Seit« 2 Freitag, 20. Dezember 1935 Nr. 206 Fraktion in die Wüste der Verlassenheit verirrt und warfen gleich ihnen weiße Stimmzettel in die Urnen. Zum zweiten Male nach der Abstim- mung über das Expose: des Außenministers be­fand sich die Sudetendeutsche Partei   in restloser Isolierung. Wieder ist ihr eine Spekula­tion vorbeigelungen. Weit und breit ist leine Möglichkeit mehr offen, welche die SdP auf kurzem Wetze zur ersehnten Machtergreifung führt. Sie wird weiter das bittere Brot einer vereinsamten Oppositionspartei essen müssen. Werden sich aber die fünfvier» telMillion Wähler der SdP den Luxus lei sen k ö nne n, n^ch lange Jahre auf ein politisches Wun­der zu warten? Hoares Rechtfertigunssrede (Fortsetzung von Seite 1) London.(Reuter.) Die Sitzung des Unter­hauses wurde in ungewöhnlich ernster Stimmung eröffnet. Als Baldwin das HauS betrat, blieben die Beifallskundgebungen auS. Als um 18.40 Uhr der zurückgetretene Außenminister Hoare  das Haus betrat, wurde er auf der Ministerbank mit Beifall empfangen. Der Beifall wiederholte sich, als Hoare um 18.46 Uhr das Wort ergriff. Es wurden zwar einige feindliche Ausrufe auf den Bänken der Arbeiteropposition laut, doch trat sofort tiefe Ruhe ein, als Hoare zu sprechen be­gann. Sir Samuel Hoare   führte unter anderem auS; seit seinem Amtsantritt als Außenminister habe er die Dringlichkeit zweier großer Probleme erkannt: 1. Alles zu tun, was in seiner Macht stehe, um eine große europäische   Feuersbrunst zu verhüten, und 2. nichts unversucht zu lassen, um einen isolierten Krieg zwischen Großbritannien  und Italien   zu verhindern. Er persönlich habe alles in seiner Macht Stehende getan, um die Weltmeinung gegen den abessinischen Krieg in der Genfer   Vollversammlung zu mobolisieren. Jeder weitere Tag dieses Krieges habe größere und gefährlichere Probleme heraufbeschworen. ES seien Schwierigkeiten im Fernen Osten entstanden und Schwierigkeiten in Aegypten   und auch in mehr als einer Gegend Europas   hätten sich dro­hende Wolken zusammengezogen. Die Gefahr eines Kriegsausbruches habe sehr schwierige Fragen zwischen England und Frankreich   aufgeworfen. Jedermann müsse sich darüber klar gewesen sein, daß weite Kreise der' französischen Oeffentlichkeit einen Bruch mit Italien   befürchteten und gleichzeitig große Nervosität empfanden über die Möglichkeit einer Schwächung der Berteidigung Frank­ reichs  . Angesichts dieser Tatsachen habe er alles getan, um eine Regelung zu ermöglichen. Eng­land habe die doppelte Aufgabe gehabt, in vollem Maße an dem kollektiven Vorgehen teilzunehmen und gleichzeitig zu versuchen, eine Friedensgrund­lage zu finden. Ein« neue Lage sei durch die Frage einer Oelsperre entstanden. Gesetzt denFalk.daß das Oelembargo unter Mitwirkung der Richt- mitgliedSstaatm hätte in Kraft gesetzt werden können» so würde das Oelausfuhrverbot unter Umständen das Ende der Feindselig­keiten erzwungen haben. Aber gerade deshalb wäre dir Lage vom Standpunkt pes italienischen Widerstandes sofort gefährlicher geworden. Von allen Seiten seien Berichte eingegän- gen, daß Italien   ein Oelembargo als eine mili­tärische Sanktion oder als einen kriegerischen Akt ansehen würde. Ich wünsche", so fuhr Hoare   fort,unsere Lage völlig klarzumachen. Als Nation empfanden wir keinerlei Furcht vor irgendeiner italienischen Drohung,(Lauter Beifall) wie auch immer sich Italien   verhalten haben würde. Wir würden, wie die Geschichte lehrt, einen solchen Angriff mit Erfolg zurückgeschlagen haben." Ein isolierter Angriff dieser Art auf eine einzige Macht ohne die Gewißheit einer vollen Unterstützung der anderen Mächte würde fast unvermeidlich zu der Auflösung deS Völkerbundes geführt haben. Unter diesen Umständen habe er sich vor zehn Tagen nach Paris   begeben. Es sei in einer Atmosphäre des Krieges gewesen, als die Be­sprechungen begannen, und eS habe auf der Hand gelegen, daß die große Mehrheit der Genfer   Mit­gliedsstaaten gegen