I Freitag, 20. Dezember 1935 15. Jahrgang Einzelpreis 70 Heller (eimchll.Blieh S H«ll«r Potte) Nr. 296 IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. KD AKTION und Verwaltung piag»ufochova 42. Telefon 53077. HERAUSGEBER, SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEURt DR. EMIL STRAUSS, PRAG  . Herriot  . das zweite Opfer Lav^lscher Politik Neue Lage in London  , Genf   und Paris  DerFriedensplan" so gut wie erledigt Mussolini   überspannt den Bogen Der Rücktritt Sir Samuel Hoares kam trotz der vorangegangenen heftigen Kampagne der ge­samten englischen Presse gegen den verunglückten Friedensplan überraschend. Denn eben hatte Baldwin noch erklärt, er werde die Polittk Hoares, die auch die seine sei, im Unterhaus ver­teidigen un sei sicher, daß die Ration ihm recht gebe. Man verweist in der Presse darauf, daß der Fall einzigartig dasteht, daß ein englischer Minister gewissermaßen kneift, indem er vor der Parlamentsdebatte zurückttitt, statt sich erst den Angreifern zu stellen. Run wird der Rück- tritt des englischen Außenministers vielfach als eine Folge der scharfen A n g ri f f e hingestellt, die innerhalb deS konservativen Par­teiklubs gegen ihn erhoben wurden. Das dürste stimmen, nur werden die Auseinander­setzungen im Klub der TorieS sich nicht auf der­selben Plattform bewegt haben, wie die Diskus­sion in der Oeffentlichkeit. Auch das wird stim­men, daß die Rede Mussolinis bei der Einweihung der neuen Stadt Pontinia, bei der Mussolini   von demEgoismus und der Heuchelei" der Gegner Italiens   sprach und das fett« Angebot Hoares als zu gering ab­lehnte, den letzten Anstoß zum Sturz des.briti­ schen   Ministers gegeben hat. Rur   wird auch hier die Empörung der TorieS weniger groß gewesen sein als ihre Angst. Der Sturz Sir Samuels ist aller Wahr­scheinlichkeit nach auf die nüchterne Erwägung zurückzuführen, daß man dem drohenden Sturm im Unterhaus Vorbeu­gen, daß man die Empörung des Hauses der Gemeinen abfangen wollte, indem man ihr ein Opfer hinwarf. Insofern wird die Rede Musso­linis mitgespielt haben, die für das englische Na­tionalgefühl beleidigend gewesen ist und leicht einen Sturm entfesseln konnte, dem trotz seiner Mehrheit im Parlament das Kabinett Baldwin zum Opfer gefallen wäre. So entschloß man sich zu der ungewöhnlichen Maßnahme, den Außen­minister zu opfern, den man eben noch gedeckt hatte." Hoare   selbst hat im Unterhause bei seiner Verteidigungsrede nicht schlecht abgeschnitten. Die Nachrichten aus Genf   und Paris  , die Wahrschein­lichkeit, da der angefochtene Friedensplan ohnehin erledigt sei, hat die Stünmung im Unterhaus ebenso gebessert, wie der Rückttitt Hoares seine schärfsten Gegner besänftigt haben dürfte. Ist Hoare  , wie er auch in seiner Rede sehr deutlich zugibt, ein Opfer der zwei- drutigen Politik Lavals gewor­den, so hat diese inzwischen in Paris   selbst einen weiteren Kopf gefordert. Zwischen Her­ riot   und seiner Partei ist es zu einem Konflikt gekommen, der mit dem Rückttitt Herriots vom Präsidium endete. Im Augenblick scheint dadurch Lavals Position gestärkt, da Her­ riot   sich für ihn opfert. Aus die Dauer aber wird Laval die Radikalen, gerade wenn sie unter neuer Führung Chauxtemps und D a l a- di e r werden neben D e l b 0 s genannt ste­hen und auf Herriot   keine Rücksicht nehmen müs­sen, nicht bei der Stange halten können. Die op­positionelle Welle in der Kammer schwoll Don­nerstag wieder an und man forderte allgemein die Vorverlegung der Debatte über die Außen­politik. In G e n f fängt der bürokratische Mecha­nismus des Völkerbundes auch die größten Stürme auf, ehe sie sich austoben können. So entschieden weite Kreise des Bundes den Antrag Laval-Hoare ablehnen, so wenig hitzig war der Beginn der