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werbendem Aufruf, da der Tagesschriftsteller Agitator, Missionar| ganze Gitter ift dicht berantt. Zum Fenster friecht er auch schon war, ein Ritter vom Geiste, nicht wie heute im besten Falle ein hinüber, wie ein Kranz sieht es aus. Wunderhübsch, nicht wahr?" Arbeiter vom Geist oder, wie es die Regel ist, ein Arbeiter Es ist überhaupt alles wunderhübsch!" Sie ließ die Augen gegen den Geist. Heute beherrscht der Journalismus das aktuelle über die Blumen gleiten und beugte sich dann auf die Straße Ereignis, die Würdigung ist mur eine entbehrliche Zugabe. hinaus:„ Die Aussicht ist doch geradezu reizend. Wie klar heute Der Publizist der älteren Richtung wollte wirken, wollte wieder alles ist! Man erkennt den Grunewald ganz deutlich!" einer großen politischen Aufgabe dienen, nicht sich dazu hergeben, Neuigkeiten auszuframen. Der Barlamentarismus hat ja eine ähn liche Wandlung erlebt: statt des Kampfs um große Principien eine fleißige fachliche Diskussion über umfangreiche Gesetze, die den Parlamentarier zu einem Stück Geheimrat macht.
Die pedantische Arbeit, die der heutige Redacteur der aktuellen Tageszeitung aufwenden muß, ist dem genialischen Ungestüm LiebInechts stets fremd gewesen. Er war kein Handwerker, sondern ein Künstler, der den Eingebungen seines Temperaments folgte, auf einen guten Stil weit mehr gab, als auf eine sensationelle Nachricht, und es nie begriffen hat, daß es darauf ankäme, ob das Publikum eine Neuigkeit einen Tag später oder früher erführe.
Kein Zweifel, daß der heutige Journalismus nach den ihm ge= stellten Aufgaben viel niedriger stehen muß, als die um ihrer selbst willen als Kunst gepflegte Publizistit eines Liebtuecht. Aber die Entwicklung ist unwiderstehlich und ihr hatte Liebknecht schließlich auch seufzend Konzessionen gemacht. Schöner und edler ist der Beruf des Tagesschriftstellers sicher nicht geworden, seitdem er zur Neuesten Nachrichten- Sllaverei geworden. Und ein Mann, dem jede Philostrosität verhaßt war, der am liebsten als rastloser Weltwanderer seine Anschauungen berkündete und in der Eisenbahn oder auf Spaziergängen sein Blatt redigiert hätte, ein solcher frei schweifende Geist, wie er Wilhelm Liebknecht eigen war, konnte sich nie ganz an den fabrikmäßigen, regelmäßigen Betrieb gewöhnen, wie leider! das moderne Zeitungswesen erfordert.
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" Ja die Aussicht werden wir am meisten vermissen." Die Dame im Schaufelstuhl seufzte, der alte Herr verzog gleichfalls das Geficht: Und wenn ich nur erst wüßte, wie wir die Blumen fortbringen. Die Blumen leiden ganz entschieden tsi dem Umzug. Der Wein wird mir total ruiniert. Es dauert wenigstens zwei Jahre, ehe er wieder so hoch kommt wie hier." Und ehe man sich an die fremde Gegend gewöhnt!" Die Taute gab dem Schaufelstuhl einen erneuten Schwung. Ich darf wirklich gar nicht daran denken, nun wohnen wir hier fünf Jahre." War es denn aber gar nicht möglich, daß Ihr hier bliebt? Das junge Mädchen rückte den zierlichen Bambusstuhl an ihre Seite und ließ sich mit teilnehmender Miene darauf nieder. „ Ach! Gar kein Gedanke!" Die Dame lehute den Kopf hintenüber und schlug die Augen gen Himmel.
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Der Onkel ridte sich gleichfalls einen Stuhl heran:„ Nein, aber auch wirklich gar kein Gedanke. Die weite Entfernung von der Stadt, die unbequeme Verbindung, das ließe sich ertragen, aber die Fabrik, da drüben! Nein, numöglich!" Er warf einen feindseligen Blick auf das hohe rote Gebäude, das sich, in einiger Entfernung zwischen Ackerland und Baustellen erhob. " Es ist eine Eisenwarenfabrit, nicht wahr?" fragte das junge Mädchen.