die Anwendung militärischer Sanktionen zu sein schien. Der Beifall des Hauses erneuerte sich, als Hoare   erklärte, daß kein Mitgliedsstaat mit Ausnahme Englands, irgend welche militärischen Borsichtsmaßnah­men ergriffen hätte, während die meisten Mit­gliedsstaaten an wirtschaftliche» Sanktionen teilgenommeu hätte«..... Zwei Tage lang« habe er mit Laval über ein^'DiskllffihUSg^lMMrge gesprochen.'"Die Vor­schläge, die sich aus diesen Besprechungen erge­ben haben, enthielten manche Dinge, die weder er noch Laval billigten. Sie schienen jedoch beiden Staatsmännern die einzige Grundlage gewesen zu sein, auf der möglicherweise Besprechungen hätten eröffnet, werden können. Es sei notwen­dig gewesen, einen Versuch zu machen, die eng- lisch-französische Solidarität aufrecht zu er­halten. In diesem Geist habe man sich auf die Vorschläge geeinigt. DaS sei die einzige Erklärung und Rechtferti­gung der Pariser Verlautbarung. Sir Samuel Hoare   erläuterte dann die Pa­riser Vorschläge und hob hinsichtlich des Hafens von Assab hervor, daß über keinerlei Beschrän- werde, um eine gemeinsame Richtung der fast 100 deutschen Stimmen bei der Präsidentenwahl an­zuregen. Aber die SdP hat sich zwar in Brünn  bei den kürzlichen Gemeindewahlen mit den tschechischen Fascisten gefunden, die Unterhändler der SdP sind auch in eine Koa­lition mitStkibrnh geraten, aber zu den deutschen   Parteien hat sie nicht gefunden. DaS war derschwersteFehler, den die SdP begangen, ihre Bloßstellung wird sie kaum jemals wieder verwinden können. Wäre staats­männischer Sinn bei den Führern der SdP, dann hätten sie im Bewußtsein der Verantwortung für das deutsche Boll im Staate unbedingt für Dr. Benes stimmen müssen. Statt dessen haben sie leere Stimmzettel abgegeben und dadurch be­wiesen, daß sie Nichtwissen, was sie wollen, trotzdem sie lange, lange und länger als alle anderen Parteien beraten hatten, was sie tun sollten. Biele, viele Leute in den Reihe» der SdP selbst schüttel» den Kopf über dies« politische Kläg­lichkeit und empfinden diese Tatsache als überaus peinlich. Die SdP verhandelte wegen der Stim- menabgab« mit der tschechische» Agrarpartei, aber auch mit Benes-Leuten. Dr. Benes hat jede Ver­bindung mit der SdP abgelehnt. Die Agrarier bedienten sich der SdP alS S ch a ch f i g» r, solange die Grgenkandidatur des Prof. Römer aufrecht war, als aber Römer seine Kandidatnr zurückgezogen hatte, hielt man esgfür über­flüssig, den Berhandlungspartner SdP zu verständigen." Am Vorabend der Wahl ergab sich in der Tat eine groteske Situation. Die Be­ratungen der SdP-Frakfion hatten schon vor­mittag begonnen. Nachmittag beriet ein Partei­rat weiter, doch bis in die Abendstunden wurde kein Ergebnis bekannt. Die Männer, die so we­nig vom Reden halten und der Wählerschaft tausendfach versprochen hatten zuhandeln", konnten zu keinem Entschluß kommen. Dabei ver­patzten sie offenbar den jähen Wandel der Gruppierungen: das Einschwenken der slowaki- schen Bollspartei, den Umfall der tschechischen Gewerbepartei und der Agrarier. Die Mehrheit für Benes war schon haushoch gesichert, aber die EdP-Leute fühlten sich noch immer alsZüng­lein an der Waage", berieten ruhig weiter und meinten, das Land werde Kopf stehen vor Neu­gierde, was sie eigentlich beschlossen haben. Ob der Parteirät Henleins per Zufall oder erst aus der Mittwochmorgenpresse erfuhr, wieviel es in­zwischen geschlagen hatte, wird ein ewiges Ge­heimnis bleiben. Jedenfalls berieten die Män­ner des.Handelns" noch am Mittwoch früh lu­stig weiter, doch kein Mensch war mehr neugie­rig, was sie auch beschließen mochten. Es ging ihnen wiö dem Mädchen beim Rendez-vöusr Bestelltundnicht abgeholt., So saß dann die zahlreiche Mannschaft Kon­rad Henleins beim Wahlakt einsam und verlassen im Wladislaw-Saal. War es nur ein Traum, daß sie sich vor zwölf Stunden noch ungeheuer wich­tig und von allen Seiten umworben fühlten? Wo waren plötzlich ihreVerhandlungspartner" verschwunden? Begegneten