Aussprache. Die Nachricht vom Rück­ttitt Sir Samuels mußte die Gemüter weiter be­ruhigen, denn nun hat der Vorschlag, dessentwe­gen er stürzte, ohnehin nur noch akademische Be­deutung. Eine andere Frage ist es, ob die Ereignisse in London   und die Ablehnung des Projektes in Genf   wie auch durch beide kriegführenden Par­teien zu einem verschärften Sanktionsdruck füh­ren wird. Der Dolchstoß L a v a l s hat doch soweit gewirkt, daß dem Völkerbund heute der Schwung ,fehlt> mtt dem- er im November für seine Grundsätze eingetreten ist. Man will weder, die Sanktionen über Nacht abbrechen, noch"aber sie bald und energisch erweitern. Nur ein K u r S- wechsel in Frankreich   könnte die Situation wirklich bessern und Edouard Herriot  den Krieg mit einem Mißerfolg Muffoflnis enden lassen.-", Jedenfalls ist die Pplirik der sandten Sanktionen und das hat die öffentliche Mei­nung Englands begriffen; gescheitert. Für alle künftigen Fälle wird der Bund beachten müssen, daß es n u r scharfe Sanktionen Genf.(Tsch. P.-B.) In Genf   wurden Donnerstag vormittags dir diplomatischen Bera­tungen über das weitere Borgehen bei Lösung des italienisch-abessinischen Konfliktes fortgesetzt. Außerdem trat am Vormittag der Völkerbund  - rat in Anwesenheit sämtlicher- RatSmitglieder I  mit Ausnahme des italienischen   Delegierten Ba­ron Aloisi zusammen, der in Genf   nicht einge- troffen ist. Die Verhandlungen des RateS über die französisch-britischen Vorschläge waren zu­weilen geradezu dramatisch. Rach langer, kurz vor 14 Uhr beendeter Debatte genehmigte der Rat eine Resolution, drrgemäß die französisch­britischen Vorschläge dem Dreizehnetausschuß des RateS zur näheren Prüfung überwiesen werden. Man ist der Meinung, daß dieser Ausschuß«ach Eintreffen der definitiven Antworten der Regie­rungen Abessiniens und Italiens   auf die fran­zösisch- britischen Vorschläge zusammentretrn werde. Der allgemeine Eindruck geht dahim daß daS französische   Kompromiß schließlich nicht angenommen werden wird, da die britische  Regirrung nach der Demission HoarrS die Politik der integralen Verteidigung deS Bölkerbundpäk- teS aufnrhmen und darauf bestehen werde, daß die Sanktionskonferenz ihre kürzlich unterbräche» neu Verhandlungen fortsetzr. Bisher steht nicht fest, ob über die Geltendmachung der Petro­leum-, Eisen- und Kohlensanktionrn bereits aus dieser Tagung deS AchtzehnerauSschuffeS entschie­den werden, der ob über diese Sanktionen erst im Jänner verhandelt werden wird. Addis Abeba  . Die abessinische Antwort auf den französisch-britischen Friedensplan enthält keine kategorische Ablehnung, gibt jedoch der- sungSart den Vorzug, daß der Völkerbund   den Plan selbst verwerfe.»Wir sind überzeugt", heißt es in dem Texte der Rote,daß weder der Böl- terbundrat noch di« Völkerbundversammlung außerhalb des Paktes liegende Lösungsversuche unterstütze« werden, und zwar solche Verschlüge, die die eigentliche Grundlage, auf der der Gen­ fer   Organismus ruht, zerstören. Wir sind entschlossen, unser Gebiet und un­sere Freiheit bis zum Letzten zu verteidigen." In dem hier veröffentlichten amtlichen Text ist kein Wort der Ablehnung enthalten. London.(HavaS.) In parlamentarischen Kreisen hat jener PaffuS in der Red« des italie­ nischen   Ministerpräsidenten, die er bei der Ein-> oder garTekne g e b e n kann, will man sich nicht blamieren. Und. noch, eine Lehre haben England und die Bundesmitglieder zur Kenntnis zu nehmen: daß man die Reaktionen eines faicistischen Regimes anders einkalkulieren muß als die einer normalen Regierung. Als alle Welt noch an ein baldiges Nachgeben Mussolinis glaubte, das der englischen Politik ohne Zweifel zuerst als Ziel vorschwebte, sagte ein sehr gründlicher Kenner des deutschen  FascismnS und seiner