man so recht, wie geschmacklos das Proßen­thum ist. Nichts kann theuer und überladen genug sein. Ein Römer" zu acht Gulden gehört noch nicht zu den theuersten seiner Art. Nach Amerika  werden Seftgläser exportirt, die folgende Gestalt haben: Auf einem fußhohen, daumdicken, weißen Stengel fist eine ganz flache Schale, der Stengel ist mit einem starken, naturalistisch gearbeiteten Rosen­zweig dekorirt. Viele Weingläser strozen so von Farbe und Gold, daß an ein Erkennen der Wein­farbe garnicht zu denken ist. Von der Sorte geht viel nach Deutschland  .

-

Wenn man ein solches Glaslager verläßt, sagt man sich: Was du da an Farben und Kunstfertig­feit der Arbeiter gesehen hast ganz ausgezeichnet, aber neue Formen sind dir doch blutwenig unter die Augen gekommen. Der Mann, bei dem du gewesen, ist der reine Händler, der auf die Nachfrage wartet. Und wenn man etwas dergleichen einem dieser Herren gegenüber äußert, dann schaut er Einen eine Zeit lang ganz baff an und meint, jedes Wort betonend: " Ja, aber, ich habe doch in Prag   oder Wien   oder sonstwo meinen Professor', der mir die Entwürfe macht! Der müßte es doch wissen, wenn es etwas Neues gäbe!" Und jetzt schweigst Du und gehst, wie Du schweigend gehst, wenn Dir ein Anderer schon an der Thür seines Riesenlagers von der Be­gehrlichkeit seiner Arbeiter vorzugreinen beginnt.

Die Kunst des Glasblasens ist in den nord­böhmischen Waldthälern schon seit Jahrhunderten heimisch. Um 1540 verstand man es hier bereits, mit Kobalt das Glas blau zu färben. Nach dem dreißigjährigen Kriege war der Siz des Glashandels in Böhmisch- Kamniz. Die Glasbläser eines Ortes vereinigten sich und betrieben den Handel gemeinsam. Die alten Glashütten   waren richtige Hütten, leichte Holzbauten, über dem Ofen wurde das Holz ge= dörrt, das man zum Feuern brauchte. Sie brannten häufig nieder. Heute noch bezeichnet ein Wasser­tümpel, ein uralter Hollunderbaum, der Name einer nahgelegenen Einschicht, der auf hütte" ausgeht, die Stelle, an der so eine Glashütte   gestanden. Die heutigen Hütten sind fabrikmäßig betriebene Unter­nehmungen. Riesenbetriebe, wie die Siemens'sche Glasfabrik bei Ellbogen am anderen Ende Böhmens  , giebt es hier nicht. In den Lohnhütten werden wohl hundert Arbeiter beschäftigt, etwa die Hälfte davon sind Glasbläser. Daß diese bei halbwegs- auskömm lichen Löhnen arbeiten, verdanken sie zwei Umständen: Der von den Vätern überkommenen und immer mehr ausgebildeten Geschicklichkeit und Tüchtigkeit, und ihrer Organisation. In den Hütten ist Alles, bis hinab zu den Lehrjungen, organisirt. Der Lohn erscheint übrigens höher als er ist. Die anstrengende Arbeit erfordert eine kräftige Nahrung. Und nur etwa zehn Jahre genießt der Arbeiter diesen Lohn. Die ungeheuere Hize, die glühenden Gase, die beim Blasen eingeathmet werden, verrichten ihr Werk. Wer vor dem dreißigsten Lebensjahre nicht abgeht, ist schnellem, unheilbarem Siechthum verfallen. In all diesen Waldthälern giebt es eine außerordentlich große Zahl Wittwen. Wittwen. Unter den Schleifern trifft man etwas ältere Leute, obwohl der aufsprühende Glasstaub und die zermalmten Schleifmittel nicht weniger mör derisch wirken. Der Grund ist der: Weil sie Haus­besizer sind, können die Schleifer nicht so leicht ab­springen wie die Glasbläser, und so müssen sie es eben treiben, so lange es geht.

-