Maschinen machen sie da." Die Stimme der alten Dame wurde ordentlich wütend. Jezt merkt man eigentlich gar nichts davon." Das junge Mädchen musterte die Fabrit mit interessierten Blicken. Der Onkel klopfte die Asche von der Cigarre:" Nein, natürlich merkt man nichts 1 Die Kinder schreien ja auch genug auf der Straße, aber sige nur mal abends hier, oder komm nur mal nachts, wenn sonst alles ruhig ist, dann kann man es nicht aushalten vor Spektakel." Nachts?
Das junge Mädchen machte große Augen. Arbeiten sie denn da auch nachts?" in inves " Jede Nacht!" bestätigte die Tante.
" Und der Skandal ist wirklich nicht zu ertragen"- fiel det Onkel ein Du kannst Dir wirklich keine Vorstellung machen; das Hämmern und Surren und Schleifen und Bochen hört gar nicht auf. Der vernünftigste Mensch muß verrückt werden, wenn er es eine Stunde mit anhört."
Den Haß gegen die Entwürdigung der Schriftstellerkunst durch das Aktuelle hat unser Alter stets beibehalten. Er fühlte sich stets ins Unrecht gesetzt, wenn ihn Kollegen davon abzuhalten suchten, eine Notiz ins Blatt zu bringen, die vor einer Woche schon durch die andren Blätter gegangen oder die Ereignisse betraf, die weit zurück lagen. Was lag daran, ob die Notiz nicht mehr ganz aktuell war, wo sie doch prächtig stilisiert und mit der ganzen Wucht Liebknechtscher Sprachgewalt ausgestattet war! Dieser blöde Kultus der Figigkeit war ihm schnödeste Entweihung. Wir Jüngeren freilich waren durch die moderne Journalistit verdorben, wir waren uns bewußt, daß das goldne Zeitalter der individuellen publizistischen Kunst unwiderbringlich vorüber war, wir opferten geduldig dem Moloch der Aktualität aber im tiefsten Zunern empfanden auch wir eine schmerzliche Sehnsucht nach jenen schönen Zeiten, da der Wir müssen fattisch die Fenster schließen"- wehklagte die Publizist noch ein bißchen Zigeuner sein durfte, der im Tante- nnd dabei sind wir es so gewöhnt, bei offenen Fenstern Wandern nach freiem Gelüst Blige schlenderte, statt in trauriger zu schlafen. Ich bin schon ganz krank von der eingeschlossenen Seßhaftigkeit Tag für Tag dem Dreibund von Schere, Feder und Luft." Kleister zu dienen. In der That, unser Alter hatte doch recht, daß es für die Kultur ganz gleichgültig sei, ob man ein Geschehuis ein paar Tage später erführe. Er hätte sicherlich sich dagegen erklärt, daß man über sein Ableben eine Extra- Ausgabe veröffentlichte.
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„ Na, immer noch besser die eingeschlossene Luft als der Skandal 1" Der Ontel machte ein griesgrämiges Gesicht.„ Nein, weißt Dut, meine Nachtruhe muß ich haben! Seine Nachtruhe muß jeder Mensch haben, das ist doch wahr? Man steht ja erschöpfter auf, als man Auch darin war Liebknecht dem Zeitungsindustrialismus fremd sich hingelegt hat. Alle Augenblick wird man aufgescheucht. geblieben, daß er, trogdem er jahrzehntelang der leitende Geist Bald fracht es hier, bald poltert es da; es ist ja gräßlich." großer Blätter gewesen, niemals tief in die technischen Einzelheiten Das junge Mädchen schüttelte den Kopf: des Betriebs eingedrungen war. In dieser Hinsicht blieb er so harmlos wie ein Anfänger. Ich glaube, die Zwillings- Rotationsmaschine ist ihm immer etwas unheimlich gewesen, und sein Herz hing an der kleinen Handpresse einer Geheimdruckerei, in der der Weg von Hirn bis zum fertigen Blatt nicht gar so weit ist.
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„ Daß so etwas aber erlaubt ist?"
