B

Mr. 132

Der ,, Heilige Geist"

im Alltag...

Eine Pfingstbetrachtung

Pfingsten das liebliche Fest! Goethe, der Meister der aufgeschlossenen Sprache, prägte dies blühende Bild im Reineke Fuchs  " und lebendi ger kann die Atmosphäre dieses Frühlingsfestes nicht umrissen werden.

Pfingsten ist das Fest der Sonne, der Blü­ten, der überströmenden Heiterkeit!

Ein alter römischer Schriftsteller, der den Sitten und Gebräuchen der vorchristlichen Ger­manen nachspürte, weiß zu berichten, daß es bei einigen germanischen Stämmen Sitte   war, den Frühling dadurch symbolhaft zu begrüßen, daß man den Erdboden füßte, der so reich und so zu­funftsträchtig geworden war.

Dieser zarte Brauch jener Unzivilisierten ist wohl heute durch rauhere Symbolismen abgelöst worden. Heute mag man die Eingangspforten der Konzentrationslager mit Pfingstreisern schmüden oder ein neues Gesetz zum Schuße" jenen Blutes erlassen, das man reichlich und nicht zum Nußen der Menschheit vergossen hat.

Es geht nicht mehr in idyllischer Naturver­Junfenheit zu verharren, wenn überall das Un­recht aus der Gewalt, jener naturgemäß letzten Reserve der Notwehr, zur naturwidrigen Un­tugend der täglichen Gewohnheit gemacht wird.

War jemals die Welt so ergreifend schön, so gebefroh und so lichttrunken wie in den Tagen der Pfingstfreude?

Ist es nicht die gleiche Sonne, der gleiche Blütenblust, die über den Kasematten deutscher Zuchthäuser genau so leuchten, wie über den Schlachtfeldern des unglüdlichen Spanien  ?

Und wie erschütternd ist der Segen der Nas tur für jeden Menschen, der noch empfinden fann, wenn er ihn mit dem Unsegen vergleicht, der diese Welt in Blut und Qual zu erstiden droht.­

Die Kirche mit ihrem unendlich fein ausge bildetem Organ für sinnfällige und eindrucks­starle Formulierungen gab uns den, nicht nur realistisch gedachten Begriff von der ,, Ausgießung des Heiligen Geistes  "....

Nehmen wir diese Losung auf, machen wir uns aus der berückenden Schönheit dieses Gedan­Jens eine Losung für unsere irdische Welt, die der unheilige Geist unsäglichster Verwirrung in Atem hält! Die ,, Ausgießung des Heiligen Geistes  " war nie und nimmer als die Ausschüttung der Divi­dende für Rüstungsaktionäre gedacht!

Sie offenbart sich auch nicht in der Besessen­heit gewalttätiger Weltverbesserer, die die Mens schen mit Handfessel und Maulforb in ein Glüd zwingen tvollen, das sie in Wahrheit erniedrigt und unglüdlich macht!

Der Heilige Geist, mit dem wir die Erde er­füllen müssen, erweist sich weniger in lauten Wor­ten als in der stillen Stärke der helfenden Tat!

Sonntag, 5. Juni 1938

Pfingstlandschaft

Feiertagsbekenntnis für gehobene Stunden!

Dieser Heilige Geiſt  " sei mehr als ein Die Mondviole bei Kreibitz  

drosseln wir es nicht ab in den mörderischen Slammern jener Stidluft- Dogmatifer, die in der Theorie unbesiegbar, in der Praxis jedoch meist hilflos sind.

Geben wir der Zukunft eine Chance, indem wir weniger von ihr reden, um mehr für sie wir len zu können! Pfingsten ist ein Fest der Schönheit des Lebens  .-

Und es ist ein Blühen weit und breit, Stille, überlaute Seligkeit..."

Seite 7

Das Pfingsten der großen Stadt

Ich finge das Pfingsten der großen Stadt,

der elenden Bäumchen in fruchtloser Blüte, der bleichen Blumen an Fenstersimsen, Fliederbüsche an staubigen Zäunen, der bunten Beete im Teppichrafen,

plätschernden Waffer, kunstvoll geleitet,

ber schwatzenden Spatzen und flötenden Amfeln, der duftenden Ahorn, Kastanien und Linden,

Palmen, Agaven, der Heimat entfremdet.

Ich finge das Lied der elektrischen Bahnen, bie durch die kühlen Alleen sausen,

der Karrengäule, die asphaltmüde

zwischen lärmenden Autos traben.

Und ich finge das Pfingsten blasser Gesichter verhutelter Greise und armer Krüppel

bei spielenden Kindern auf Anlagebänken Sandbaumeister der rofigen Zukunft

-

und leuchtend vom Heiligen Geifte des Werdens.

