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Die Reue Welt. Illustnrte Unterhaltungsbeilage.
Scheu sah Lena nach dem Sopha. Er hatte sich aufrecht gesetzt und die Augen weit aufgeschlagen. „Du warst gut bei Stimme/' sagte er,„sehr frisch und klar, aber Du warst heute nicht mit der Seele dabei. Warum nicht?" „Man ist doch nicht immer gleich disponirt," antwortete sie ausweichend. Wie gerne hätte sie her- ansgeschrieen: ,Weil Du krank bist, sehr krank! Ich kann nicht singen!' Sie durste das nicht. So wieder- holte sie noch einmal:„Ich war nicht disponirt! Verzeih!" „Morgen kannst Du mir es wieder singen. O, wie schön ist das Lied," schwärmte er.„Btir ist wirklich, als hätte ich's jetzt noch lieber wie früher. Ich lerne es erst ganz verstehen. Komposition und Text so wundervoll! Ich möchte wohl wissen, ans >velcher Stimmung heraus Schumann das komponirt hat— ob sie der meinen gleich war?" Er versank in Sinnen. Lena saß noch immer ans dem Klavierstuhl. Ihren Mann im Schein der Lampe konnte sie sehen, sie selbst blieb unbeobachtet, verschluckt vom Dunkel. Die Uhr nebenan schlug acht; plötzlich hörte man draußen eine rauhe Stimme. Wer war das?! Die junge Frau fuhr zusammen, draußen der hohle, grobtiefe Baß jagte ihr einen Schauer über den Rücken, ein Frösteln durch alle Glieder. Die furchtbare Stinime— was wollte die— wo kam die her— was wollte die?! Sie sprang auf und starrte mit entsetzten Augen nach der Thür. Es klopfte. Sie streckte abwehrend die Hände aus:„Nein, nein!" „Was hast Du?" fragte der Kranke heiser. „Herein!" Die Thür ging auf. Das Mädchen trat ein, einen Brief in der schwieligen Hand. „Wer— wer ist draußen?" stammelte Lena; ihre zitternden Lippen konnten kaum die Worte formen. „Na, der Briefträger!" Das Mädchen sah sie verwundert an und ging dann wieder ab. „Von Onkel Hermann," sagte Richard erfreut. „Susanne muß ihm geschrieben haben, daß ich krank bin. Paß mal ans, wie nett er nun ist!" Er öffnete selbst den Brief und las ihn; er hatte kaum die erste Seite überflogen, so knitterte er den Bogen zusammen und schleuderte ihn, zum Knäuel geballt, mit einem Zorneslaut von sich auf den Boden.„Er ist ver- rückt— der— der—!" Er beugte sich vornüber und hustete anhaltend und erregt. „Was ist, was hat er geschrieben?" fragte Lena und faßte nach dem Papierknäuel. „Laß liegen," schrie er heftig,„oder heb' den Wisch ans und schmeiß ihn in den Ofen! Ich habe nicht nöthig, mir Vorhaltungen machen zu lassen. Rasch, rasch— so— verbrenn' ihn! Ah, was der Alte glaubt— und das nennt er Liebe? Ha, Liebe!" Er lachte bitter.— Als der Kranke eine halbe Stunde später im Bette lag und seine Frau ihm die Ntedizin zur Nacht reichte, hielt er ihre Hand fest.„Lena," sagte er weich. „Richard!" Sie reichte ihr Gesicht näher zu ihm. „Datz ich trag' Todeswunden, Tas ist der Menschen Thun ; Natur ließ mich gesunden, Sie lassen mich nicht ruh'n," flüsterte er.„Das Lied kommt mir nicht aus dem Kopf, ich hör' es immerzu. Er sagt, er liebt mich, und doch schreibt er, ich hatte mir selbst mein Leben verpfuscht. Die Krankheit wäre mir eine ganz heil- same Mahnung. O, ich ärgere mich so, es wurmt mich so!" Seine trockenen Lippen zuckten. Lena streichelte ihn.„Sei ruhig, Richard," bat sie,„Du schläfst sonst die ganze'Nacht nicht. Ja, sie lieben uns Alle," setzte sie mit einem Lächeln hinzu, das ihr junges Gesicht traurig veränderte. „Alle," wiederholte er. Er hielt noch innner ihre Hand fest.„Das Leben ist so schwer!" Es klang wie eine Klage, die ein Kind der Mutter stammelt— ein armes, schwaches Kind. **
