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34. Jahrgang. Nr. 27

Sonntag

Das Lied der Straßen.

Werte sind wir eurer Hochgedanken, Mühsam werden wir durch eure Hände- Aber nur den Anfang, nicht das Ende

Gebt ihr uns denn wir sind ohne Schranken!

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Leblos scheinen wir wie Stein und Mauer Unter Sonnenbrand und Sturmeshieben. Doch wir leben! Denn wir können lieben, Und wir liegen immer auf der Lauer!

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Aber Freunde find wir lieber, Gaffen, Eingeweihte aller Heimlichkeiten Eurer Fenster späte Schimmer gleiten Ueber uns und alle eure Schatten.

Eure Dirnen, Bresthaften und Armen, Die um falscher Ordnung willen schmachten, Und die Einsamen, die euch verachten, Suchen uns denn wir sind das Erbarmen!

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Und wir dulden eure Narrenzüge, Eurer harten Füße blindes Treten, Hinter Heiligen und Trugpropheten, Euren Gößendienst vor Macht und Lüge.

< b> Siegeszeilen eurer Schlachtenlenter, Bühnen demagogischer Gelüfte. Tragen wir Triumphe, Blutgerüste, Krönen heute, und sind morgen Henket.

Und wir dauern noch, wenn längst zunichte Eure Macht von Fürsten und Tribunen- Andre Völker deuten dann die Runen Unjrer Steine wir sind die Geschichte! Anton Wildgans .

-Stibb

Die Presse im Kriege.

Von Friedrich Stampfer.

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Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt

Der Reipziger Nationalofonom Prof. Karl Bücher hat fürzlich seine zweite Streitschrift gegen die deutsche Presse er­scheinen lassen.*). Seine erste, im Frühjahr 1915 erschienen ( Unsere Sache und die Tagespresse), hat viel Aufsehen erregt und einen hißigen Federkrieg hervorgerufen, dessen Fort­fegung von Büchers Seite nun die zweite bildet. Sie sett sich mit den zahlreichen Kritikern auseinander und bildet eine Verteidigung der These der ersten Schrift, die folgendermaßen lautet:

Berlin , 8. Juli 1917

Amerikaner, soweit England in Betracht kommt, sich vergeblich gegen die Presse zu Felde zog. Das war der Historiker imd aufgelehnt haben. So konnte dem wirklichen Kriege ein Breß- Großdeutsche Heinrich Wuttke , und sein Buch, Die deutschen feldzug zur Seite treten, in dem mit den verwerflichsten Mitteln Zeitschriften", das in mehreren Auflagen erschien, griff noch gekämpft wird und die schmerzlichen Wunden des Schlachtfeldes gründlicher in das Wespennest. Manche Auffassung Wuttkes immer weiter aufgerissen und vertieft werden. Gegen diese ist durch die geschichtliche Erfahrung widerlegt, sein großdeut­Flut des Völkerwahnsinns und der Bosheit auf- fcher Preußenhaß ist überlebt, das geschichtliche Material, das zutreten, mag leicht als ein fruchtloses. Beginnen erscheinen. er über den moralischen Zustand der Presse in den Jahren. Muß jeder derartiger Versuch doch mit dem Verzweiflungsschrei 1866 und 1870/71 ausbreitet, hat aber seinen Wert nicht beginnen, daß, was wir seither als eine der besten Früchte der verloren.. Kultur betrachtet haben, die Zeitungspresse, dieses Namens un­würdig, daß sie cin ummelplab der Unkultur ge­worden ist."

Es ist begreiflich, daß dieses Urteil einem sehr großen Teil der deutschen Zeitungsmänner scharf auf die Nerven fiel. Die Rezensionen flangen, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht eben freundlich. Verschiedene Presseverbände protestier­ten, und Herr Gottfried Stoffers in Düsseldorf ließ sogar eine besondere Streitschrift, der Presse zum Schuß, Bücher zum Truz erscheinen. Ob dieser Herr Stoffers nur der rechte Mann war, die Sache der Presse gegen einen Mann von der wissenschaftlichen Bedeutung und der schriftstellerischen Kunst Büchers zu verteidigen, mag dahingestellt bleiben, aus der Ab­fertigung, die ihm in der neuen Gegenschrift zuteil wird, ge­winnt man diesen Eindruck nicht.