Ich finge das Lied entfalteter Mädchen, schwärmender Burschen im Abendbummel, der Mücken und flatternden Mauerschwalben

um Brunkfaffaden und Mietkafernen, um Schlote, Türme und hohe Masten. Und ich finge das Lied der beengten Menschen, die träumen von Wiesen, Wäldern umb Meeren, wandernden Wolfen um lockende Gipfel,

von der Gelöstheit aus drückendem Raume.

DStadt, von sonnigem Dunst umsponnen, voll Gier und Entsagung, Armut und Glanz, bist Frühling entkleidet, bist Frühling geschmückt,

in Zugeneigtheit und Abgewandtfein,

in tausend Zungen vielfältiger Sprache und doch von der Hand der Einheit erfaßt. Ich hebe die Schwingen, dem Flugzeuge gleich, das über dem Irrgang der Hastenden kreiset und finge das Pfingsten der großen Stadt. 3. 3.

her man dem Ziele fommt. Dunkler Nadelwald nimmt uns auf, der nach der hellbesonnten Straße recht düster wirft. Da schimmert es wie schwaches Mondlicht auf dem Boden. Erst einzelne Flede von heller, mattlila Färbung. Dann immer grö Bere Infeln, bis ein riesiger Blütenteppich sich vor uns ausbreitet, so weit das Auge reicht und dar über hinaus. Den Waldabhang hinauf, hinunter,

Zu oft ist er gepredigt, zu oft ist gegen ihn rechts und links, nur unterbrochen vom Blattgrün gesündigt worden! Geben wir dem wirklichen Leben Raum, Jahr für Jahr zieht das Wunder der blü- und den schwarzen Waldstämmen, versinkt der benden Mondviole in Nordböhmen   Tausende von Blick in dem sanften Leuchten dieser Pflanze, die Menschen in ihren Bann. Die Mondviole, an das geheimnisvolle Mondlicht stiller Nächte welche meist nur in geringen Mengen vorkommt, erinnert. bededt den Waldboden an der Dorflehne bei Krei Niemand weiß, wieso und wann die Mond­bik in ungewöhnlichem Ausmaße. Diese Lunaria viole an diesen Platz fam, wer sie angepflanzt ( Mondviole) oder Silberblatt, auch Atlasblume hat. Und es gilt für gefährlich, hier im Walde zu genannt, wächst trautartig. Nach der Blüte bilden übernachten. Der liebliche Duft entwickle jich in der jich glatte, ovale Schötchen, deren silbrige Mittel- Nacht zu solcher Stärke, daß, wer sich an dieser wände an den Stielen ſizen bleiben. Die Blüten Stelle zum Schlafen niederlegt, nicht mehr auf­selbst bestehen aus vier Blättchen von der Farbe wache. lichten Flieders. Um Pfingsten herum etwa erreicht die Blüte Von Kamniß aus fahren in den Tagen des ihren Höhepunkt, der bei günstigem Wetter auch Blühens viele Autos und Autobusse gegen das vierzehn Tage anhält, doch ist es nicht in jedem Forsthaus Kreuzbuche" zu, von wo der Weg zur Jahre gleich. Mondviole abzweigt. Von Kreibis- Teichstatt in Aber auch wenn das Wunder der Mondviole Nordböhmen   aber führen viele Wegtafeln den Fremden zu dem seltsamen, zu Zeiten betäuben nicht sichtbar wäre, der Zauber jenes herrlichen den Duft verbreitenden Blüten wunder nordböhmischen Landstriches allein schon ist wie der Mondbio le, deren abgeblühte Frucht eine mystische Wunderwelt der dann fleinen Münzen ähnlich sieht. Natur, die inmitten dunkelgrüner Wälder und Schon von weitem spürt man einen ange- Waldberge ſich auftut. Aus dieser Natur strömt nehmen Duft, der immer intensiver wird, je- wie aus einem Wunderborn Gesundheit, Kraft,

Hören wir weniger auf den Lärm der Bes triebſamen als auf die Sprache der Herzen, die so hat einst ein Dichter das Pfingsterlebnis ge­nicht verfälscht, sondern Klarheit schafft! schildert. Reines Bekenntnis einer reichen Seele! Der Wille zur sozialen Tat ist zu heilig, ist Dieses Fest der Schönheit zu einem Sinn­zu weſentlich, um nur ein billiges Wahlargument bild des Alltags zu machen, unseres Alltags, das zu fein! ist für uns der tiefste Sinn der schönen Ver­Ehrlichkeit aber, sich selbst und anderen heißung von der Ausgießung des Heiligen gegenüber, wird von vielen belächelt, die ehrlich Geistes-! scheinen wollen, um unehrlich handeln zu können! Das Leben ist gewiß kein Idyll- Die Liebe, jene unsentimentale Liebe ver- Aber eine Folterfammer braucht es nicht stehender Gemeinschaft, die nicht heuchelt, sondern zu sein! ihrem Bekenntnis nachlebt, ist heiliger als der Lasset den Pfingstgeist nicht nur in Euren Haß der Lebensarmen! Mund, sondern in Eure Herzen kommen. if