XVIII. Der Schnee ist vergangen. Im botanischen Garten zeigen die Stachelbeersträucher die ersten verkrum- pelten grünen Schößlinge: aber nur die, die am sonnigen Play stehen, die anderen strecken die nackten, dornigen Zweige. Tie Weiden um den Tümpel gehen in den Saft, roth wie Blut schimmern sie. An den großen Bäumen schwellen Knospen, braun und dick; die Spatzen schirpen und lärmen in Schaaren. Es tvar Februar. Ein selten frühes Frühlings- ahnen nach langem Erstarren. Bei Bredenhofers ging es viel treppauf und treppab; es durfte nicht geklingelt werden..Bitte klopfen' stand an der Entrc'ethiir. Schon am frühen Morgen kam Frau Susanne Allenslein, am'Mittag kam sie zum zweiten- und am Abend zum drittenmal. Sie weinte, wenn man sie nicht immer zum Bruder ließ. Doktor Allenslein kam ebenfalls täglich; er war ein gntniiithiger Mensch, und wenn er die Treppe wieder hinnnter ging, waren in seinem jovialen Ge- ficht die Augenbrauen hochgezogen. Oesters begleitete ihn sein Kwllcge, der berühmte Spezialist für Hals- und Lungenkrankheiten; der Mann war seiner Sache sicher, der hatte bereits im Januar, als er das erste Mal kam, ackiselzuckend gesagt:„Letal!" Sie sprachen im Krankenzimmer immer fliistenid; Lena lauschte gespannt und verstand nicht. Wie war das eigentlich nur so rasch gekommen? Bredenhofer hatte sich nach der ersten Attacke merk- würdig erholt gehabt. Niemand dachte Schlimmes, und selbst Lena verlor die unbestimmte, unheimliche Angst, die sie gemartert. Er stand auf, er ging, ohne sich auf ihren Arm zu lehnen, eilig und kräftig im Zimmer auf und ab; das Atelier wurde geheizt, er machte die ersten Entwürfe zu seinem Bild. Zu entwirren war das Chaos von Kohlenstrichen und Farbenklecksen noch nicht, aber eS würde schon kommen, es mußte kommen! Bredenhofer trug die gute Sammetjoppe, er empfing oft den Besuch Renter's. Beide Männer vertieften sich dann ganz, bis auf den Korridor hörte man ihr lebhaftes Gespräch, nur ab und zu unterbrochen von heiserem Hüsteln. Ter Alte und der Junge, beide waren sie gleich enthusiastisch. Bei dem Alten war es ein stetig brennendes, lustiges Herdfeuer, an dem sich sein Herz wärmte und jung blieb; bei dem Jungen ein ängstlich flackerndes, jäh aufflammendes Licht, das rasch erlischt, wenn ein Zugwind weht. „Ihr Mann ist ein ganz genialer Kopf, liebe junge Frau," rief Reuter eines Tages Lena zu, als diese das Atelier betrat. Sie störte dort nicht gern, aber heute tvar ihr bange geworden, der gute Doktor blieb so lange; immer erregter klang das Husten ihres Mannes durch die Wand. „Wird es Dir auch nicht zu viel, Richard?" fragte sie besorgt. Er hatte so merkwürdig unruhige, glänzende Augen und ein abgezirkeltes Roth auf den Backen.„Ter Doktor hat gesagt, Tu möchtest Dich noch sehr schonen." „Still," sagte er und hob den mageren Finger, „störe uns nicht! Nicht wahr, das ist eine wunder- volle Idee, lieber Doktor?" wandte er sich zu diesem. „Gewiß, gewiß! Ganz herrlich, eine gottbegnadete Idee— oh, oh!" Reuter zappelte mit Händen und Füßen. „Ja," rief Bredenhofer,„ich warte nur noch den ersten Sonnenschein, das erste Friihlingserwachen ab, dann bin ich sicher, ist mein Krankheitsrest ganz verschwunden. Vom leidigen Körper nnbelästigt, kann ich mich in freie Regionen schivingen." Lena fühlte einen Stich im Herzen. Sie freute sich über die Frische ihres Mannes, über die so rasch zurückgekehrte Hoffnungsfrendigkeit, aber sie selbst konnte nicht mitmachen, ihr tvar die Elastizität ganz abhanden gekommen. Unbeachtet, wie sie sich hier fühlte, schlich sie wieder hinaus. Die junge Frau konnte ihren Znstand nicht mehr verbergen. Die Mutter hatte bei der Entdeckung geweint und die Tochter unter vielen Thränen an's Herz geschlossen: man wußte nicht, freute sie sich oder jammerte sie. Ter Schwägerin hatte Lena
