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Menschen müssen ja nicht immer schwaken, gebildete Menschen fönnen auch schweigen und sich doch unterhalten.

Er blies Rauchwölfchen in die Luft und starrte ihnen nach. Er sah aber Magda nicht an. Warum eigentlich nicht? Ach was, ewiges Grübeln und Bohren! Weils mir Spaß macht, darum!

Magda lehnte in ihrem Sessel und wartete, daß er n threm fortführe.

Warum that er das nicht? Er dachte wohl an feinen Roman. Da wollte sie ihn nicht stören. Sie schwieg auch. Wie still es war. Nur draußen vor den Fenstern leise der Regen.

Die große Lampe mit dem roten Schirm stand auf dem Nebentisch. Ihr gedämpfter Schein schlich nur zagend bis hin zu den beiden.

Schäfer schwieg immer noch. Er wollte es gar nicht mehr, denn es fing an, ihn zu beengen. Aber er wußte im Augen­blic absolut nicht, was er fagen follte. Sein Kopf war wie ein ausgeblafenes Ei. Und wenn der Tod auf längeres Schweigen stand, er konnte nicht sprechen.

In Magda stieg Verlegenheit auf. Wie sonderbar, daß er inumer noch schwieg. Wie unpassend. Solch Schweigen ist so intim.

Plötzlich fühlte fie, wie ihr das Blut aus dem Kopf ging und zum Herzen eilte, jagte.

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Was meinten Sie doch vorhin?" kam es hastig von ihren Lippen.

Er schwieg. Er merkte, daß sie verlegen wurde, und das reizte ihn, länger zu schweigen. Aber sie schwieg nicht länger, als läge eine Gefahr darin.

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Sie sagten doch, Sie hätten einen Plan, daß ich die Leute besser kennen lernen könnte?"

Er sah sie stumm an. Sie stand auf. Da fagte er schnell, in dem instinktiven Gefühl, sonst läuft sie dir fort: " Jawohl, einen Plan. Ich war da nämlich vorhin bei einem alten Mann, da sah ich wirklich Not und Elend in Fülle." Magda setzte sich wieder.

Schäfer erzählte: Er lag auf einem Strohfad und Huftete fürchterlich. Die Lunge sei faput, sagte er, und Luft könne er auch oft nicht bekommen. Wie zur Bestätigung fing er auch gleich an, nach Luft zu ringen. Es war entjeßlich anzusehen. Ringsum Luft in Menge, denn er lag in der Nähe des Fensters, das ich sofort geöffnet hatte, als ich eingetreten. Ringsum Luft die Menge, und er fonnte nichts davon ein­fangen für sich. Der Kampf um das bißchen Luft wurde immer wilder. Sein Gesicht war blaurot dabei. Die Hände fuhren jäh umher, als wollten sie die Luft greifen. Dann schlug er sich mit ihnen auf den Brustkorb und riß die Haut blutig, als wollte er sie fortreißen, daß es Plak gab für die Luft, all die Luft ringsum, die doch nicht zu ihm tonnte. Ich richtete ihn ein wenig auf. Ich fürchtete, daß er vor meinen Augen erstickte. Aber schließlich, als ich schon dachte, jezt ist's vorbei, nahm der ausgemergelte Körper noch einmal alle Kraft zusammen in ungeheurer Anstrengung, und es ge­lang ihm, nun bekam er endlich die nötige Luft. Sofort wurde ihm leichter. Er bat mich, ihm eine Flasche zu reichen, die in der Nähe des Strohsacks stand. Ich reichte sie ihm. Es war noch ein kleiner Reſt Schnaps drin, hell wie Wasser. Damit feuchtete er gierig die Lippen, die aufgesprungen und ausgedörrt waren von all dem Kämpfen um das bißchen Luft. Diese Flasche war sein höchster Schatz, sein einziger Trost. Er sei kein Trinker, versicherte er treuherzig, aber wenn er so ein Schlückchen davon nähme, würde ihm immer viel. leichter um die Brust. Noch besser sei's, wenn er den Schluck auf ein wenig Zucker nähme. Aber Zucker habe er schon lange nicht mehr. Und mit dem Schnaps ginge es auch zur Neige, trotzdem er spare, wie er nur könne. Acht Tage habe das Fläschchen schon gereicht. Morgen aber sei's zu Ende, wenn er auch noch so sparsam damit umgehe. Was dann aus ihm werden solle? Geld zu einem neuen Fläschchen habe er nicht mehr. Er fing an, jämmerlich zu weinen. Und dies Weinen war das allerschrecklichste. Er hatte nicht mehr viel Thränen. Deshalb war jede einzelne nur unter Qualen aus den roten Augen zu bringen. Wenn er sich doch ordentlich ausweinen fönnte, welche Wohlthat für ihn. Aber es ging nicht, sein Thränenborrat reichte dazu nicht, so wenig wie sein Schnaps noch lange reichen würde. Natürlich regte ihn das Weinen so auf, daß er wieder nach Luft zu ringen begann. Als er endlich wieder ruhiger war, fragte ich ihn ein wenig aus nach feinen Verhältnissen. Er hatte keine Verwandte mehr, nur Roch eine Tochter, die mit einer Menagerie durch die Welt

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reiste und sich um den Vater nicht fümmerte. Ein Nachbar bringt ihm morgens einen Krug Wasser, mittags ein andrer ein bißchen Suppe, und abends sieht noch mal einer nach ihm. Im übrigen liegt er den ganzen Tag und die ganze Nacht allein, kämpft um das bißchen Luft und hört nichts als das Gurgeln und Keuchen um den Mund voll Atem." ( Fortsetzung folgt.)

Aus dre musikalischen Woche.