führenden Männer: Diese Lösung ist zwar denkbar, aber sie ist nicht m ö g l i ch. Sie läßt sich auf dem Pa­pier ausklügeln, sie rechnet aber nicht mit dem Faktum, daß ein Hitler oder Mussolini   nicbt frei« willig zurückgehen und nicht kluge Erwägungen anstellen. Sie spielen um ihren Kopf und nur daS entscheidet bei ihren Entschlüssen, Sie müssen lie­ber zügrundegehcn als zurückwcichcn, koste es auch ihr Land. Mussolinis Rede in Pontinia zeigt, daß man in London   falsch rechnete, als man ihn teils durch Drohungen, teils durch Entgegenkommen zu fan­gen versuchte. Mussolini   wird wirklich nut der Gewalt Weichen, und zwar.einer höchst brutalen Gewalt, Wenn England und Frankreich  vor ihrer Anwendung zurückschrccken, dann wird Mussolini  , sei«S auch unter ungeheuren Opfern Italiens  , die Partie gewinnen. Insofern bedeutet die nengeschaffene Lage Wohl eine gewisse Chance für den Völkerbund, aber sie ist noch lange keine ernste Gefahr für Italien  . Wenn Mussolini   gebändigt werden soll, müßten vorher Laval und vielleicht daS ganze Kabinett Baldwin, sicher aber der böse Geist des Foriign Oftike.der tlnterstnats'ekretär B a n- s t t t a r d stürzen, und der Nachfolger HoareS müßte mindestens Eden oder Duff C 0 0« » e r, aber nicht NevilleChamberlain heißen. weihung der Stadt Ponttnia hielt, einen starken Eindruck hervorgerufen, wonach sich all« Kräft« deS Egoismus und der Heuchelei gegen Italien   vereinigt haben. In konservativen Kreisen wirkt dieser peinliche Eindruck noch stärker als das unange­nehme Gefühl, das durch eine Aeußerung des Duce hervorgerufen wurde» die hier als Ableh­nung des Vorschlages betreffend die Kolonisa- ttonSzone in Abessinien aufgefaßt wird. An Lon­ doner   politischen Stellen war man Mittwoch der Ansicht, daß sich dadurch die Verteidigung der Friedensvorschläge, wie sie in der Parlaments­debatte von der Regierung beabsichtigt wird, umso schwieriger gehalten werde. Der Rücktritt Herriots Paris. Im Vollzugsausschuß der Radi­kalen Partei, der Mittwoch zu einer Sitzung zu­sammengeirrten war, entwickelte sich eine heftige Debatte, in welcher zahlreiche Mitglieder und namentlich der Deputierte Pierre C 0 t» die französisch-britischen Vorschläge betreffend die Regelung deS italienisch-abessinischen Konflittes sowie die Außenpolitik der Regierung ttitisierten. Als rin Mitglied des Vollzugsausschusses den StaatSministrr Herriot   durch die Bezeichnung Kuhbändler"(nach anderen VersionenRoß­täuscher") welcher unausgesetzt zwischen Laval und den Radikalen verhandle, beleidigte, und ttotz der Aufforderung HerriotS und des Präsidiums dieses Wort nicht widerrief, legte Herriot da s P r ä s i d i u m deS BollzugSausschuffeS und den Vorsitz in der radikal-sozialistischen Partei nieder. Der ehemalige Ministerpräsident D a- lädier sowie auch andere Mitglieder versuch­ten, vergeblich auf Herriot   einzuwirken, von die­sem Entschlüsse abzugebrn, Herriot   machte darauf aufmerksam, daß sich bei der letzten Abstimmung über daS Vertrauensvotum der Regirrung bezüg­lich der Außenpolitik 85 radikale Deputierte ge­gen die Regierung, also gegen ihn, und nur 45 für die Regierung ausgesprochen hätten. Rach Mitternacht begab sich neuerlich eine Abordnung zu Herriot   und verhandelte mtt ihm bis zwei Uhr, Herriot   beharrte jedoch auf seiner Demis­sion. Bisher kann nicht gesagt werden, ob er sei- nen Rücktritt noch zurücknehmen, oder ans ihm beharren und welche Folgen der Beschluß Her- riots haben wird. (Fortsetzung auf. Sette 2). 