Perücke

und Gerechtigkeit

Ein Kriminal- Roman in 100 Zeilen

Von Friedrich Steiner

reichen. Dann sind sie geborgen, vor dem Unbill| Perüde liegen, greift nach dem Ding und setzt hat, wendet er sich mit wilder Gebärde an den des häglichen Novemberwindes, aber auch vor es sich in schaltshafter Laune auf den Kopf. Mit sprachlos dreinblickenden Wollhändler: den Zugriffen frecher Straßenräuber. Denn das dieser Vermummung wird er nach London   reiten ,, Euer Geld, Herr, wenn Euch Euer Leben Beispiel der öffentlichen Hinrichtung jenes John und seinen Klubfreunden einen ordentlichen lieb und wert ist!" Sheppard soll auf die Brüder der Straßenräuber- Schred einjagen. Er hatte diese wenigen Worte in dem glei gilde faum einschüchternd gewirkt haben. Wie er jetzt die Lichter aufblißen sieht und chen drohenden Tonfall gesprochen, wie im Augen­Kutscher und Fahrgast sind übermüdet von zur Zollschranke tommt, versperrt ihm eine Post- blid des Ueberfalls. Entsett fährt der Wollhänd­Schauplatz: Einer jener englischen Land- der langen Fahrt, von dem unruhevollen Wetter, futsche den Weg. Der Kutscher hebt eben die La- ler zurüd:" Ja- da steht er... dieser Mann ſtraßen, unweit des föniglichen Londons  , die be- von der anstrengenden Wachsamkeit. Und als jetzt terne hoch, als wollte er den Fremdling einer hat mich bestohlen. Jetzt erkenne ich ihn genau rüchtigt sind wegen ihres verwahrlosten Zustan- an einer Wegbiegung ein Mann hoch zu Roß Prüfung unterziehen. Neben ihm, der dice unter wieder..." Mit lächelnder Miene hatte der Bandit des und gefürchtet wegen der allgemeinen Un- auftaucht, den Poſtpferden in die Zügel fällt und jetzte Mann, im pelzverbrämten Mantel, stößt die Berüde abgenommen und wendet sich mit höfli mit wildem Gebrüll Geld und Schmud fordert, einen wilden Schrei aus: Goddam das ist ja cher Geste und gesetzten Worten an das Gericht: findet er feinerlei Gegenwehr. Aus dem halbge- der elende Bursche, der mich bestohlen hat. Haltet Ehrenwerte Bürger, habt Ihr nun erfannt, Zeit: Gtwa im letzten Viertel des 18. Jahr öffneten Wagenfenster starrt angſtvoll das blaß ihn fest...!" wie unsicher dieser Mann seiner Sache ist? Einen hunderts, turz nach der Hinrichtung des John verzerrte Gesicht des Wollhändlers auf den Unbe- Der junge Percy Lytton wird vom Pferd harmlosen Zuschauer hält er für einen Straßen­Sheppard, jenes ehrenwerten Mannes, dem das fannten, der in so brüster Weise seine räuberischen gerissen, von den Zollbeamten gefesselt und, un- räuber, nur weil er sich zufällig jene schwarze tgl. Gericht in Old Bailey 19 Morde und 42 Absichten erkennen läßt. Abraham Brighton ver- geachtet seines Proteſtes, vor den Schnellrichter Perücke aufgesezt hat..." Raubüberfälle nachgewiesen hat, wofür der Stopf mag die Gesichtszüge des Mannes nicht zu ent- geschleppt. Das Gericht ist zusammengetreten. Nach diesem absonderlichen Intermezzo trat dieſes Königs der englischen Straßenräuber" ziffern, denn eine schwarze Wollperücke, die bis Die Verhandlung vollzieht sich in wenigen Minu- das Gericht zu einer zweiten Beratung zusam= zwei Monate lang das Eingangstor der Tower- tief in die Stirn hereingezogen ist, verhüllt fast ten. Der Wollhändler beschwört feierlich, daß er men. Die eindrucksvolle Demonstration des Un­brüde zierte. völlig das Antlig des Räubers. Nach kurzem, in dem jungen Perch Lytton den Straßenräuber befannten hatte die Geschworenen in ihrem Ur­

ficherheit.