sie einem der Män­ner, aus die sie ihre antimarxistischen Regie­rungshoffnungen gesetzt hatten, dann erinnerten sie vielsagende Blicke an den bekannten Vers: Blamier mich nicht mein schönes Kind, Und grüß mich nicht unter den Linden! Sogar die gesinnungsverwandten Kramak« Sttibrnh-Leute wählten anders. Rur   einige tschechische Fascisten hatten sich mit der Henlein  - An alle Kolporteure und Abonnenten! Anläßlich der Weihnachtsfeiertage wird«nser Blatt früher gedruckt, so daß die Rümmer vom Mittwoch, de« 25. Dezember, bereits«m acht Ahr früh i« alle« Orte» ist. Die Donnerstagnummer vom 26. De­zember und die Freitagausgabe vom 27. Dezember entfüllt, so daß die nächste Ausgabe erst am Sams­tag, dem 28. Dezember erscheint. kung, z. B. über ein Verbot des Eisenbahnbaues von Addis Abeba   nach Assab, verhandett wor­den sei. Unter großem Widerspruch der Opposttion erklärte Sir Samuel, die Pariser Vorschläge seien für Italien   ganz erheblich ungünstiger als die Forderungen, die Mussolini   im letzten Sommer Eden gegenüber stellte. Abessinien habe er, Hoare  , nicht vergessen. ES gebe nur zwei Wege, den Krieg zu beenden: Entweder Frieden durch Ver­einbarung oder Frieden durch Kapitulation. Er glaube an die erstgenannte Möglichkeit. Sir Samuel Hoare   sprach dann über die Be­dingungen des modernen Krieges und schloß mit der Erklärung: Ich habe es als meine Pflicht an­gesehen, dem Unterhaus die Lage hinsichtlich der Gefahren, welche ich in der Zukunft sehe, wenn wir nicht allen Tatsachen begegnen werden, so klar wie nur möglich darzulegen. Ich bin fest überzeugt, daß ich nicht anders vorgehen konnte. Ich bin aber auch fest überzeugt, daß die Politik eines Außenministers die allgemeine Billigung seiner Mitbürger haben muß. Diese habe ich nicht und deshalb bin ich zurückgetreten. Dies ist der einzige Grund meiner Demission. Der Führer der arbeiterparteilichen Oppo­sition, Attlee, der hierauf das Wort ergriff, er­klärte, es könne keine Erklärung der Regierung angenommen werden, aus der nicht klar hervor­gehe, daß die Regierung eine kollektive. Verant­wortung trage und Hoare   lediglich zum Sünden­bock gemacht worden sei. Wenn der Rücktritt Hoa­res zu Recht erfolgt sei, dann müsse auch die Re­gierung zurücktreten. ES entspreche nicht dem bri­ tischen   Sinn für fair play und Gerechtigkeit, wenn dem Lande, da» gefehlt habe, ungeheure Zugeständnisse auf Kosten des Opfers gemacht würden. Ein solches Verfahren bringe nicht den Frieden, sondern das Schwert, da es eine un­mittelbare Ermutigung zu künftigen Kriegen sei. Der Redner bezweifelte, daß es möglich sein würde, eine Regelung zu finden, die für alle drei Parteien in gleicher Weise annehmbar sein würde. Attlee schloß seine Rede mit einem Bekenntnis zu einem unter Führung Englands aufzubauen­den System kollektiver Sicherheit, unter dessen Schutz die Abrüstung herbeigeführt werden könne, die alle Kriege beenden werde. Wenn die Regie­rung nicht von dem Pariser Friedensplan Ab­stand nehme, werde die Welt in Anarchie und Krieg verfallen. Hierauf brachte Attlee einen Miß- trauensantrag gegen die Regierung ein. u N Sl : RI IG El 1 1 SICHT 30 Roman von Karl Stym Copyright by Eugen Prager-V erlag, Bratitlava Ich siehe allein auf einem weiten Felde, darüber der Nebel so tief hängt, daß ich mich darunter bücken muß. Meine Füße stecken bis zu den Knien in teigigem Lehm. Aus dem niedrigen Streifen zwischen Nebel und Feld rast eine Meute toller Hunde auf mich los. Ich will laufen, doch der Dreck hängt wie Blei an den Füßen. Der Schweiß rinnt mir in die Augen und mein Schreien erdrückt der Nebel zu jämmer­lichem Gewinsel. Was winselst und strampelst denn so? weckt mich Hell. Ich hab so scheußlich geträumt! Ich bin froh, daß ich wach bin. Ringsherum ist noch Ruhe. Nur hie und da dreht sich einer um oder redet im Schlaf. Plötzlich fährt Uhu mit sei­nen Händen in die Höhe. Zugleich wird er wach. Verdammte Luder! Paul und