1 Dramatische Verhandlungen Der versessene Regenschirm Ein großes historisches Schauspiel, der Form aber auch' dem Inhalt nach, fand Mittwoch im Wladislaw-Saal der Prager  - Burg seinen Ab­schluß. Das wochenlange heiße Ringen um die Lösung der Präsidentschaftsfrage hat einen gro­ßen und würdigen Abschluß gefunden. Beifalls­rauschen empfing das neue Staatsoberhaupt, lieber die Dächer von Prag   dröhnten Kanonen­schüsse. Der Staatsakt im Wladislaw-Saal war abgeschlossen und nahm auf dem Burghof, wo die Armee dem neuen Präsidenten huldigte, seine Fortsetzung. Langsam strömten die Teilnehmer durch die altertümlichen Gänge ins freie, inner­lich tief bewegt von dem Nachfiebern schicksals- hafter Stunden. Auf der leeren Bühne aber blieb ein vergessener Regenschirm zurück. Dieser ver­gessene Regenschirm war die Fraktion des Herrn Konrad Henlein  . Man hat die vielbeschäftigten SdP-Mannen einfach im Winkel stehen gelassen. An ihnen be«' wahrhcitete sich daS alte Reiterlied: Gesttrn noch auf stolzen Rossen... Innerhalb einer bewegten innerpolitischen Woche ist die alleinseligmachende Partei Henleins hoch emporgestiegen und tief gefallen, ganz im Sinne des Bibelwortes:, Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden". Die Prälidentenwahl bot der SdP die erste Chance, als politischer Fak- tar In die. Entscheidungen der Staatslebens ein­zugreifen. Sollte das neue Staatsoberhaupt im ersten Wahlgang durchdringen, dann genügten die Sttmmen der Koalitionspartkien nicht. Schon bei früheren Anlässen hatten Oppositionsparteien in solcher Stunde eir positives Votum abgegeben. Auch die deutschen   Sozialdemokraten stimmten 1927 für Masaryk  . Diesmal aber drohte die Koalition in zwei Lager zu zerfallen. In solcher Situation lag die Entscheidung bei der Opposi­tion. Es wurde auch schon sehr eifrig diskutiert, welche Oppositio isgruppen für Dr. Benes oder für seinen Gegenkandidaten stimmen werden. Für eine deutsche Partei konnte es in solcher Konstel­lation kein Zögern und kein Schwanken geben. Auf der einen Seite der Vermächtn:-träger Ma- saryks, auf der anderen Seite der Vorsitzende des Nationalrates Prof. N e m e c da wußte Wohl der letzte Häusler im Böhmerwald   Bescheid, von welcher Seite mehr Verständnis und Sinn für nationale Gerechtigkeit zu erwarten war. Die SdP machte jedoch in diesem historischen Augen­blick nicht BolkSpolitik, sondern eng­stirnige Par eipolitik. Es hat ja nicht an Spekulanten gefehlt, die strit ihrer Haltung zur Präsidentenwahl ein klei­nes Parteigeschäft machen wollten. Der Hen­ lein  -Abgeordnete Köhler sah bereits am Sonntag, nach dem Wortlaut seiner Brüxer Rede zu schließen, eine v«berganfSregie- r u n g kommen und die Marxisten ans der Koa­lition hinausfliegen. In spätestens einem Jahre sollte die HdP   nach Köhlerzwangs­läufig" an ihr Ziel kommen, Teilhaberin einer antimarxistischen Bürgerblockregierung zu sein. Daß Köhler in gleichem Zusammenhang Dr. Benes die größten Aussichten für die Präsident­schaft zusprach, war nur ein taktisches Manöver zur Täuschung der tschechischen Linken über die wahren Absichten der SdP- Fraktion. Wenn nämlich die Partei Henleins ernsthaft mit einem Sieg Dr. Benes' gerechnet hätte, dann wäre sie gär nicht in die Versuchung gekommen, ihre Stellungnahme bis zur letzten Stunde hinauSzuzögern. ES genügt, ein deutschbürgerliches Zeugnis über die kläglich«. Rolle der Henleinjünger in den vergangenen Tagen zu zitieren. Der christlichso­zialen Deutschen Presse wird darüber von wohl­informierter Sette berichtet: Nach dem wilden Kampf,' den die SdP die vergangenen Wochen hindurch im Anschluß an daS letzte Expos« des damaligen Außenministers Dr. Benei gegen die deutsche chriftlichsoziale Volkspartei begonnen hatte, ist es endlich der SdP zum Bewußtsein gekommen, daß sie sich fürchterlich verrannt hat. Bor der Neuwahl deS Staatspräsidenten hatte man in christlichsozialen Kreisen erwartet, daß die SdP als weitaus stärkste Partei mit allendeot» scheu Pa r't ei e n F ü h l u n g nehmen