Bücher hält seine Anklage in allen Punkten aufrecht, und er steigert seine Sriftik schließlich zu folgendem positiven Pro­

gramm:

Vergleicht man die Darlegungen Büchers und Wuttkes, so erkennt man, wie aus gleichen Ursachen gleiche Wirkungen entstehen. Der Krieg, der uns als höchste Steigerung aller männlichen Tugenden gepriesen wird, hat die Korruption der Presse zur unvermeidlichen Begleiterscheinung. Er ist ihr moralischer Ruin.

Wuttke hat schon 1875 der damals noch jungen, in den. Kinderschuhen steckenden sozialdemokratischen Presse Beach tung geschenkt. Um so mehr hätten wir von Bücher erwarten dürfen, daß er nicht einfach an ihr vorübergegangen wäre, sondern ihre besondere Art gewürdigt hätte. Damit soll nicht gesagt sein, daß es die Aufgabe des Kritikers gewesen wäre, für die sozialdemokratische Presse die Reklametrom­pete zu blasen. Aber ein unparteiischer Vergleich zwischen der bürgerlichen Rapitals presse und der sozialdemokratischen Organisations presse hätte doch vieles zugunsten der zweiten in Erscheinung treten lassen, worüber zu schweigen unrecht ist. Die große Umwälzung der sozialen Wertbegriffe, die schon Erst in den lezten Tagen ist die Korruptions. jetzt dieser Krieg nach sich gezogen hat, kann am wenigsten angefahr, in der die deutsche Presse schwebt, durch die Ver­der Tagespresse vorübergehen. Bei dem ungeheuren Einfluß, öffentlichungen der Münchener Post"( Borwärts" vom den sie auf das Geistesleben der Völker erlangt hat, wird sie 6. Juli) in ein helles Licht gerückt worden. Eine von geradezu ein Gradmesser ihrer Kultur und ein Maßstab, mit Kriegsgewinnen überquellende Gesellschaft, an deren Spize dem wir alles künftig Erreichbare zu messen haben. Was wir die Vertreter der Rüstungsindustrie stehen, will die ganze in den ersten Monaten des Krieges an Ver- deutsche Presse an die Kette von Inseratenverträgen hehung und Herabsehung erlebt haben, darf legen. Die Angelegenheit ist von so ungeheurer Bedeutung, nicht ein zweites Mal wiederkehren. Soll es uns daß sich die Faktoren der Reichsgesetzgebung je aber erspart bleiben, so tann es nur auf dem Wege geschehen, früher, desto besser mit ihr beschäftigen müssen. Denn wer daß wir selbst für eine in jeder Hinsicht hochstehende Tagespresse ein Gegner von Eroberungskriegen ist, der kann auch nicht sorgen, daß wir der strengsten Wahrhaftigkeit in der wünschen, daß Deutschland in diesem Weltkrieg vom Ameri­öffentlichen Meinung eine Gaffe bahnen, nicht aber durch die Fanismus innerlich erobert wird, er muß nach Kräften die plumpen Mitte I der Beeinflussung des Auslandes, welche Entwicklung zu einem Zustand bekämpfen, der die gesamte gewöhnlich vorgeschlagen werden. Die Hebung der Presse wird öffentliche Meinung unter die Herrschaft einer Gruppe kapi­damit zu einer nationalen Aufgabe ersten Ranges. talsgewaltiger Trustmagnaten bringt. d

leberflüssig zu sagen, daß jeder sozialdemokratische Schriftsteller und jedes sozialdemokratische Blatt die Kritik Büchers als vollberechtigt anerkennen muß. Oder vielleicht doch nicht ganz überflüssig? Bücher selbst hätte anerkennen müssen, daß die sozialdemokratische Presse sehr vereinzelte Entgleisungen ausgenommen von seiner Kritik nicht ge­troffen wird. Manche Stelle seiner Schrift aber läßt darauf schließen, daß er, wenn er von der Presse spricht, an die Eri­stenz einer sozialdemokratischen Presse überhaupt nicht denkt. So schreibt er:

Ich kenne kein Blatt in Deutschland , das einem Artikel Raum gewähren würde, der an unserer Presse Ausstellungen zu machen Die Presse hat in allen 2ändern ohne Aus- hätte. nahme sich den Anforderungen des Krieges Ein derartiges Uebersehen eines quantitativ beträchtlichen nicht gewachsen gezeigt. Sie hat ein beschämend und politisch doch keinesfalls unerheblichen Teils der deutschen geringes Bewußtsein von ihrer Pflicht offen- Presse muß an einer Schrift, die sich mit der deutschen bart, der Wahrheit und nur der Wahrheit zu Tagespresse"( und nicht etwa bloß mit der bürgerlichen Presse dienen. Dazu ist sie überall in den kriegführenden Ländern oder ihrem übelsten Teil, der chauvinistischen Hezpresse) zu be­einer strengen Zensur unterworfen worden, gegen welche die schäftigen vorgibt, als ein schwerer Mangel empfunden werden.

*) Karl Bücher . Die deutsche Tagespresse und die Kritik. Tü­ bingen 1915. Verlag von J. C. B. Mohr.- Ausgegeben April- 1917.

Maman.

Von Paul 3e ch( im Westen).

Auf der langen vielfach gekrümmten Chaussee, die nach C. führt, bewegten wir uns schon vier Stunden. Der Wind blies feinzerstäubten Schnee von den Bäumen herab. Die Luft aber war klar und von der Sonne durchwärmt.

Wir sangen eine ganze Strede lang.

Da überholten wir einen mit Hausgerät und einigen Säden schwer bepadten Wagen. Einen flappernden morschen Handkarren.

Ein Weib in dünnem Rattunrod und mit nackten Füßen in Holzschuhen, drückte ihren Oberförper feuchend in die Hinterwand des Gefährts. Vorn ächzte ein Mädchen von zehn oder elf Jahren in den Zugstricken. Sein Gesicht hatte die Röte von Erdbeeren. Blauschwarzes Haar flebte in rauschenden Bündeln auf der Stirn.

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Unser Zugführer herrschte die Frau an. Schimpfte: daß es eine Schande sei, ein Kind so zu quälen. Das Kind hauchte paarmal Maman!" Sehr müde und Das Weib fegte den Zipfel der Schürze durch zerschlagen. das Gesicht, stellte sich vor den jungen Offizier und riß sich mit einem Ruck das Wolltuch von der nackten Schulter. Zwei fiefrote Rillen standen da auf der gelben Haut und Streifen verkrusteten Blutes bis auf die welken Brüste hinab. Das Kind hatte sich bis an den Rand des Karrens vor­geschoben, ließ die mageren Aermchen hängen und weinte mit offenen Augen wieder dieses tiefe, müde: Maman... Maman

Der Zugführer wandte sich ab, senkte die Brauen und kniff den Mund fest ein.

Es tanzte vor unser aller Augen: Wagen... Menschen Wunden und Weinen.

Landschaft tanzte vor unseren Augen in Blut und

Rauch.

Da bückte sich die Frau nieder. Ihre Silhouette flumpte zusammen.

Die Räder Knirschten.

In der Kriegsperiode vor fünfzig Jahren war es auch ein Leipziger Professor, der ganz ähnlich, wie heute Bücher,

,, Maman" schluchte es alle Minuten vor uns im Wind. Zwei von unseren Leuten sprangen vor, einer hob das Kind auf den Karren und spannte sich selber hinein. Der andere drängte die Frau fort und stemmte die Fäuste in die Kastenwand.

Wie eine Trommel schlugen jetzt die Räder. Sah man sich um, hockte das Kind wie ein aufgeplusterter Vogel auf den Weidenkörben. Die Frau hielt sich mit beiden Händen an der hinteren Runge.

Mir schien, als ließe sie sich schleifen, so, wie ein Sti­fahrer sich zuweilen von Pferden einen Berg hinaufziehen läßt. Um ihre Holzschuhe wirbelten Schnee und Staub.

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Es ist bedauenlich, daß diese Zusammenhänge erst zu einer Beit aufgedeckt werden, da Büchers Schrift schon abgeschloffen war. Ihre Erkenntnis hätte vielleicht auch ihm den Gedanken aufgedrängt, daß eine von der Kapitalsmacht unabhängige Organisationspresse, wie die sozialdemokratische Presse, mag an ihr auch noch soviel zu bessern sein, ein wichtiges Stüd geistigen Nationaleigentums ist, an dessen Ausbau und Förde rung legten Endes das ganze deutsche Volk das stärkste Interesse hat.