Handlungsablauf: Eine dunkelver- brutal geführtem Dialog, der im wesentlichen von wiedererkannt hat. Perch kann sein Alibi nicht teil unsicher gemacht. Vergeblich waren die neuen hängte Regennacht. Auf eine der verwahrlosten der fuchtelnden Pistole des Briganten und eini- nachweisen. Der Wahrspruch lautet kurz und Eide des Wollhändlers, mit denen er zu bekräfti­Landstraßen, wenige Meilen entfernt von Lon- gen derben Flüchen bestritten wird, hat sich der bündig: Tod durch den Strang! Der öffentlichen gen suchte, daß jener Zuschauer der wahre Täter don, trottet langsam eine Poſtfutsche heran. Auf Unbekannte in den Besitz eines prallgefüllten Sitzung hat mit kühner Dreiſtigkeit der wirkliche sei. Sein Zeugnis hatte an Beweiskraft verloren. dem hochgetürmten Bod fist ein wildverwegen Lederbeutels gesetzt, darin der Wollhändler seinen Täter beigewohnt. Als das Urteil gefällt worden Nach englischem Gesetz durfte es gar nicht ange­aussehender Bursche: auf dem Kopf einen mäch Goldschatz vor Diebeshänden gut verborgen geist, tritt er aus der Zuschauerbank vor den Lord  - nommen werden, da der Kläger   bereits unter Eid den unschuldigen Perch Lytton als Täter bezeich tigen Zylinder, in der behandschuhten Hand glaubt hat. Jetzt schwingt sich der Bandit mit Oberrichter: Euere Herrlichkeit, vergebt mir meine Sühn- net hatte. Das Gericht sprach sich mit fünf gegen schwenft er hart knallend eine Peitsche, als ob er rohem Lachen in den Sattel, schwenkt noch höhnisch sich damit Mut machen wollte. Wenn der heulende grüßend die Beute und entschwindet im Galopp heit. Doch es will mir scheinen, als ob man der fünf Stimmen für die Unschuld Lyttons aus. schwarzen Perücke eine gar zu hohe Bedeutung Der junge Mann wurde freigelassen und der Wind in seine lose umgehängte schwarze Pelerine den Augen des beraubten Wollhändlers. Die schwarze Kaleiche hat sich wieder in Be- beimißt, wenn man sie als einziges Beweisstüd wirkliche Täter zog mit freundlichem Lächeln und fährt, lann man einen breiten Ledergurt sehen, in dem zwei Piſtolen stecken. Vor den Blicken wegung geſetzt. Wenige Minuten später liegt jene betrachtet, das über Leben und Tod des Ange- dem erbeuteten Gold im Wamfe von dannen. Neugieriger geschüßt, sist in der schwarzen, lack- Wegkreuzung in stiller Verlassenheit. Nur ein klagten zu entscheiden hat. Wenn es Euere Herr Bercy Lytton mußte freigesprochen werden, weil Tederverkleideten Starosserie, in die Polster zurüd- dunkler Wolltnäuel, jene schwarze Perücke, iſt als lichkeit erlauben, will ich mir einen Augenblick ihn nur die Hälfte der Geschworenen als schuldig erkannt hatte, zu einer Verurteilung ist aber die gelehnt, Abraham Brighton, ein reicher Woll  - stummer Zeuge auf dem Schauplatz des Verbre- diese Perücke auffeßen...?" Der Richter, erstaunt über diesen unerwars Einstimmigkeit der Geschworenen Voraussetzung. händler. Er fährt in der sogenannten Landtutsche, chens liegen geblieben. Sturze Zeit darauf fommt Jene schwarze Wollperücke wurde von Ges also in einer Privatpost ohne besondere Bewa Perch Lytton vorbeigeritten. Sein Pferd scheut, teten Zwischenfall, aber nicht abgeneigt, sich bes chung. Zweiundsiebzig Stunden sind Herr und bäumt sich hoch. Der junge Mann, in der Um- weisträftigen Argumenten zu verfchließen, erteilt richtswegen eingezogen und von der kleinen Ge­seiner übermütigen seine Genehmigung. Als jetzt der Straßenräuber meinde Kingstown   als kurioses Symbol der Ge­Diener unterwegs. Mit einbrechender Dunkelheit gegend bekannt wegen boffen sie die Zollschranken von London   zu ers Streiche, beugt sich zur Erde. Er sieht die schwarze die schwarze Perücke sich auf den Stopf gestülpt rechtigkeit aufbewahrt.