ich lachen. Irgendwer hat dem schlafenden Uhu die Rockärmel über die Hände gezogen und unterhalb zu­sammengebunden. Uhu schimpft verärgert. Er reckt und streckt sich, um die Hand frei zu kriegen. Die Nähte kra­chen. Wart mal! Paul macht die Schnüre auf. Wenn ich nur wüßte, wers war! Aber so schlecht ists gar nicht, jetzt hab ich schon warme Hände! Na siehst! Uhu setzt sich zu uns auf unser Brettbett Zusammen be­witzeln wir die komischen Figuren der Schlafenden. Der Häuer Hager, zum Beispiel, liegt platt auf dem Bauch, die Hände vors Gesicht haltend. Nach einer Weile sagt Hell: Ich hab eine Idee! Wir schreiben ringsherum auf die Ulme Streikparolen. Aber Farbe? Haben wir, begeistert sich Uhu.Ich weiß, wo der Markscheider seinen Farbtopf versteckt! Mach schnell! Nachdem wir Farbe haben, geht die Klexerei los. Da nur ein Pinsel vorhanden ist, wechseln wir im Malen ab. Das ist auch notwendig, denn zwischendurch müssen wir die Hände auf ein Weilchen unter die Achseln stecken. Es ist ein ganz niederträchtig kaltes Geschäft, das. Nach einer Stunde sind wir mit unserem Lager fertig. Auf den Ulmen steht dick und patzig, in weißer Farbe zu lesen: Brot oder Tod! Herinnen wollen wir sterben! Draußen müssen wir kre­pieren! Kamerad! Denk an dein Weib! Denk an deine Kinder! Denk an dich selbst! Sei stark! Die werden schauen! freut sich Uhu.Und aushal­ten! Wir legen uns nieder und warten mit halbgeschlossenen Augen. Als erster wird Fogger Schorsch wach. Er reibt sich die Augen und rekelt sich. Er liest und lächelt. Aber nur einen Moment lang. Dann wird sein Gesicht ernst, sehr ernst. Er steht schwerfällig auf und betastet die Schrift. Ganz frisch! murmelt er.Nicht schlecht! Wir freuen uns, rühren uns aber nicht. Das Spiel wieder­holt sich bei noch mehreren. Dann schlafen wir ejn. Abends haben wir den ersten Kranken. Peter Pohl hat das Grubenfieber. Er verdreht gräßlich die Augen, so daß man nur das Weiße darin sehen kann. Peter war sofort mit unserem Plan einverstanden. Nun ist er der erste, der zusammenklappt Armer, kleiner Kamerad! Ich grolle ihm nicht mehr. Rohling, Hell und ich legen unsere Röcke auf einen lee­ren Wagen und darauf den Kranken. Peter ist so leicht, daß ihm beinahe einer allein nach Hause tragen könnte. In einem lichten Augenblick zieht mich Peter zu sich und sagt leise: Fritz, ich geh wieder zur Mutter! Recht so, Peter! Wir schieben den Wagen vor uns her. Ein trauriger Zug. Aus den Seitenstrecken schauen die heißen Augen der Kameraden auf uns. Eine bange Frage glüht darin: Der erste! Wieviel werden noch drankommen? Und wird es doch nicht umsonst sein? Herrgott, sind wir arme Teufel! Wir lassen die Barrikade nieder und tragen Peter auf den vordersten Wagen. Unsere Überröcke ziehen wir wieder an. Das ist nicht Rücksichtslosigkeit gegen unseren Kameraden. Peter kommt in den warmen Tag hinaus, wir aber müssen noch weiter im kalten Loch bleiben. Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, steht Ing. Kra­kauer vor uns. Hinter ihm etwa fünfzehn Soldaten mit auf­gepflanzten Gewehren. Wir sind so überrascht, das augen­blicklich keiner etwas sagen kann. Zum Aufrichten der Bar­rikaden ist es schon zu spät, so stellen wir uns quer zur Strecke. Auch die beiden Streikposten, der alte Daniel und sein Kamerad, schließen sich an. Krakauer ist als Draufgänger bekannt Platz da! Ihr wollt ja nichts anderes als ausgeräuchert zu werden! Da müßt ihr aber vorerst hier vorbei! Wir sind fest entschlossen, niemanden durchzulassen: Dummköpfe! brummt Krakauer. Die Soldaten hinter ihm entsichern ihre Gewehre. Das fühlt sich in den Nerven wie boshafte Nadelstiche. Ich weiß nicht, was ich eigentlich von den Kerln da mit den Schießeisen halten soll. Das eine aber weiß ich bestimmt daß kein einziger von ihnen im Krieg war. Ich auch nicht aber ich wäre dort gewiß nicht davongelaufen. Diese milchi­gen Gesichter jedoch sehen nachgerade aus. als würden sie im Ernstfälle mit Tränen rühren.