Heinrich Mann .

Ein Orientierungsversuch von Curt Mored.

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,, Nicht die Kunst und die Werke machen den Künstler, sondern der Sinn und die Be Schlegel. geisterung und der Trieb."

Der Roman als Kunstwerk ist die Ausdrucsform démokratischen Empfindens für das in der Seele des Dichters sich vollendende Weltbild. Romanische Völker erkannten und würdigten ihn eher in seiner kulturellen Notwendigkeit. Als beschreibende Darstellung realer Vorgänge entstand er, da die Masse eine höhere Bedeutung im Weltbetrieb gewann und die Neuordnung der Zustände kritische Und sagte dreimal dieses harte: No!"

Daß wir aber das Kind mit hineinnahmen, mochte sie doch nicht verhindern.

Der Zugführer ließ dem Mädchen etwas Warmes vor­setzen. Es saß mit nach innen gerichteten Augen vor der Schüssel, wie in tiefer Einsamkeit, und die Männerstimmen umher, bittende, fragende, scheltende, hatten kein Echo darin. Die stille Angst wich nicht aus den blanken Kohlenaugen. Wir brachen wieder auf.

Das Kind hatte schnell einen Zaib Brot vom Tisch ge­griffen und brachte ihn Maman.

Das Weib drehte sich duckend um, mit verwischten, wirren Blicken. Lauerte. Riß dem Kind das Brot unter dent Schürzchen fort.

Dann wurden wir einen Augenblick von dem jäh ge­wechselten Bild der Landschaft hinbezwungen. Ruinen eines Die beiden Männer stemmten sich wieder in den Karren. Dorfes standen zu beiden Seiten der Chaussee. Hinter breiten Gürteln schwarzgesengter Stoppeln lagen Flächen, gepanzert Mit qualmenden Zigarren. Der Wind fegte Funken aus den mit pechtriefenden Stacheln: Stümpfe von Obstbäumen glühenden Stengeln. Der junge Öffizier wollte das Kind partout auf das Pferd und der furchtbare kalte Geruch von verkohltem Rorn. Ich dachte mir, daß dadrinnen in dem Deden die un- nehmen. begrabenen Toten jeden Abend wandern mußten, eine schwarz- Fragte: Willst Du?" wogende Prozession von Schatten, hüpfend und tanzwirbelnd Das Kind zeigte nur die seltsame Angst in dem Gesichtchen. um das Geröll von Stein und Knochen, durch aschengefüllte| Die Frau aber blickte aus dem fast blöden Lauern scheel auf. Schluchten in diesem Inferno die Schatten derer, deren den Offizier und plärrte:" No.... bazelle soll wieder Seelen zu heiß gebrannt hatten, ehe sie selbst Kohle wurden. Den Karren ziehen." Schauerlich hallte das Gefreisch der Räder, das hohle Da hoben die Männer an dem Wägelchen die Alte hin­Stampfen minutenlang. auf und das Kind saß, noch che sie sich aus dem verrückten, Wehren und Schimpfen gelöst hatte, bei dem Zugführer und klammerte die Hände in das Mähnenhaar des Pferdes. Schrecklich freischten die Räder aus den schnelleren Dreh­ungen heraus. Am Die Kühle strich härter über unseren Gesichtern. Himmel zerriß die Wolkendecke. Ein Loch, rund und groß. wie an einem eingestoßenen Kathedralenfenster entstand; füllte sich silberglänzend.

Es war eine sichtbare Erleichterung für alle, daß bald ein paar wirkliche Häuser tamen. Ragende und lustig rote Mauern, die den Rauch warmer Lebendigkeit aus den Schorn­steinen in die Dämmerung atmeten.

Da die Frau mit dem Starren gleichfalls nach Gent wollte, nötigten wir sie, mit uns in das Wirtshaus zu gehen. Sie winkte barsch und breitete sich mit dem Rücken gegen das Gefährt.

Der Offizier bat noch einmal.

Sie sah auf seinen fnabenhaft betteľnden Mund. Ste sah in seine offenen Augen, in denen ein verängstetes Mitleid schimmerte.

Der Karren blieb immer weiter hinter uns zurück Wir sagen nur die roten Glühföpfe der Zigarren um eine Flucht von vielen kleinen Sternen daraus. Das Kind auf dem Gaul weinte leise:

aman...