Die Tante nickte lebhaft: Ja, das hab' ich auch schon gesagt. Da wohnt man hier in Ruhe und Frieden, und dann kommt so' n Fabrikant und läßt einem die ganze Nacht etwas vorhämmern einfach ein Skandal ist es, die Menschen aus ihrem friedlichen Diese patriarchalische Anschauung von der Publizistik beruhte Schlaf aufzuscheuchen, fie so um ihren Schlaf zu bringen, als ob die feineswegs auf einer rückständigen Einsichtslosigkeit. Nein, Liebknecht Nacht nicht zum Schlafen da wäre! Jawohl, zum Schlafen!" Ihre erfannte ebent, daß die moderne Entwickelung des Zeitungswesens- Stimme schlug über, sie wehte sich mit dem Taschentuch Kühlung zu. bei manchen Vorzügen doch die wertvollsten Eigenschaften zer- Der Onkel nickte beistimmend: störte; und niemand kann bestreiten, daß er darin recht hatte. So Jawohl zum Schlafen natürlich- ich fag' es ja blieb er für seine Berson der alten besseren Gewohnheit getreu, ne Gemeinheit, einen um den Schlaf zu bringen!" Seine Nachtruhe wehrte aber auch nicht den Jüngeren, die den schlimmen Forderungen muß jeder haben, hm ja seine Nachtruhe!" der Aktualität gerecht zu werden suchten.
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Den großen Wecker und Rütteler wird niemand von den Jüngeren erfezen. Niemand vermag so, wie Liebknecht es konnte, als be geisternder Führer, als ermutigender Tröster nach Niederlagen, als jubelnder Triumphator nach Erfolgen zum Volfe zu sprechen. An diesen großen Tagen bekam das geschriebene Wort von selbst Klang und Ton und begann zu reden. Dann war die Zeitung nicht ein totes Blatt, sondern ein leidenschaftlich glühender Mensch. Daß die Jungen es immer verstehen mögen, das heilige Maifest Feuer des Alten getreu zu hüten!
Kleines Feuilleton.
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Joc.
gr. Seine Nachtryhe. Nach dem Kaffee gingen sie wieder auf den Balkon. Die Tante setzte sich auf den Schaufelstuhl, den weißen Pintscher im Arm, und wiegte sich leise hin und her. Der Onfel beschäftigte sich mit den Blumen, das junge Mädchen trat an seine Seite, spielend ließ sie die zierlichen Blüten der Fuchsien durch die Finger gleiten:„ Es steht aber wieder alles prachtvoll."
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" Ja, nicht wahr?" Ein freudiger Stolz leuchtete in seinem Gesicht. Und sieh' mal, wie sich der Wein entwickelt hat! Das
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Ein Land ohne Druckerpresse. Im Juniheft der North American Review" spricht E. Denison Roß, Professor der persischen Sprache am University College in London von der modernen persischen Litteratur, an der man in den englischen Sprachgebieten durch die leberſegung des Omar Khaygam durch Fitzgerald Jnteresse gewonnen hat. Die Minch. Allg. 3tg." entuinmit dem Aufsatz das folgende über den persischen Buchniarkt, resp. die Art, wie die Litteratur in dem persischen Reich verbreitet wird: Während Konstantinopel und Kairo ausgezeichnete Drudereien befizen, aus denen zahllose Bücher und Journale hervorgehen, ist Persien bis auf den heutigen Tag von der lithographischen Reproduktion seiner Inland- Bücher und Zeitungen die sehr spärlich ist abhängig. Im Beginn des 19. Jahrhunderts war eine Druckerpresse mit be weglichen Typen zu Tabriz aufgestellt und eine gewisse Anzahl Bücher da gedruckt. Aber bald ward dies wieder aufgegeben. Die Unpopularität des Typendrucs in Persien hat zwei Grinde: erstens beleidigt die Gradheit der Linien den Kunstsinn des Persers; zweitens ist bei gedruckten Büchern der Charakter der Schrift ver loren. Der gleiche Grund, der den Perser dazu bringt, einen Kalligraphen aufs höchste zu schätzen und zu verehren, läßt ihn den Mangel an Charakter an einem Typendruck beklagen. Ein schön geschriebenes Manuskript ist sein höchstes Entzücken, das sich bei ihm äußert, wie wenn wir die Signatur und die Art eines alten
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