Von dem langen Ringen nach der Erreichung eines wirklichen musikalischen Dramas ist ein intereffanter Nebenzug das Bestreben, innerhalb der ausgesprochenen Konzermusit, die ja vorwiegend mit beitlich füllende Stüde   zu schaffen. Im Sinne dieses Bestrebens einzelnen fürzeren Stüden arbeitet, größere, einen Abend" eins find namentlich manche Versuche und Schöpfungen Mendelssohns und Schumanns mit zu verstehen. Vorwiegend handelt es sich dabei m Oratorien, weltlicher wie geistlicher Art, oder über­haupt im Vokalwerke von größerem Zusammenhang, und darin wieder speciell um form, die ja nicht eigentlich dramatisch ist, einen dramatisch die Bemühung, in diese Kunst­lebhaften Bug hineinzubringen. Hierher darf wohl ganz besonders Robert Schumanns Komposition für Solostinumen, Chor und Orchester: Das Paradies und die Beri", gerechnet werden. Der englische Dichter Thomas Moore  , ein Freund Byrons  , hatte von seinem Hauptwerk, der orientalischen Dichtung Lalla Rooth"( 1817), eine der vier Erzählungen dem Thema von der Peri ( einer Fee in der Parfenreligion) gewidmet, die, aus dem Paradies berstoßen, nur dann zurückkehren darf, wenn sie des Himmels liebste Gabe" dargebracht hat. Vieles Eigenartige, das fie gefunden, er schließt ihr Edens Pforte noch immer nicht; erst die Neuethräne eines gereinigten Sünders wird zur erlösenden Gabe. Dieses epische Stück Moores hat Schumann zu seinem genannten großen Vokal­wert benutt, und unser Philharmonischer Chor unter Profeffor Siegfried Ochs   führte es, nach der sonntäglichen Probe zu urteilen, in seiner bekannten glänzenden Weise auf.

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Die Hervorholung dieser Komposition giebt uns. Gelegenheit, etwas näher von der Bedeutung zu sprechen, die solche größere ge­schlossene Werke für die Pflege der Musit in weiteren Kreisen besitzen. man kann bemerken, daß im allgemeinen Konzerte in dem Maß bunter werden und bunter gewünscht werden, je weiter es ins Populäre" hineingeht; hier pflegt man es einem Konzert geradezu als Verdienst anzurechnen, wenn es recht vieles von einander Ver­schiedene bringt, obschon nachgerade auch von solchen kritischen Stimmen, die gelinde gefagt mit den Thatsachen zu gehen pflegen, Einwendungen gegen deplacierte" Bestandteile eines funters bunten Programms fommen. Ich glaube mun, dem liegt nur eben eine Unvollkommenheit in der Bildung für den Kunstgenuß zu Grunde; gelingt es hingegen, musikalisches Interesse und Verständnis überhaupt in höherem Maß zu wecken, so wird hiermit auch die Fähigkeit, sogar die Lust, dem einen Faden auf lange hinaus zu folgen, sich einstellen. Allzu wenig ist in dieser Beziehung bisher ver­fucht worden. Die Nachricht von einem Dresdener   Unternehmen für Boltskonzerte, das auch Haydus Jahreszeiten" bringen will, er­regt unsre Hoffnung auf derartige Fortschritte von neuem. Die " Jahreszeiten" sind zu einem solchen Zweck wie geschaffen, volts­tümlich" dürfen sie aus mehreren Gründen genannt werden, nicht zulegt, wegen der Scenen aus dem Voltsleben, die sie in ihrer musikalischen Epit vorführen. Ueberhaupt wird das gesamte, aller­dings fleine Gebiet der weltlichen Oratorien" hier in Betracht fommen das der geistlichen" dann, wenn auf ein Hineinleben in ihre Stimmung zu rechnen ist, was als eine reine Kunstfrage Aus der erst von anderweitigen Fragen unabhängig bleiben kann. genannten Klaffe dürfte mun Das Paradies und die Peri  ", trotz mancher Bedenken, in vorderster Reihe stehen, wenn man dem Ziele: Die Mufit dem Volk!", energisch zusteuern will. Was dabei die äußeren Veranstaltungen betrifft, so wird in einem solchen Falle noch mehr als sonst auf treffende und nicht zu dürftige Erläuterungen ge­halten werden müssen. Man kann vielleicht von Berlin   als der Stadt der erläuternden Musikprogramme sprechen. Schon der alte Gesangskomponist und preußische Obermusifus Reichardt Hatte Bei unsren analytische Programme zu Konzerten gegeben. Philharmonifern und bei den ihren Veranstaltungen ähnlichen Konzerten find die Programmbüchlein ein ständiger Gebrauch. Es merksamkeit auf Nebendinge ablenten, u. dgl. m. wurde allerdings über sie auch bereits geklagt; sie sollen die Auf­Die Bedenken gegen sie scheinen aber doch weniger das Princip zu treffen, als vielmehr aus einer Halbheit seiner Anwendung zu stammen. Findet man erst beim Niederlassen auf dem Konzertstuhl, bestenfalls die eine oder die andre Viertelstunde vor dem Erklingen der Töne, eine ge druckte Uebersicht über sie vor sich, so gerät der Leser und Hörer, zumal wenn nicht der Fachwelt angehörig, leicht in eine Verwirrung, die ihn dann beim Genuß hin und her wirft. Solche Programmhefte müßten den Interessenten bereits einige Zeit vorher, etwa durch öffentlichen Vers tauf, zugänglich sein und sollten sich weniger als bisher auf mufi­talische Analysen" beschränken; zumal bei einer weitergehenden Pflege der Musik fürs Volt hätte wohl ein leberblick über das Ge schichtliche, über die Kompositionsform usw. eines jeden vorgeführten