keine Mittheilung gemacht, aber die ließ es nicht an zarten Anspielungen fehlen. Auch nicht an weisen Ermahnungen. „Solltest Du— ist es wirklich der Fall— ich weiß ja nichts Genaues— aber dann mußt Du Dich recht in Acht nehmen. Ich würde nicht so viel sitzen, geh fleißig an die Luft und sei recht heiter, immer recht heiter!" Lena hatte die Lippen zusammengekniffen. ,Jch weiß nicht, was Du willst-, sagte deutlich ihr ab- weisender Blick. Nur Richard hatte keine Ahnung. Schwester und Schwiegermutter sagten ihm nichts, sie wollten ihn jetzt nicht aufregen, lind Lena selbst? Hundertmal hatten sich schon ihre Lippen geöffnet, um ihm das Geständniß zu machen, und dann hastig wieder fest geschlossen. Es regte sich in ihr wie Beleidigung; er war so ganz verrannt in seine Ideen, mit sich vollauf beschäftigt, in fieberhafter Eile wollte er jede Minute ausnutzen— was sollte sie ihn stören? Wenn er erst ganz gesund war, dann wollte sie sprechen. Ganz gesund—?! Ganz krank. Der Tag kam, an dem Lena und das entsetzte Dienstmädchen ihn zusammengebrochen vor der Staffelei fanden. Das Fenster ini Atelier stand halb offen, er hatte es wohl geöffnet. Die erste lauliche und doch heimtückische Luft wehte herein. Er lag am Boden, ohnmächtig, Blutflecken ans der Joppe, noch Blut auf den schnecbleichcn Lippen. Die Magd kreischte ans, sie wäre ain liebsten davon gerannt; aus Lena's Mund kam kein Ruf. Nun verließ er das Bett nicht mehr. Sein Lebenslicht flackerte und züngelte mit langer, ver- kohlter Schnuppe; Gevatter Tod stand ans der Lauer, es ninzustoßeu. Frau Langen war außer sich— daß ihrer Tochter das Passiren mußte! Ihr graues Haar schien noch graner, ihr Rücken beugte sich, sie verweinte die Nächte. Am Tage war sie fast immer in der EIS- Holzstraße zu finden; im Wohnzimmer saß sie in der Sophaecke zusammengekauert.„Wie geht es ihm, was macht er jetzt, schläft er, ist er wach?" rief sie ängstlich leise der Tochter zu, wenn diese sich nur sehen ließ. Mit brennenden, thränenlosen Augen ging Lena hin und her. Stundenlang saß sie regungslos am Bett ihres Mannes und hielt seine Hand. Auf alle ärztlichen Ermahnungen, sich zu schonen, auf die Bitten der Mutter schüttelte sie nur den Kopf.„Nach- her!" Das>var das Einzige, was sie sagte. Der Kranke schlief meistens oder er lag in einer stumpfen Apathie. „Die Lebenskraft ist vollständig erschöpft," sagte der berühnite Spezialist zu Allenstein ,„aufgezehrt das Oel in der Lampe . Die Konstitution ist über- Haupt schwach, starken Anforderungen nicht gewachsen. Ich sagte es Ihnen ja gleich, verehrter Kollege, nichts mehr zu machen! llebrigens Schmerzen leidet er nicht, er löscht aus." Jetzt sprachen sie nicht mehr flüsternd im Kranken- zimmer; wozu auch? Das junge, blasse Weib wußte ganz genau, um was es sich handelte. Sie ver- zweifelte nicht, aber sie kämpfte nicht mehr; sie streckte die Waffen in stummer Resignation. Am Abend steigerte sich das Fieber des Kranken, die Nächte durch phantasirte er. Frau Allensteiu hatte einen exzellenten Wärter engagirt, Lena schickte ihn in's Nebenzimmer; dort schlief er. Sie selbst saß wie ein Geist neben dem Lager ihres'Mannes und horchte und horchte. O, Niemand sollte das Gespräch belauschen, das ihre Seele nM seiner Seele hielt! Er delirirte, aber mitten in dem wilden Gemisch von Wahn und Unsinn, von phan- tastischen Entwürfen, bekannten Plänen und neuen, kühneren, unmöglichen, kamen Stellen von unsäglicher Schönheit. Da sprach er von der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft, von ihrer Reise, der sonnigen Stunde im Kölner Dom , ihrem Wiedersehen in Berlin um von ihrem ersten Kuß. Er sprach flüsternd, wie ein heimlich Liebender. Da konnte Lena weinen. Und die Thräne» schwemmten fort, was in ihrer Seele an Bitterkeit gegen ihn sich angehäuft, ivas sie von ihrem'Mann getrennt hatte. Sie preßte ihre Lippen auf sti»r Hände.